Thesen und Fragen

wenn ich im Folgenden Probleme aufzeige,
so sind das immer auch meine Probleme

der beste Grund für neue/andere Methoden
ist die Unzufriedenheit mit den alten
(bzw. ihren offensichtlichen Ergebnissen)

die Problemlage
"Selbstlernen" und Konstruktivismus
Eingrenzung und Differenzierung des Begriffs "Selbstlernen"
die alten Methoden
Verwechslung von "selbst" und "allein"
methodisches Lernen mathematischer Methodik
kann man alles "selbstlernen"?
Lernen lernen
das Anwendungsproblem
methodischer Schnickschnack
konkret werden
Perspektiven

selbstständig, eigenständig, eigenlebig (schweiz.), frei, ungebunden, unbehindert, ungehindert, unabhängig, für sich allein, absolut, souverän, schrankenlos, uneingeschränkt, unumschränkt, unbeschränkt, eigenmächtig, übergeordnet, autonom, autark, emanzipiert, unangepasst, unbequem, nonkonformistisch, eigenwillig, nicht unselbstständig; aufgeklärt, eigenmächtig, schöpferisch, unbedingt, unbeliebt, unzugänglich; Schrittmacher; selbstständig werden, sich loslösen / lösen / losmachen von, sich freischwimmen, sich freischreiben, loskommen von, abnabeln, die Nabelschnur durchschneiden / durchtrennen; Aussteiger; selbstständig sein, freie Bahn / Hand haben, unabhängig / nicht eingeschränkt sein, sein eigener Herr sein, auf eigenen Füßen / Beinen stehen, privatisieren; sich selbstständig fühlen, sich nichts mehr sagen lassen, jemandem (seinen Eltern o. ä.) über den Kopf wachsen; selbstständig machen, unabhängig machen, emanzipieren, befreien, gleichberechtigt stellen; nicht selbstständig sein, abhängig sein, nach jemandes Pfeife tanzen müssen, in jemandes Kielwasser schwimmen; etabliert; Außenseiter, Emanzipation, Frauenrechtlerin, Hilfe.
© Dudenverlag

die Problemlage

"Selbstlernen" und Konstruktivismus

Die Richtlinien in NRW

(merke: Richtlinien sind vor allem dazu da,

basieren explizit auf konstruktivistischen Ansätzen:

"Lernen ist konstruktiv
Lernen ist eine Aktivität der Lernenden selbst und nicht eine passive Übernahme von Informationen. Insofern können die Lehrenden Hilfestellungen geben, aber nachhaltige Lernleistungen kann es nur geben, wenn die Eigenaktivität der Schülerinnen und Schüler im Unterricht angeregt wird."
(S. 31)

Solch konstruktivistische Ansätze sind dabei gleichzeitig Problem und Herausforderung:

  1. das mehrfache Problem:

(vgl. auch "die Selbstlernlüge")

  1. die Herausforderung besteht hingegen darin, Unterricht wieder mehr von den SchülerInnen aus zu denken als üblich bzw. alltäglich. Das ist (wie der ganze "konstruktivistische" Ansatz) nicht völlig neu (und schon gar nicht ein Patentrezept), aber doch immer wieder ein guter Tipp bzw. eine notwendige kritische Anfrage an unser pädagogisches Handeln.

Eingrenzung und Differenzierung des Begriffs "Selbstlernen"

In den Richtlinien ist es doch auffällig, dass der Begriff "Selbstlernen" dort nie wortwörtlich auftaucht.

Vielmehr ist dort die Rede von

Ein guter Tipp, um herauszufinden, was Selbstlernen eigentlich ist bzw. welche verschiedenen Ansätze es da gibt, ist es nebenbei, mal zu überlegen bzw. sich dabei zu beobachten, wie man (als Lehrkraft, aber auch als ehemaligeR SchülerIn/StudentIn und lebenslänglicheR LernerIn) denn eigentlich selbst gerne und erfolgreich gelernt hat bzw. (bei einem komplexen, bisher unbekannten Stoff wie z.B. der Quantentheorie) lernt.

Da werden schnell massive individuelle Unterschiede zu Tage treten, was beispielsweise am Leistungsdruck deutlich wird: Den einen beflügelt solch äußerer Druck, den anderen lähmt er.

Da Selbstlernen prinzipiell individuell ist (wenn auch oftmals in einer Gruppe bzw. Klasse), kann es nicht die Lehrmethode geben, die eine (eindeutige) Lernmethode unterstützt. Vielmehr ist wohl zu unterscheiden nach

  1. Wissensstand,

  2. Art des Unterrichtsstoffs,

  3. Gruppenzusammensetzung,

  4. Motivation,

  5. Lerntypus (vgl. etwa )

Daraus folgt, dass mehrere methodische Ansätze sich (nicht nur, um Langeweile zu vermeiden) abwechseln und parallel ergänzen müssen.

Eine Schwierigkeit besteht dabei allerdings darin, gleichzeitig einer Großzahl verschiedener individueller SchülerInnen in oft zu großen Kursen gerecht werden zu sollen. Vielleicht hilft da die Einstellung: "Mal ist für dieseN, mal für jeneN was dabei (Abwechslung, Schrotschussladung)".

Und die weitere Schwierigkeit besteht darin, dass einE LehrerIn vermutlich automatisch vor allem seinen eigenen Lerntypus "versorgt". Da wird man sich einerseits immer wieder daran erinnern müssen, dass andere Menschen anders lernen (und ihnen "Futter" geben müssen); andererseits ist es nur gut, dass SchülerInnen verschiedene und sich abwechselnde LehrerInnen haben.

die alten Methoden

Die Vielfalt der Methoden impliziert auch, dass die konventionellen Methoden keineswegs überholt sind, sondern an entsprechender Stelle im Unterrichtsverlauf durchaus noch ihren Platz haben

(die Rahmenrichtlinien schließen sie keineswegs aus, sondern gehen nur nicht näher auf sie ein, weil sie allgemein bekannt sind).

(so dass es - sicherlich ein Hauptgrund für Schülerschweigen - den SchülerInnen zu dumm ist, auf solche Fragen überhaupt noch zu antworten).

