Überblick behalten

Im Unterricht muss permanente Reflexion erfolgen, müssen also andauernd Fragen wie folgende beantwortet werden:

  1. Was haben wir vor?
    (z.B.: am Ende wollen wir immer wissen, was ein nacktes x ohne jeden sonstigen Schnickschnack ist: x = ?
    schließlich interessiert uns auch nicht, was siebzehn Mercedes kosten, sondern wollen wir [auch für standardisierte Vergleiche] wissen, was einer kostet);

  2. Auf welchem Weg wollen wir dahin kommen?

  3. Welche Standardverfahren stehen uns zur Verfügung?

  4. Für welches mathematische Verfahren ist die Aufgabe "nur" ein Beispiel?

  5. Was ist die Besonderheit einer Aufgabe?
    (z.B. gegenüber den vorhergehenden)

  6. Wo stecken die eigentlichen mathematischen Informationen?

  7. Wie lassen sich die Informationen in (möglichst vielen) Gleichungen zusammenfassen?

  8. Wie lassen sich Schwierigkeiten eingrenzen und schrittweise beseitigen?
    (Z.B.: die Aufgabe enthält eklige Brüche und Wurzeln; beseitigen wir also erst mal nur die Brüche - und dann erst die Wurzeln)

  9. Welche Verfahren gibt es für die einzelnen Schwierigkeiten?

  10. Wie weit sind wir auf unserem Weg zur Lösung?
    (Zwischenstand: welche Schwierigkeiten haben wir glücklicherweise schon "erschlagen", welche Kleinigkeiten bleiben noch zu tun?)

  11. Was bedeutet die Lösung?

  12. Kann die Lösung stimmen (Ausgangsproblem, Probe)?

Zu solchem Vorgehen gehört es, die Einzelschritte deutlich zu verbalisieren. Es reicht also (lange Zeit) nicht die abgenagte Formelsprache von beispielsweise

4 - 8x = 2(x-3) | : 2 ,

sondern das | : 2 muss ausformuliert werden:

"Wir teilen beide ganzen Seiten durch 2".
 

(Und ein ganz fataler, weil massiv irreleitender Fehler ist es beispielsweise, bei

4 = 2x + 3

zu sagen:

"wir bringen die 3 »rüber«".)

Die einzige, fatale Alternative zu einer Verbalisierung ist, dass SchülerInnen die Formelsprache zwar der Lehrkraft zuliebe erledigen, die es unerklärlicherweise nunmal so will, aber nicht verstehen; dass sie also beispielsweise Äquivalenzzeichen nur noch automatisch setzen und keinerlei Zusammenhang zwischen dem Ausgangsproblem (Anfangsgleichung) und der Lösung am Ende sehen.

Für einige Zeit sollte die Verbalisierung (auch an der Tafel!) tatsächlich neben die rein rechnerische Lösung hingeschrieben werden, so dass auch rein innermathematische Aufgaben zu Textaufgaben (oder genauer: Textlösungen) werden. Selbst über Standardrechenverfahren entstehen dann kurze Lerntagebücher, bei denen es sich empfiehlt, dass SchülerInnen sie nicht nur alleine, sondern auch mit mehreren zusammen schreiben.

"Überblick behalten" gilt aber auch in umfassenderem, längerfristigem Sinne:

SchülerInnen fragen ja verständlicherweise gerne (und zwar insbesondere in unumgänglichen langweiligen "Etüden"-Phasen):

"Wozu machen wir das eigentlich alles?"

Die Standardantworten (Anwendungsbezug) sind da doch oftmals vorgeschoben bzw. aus Schülersicht kaum überzeugend

(mehr als den Stoff der 7. Klasse braucht man ja wohl kaum im "normalen" Leben, wenn man nicht gerade MathematikerIn oder TechnikerIn werden will - und wer weiß das schon?).

Ehrlicher ist da schon

"... weil ihr die nächste Klassenarbeit, das nächste Zeugnis und das Abitur bestehen wollt."

Aber man kann doch immerhin innermathematisch antworten und die längerfristige Sachlogik aufzeigen:

Solch permanente Reflexion ist durchaus auch schon in mittleren Klassen und keineswegs erst im Nachhinein möglich. SchülerInnen einer 10. Klasse interessieren sich beispielsweise durchaus schon für die Problematik von "Scheitelpunkten" kubischer Funktionen oder die Aussicht auf die Ableitung.

Dazu aber muss man sich immer klar machen, in welchem größeren, langfristigen Zusammenhang der jeweils gerade anliegende Stoff steht. Es müsste ein "Fahrplan" der gesamten Schulmathematik aufgestellt werden.

Das permanente zurück- und Vorausschauen beim jeweils aktuellen Stoff dient sowohl den leistungsschwächeren als auch den leistungsstärkeren SchülerInnen:

Auch bei der Darstellung der Makro-Zusammenhänge kann eine gewisse Dramatisierung nicht schaden, also z.B.

"Mit der Winkelsumme und später dem Satz des Pythagoras haben wir zum ersten Mal eine erstaunliche »Hochzeit« zweier bis dahin scheinbar zusammenhangloser Bereiche, nämlich

Diese beiden Gebiete werden aber in der weiteren Schulmathematik immer weiter zusammenwachsen, und auf die Dauer gilt: Was man zeichnen kann, kann man auch rechnen - und umgekehrt."