Nu wollnwa den Spruch aber bittschön nicht ganz so heiß essen, wie er (vermutlich auch gar nicht) gekocht wurde.
Vorweg muss man Außenstehenden wohl erst mal erklären, was der kryptische Spruch überhaupt bedeutet:
"Abi `05" ist noch halbwegs klar: das Abitur wurde im Jahr 2005 abgelegt.
"`05 Punkte reichen" heißt, dass man das Abitur geschafft hat, wenn man in allen Kursen im Durchschnitt mindestens 5 Punkte, also ein glattes "ausreichend" erwirtschaftet hat.
(4 Punkte hingegen [und noch schlechter], also "ausreichend minus", ist ein "Fehlkurs";
die genauen Regeln sind dabei allerdings so kompliziert, dass nicht mal der Kultusminister persönlich sie versteht).
Seit einigen Jahren ist es ein Muss, dass Abiturjahrgänge einen witzig (???) zweideutigen Namen (z.B. "CABIribik" oder "KarABInieri") und zusätzlich eben einen sinnigen Abispruch à la wählen.
Der "Gag" von liegt doch wohl darin, dass man das Abitur zwar knapp, aber letztlich doch geschafft hat, also schlau (!) genug war, mit minimalem Arbeitsaufwand durchgekommen zu sein, sich also nicht totgearbeitet, sondern viel Zeit mit anderem, Spaßigerem verbracht zu haben. |
Nun lag der Spruch aber so offensichtlich am Wegesrand, dass man ihn kaum verschmähen konnte.
Zwei Gründe:
sowohl die abgekürzte Jahreszahl als auch die Punktzahl wird immer zweistellig, also "05" geschrieben:
die Jahreszahl als Folge des Computers (genauer: dessen Sortierweise), bei dem Tages-, Monats- und Jahreszahl zweistellig geschrieben werden (was sich überhaupt immer mehr durchsetzt), also z.B. 03.04.05 statt 3.4.2005 oder 3. April 2005;
die Punktzahl, damit jemand nicht vor "5" noch eine "1" rein-fälschen kann, womit er 15 Punkte und somit statt der eher schlechten Note 5 (ausreichend) plötzlich die denkbar beste Note (sehr gut plus) hätte.
wie suggestiv ist, wird besonders deutlich im Vergleich mit Vor- und Folgejahren:
"Abi `04 ... Punkte reichen nicht" wäre für Leute, die das Abitur bestanden haben, unzutreffend und witzlos, es sei denn, sie wollten diejenigen MitschülerInnen verhöhnen, die im Abitur durchgefallen sind;
"Abi `06 ... Punkte sind ..." - ja was denn: "... sind zu viel", also im Sinne von: "wir haben zu viel gearbeitet, wir hätten's auch einfacher haben können"? - arg witzlos!
Interessant wird's erst wieder im Jahr 2015, also z.B. bei "Abi `15 ... Punkte: drunter tun würd's nicht."
(Ein kleiner unfreiwilliger "Gag" liegt allerdings darin, dass man üblicherweise drei PUeNKTchen, also "...", statt, wie in , zwei schreibt: die Verfasser des Spruchs beherrschten - bei ihrem schlechten Abi kein Wunder! - nicht mal die Rechtschreibung :-)
KeineR in diesem Abijahrgang wird es (s.o.: schlau) gezielt auf ein so grade noch bestandenes Abitur, also einen Schnitt von 5 Punkten, angelegt haben, jedeR dieser KandidatInnEn hätte gerne ein besseres Abitur gehabt!
Bei solchen KandidatInnEn wird das Abitur vermutich eine einzige Zitterpartie gewesen sein, leuchtet hinter dem vordergründig lustigen Spruch also enorme Erleichterung, damit aber auch (überwundene) Angst auf.
ist "nach oben offen": um das Abitur zu bestehen, braucht man ("reichen") im Schnitt mindestens 5 Punkte, aber es dürfen natürlich gerne auch mehr sein. Also
≥ 5 Punkte.