(vgl. auch "sokratisches Fragen" sowie "Bekenntnis zur guten alten Methode des UNTERRICHTSGESPRäCHS").

Eine gute Lehrkraft kann sich nämlich sehr wohl teilweise in die Fragen und Probleme ihrer SchülerInnen hinein denken

(u.a. auch deshalb, weil sie sich an eigene frühere Probleme erinnert und immer noch nicht alles versteht bzw. noch staunen kann).

Wenn die Richtlinien Selbstlernen als "Eigenaktivität der Schülerinnen und Schüler" oder "Selbsttätigkeit" definieren, so wäre es eine völlige Verengung der Begriffe "Eigenaktivität" und "Selbsttätigkeit", wenn man darunter ausschließlich äußere Tätigkeit verstünde: Nicht mess- und sichtbare Denkaktivität ist auch eine Eigenaktivität bzw. Selbsttätigkeit

(womit selbstverständlich nicht einem Unterricht das Wort geredet werden soll, in dem SchülerInnen wie Salzsäulen stillsitzen).

Bei allem Bemühen um Methodenvielfalt wird es wohl immer Sonderbegabungen geben: die eine oder andere Lehrkraft ist nun mal einE begabteR RednerIn bzw. kann besonders gut Zusammenhänge in bunten und hintergründigen Lehrervorträgen darstellen.

All das wird hier nur eingewandt, damit der Begriff des "Selbstlernens" nicht allzu eng gezogen wird. Umgekehrt wird er aber natürlich völlig aufgeweicht, wenn ihm jetzt auch noch alle konventionellen Verfahren subsummiert werden. Dann ist letztlich jede Methode eine Selbstlernmethode - und braucht man gar nichts zu ändern.

Wie überall sonst im Leben ist auch bei Methoden Pluralismus gefordert - der keineswegs mit Beliebigkeit zu verwechseln ist.

Das Problem ist nur, dass die meisten Radikalvertreter "neuer" Methoden die "alten" Methoden zwar vordergründig auch gelten lassen, durch die Blume aber als reaktionär abwerten.

Weil es aber nicht (feige?) bei der bloßen Differenzierung des Begriffs "Selbstlernen" bleiben kann, siehe einen Versuch einer genaueren Begriffsbestimmung.

Verwechslung von "selbst" und "allein"

 

"Bildung ist ein Wort, das doppelte Bedeutung hat. Zunächst einmal ist Bildung das, was man selbst gemacht hat: Damit wird der Prozess des Machens bezeichnet. Es meint aber auch dasjenige, was dabei entstanden ist. Das heißt, Bildung drückt aus, dass man immer im Prozess des Lernens bleiben muss: Im Gespräch mit anderen Menschen versucht man sich fortzuentwickeln. Gebildet ist also für mich jemand, der dann auch ein Bild hat von dem Thema, über das er sprechen möchte: der also z. B. ein Bild von den Naturwissenschaften hat und über dieses Bild mit jemand anderem sprechen möchte. Die einfachste Form der Definition von Bildung ist daher: Gebildet ist und wird derjenige, der mit jemandem sprechen möchte, der ebenfalls gebildet ist."

(Ernst Peter Fischer in )

"Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott" (also keiner?)

Wenn jemand gefragt wird, wann er etwas "selbst" gelernt habe, wird er sich vermutlich vor allem an Situationen erinnern, in denen er allein gelernt hat.

Das liegt wohl vor allem daran, dass die Frage

"Wann hast Du etwas selbst gelernt?"

insbesondere durch die Betonung des "selbst" suggestiv ihr Gegenteil anklingen lässt:

"... und hast es nicht beigebracht bzw. vorgemacht bekommen bzw. dir helfen lassen".

Bei dem "selbst" schwingen wohl auch Assoziationen mit an

Steht die Betonung des Allein- wie des Selbstlernens nicht in einer immerhin zu reflektierenden Nähe zum ja immerhin auch fraglichen ("humanistischen" bzw. idealistischen) Bildungsbegriff der deutschen Klassik?:

"Es ist [...] ein individualistisch-solipsistischer, auf die Vervollkommnung des einzelnen geistigen Wesens gerichteter Begriff. Die Sozialität des Menschen, seine »ungesellige Geselligkeit«, seine Herrschaft über andere Menschen kommen als entscheidende Kategorien von Bildung und Bewusstwerdung nicht vor [...]"
(Werner Kutschmann: Naturwissenschaft und Bildung; Stuttgart 1999; S. 70)

Immerhin fügen die Richtlinien da aber andauernd hinzu, was manchmal allzu leicht übersehen wird: soziales Lernen, d.h. Lernen von Kommunikation und in Kommunikation.

Um nicht systematisch missverstanden zu werden:

Selbstverständlich sind solche wirklich eigenen, ganz allein geleisteten Lernerfolge ungeheuer wichtig:

  1. - wir wissen es alle spätestens aus dem Studium - wird man auch später oftmals allein lernen müssen, und vielen StudienanfängerInneN fällt

(nach unzureichender Vorbereitung darauf in Schulen, wo man doch meist hübsch am Händchen geführt wird)

genau das sehr schwer:

  • sich selbst zur Arbeit zu zwingen,

  • ohne weitere Hilfe in ein Thema einzugraben,

  • ja überhaupt Interesse an der Sache um ihrer selbst willen zu entwickeln;

  1. aber vermittelt Alleinlernen auch dauerhaften Stolz sowie das "Urvertrauen":

  • "Ich kann was (in Gegenwart und Zukunft), denn ich habe mal (in der Vergangenheit) etwas wirklich alleine geschafft."

  • bzw. "wenn ich ein Mal etwas geschafft habe, werde ich es (ähnliches) auch wohl ein zweites Mal schaffen".

Wo eigentlich erleben SchülerInnen das im Unterricht und wie kann man es anregen?:

"Ich bin zwar nicht Weltspitze [so genial wie Euklid oder Newton], aber doch mit einigem Stolz »Avantgarde meiner selbst«, d.h. habe meine Grenzen ausgetestet und überschritten."

