immer mehr Kinder werden vernachlässigt
oder: was tun, wenn es brennt?

  "Was tun, wenn es brennt?
  Die ganze Stadt, alle Akten, alle Aktenschränke - Akten - Fakten.
  Ruhe bewahren!
  Im Brandfall werden Sie alarmiert!"
 

Insbesondere christliche Sozialverbände (Caritas, Diakonie ...) warnen - gegen alle Regierungspolitik - ja schon seit Jahren vor einer zunehmenden Verelendung insbesondere auch von Kindern

(und Verelendung ist immer materiell und/oder geistig).

Letztens kam eine Nachricht, die wir so mal glauben wollen:

(, 10.7.07)

Nun ist natürlich immer dem Pressefilter zu misstrauen

(ich wette, es wird gerade "von unten", also z.B. von Sozialstationen, Jugendämtern usw., enorm viel sehr gute und höchst engagierte Arbeit geleistet, von der wir aber in der Presse nichts erfahren),

und es kommt hinzu, dass Politik vielleicht tatsächlich kaum mehr tun kann, als eben Gesetze zu formulieren

(vgl. ).

Aber anscheinend fällt den Zuständigen wieder nichts anderes ein als eben Kontrolle

(gegen die sich der Ärzte-Präsident immerhin mit "Wir wollen keine Gesundheitspolizei sein" wehrt).

In typischer Sonntagsreden-Leitartikel-Manier wird´s dann aber windelweich appellativ-moralinsauer, wenn eine "Kultur des Hinschauens" gefordert wird:

(, 10.7.07)

In beiden Texten wie überhaupt weitgehend in der "öffentlichen Diskussion" fehlt aber die letztlich doch entscheidende Frage nach den Ursachen der Verwahrlosung. Solange man aber diese Ursachen nicht kennt, wird man nur an den Symptomen rumkurieren - und meistens erst dann, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist.

Nun gibt es allerdings vermutlich nicht "die" (eine) Ursache, sondern ein komplexes, oftmals auch individuell-situatives Ursachengeflecht.


Der Fragen-Komplex gehört noch erweitert: wie verhalten sich verwahrloste Kinder und Jugendliche nun ihrerseits? Woher kommt also die anscheinend zunehmende Gewalt Jugendlicher - bis hin zu Amokläufen

(vgl.
       )?


Wie bei allen Verbrechen greift auch hier das pure Entsetzen zu kurz, denn dann erscheint der jeweilige Täter nur als perverse Bestie, also als absoluter Ausnahmefall - und gegen absolute Ausnahmefälle kann man nichts tun, sondern man kann sie nur fatalistisch hinnehmen.

Sondern nach dem ersten Entsetzen und der Sorge für die Opfer bzw. deren Angehörige wird man etwas auch wieder fast schon Perverses tun müssen:

die Täter - soweit das überhaupt (vollständig) möglich ist - verstehen!

Wenn ich´s nämlich recht verstehe, steckt hinter den allermeisten Fällen von Kindes-Verwahrlosung

(und insbesondere hinter deren schlimmster Form, nämlich mit Todesfolge)

schlicht und einfach die völlige Überforderung der Eltern

(und insbesondere der Mütter, die mit ihren Kindern alleingelassen sind):

da ist jemand nicht von Grund auf böse oder schlichtweg stumpf, sondern er steht mit dem Rücken an der Wand und weiß nicht mehr weiter.

Bzw. kaum jemand ist von Geburt an stumpf, sondern viele werden stumpf gemacht.

Nur kurz erwähnt sei der Teufelskreis, dass jemand, der selbst vernachlässigt, geschlagen usw. wurde, zur 1:1- Wiederholung dieses Schemas neigt

(u.a., weil er keine anderen Denkschemata und Ausdrucksfähigkeiten kennengelernt hat).


Wie gesagt, die Ursachen sind vermutlich höchst komplex - und ich bin auch kein qualifizierter Psychologe oder Soziologe.