Und in der Tat werden viele Leute des hier verhandelten Abiturjahrgangs einer speziellen Schule
in Einzelkursen,
im Gesamtschnitt
bessere Zensuren erwirtschaftet haben, wird es also vermutlich auch einige Leute mit einem Abiturschnitt von z.B. 13 Punkten (sehr gut minus) gegeben haben.
Da frage ich mich aber doch, weshalb "man" sich mit dem Spruch am untersten Rand orientiert.
Dazu drei Lösungsvorschläge, wobei ich mir nicht sicher bin, welcher richtig ist, und zudem treffen ja eventuell mehrere gleichzeitig zu:
Lösungsvorschlag: einfach wegen des Gags von .
Lösungsvorschlag: aus Solidarität aller mit denjenigen, die es nach einer Zitterpartie dann doch noch knapp geschafft haben.
Lösungsvorschlag (und jetzt werde ich mal [hoffentlich nicht allzu] ernst):
aus Verachtung von Leistung!
Evtl. ist diese Verachtung von Leistung bzw. die Behauptung, dass kaum erbrachte Leistung auf besondere Schlauheit schließen lasse, aber nur vorgespielt zwecks Aufrechterhaltung des eigenen Selbstbildes bzw. zumindest der äußeren Fassade: hat ja eben auch den Unterton von Galgenhumor.
(... und zwar insbesondere, weil Jugendlichen heute andauernd [und zwar von dem dümmsten Nüssen!] gepredigt wird, ohne erstklassiges Abitur [Examen ...] hätten sie ja eh keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt; wie ja überhaupt Jugendlichen heutzutage in geradezu unverantwortlichem Maße Angst eingeredet wird.)
Wenn (ausgerechnet) ich hier von "Leistung" spreche, so zweifelsohne nicht im FDP- ( Wahlslogan in der Landtagswahl NRW 1994) oder auch CDU-Sinn (vgl. ) von "Leistung muss sich wieder [?] lohnen":
"lohnen" ist da immer nur finanziell gemeint,
und zudem kommen solche Sprüche immer nur von Leuten, für die es sich tatsächlich längst (finanziell!) gelohnt hat bzw. die doch (die typische, panisch den eigenen Absturz befürchtende FDP-Klientel) dringend endlich zu den Gewinnern gehören würden.
Und zu "Leistung muss sich endlich wieder lohnen" gesellt sich dann reflexartig immer der bodenlos verächtliche Vorwurf des "Sozialneids" (auch so ein "Unwort des Jahres").
Der rein finanzielle Begriff von Leistung bleibt (ideell) leer, weil er weder sozial definiert ist
(was trage ich zum - eben nicht [nur] finanziell verstandenen - Gemeinwohl bei?)
noch eine Selbst-Bildung à la Wilhelm von Humboldt enthält
Kommt hinzu, dass "Leistung" eh nur eine "Sekundärtugend" ist, mit der man vielleicht auch viel Gutes bewirken, aber eben auch "ein KZ betreiben kann" (Oskar Lafontaine).
"Die Zeiten waren noch nie so schlecht wie schon immer."
In der Tat kommt es mir manchmal so vor, dass Leistung unter SchülerInneN zunehmend verachtet wird
Zu fragen wäre allerdings
(falls meine Diagnose überhaupt [und sowieso nur partiell] stimmt),
woher Jugendliche diese Verachtung der Leistung denn nehmen, denn Jugend ist ja immer "nur" ein Spiegel "der" Gesellschaft.
Meiner Ansicht nach rührt solche Verachtung der (schulischen) Leistung daher, dass
der Leistungsbegriff hohl ist (s.o.),
"Bildung" auf das Niveau von "Wer wird Millionär?", Talkshows und "Spiegel" reduziert wurde und letztlich
das Dumpfpack, das Bildung verachtet, den Sieg davongetragen hat.
Letztlich kommt mir aber typisch
deutsch
vor
(passt zum typisch deutschen Masochismus und Sich-selbst-klein-Machen),
denn es scheint mir doch schier undenkbar, dass AbiturientInnEn anderer Länder sich derart am unteren Rand orientieren.