Sehr wichtig ist es da nebenbei, solche "Grenzüberschreitung" in einem historischen Rückblick auch mal bei Genies gesehen zu haben, denen auch nicht alles zugeflogen ist und die uns daher ermutigend nahe sind.

Dennoch ist es wohl ein Irrtum, "selbst" allzu sehr auf "alleine" zu verdichten:

  1. Sogar wenn ich "alleine" z.B. aus einem Buch gelernt habe, geschah das oftmals dennoch dialogisch, nämlich im fiktiven Zwiegespräch mit dem Autor bzw. Erzähler. Gute populärwissenschaftliche Bücher zeichnen sich ja oftmals gerade dadurch aus, dass sie den Leser freundschaftlich bei der Hand nehmen (auch seine Gedanken voraus ahnen bzw. sie provozieren) und begleiten.

  2. Vieles Lernen findet - und daran ist ja gar nichts auszusetzen - um der sozialen Anerkennung willen statt
    (und zwar insbesondere bei Jugendlichen, die genau heraushören, was Eltern und LehrerInnen, aber auch Peergroupmitglieder tatsächlich oder vermeintlich wollen).
    Dieser soziale Hintergrund liegt oftmals selbst dann vor, wenn das eigentliche Lernen allein stattfindet.
    Ein Lernen rein um der Sache willen und nur dazu, um sich selbst etwas zu beweisen, findet oftmals erst sehr spät (jenseits des 20. Lebensjahrs) statt, ja macht vielleicht überhaupt erst ein "erwachsenes" Lernen aus.

  3. Nicht umsonst betonen die Richtlinien auch in Mathematik das soziale Lernen fast genauso sehr wie das selbstständige Lernen, und zwar

"Die gymnasiale Oberstufe fördert den Bildungsprozess der Schülerinnen und Schüler in seiner persönlichen, sozialen und fachlichen Dimension."
(S. XI)

Dabei wird insbesondere die soziale Verantwortung hervorgehoben.

"Wissenschaft [also auch die Mathematik] soll auch als soziale Praxis erfahren werden, die auf spezifische Weise eine Verständigung über unterschiedliche Positionen und Sichtweisen ermöglicht."
(S. XIII)

"Soziale Interaktion kann zu einem Prozess der Konstruktion und Veränderung von Wissen führen [...]"
(S. 33)

Dass Fachwissen sozial konstruiert wird, ist nicht nur praktisch ("vier Augen sehen mehr als zwei"), sondern im Zeitalter von Arbeitsteilung, Spezialisierung und Teamarbeit zunehmend unabdingbar und unumgänglich.

Das Problem besteht bislang aber darin, dass "soziales Lernen" meist eine Floskel bleibt, die über ein

kaum hinaus geht. Soziale Methoden wirken oftmals nur aufgesetzt und beliebig (auch beliebig übertragbar), statt an den Stoff gekoppelt zu sein und dort zu erkennbaren Vorteilen zu führen ("vier Augen sehen eben doch mehr als zwei").

Insgesamt kann es also durchaus mal (als eine Methode unter vielen) wichtig sein, alleine lernen zu lassen.

Versuche mit e-learning (weitgehend solistisches Lernen von zu Hause aus mittels Computer) scheinen aber zu zeigen, dass das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird, wenn man die persönlich-soziale Ebene

völlig abschafft bzw. nur noch auf virtuellem Wege ermöglicht.

(Und man wird doch leise und ohne Unterstellung anfragen dürfen, ob e-learning vor allem propagiert wird, um LehrerInnen überflüssig zu machen, also Geld zu sparen.)

Die SchülerInnen tun dann verzweifelt alles, um doch wieder reale soziale Kontakte herzustellen bzw. die Virtualität zu unterlaufen

(was ja kein prinzipieller Einwand gegen e-learning ist, sondern nur zeigt, dass es wohlüberlegt sozial flankiert werden muss).

Vgl. auch

Verstünde man unter Selbst- immer mehr nur Alleinlernen, so hieße das in der Quintessenz:

"Hier hast du eine CD - und nächste Woche ist Abitur darüber."

Eine spezielle methodische Gefahr sehe ich auch in eisern vorstrukturierten, "programmierten" Lehrgängen (auf Computern, in html-Form), die speziell für das Alleinlernen geschaffen wurden. Da beißt sich sozusagen die Katze in den eigenen Schwanz:

Kommt hinzu, dass Computer(-programme) bisher kaum geeignet sind, eine "intelligente" Nutzerführung umzusetzen. Viele "gute", d.h. bestens erklärende und (mangels Rückfragemöglichkeit) strikt vorstrukturierte Computer-Lerneinheiten "würgen" zudem jedes auch nur ansatzweise selbstständige Denken ab, indem sie (weil nicht voraussehbar) keine Nebenwege und auch individuelle Fehler zulassen. Sie sind allzu suggestiv, die SchülerInnen schauen nie über den "Tellerrand" hinaus.

Und Hyperlinks eröffnen ja meist keine dynamischen Seitenwege, sondern führen nur in die Unüberschaubarkeit.

Zentraler Dreh- und Angelpunkt des fachlich-sozialen Selbstlernens ist und bleibt (immer mal wieder und solange kaum andere sinnvolle soziale Methoden vorliegen) die Lehrkraft, die

(obwohl sie selbstverständlich und vielleicht sogar zunehmend auch soziale Kompetenzen vermitteln und anregen sollte).

(Und dennoch waren und sind die ja keineswegs neuen kritischen Anfragen an die traditionelle Lehrerrolle enorm wichtig:

"Hilfe zur Selbsthilfe, pädagogischer Begriff für die nicht autoritär eingreifende, sondern anleitende Hilfestellung des Pädagogen zur Selbsttätigkeit des Kindes.

