die Angst des Lehrers vorm Abitur
Vorweg die neue Angst vor dem Zentralabitur:
Keiner redet drüber, aber jeder hat sie.
Insbesondere nach den höchst fraglichen zentral gestellten Probeklausuren haben sowohl SchülerInnen als auch LehrerInnen eine Heidenangst vor dem ersten Zentralabitur in NRW im Jahre 2007.
Die LehrerInnen (ich auch!), weil sie verzweifelt (!) hoffen, ihre (!) SchülerInnen angemessen auf die (nach den Probeklausuren) Unwägbarkeiten des Zentralabiturs vorzubereiten.
Und dahinter verbirgt sich natürlich eine doppelte Angst:
vor den Reaktionen der SchülerInnen, wenn ihr Abitur nicht so ausfällt, wie erhofft,
vor einem Einlauf "von oben".
Diese Angst zeigt sich beispielsweise darin, dass inzwischen nicht mal zugunsten einer erstklassigen Fortbildung eine einzige Sekunde Oberstufenunterricht ausfallen darf: alle starren auf das Zentralabitur
(und sonstige Zentralprüfungen und "Lernstandserhebungen")
wie das Kaninchen auf die Schlange, die Schulen liegen ansonsten in völliger Agonie danieder.
Damit hier keine Missverständnisse aufkommen:
ist mir wahrhaft nicht nach Selbstmitleid oder Weinerlichkeit zumute
(vgl. ).
sind sowieso fast all meine Texte (also auch dieser) eher für LehrerInnen als für SchülerInnen geschrieben,
kann eine SchülerIn
sich wohl kaum vorstellen, dass auch LehrerInnen Angst haben
(überhaupt menschlicher Regungen fähig sind),
wäre das auch ein bisschen arg viel erwartet:
es wäre schon fast zynisch, ausgerechnet vom Delinquenten Verständnis für den Henker (Zensurenvergeber) zu erwarten
("Schade, sagte der Henker, als der Kopf gerade ab war": Otto Waalkes);"no tears for the creatures of the night": LehrerInnen, die Angst unter SchülerInnen verbreiten (bzw. mehr Angst, als systembedingt), verdienen auch wahrhaft nicht deren Mitleid.
sind SchülerInnen sozusagen qua Amt sowieso keine Freunde, darf man also auch nicht auf ihre Anerkennung angewiesen sein
(und dennoch: wer wäre - auch und gerade wegen der fachlichen Ansprüche - nicht gerne bei SchülerInnen beliebt - oder zumindest doch bei der intelligenteren Hälfte?!).
Mir persönlich wird das Abitur sowieso zu hoch gehängt (vgl. ):
der punktuelle Stress für SchülerInnen,
die schier unerträgliche Abiturvorschlagsgenehmigung für LehrerInnen.
Auf die Gefahr hin, exhibitionistisch zu erscheinen, rede ich hier (vermutlich als Einziger im Internet) Tacheles, also
über mich
(statt immer nur über SchülerInnen)
und überhaupt das, worüber "man" sonst ja nicht redet
(alle denken's, aber keiner sagt's).
Indianer weinen nicht, und als "guteR" LehrerIn hat "man" ja keine Angst :-), sondern höchstens
einen Herzinfarkt
oder ein Burn-Out-Syndrom:
das sind sozusagen die Barrikadensterne der Maloche: man hat bewiesen, dass man feste geschuftet hat - und jetzt das verdammte Recht erworben, kürzer zu treten.
Selbstverständlich haben LehrerInnen auch (berufliche) Ängste, z.B.
vor eben dem Stress der Abiturvorschlagsgenehmigungen,
vor garantiert demnächst wieder mal erhöhter (aber jetzt schon unerträglicher) Arbeitszeit
("die 40-Schulstunden-Woche"),
den Tagen der Notenbekanntgabe
(quengelnde SchülerInnen, aber auch, tatsächlich mal ungerecht zu sein oder überhaupt weh zu tun),
an einigen Schulen vor gewalttätigen SchülerInneN,
dass auf Klassenfahrten irgendwas schief geht und man dafür auch noch juristisch belangt wird
(jedem Lehrer fällt ein riesiger Stein vom Herzen, wenn er sämtliche SchülerInnen wieder heil nach Hause gelotst hat! - und "Danke" sagt kaum jemals jemand),
vor oftmals rein formaljuristischen Einsprüchen gegen Zensuren,
vor (selten) bösartigen Eltern auf Elternsprechtagen ... und all den Besserwissern,
und einige (was mir völlig fremd ist) vor jeder Einzelstunde,
...
Und einer meiner ehemaligen Lehrer meinte mal, er habe fast mehr Angst in mündlichen Abiturprüfungen gehabt als die Prüflinge
(womit er ja vielleicht doch die Ängste der SchülerInnen unterschätzt hat):
, weil diese mündlichen Prüfungen unter den Augen all der kritischen und ja fachlich ach so versierten KollegInneN stattfänden,
(womit dann endlich offenbar würde, was für einen vor allem fachlich drittklassigen Unterricht man immer abgehalten hat),
wegen der enormen Verantwortung für eine gerechte Behandlung der Prüflinge.