Die selbstmotivierte Tätigkeit des Kindes wurde bereits von Johann Pestalozzi und Friedrich Fröbel gefordert, dann insbesondere von Maria Montessori und der Schulreformbewegung aufgegriffen und zum Ziel pädagogischer Arbeit erklärt (Montessori-Pädagogik). Dem Ideal der Selbsttätigkeit steht allerdings die Hilfebedürftigkeit gegenüber, so dass es auch innerhalb der modernen Pädagogik Kontroversen über das Ausmaß und die Methodik der Hilfe zur Selbsthilfe gibt.

Unstrittig ist, dass die Hilfe zur Selbsttätigkeit sich in ihrer Gestalt und in ihren Aufgaben alterskonform zu den Kindern verhalten muss. Nur bei einer inneren Anteilnahme des Kindes an den zu lösenden Aufgaben lässt sich Selbsttätigkeit anregen. Wichtige neuere [!] Überlegungen zur Selbsttätigkeit wurden u. a. von den Pädagogen Gaudig und Georg Kerschensteiner angestellt."
Andreas Nohl; Microsoft Encarta)

Vielmehr ist die Lehrkraft auch als Fachfrau/-mann und sogar als soziale und disziplinarische Autoritätsperson gefragt, wobei Autorität

Wer sonst, wenn nicht die Lehrkraft, soll auf individuelle und situative Probleme eingehen und SchülerInnen begleiten, bei ihnen Forderungen anmahnen bzw. sie zu Höchstleistungen anstacheln?!

Man erinnere sich: Gelungenes Selbstlernen war oft an überzeugende Lehrkräfte gebunden, die

Das hat - nebenbei - keiner so sehr betont wie Goethe.

Einerseits ist es sehr wichtig, dass die Richtlinien an eine grundlegende Gleichheit von SchülerInnen und LehrerInnen erinnern:

"Mathematikunterricht [...] verlangt ein partnerschaftliches Umgehen der Lehrenden und Lernenden miteinander. Dazu ist eine Unterrichtskultur erforderlich, die gekennzeichnet ist durch gegenseitige Wertschätzung, Akzeptanz und Bereitschaft aufeinander einzugehen."
(S. 33)

Und dennoch gibt es

eine gewisse Asymmetrie zwischen LehrerIn einerseits und SchülerIn andererseits. Als Idealbild der Lehrkraft erscheint mir noch immer der "Mentor":

Mentor, Gestalt der griech. Mythologie; Freund des Odysseus, der ihm für die Zeit seiner Abwesenheit von Ithaka die Sorge für [...] Telemach [seinen Sohn] überträgt; sprichwörtl. gewordener Ratgeber und väterl. Freund.
© Meyers Lexikonverlag

Ein Ratgeber und väterlicher Freund ist aber eben nicht einfach nur gleichberechtigter Partner. Da hinken sämtliche erreichbaren Lexikondefinitionen: Ein Vater kann letztlich nie (völlig gleichberechtigter) Freund sein. Mit "väterlicher (bzw. mütterliche) Freund(in)" lügt man sich also um die Realität herum, ja, biedert sich geradezu an.

Man könnte auch sagen: Besser eine schlechte Lehrkraft als gar keine:

  1. ergänzen und relativieren sich die verschiedenen Lehrercharaktere gegenseitig bzw. wechseln sich in regelmäßigem Turnus ab;

  2. "Ich hatte eine schlechte Schule.
     Das war eine gute Lehre."
     (Arnfried Astel)

Auffällig ist allerdings, dass "soziales" Lernen zwar häufig lauthals gefordert, aber kaum je (sieht man vielleicht mal von "Gruppenpuzzles" ab) konkret inhaltlich gefüllt wird. Was genau (welche Eigenschaften) sollen die SchülerInnen da lernen, wie sieht das genaue Procedere im Unterricht aus?

Wie also schreibt man z.B. Höflichkeit oder Teamgeist nicht vor, sondern initialisiert sie und lässt sie (durch positive Erlebnisse) wünschenswert erscheinen? Und wie geht man mit offensichtlich unsozialem Verhalten um? Denn um die ganz normalen Probleme in Klassen drückt man sich ja gerne in der "offiziellen" Pädagogik. Vielmehr wird allzu leicht suggeriert, SchülerInnen seien immer aufnahmebereit und nur die Lehrkraft könne Fehler machen.

Ein konkretes Beispiel:

Aber wie genau soll das aussehen?:

Unbedingt nötig scheint mir, die Hilfen ausdrücklich zu besprechen und explizit weiter zu entwickeln (vgl. auch "offene Hilfen")

methodisches Lernen mathematischer Methodik

Zwar spielt das Selbstlernen in den (neuen) Richtlinien aller Fächer eine bedeutende Rolle.
Gleichzeitig wird es in den Richtlinien aber immer eng an das jeweilige Fach gebunden:

"[...] die erforderlichen Arbeitsmethoden problemangemessen [...] auszuführen [...]"
(Richtlinien, S. XII)

Eine Methode ohne Inhalt bleibt freischwebend und beliebig - und wird schnell langweilig:

"Müssen wir heute schon wieder diskutieren?"

Methodik und Didaktik können nicht entkoppelt werden, sondern sollten einander gegenseitig bedingen:

Dabei ist die Richtung Inhalt Methodik ja durchaus üblich:

"Ich weiß [als LehrerIn], was ich »beibringen« will und muss, die Frage ist nur: »Wie sag´ ich´s meinem Kinde [den SchülerInnen]?«"

Zu fragen wäre aber wohl auch mal umgekehrt (Methodik Inhalt):

"Welche Methode ist wichtig - und welcher Inhalt würde dazu passen?"

Das gilt insbesondere, wenn es um zentrale mathematische Methoden geht.

Im Hinblick auf den Inhalt Mathematik folgt aus all dem:

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Richtlinien für das Fach Mathematik unter "Methode" meist weder eine Lehr- noch eine Lernmethode, sondern eine spezifisch mathematische Denk-, Forschungs- und Vorgehensweise verstehen:

"[...] eine Orientierung im Hinblick auf die relevanten Inhalte, Fragestellungen, Kategorien und Methoden der jeweiligen Fachbereiche [in unserem Fall Mathematik!] [...]."
(S. XII)

"[...] Darstellung von mathematischen Methoden und Lösungswegen."
(S. 29)

"Methodenorientierung bedeutet, dass die Schülerinnen und Schüler sich am Medium der Unterrichtsinhalte die geforderten fachlichen und fächerübergreifenden Methoden und die notwendigen Arbeitshaltungen und -dispositionen aneignen."
(S. 31)

Bemerkenswert am letzten Zitat ist, dass da die Unterrichtsinhalte probeweise nur als "Medien" der Methoden gesehen werden. Vielleicht sind also die spezifischen Fachmethoden (in den Richtlinien teilweise als "Ideen" genannt) sogar wichtiger als die reinen Fakten und Rechenverfahren (die allerdings wichtiges Handwerkszeug bleiben).

Es fragt sich, ob wir MathematiklehrerInnen nicht langsam betriebsblind sind, also einen festen inhaltlichen Kanon voraussetzen und deshalb zu wenig bedenken oder zumindest vermitteln, dass viele Inhalte nur exemplarisch viel wichtigeren mathematischen Methoden dienen.

(Ich habe es erlebt, dass MathematiklehrerInnen - u.a. wohl aufgrund des permanenten Stoffdrucks - bei der Vorstellung der neuen Richtlinien ausschließlich am inhaltlichen Kanon interessiert waren ["was muss ich neu bzw. nicht mehr machen?"], die [auch mathematik-]methodischen Anregungen aber völlig ignorierten.)

Es wäre also probeweise mal zu fragen bzw. wieder bewusst zu machen (und aufzulisten):

(Denn letztlich wollen wir noch immer Mathematik beibringen!)

kann man alles "selbstlernen"?

Oben war gesagt worden, dass verschiedene (mathematische) Inhalte automatisch verschiedene Methoden nach sich ziehen. Beispielsweise wird wohl für eine Informationssammelphase eine andere Methode günstig sein als für eine Übungsphase.

Gleichzeitig wäre allerdings - und nicht nur rhetorisch - zu fragen, ob überhaupt jeder Stoff "selbstlernend" vermittelt werden kann.

Provokativ gefragt:

Oder noch böser:

Ein wohl besonders heikles und bezeichnendes Beispiel: Kann man das "Herz" der Mathematik, also Beweise, "selbstlernend" vermitteln?

Vielleicht gibt es kein anderes Fach, in dem solch ein betonierter Konsens herrscht wie in Mathematik, dass

Oder anders gesagt: in Mathematik gibt es überhaupt nichts mehr selbst zu entdecken, sondern nur noch mehr oder minder geglückten Nachvollzug.

(Eine Mathematikfachschaft hat mal allen Ernstes den Antrag gestellt, von Facharbeiten völlig ausgenommen zu werden, weil man im Fach Mathematik ja "sowieso nur abschreiben" könne).

Woran - wenn die Diagnose stimmt - mag das liegen?

  1. vielleicht daran, dass Leute, die so etwas behaupten, einfach Recht haben: uns bleibt nun mal nur im besten Fall intelligente Variation;

  2. vielleicht daran, dass (Mathematik-)LehrerInnen, fachlich gesehen, nun mal "Etappenhengste" und nicht "Frontschweine" sind, sei´s,

Es kommt halt drauf an, was man unter "selbstlernend" versteht: schränkt man es auf "selbstentdeckend" ein, so wären SchülerInnen bei wirklich genialen mathematischen Entdeckungen und Beweisen wohl heillos überfordert (wie wir LehrerInnen ja wohl auch, womit wir glücklicherweise mit den SchülerInneN im selben Boot sitzen).

Aber

  1. gibt es einen selbstlernenden Nachvollzug (was kein Widerspruch in sich sein muss),

  2. ist dabei immerhin doch die durchaus befriedigende Fiktion des Selbstentdeckens möglich.

Vgl. auch

Versuche, Sachverhalte (angeleitet) selbst entdecken zu lassen, finden Sie unter

Lernen lernen

Ein zentrales Problem in der pädagogischen Wirklichkeit ist, dass Selbstlernen eben nicht vorausgesetzt werden kann. Zwei Zitate zu einschlägigen Unterrichtsversuchen sind da:

Das liegt sicherlich an persönlichen Interessen, aber auch an schulischen Vorerfahrungen: Wer immer nur Frontalunterricht erlebt hat, weiß nicht, wie Selbstlernen aussehen kann (wie befriedigend es ist) - und will es auch nicht (mehr).

Daraus kann nur folgen: Das Selbstlernen

  1. muss seinerseits gelernt werden,

  2. sollte expliziter Unterrichtsstoff und immer wieder reflektiert werden,

  3. kann nur langfristig und stufenweise erworben werden
    (am besten von der Unterstufe, wenn nicht gar der Grundschule an).

Es reicht banalerweise also nicht zu sagen: "Jetzt lernt mal schön selbst (seid spontan!)." Mit der Idee des Selbstlernens hört die Arbeit der Lehrkraft keineswegs auf, sondern fängt sie (zumindest in methodischer Hinsicht) vorerst überhaupt erst richtig an.

Ins Selbstlernen von Mathematik gehen zudem (wie ja auch schon das erste Zitat aus den Erprobungsberichten angedeutet hat) fächerübergreifende Fähigkeiten ein:

"Voraussetzung für wissenschaftspropädeutisches Arbeiten sind Verhaltensweisen wie Konzentrationsfähigkeit, Geduld und Ausdauer, das Aushalten von Frustrationen, die Offenheit für andere Sichtweisen und Zuverlässigkeit."
(Richtlinien, S. XIII)

Beispielsweise wäre dann doch zu fragen: Wie sehen (auch im Mathematikunterricht!) Übungen aus, in denen Konzentrationsfähigkeit nicht bloß vorausgesetzt, sondern trainiert wird? Oder wie lernt man das Aushalten von Frustrationen, wie kann Offenheit für andere Sichtweisen wünschenswert gemacht und als Bereicherung empfunden werden?