Nun sprechen LehrerInnen ja normalerweise nicht über solche Ängste - und einige leugnen sie: sie ziehen "ihren Stiefel" durch - und die SchülerInnen werden später
(im harten Kampf ums überleben) noch merken, wie sinnvoll das war.
Ich bin da unsicher:
denken sie wirklich so, haben sie wirklich so ein dickes Fell
oder ist das nur (überhaupt erst entlarvende) Fassade?
(, 26.6.09)
SELBSTVERSTäNDLICH habe auch ich eine große Angst, und zwar, in den üblichen Abi-Zeitungen völlig zerrissen zu werden.
(Und mir scheint, ich bin da nicht der einzige:
wenn diese Abi-Zeitungen rauskommen, herrscht in Kollegien allergrößte Spannung und schaut jeder als allererstes, wie er selbst weggekommen ist;
[und Angst hat man auch davor, auf der Abifeier in Grund und Boden entwürdigt zu werden;
wohlgemerkt: vielleicht ist das ja sogar das Recht der SchülerInnen bei LehrerInneN, die jahrelang ihrerseits nach Strich und Faden SchülerInnen blamiert haben]
ich habe schon KollegInneN bitter über einen Verriss weinen sehen;
und vor vielen Jahren weinte eine Kollegin sogar mal , weil sie nie [nicht mal negativ] erwähnt wurde.)
Schlimmer als die völlig unsachlichen Verrisse durch Einzelgänger und Stänkerer
(und einige vergreifen sich schlichtweg im Ton: wie oft habe ich inzwischen die Sätze gehört: "so war das aber doch gar nicht gemeint"; deshalb ja mein Tipp an jeden Abiturjahrgang:
springt über Euren Schatten [obwohl Ihr jetzt erwachsen seid] und bittet eineN LehrerIn eures Vertrauens, die Texte gegenzulesen und nur eins zu fragen: ob der Ton beabsichtigt ist;
[denn ich verlange ja keine braven, sondern bewusste Abizeitungen]
und es gibt eine Art "Kollektivhaft": wenn da etwas von einem Einzelgänger oder aber in verunglücktem Ton geschrieben wurde, so sind alle verantwortlich, dafür um Entschuldigung zu bitten.)
sind vielleicht sogar noch diejenigen Verrisse, in denen man sich (zumindest auf den ersten Blick) wiedererkennt: da wird dann in wenigen Zeilen
die Arbeit langer Jahre,
ja sogar die eigene Befähigung zum Lehrerberuf eingerissen,
und sowas hat schon das eine oder andere Selbstbild zum Einsturz gebracht.
Aber NATÜRLICH habe ich bei jedem Abitur Angst, dass die Besprechung von 1991 (lang, lang ist es her!), nämlich
"Sein Unterricht war alles andere als trockene Theorie,
er steckte uns an mit seiner Euphorie.Zum Grübeln hat er uns gebracht
über Dinge, über die wir niemals nachgedacht.Wir hoffen, daß Du Deine Art und Deinen Idealismus nie verlierst
und nicht zu einem langweiligen Pauker und Spießer wirst."("Sag' mir, wo die Blumen sind,
wo sind sie geblie-hie-ben?")
mit jedem Jahr mehr in ihr Gegenteil umkippt.
Jadoch, ich habe Angst davor,
tatsächlich schlechter zu werden
(durch Gewöhnung ungeduldiger und unaufmerksamer),
auf die Dauer einfach nicht mehr die Nerven für den schulischen Alltag zu haben
oder mit zunehmendem Alter (graumeliert und mit Knitterface à la Charles Bronson) die SchülerInnen immer weniger zu erreichen:
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Das Problem im Leben ist immer der richtige Zeitpunkt - bzw. dass man vieles zu spät oder als letzter (aufgrund einer Abi-Zeitung) bemerkt.
LehrerInnen sind gegen üble Verrisse in Abiturzeitungen völlig hilflos:
eine Strafanzeige wegen (höchst seltener) tatsächlicher Beleidigung würde alles nur noch schlimmer machen, nämlich noch höher hängen (semper aliquid haeret),
und wenn's denn schlimm ist, ist es oft "nur" Ehrabschneiderei und üble Nachrede.
Ein Lehrer kann SchülerInnen sicherlich (vor allem langfristig) sehr verwunden
(und deshalb müssen SchülerInnen auch - wohl erst nach dem Abitur, was natürlich immer auch ein bisschen feige ist - zurückschlagen dürfen; und doch schiebt der eine oder andere wohl allzu leicht die Schuld auf LehrerInnen; vgl. ).
Aber ein Lehrer kann nie in solcher Öffentlichkeit verwunden, wie SchülerInnen es umgekehrt in einer Abiturzeitung können.
Dabei sollte einem ja "die" Öffentlichkeit (wildfremde Menschen in Timbuktu) herzhaft egal sein - nicht aber jene, mit denen man weiter arbeiten muss.
Aber vielleicht sind Abizeitungen ja doch gar nicht so "nachhaltig", wie hier bislang immer unterstellt wurde: die längst entschwundenen Abiturienten haben zwar kurzfristig mal ihr Mütchen gekühlt, aber zwei Wochen später |
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