(Nebenbei: es scheint mir ein fataler Irrtum, dass es in der Mathematik überhaupt keine anderen Sichtweisen, sondern nur "wahr" oder "falsch" gebe.
Man bedenke nur beispielsweise, wie Cantor seinerzeit für richtige, wenn auch radikal neue Sichtweisen von Profis fertig gemacht wurde.
Oder: ist der Computerbeweis des Vierfarbtheorems überhaupt ein Beweis?)

EinE MathematiklehrerIn kann sich also keineswegs auf rein mathematische Methoden beschränken und einfach voraussetzen, dass die SchülerInnen sonstige grundlegende Methoden schon beherrschen. Sondern MathematiklehrerInnen sind eben auch "AllgemeinpädagogInnEn").

Dazu aber gibt es viele hilfreiche Tipps von Projekten unter dem Titel "Lernen lernen":

"Das Lernen lernen" von Wolfgang Pohl

darin u.a. Ergiebige WWW-Quellen zum Thema Lernen

"Lernen lernen" von Andreas Jorde

Spaß am lernen (Sammlung kleiner Tipps);
auf der Startseite "Methoden" klicken

Erfolgreich lernen! Aber wie?

"Alles über Erfolgsmethoden"
schöne Onlinekurse, aber gespickt mit Werbung

lernen-heute

Denken, Lernen & Kreativität

Literatur und Links zum Thema
"Das Lernen lernen"

das Anwendungsproblem

 

vgl. auch

Als ein Schüler Euklid fragte, was er (der Schüler) denn von der Mathematik "habe", ließ ihm Euklid (natürlich ironisch!) ein Geldstück mit der Begründung geben, der Schüler brauche ja anscheinend von jeder Sache einen Nutzen.

Ein in vielfacher Hinsicht heikles Problem sind Anwendungsaufgaben, die ja heute (im Zeitalter der einseitigen [ökonomischen] Verwertbarkeit) oftmals so lautstark gefordert werden.

  1. sollten wir MathematikerInnen genug Berufsethos haben, darauf zu bestehen, dass Mathematik erheblich mehr ist (ihre ganz eigene Schönheit hat) als nur eine Hilfswissenschaft; vielmehr ist unter "Anwendung" eben auch zu verstehen, dass eine mathematische Strategie kreativ von einem innermathematischen Feld auf ein anderes übertragen wird; ja, das macht Mathematik ja gerade mit aus.

Hier stellt sich doch - auch und gerade im Hinblick auf Selbstlernen, also das, was da zentral selbst gelernt werden soll - dringend die Frage, was Mathematik eigentlich ist.

Selbstverständlich ist das reine Nützlichkeitsdenken nicht nur kurzsichtig, sondern prinzipiell abzulehnen - und wieder mal Schiller zu zitieren:

„der Mensch spielt nur [und Spiel ist der Inbegriff der Zweckfreiheit], wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt"

Mathematik ist nämlich eben auch ein rein ästhetisches Spiel.

  1. Oftmals wird der Begriff der "Anwendung" viel zu einseitig nur in dem Sinne verstanden, dass die Mathematik auf etwas anderes ("die [sonstige, eigentliche?] Wirklichkeit") angewandt wird

(und sich der Wert der Mathematik daran misst, inwieweit sie bzgl. der außermathematischen Wirklichkeit hilfreich ist),

bzw. es wird die umgekehrte Richtung vergessen:

"»Anwendung« wird [...] in folgendem prägnantem Sinne gebraucht: ein mathematisches Werkzeug, das seine Gegenstände formt, aber auch von ihnen geformt wird."
(Gerd Gigerenzer u.a.: Das Reich des Zufalls)

Mathematik und Außermathematik sind wechselseitig Anwendungen,

und dieses Wechselverhältnis ist höchst komplex:

Genau solch ein komplexes Wechselspiel wäre aber in einem "anspruchsvollen" (und doch noch "unphilosophischen") Mathematikkurs anhand konkreter Beispiele aufzuzeigen, statt - wie derzeit meist üblich - die Mathematik zur "Hilfswissenschaft" zu degradieren. Ja diesem Wechselverhältnis wäre vielleicht sogar eine ganze Kurseinheit zu widmen (und dafür zeitweise der Stoffdruck bzw. die fachliche Systematik auszusetzen).

  1. Die meisten sogenannten "Anwendungsaufgaben" sind in Wirklichkeit nur "eingekleidete", also völlig von einem mathematischen Sachverhalt aus gedachte bzw. direkt zu ihm hinführende Aufgaben -

"eingekleidet" bedeutet dabei, dass

SchülerInnen spüren schnell heraus (bzw. wissen es ja von Anfang an), dass die Aufgaben nur "eingekleidet" sind, und fühlen sich dann hereingelegt, was ihre Abneigung gegenüber solchen Aufgaben nur erhöht.
Rein innermathematische Aufgaben sind da oftmals zumindest ehrlicher.

Es ist aber geradezu absurd bzw. zum Totlachen, was heutzutage als modische "Anwendungsaufgabe" verkauft wird. Nur ein willkürlich ausgewähltes, aber symptomatisches Beispiel aus dem "Lambacher Schweizer Analysis Leistungskurs" (da unter "Funktionen in Sach[???]zusammenhängen / Untersuchung von Funktionen in realem [???] Bezug"):

"Einem Unternehmen entstehen bei x Produktionseinheiten die Gesamtkosten K(x) (in €). Diese können im Bereich 0 ≤ x ≤ 50 erfahrungsgemäß [???] durch die Kostenfunktion K mit K(x) = 0,044x3 - 2x2 + 50x + 600 beschrieben werden."

Und daran werden dann massenhaft rein innermathematische Fragen angehängt.

Absurd und grotesk (zumindest als Anwendungsaufgabe) ist das, weil

(Vgl. Thomas Jahnke: Kleines Aufgabenbrevier; Zur Klassifizierung von Aufgaben im Mathematikunterricht)

  1. Ein Problem von Anwendungsaufgaben ist es oftmals auch, dass es zwar rechnerisch ein Ergebnis gibt

(z.B.: man findet eine Parabelgleichung, deren Graph sich mit dem Bogen einer fertigen Brücke deckt; vgl. ),

dieses Ergebnis aber keinerlei außermathematische Relevanz hat

(Was habe ich von solch einem Parabelbogen, wo die Brücke doch längst fertig ist? Und werden Brücken denn überhaupt auf solche Art konstruiert?).

  1. Echte Anwendungsaufgaben, die ihren Namen wirklich verdienen, sind oftmals hochkomplex (Prozess der Mathematisierung, Schwierigkeit des mathematischen Instrumentariums) und übersteigen somit häufig die schulischen Möglichkeiten.
    Die künstlich vereinfachten Aufgaben verhalten sich dann aber oftmals zur Ausgangssituation wie ein Skelett zu einem lebenden Körper.

Es ist wohl ein Irrtum zu meinen, Anwendungsaufgaben erzeugten bzw. erhöhten automatisch das Interesse von SchülerInnen (und seien damit auch schon eine Selbstlernmethode). Wer das sagt, traut doch der Mathematik "an sich" reichlich wenig zu.
Wieso auch soll z.B. eine ökonomische Aufgabe den Spaß an Mathematik erhöhen, wenn einE SchülerIn sich weder für Ökonomie noch für Mathematik (oder sehr wohl für Mathematik, aber nicht für Ökonomie) interessiert?
Insbesondere ist allen Aufgaben zu misstrauen, die sich SchülerInneN modisch anbiedern und in ihrer Jugendkultur fischen. Vgl. etwa auch ein ganz normales Schulheft, das als "Internet-Schulheft"

(mit "Internet-Lexikon" auf der Umschlaginnenseite)

angepriesen wird (und analog gibt es auch "Emotionen"-Schulhefte!).

Da gibt es nur zwei Möglichkeiten:

Insbesondere in Schulbüchern sorgen solche Aufgaben (wie überhaupt aller Aktualismus) nur für rapide Veralterung.

  1. Seien wir ehrlich: In denjenigen Feldern, für die sich - und das ist keineswegs abwertend gemeint - die allermeisten SchülerInnen lebhaft interessieren (Popmusik, Mode, ihre Peergroup ...), braucht man keinerlei Mathematik.
    (Der ungeheure Erfolg der Mathematik [als Basis der gesamten technischen Kultur] liegt merkwürdigerweise ja gerade darin begründet, dass sie unmerklich im Hintergrund abläuft und man sie eben nicht beherrschen muss.)

  2. Vermutlich ist es völlig unmöglich, die Anwendungsinteressen aller SchülerInnen eines Kurses zu treffen.

All das bedeutet ja nicht, dass man gar keine Anwendungsaufgaben mehr behandeln sollte, sondern nur, dass sorgsam überprüft werden muss,

Da die Kultusbürokratie ja immer hektisch IRGENDWAS macht und am allerliebsten das glatte Gegenteil von dem, was sie vor einigen Jahren abgelassen hat, sehe ich schon den Moment kommen, wo es als neuester Schrei ausgegeben wird, Anwendungaufgaben ausdrücklich zu verbieten.

"Ein Bauer will ein rechteckiges Feld von 1000 m2 Fläche mit einem möglichst kurzen Drahtzaun umgeben"

wird dann als billige Pseudoanwendung und unmathematisch gelten - und außerdem als Verunglimpfung der Agrarunternehmer.

methodischer Schnickschnack

Oben war schon erwähnt worden, dass eine Lehrmethode nie Selbstzweck sein darf. Unreflektierter Gebrauch von Methoden birgt zudem einige Gefahren:

Beispielsweise sind Email-Projekte zwischen Kursen dann methodischer Unsinn, wenn es nicht ein gemeinsames leitendes Erkenntnisinteresse gibt und keine gegenseitige Ergänzung absehbar ist.

"Schön, jetzt können Maine und Massachusetts miteinander telefonieren. Aber haben sie sich auch etwas zu sagen?"
(Ralph Waldo Emerson)

Eine Methode ist auch dann Selbstzweck, wenn sie völlig unreflektiert über beliebige Stoffe gestülpt wird: Der zweite oder dritte Einsatz einer Methode beweist noch ihre Übertragbarkeit, der vierte aber nur noch ihre Beliebigkeit.

konkret werden

Einerseits werden auf den hier vorliegenden Seiten (vgl. "konkrete Methödchen") möglichst viele methodische Anregungen gesucht.

Andererseits wäre es aber wohl am wichtigsten, konkrete Anregungen für ganz bestimmte Unterrichtsstunden und -stoffe zu sammeln (die auch erst durch ihre Konkretheit zu analoger Übertragung überzeugen können). Jedes allgemeine Rezept riecht nämlich schnell nach Patentrezept - das sowieso scheitern wird.

"Konkret" heißt immer auch: konkret auf einen Kurs bezogen (Voraussetzungen, Probleme, Erfolge dort). Bisher werden mir bei der Betrachtung von Methoden viel zu wenig die konkreten unterrichtlichen Gegebenheiten betrachtet, also z.B. auch die Tagesform (6. Stunde, große Hitze, direkt nach einer LK-Klausur ...). Es ist doch absurd zu meinen, dass eine bestimmte Methode in sämtlichen Kursen immer völlig identisch ablaufen und glücken wird.

Das wird man durchaus laut sagen dürfen:

Aber es ist wohl eine alte Lehrerkrankheit, sich unter keinen Umständen in die ungezinkten Karten des eigenen Unterrichts schauen zu lassen
(da haben im Laufe von Ausbildung und "Karriere" schon allzu viele hineingeschaut, die zwar keine Ahnung und auch keine echte Qualifikation, aber ein Amt hatten).
Die anderen könnten ja feststellen, dass man auch nur mit Wasser kocht. Dabei ist es doch eine alte Binsenweisheit:

"Und 1. kommt es [die Planung] anders [im Unterricht],
  und 2. als man denkt."

Bzw. es macht ja wohl überhaupt erst die gute Lehrkraft aus, im Unterricht flexibel reagieren und aus Fehlern lernen zu können. Zudem gilt wohl auch für LehrerInnen, was für SchülerInnen gilt:

"Die ängstliche Vermeidung von Fehlern kann die Bewältigung eine Problemstellung eher behindern als fördern.
Gerade die Tatsache, einen Fehler erkannt zu haben, kann tiefere Einsicht in die Zusammenhänge vermitteln, Quelle neuer Erkenntnisse sein und zum Ausgangspunkt für weiteres Lernen werden. [...] Insbesondere die Lehrerinnen und Lehrer können hier Vorbild sein. Auftretende Probleme sollten nicht übergangen werden, vielmehr sollten auch Schülerinnen und Schüler erleben, wie Unterrichtende mit der Situation auftretender Fehler oder Schwierigkeiten umgehen."
(Richtlinien, S. 39)

Preisfrage: Welche Methode würden Sie übernehmen:

  1. jene, die als Patentrezept verkauft wird oder bei der zumindest doch nie die (ganz normalen) Probleme angedeutet werden;

  2. jene, deren AutorIn gleich dabei sagt, dass sie manchmal zu schönen kleinen Fortschritten führt, an konkret benannten Stellen aber auch problematisch ist?

Gewisse LehrerInnen neigen (wohl auch wegen Arbeitsüberlastung) dazu, ausgearbeitete methodische Unterrichtseinheiten blind in ihren Kursen anzuwenden. Das kann nur schiefgehen.

Perspektiven

Mich interessieren insbesondere folgende Punkte:

  1. Wie können thematisch möglichst vielseitige Aufgaben zu einem mathematischen Stoff aussehen?
    (Dabei ist natürlich auch die Erkenntnis bezweckt, dass Mathematik u.a. praktischerweise darin besteht, viele und zudem äußerlich sehr unterschiedliche Anwendungsaufgaben mit einem Kalkül erledigen zu können.)

  2. Wie sehen Aufgaben (insbesondere in der Einstiegsphase zu einem mathematischen Thema) aus, die noch möglichst offen sind, also nicht sofort verraten, dass und wie mathematisiert werden soll?
    (Und wie können Hilfen dann nicht doch sofort alles verraten?)

  3. Wie sehen Aufgaben aus, an denen überhaupt erst deutlich wird, dass eine Mathematisierung wünschenswert ist und zu ebenso erstaunlichen und "lebensweltlich" aussagekräftigen (anderweitig nicht erhältlichen) Ergebnissen führen kann?

  4. Wie sehen Aufgaben aus, die innermathematisch Spannung erzeugen und zum Selbstlernen anregen?

  5. Wie sehen Aufgaben aus, die ein echtes Problem (griech. problema = Aufgabe!) erzeugen?

  6. Sollten wir nicht weg von "Aufgaben" hin zu offeneren, flexibleren "Aufträgen" und echten Fragen?

  7. Wäre es nicht ratsam,

Anwendungsaufgaben (nicht zu verwechseln mit den üblichen Textaufgaben) mal zum eigentlichen Thema einer Unterrichtsphase zu machen, in der dann keine neuen mathematischen Inhalte durchgenommen würden (oder nur dann, wenn sie sich bei einem Anwendungsproblem ergeben)?
Dann aber wäre eine systematische Herangehensweise an Anwendungsaufgaben zu erarbeiten.

  1. Muss die Schule bei Anwendungsaufgaben nicht zumindest ab und zu konkret auf die außerschulische Praxis hin geöffnet werden? Denn was soll eine Anwendung (beispielsweise aus dem Straßenbau) ohne Anwender (eineN BauingenieurIn)?
    "auf die außerschulische Praxis hin öffnen" bedeutet auch, das Anwendungsproblem "handgreiflich" zu machen. Beispielsweise ist es doch schlichtweg absurd, Astronomie (und mathematische Aufgaben aus dem Anwendungsfeld der Astronomie) ausschließlich tagsüber und in geschlossenen Räumen zu behandeln, wodurch SchülerInnen nie staunen lernen und nie einen Mathematisierungswunsch entwickeln können.

  2. In der Schule liegt es aber vor allem nahe, Anwendungen aus anderen Schulfächern zu behandeln, was zudem den doppelten Vorteil hat, dass

Anwendungsorientierung "schreit" also geradezu nach interdisziplinärem und Projektunterricht.

Ein echtes Desiderat sind hier allerdings noch hilfreiche Bücher für interessierte KollegInnen: die meisten Bücher in dieser Richtung wie z.B.

J. Leßmann: Tabellenkalkulation
in der Reihe "Mathematische Anwendungen in Biologie, Chemie, Physik";
Volk und Wissen

sind eben doch noch allzu sehr von der Mathematik (oder genauer: Computerprogrammen) aus gedacht.

Vor lauter (allemal wichtigen!) Methodik (wie "bringe ich bei"?) wird mir doch allzu sehr die Didaktik (was "bringe ich bei"?) vernachlässigt,

was gerade deshalb so problematisch ist, weil beide gar nicht völlig zu trennen sind: nur bestimmte Inhalte ermöglichen bestimmte Methoden, und umgekehrt erfordern bestimmte Methoden auch bestimmte Inhalte.

Bzw. didaktische Fragen werden derzeit meist nur vom Computer aus gestellt:

Ansonsten aber wird in deutschen Schulen nach wie vor (und unter einem enormen Stoffdruck) derselbe Standardstoff behandelt, an dessen Sinn man doch zumindest mal Zweifel anmelden darf. Vgl. etwa

Bzw. ich glaube tatsächlich, dass fundamental andere "Großmethoden" bzw. eine ganz andere Auffassung von Unterricht sowohl auf Seiten der Schüler- wie der LehrerInnen erst dann in der Breite möglich sind, wenn

  •  allgemein gesagt: der vorgeschriebene Stoff massiv eingegrenzt bzw. umgekehrt Freiheiten für SchülerInnen und LehrerInnen ermöglicht werden
    (vgl. "Stoffbegrenzung tut not"),

  • auf Mathematik bezogen: das (didaktische) Bild davon, was eigentlich Mathematik ist, sich ändert,

  • unsereins das schon vordenkt, also ebenso realistisch wie optimistisch an seine prinzipielle Verwirklichbarkeit glaubt.