Dennoch habe ich einige bittere Erklärungen:

  1. Wir müssen dringend weg von einer "konservativen" Familienpolitik, die die Ehe über alles stellt - und nichteheliche Kinder übersieht. Die Überbetonung der Ehe widerspricht ja sogar dem Grundgesetz:

Art. 6 GG lautet:

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

Wichtig daran ist das "und"!

"Familie ist die Gemeinschaft zwischen Eltern und Kindern (»Kleinfamilie«). Der Begriff der Familie [...] liegt auch vor bei unverheirateten Paaren mit gemeinsamem oder nicht gemeinsamem Kind sowie Elternteilen mit Kind. Die Ehe als solche ist dagegen noch keine Familie."
(zitiert nach )

Familie kann die Hölle sein, und dann sind Alternativformen allemal besser als die klassische Familie mit Vater und Mutter. Dennoch scheint mir die klassische Normal-Familie im Regelfall noch immer die beste "Erziehungs-Institution" zu sein, da dort Vater und Mutter anwesend sind, wobei es allerdings völlig unerheblich ist, ob sie verheiratet sind, also eine Ehe vorliegt.

Wichtig ist aber vor allem ein Schutz des Kindes unabhängig davon, ob es in einer wie auch immer gearteten Familie

(mit einem Alleinerziehenden, in einem Heim ...)

aufwächst. Beispielsweise hat es rein materiell ein Existenzrecht, d.h. es ist eine schlichte sozialpolitische Katastrophe, dass vermehrt Kinder unterhalb des Existenzminimums aufwachsen:

"Immer mehr Kinder am Existenzminimum

In Nordrhein-Westfalen steigt die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die von Hartz IV leben. Gelsenkirchen führt die Rangliste der Städte an. Landesjugendamt: Lebensbedingungen für Kinder werden immer schwieriger."
(zitiert nach ; und völlig katastrophal sieht´s in den östlichen Bundesländern aus)

Anders gesagt: "Was kommt, wird gewickelt", d.h., es ist mir völlig schnuppe, in welchen "familiären" Verhältnissen ein Kind aufwächst, es gehört versorgt!

Und dennoch ist Geld nicht alles (vgl. 4.): Verwahrlosung von Kindern gibt es eben keineswegs nur in jener Unterschicht, vor der es dem Bürgertum so romantisch graust

(und die tatsächlich oder angeblich zu geringe Kinderzahl heute wird man auch nicht durch rein materielle Familienförderung erhöhen können).

  1. Natürlich sind auch Gesetze nötig, aber wer nur mit Gesetzen reagiert

(und eine Gesetzesverschärfung ist immer probat),

ist doch gleichzeitig blind für die "lebensweltlichen" Probleme, ja, erhöht sie sogar noch

(vgl. wieder die Schulpolitik, die mit mehr und mehr Regelungen [Prüfungen, Lehrplänen ...] nur an den Symptomen rumkuriert und die Probleme sogar verschärft).

  1. Eltern müssen vielfach entlastet werden:

Zwar haben frühere Generationen ganz anderes geleistet, nämlich massenhaft Kinder großgezogen und gleichzeitig noch alte Leute zuhause (tot-)gepflegt - wodurch doch so einige heutige Klagen ein wenig relativiert werden.

Und dennoch brauchen wir fallweise

(zumindest für untere Gehaltsklassen kostenlos; und umgekehrt ist es nicht einzusehen, weshalb auch Reiche Kindergeld bekommen),

  1. eine kinderfreundlichere, anregendere Umwelt:

man macht sich ja allzu selten klar, wie abgezirkelt die heutige Umwelt für Kinder ist; wenn´s hoch kommt, gibt es normierte Spielplätze.

Und zu einer kinderfreundlicheren Umwelt gehört auch die Förderung aller Vereine, die Tätigkeiten für Kinder anbieten.

(Das sei bei den derzeit leeren öffentlichen Kassen nicht zu finanzieren - so dass beispielweise die Stadt Münster jetzt ausgerechnet im Zeitalter von "PISA" massiv ihre bislang vorbildlichen öffentlichen Bibliotheken kaputtspart?

Oh, ich wüsste ja durchaus, wo man auch massiv sinnvoll sparen könnte, nämlich beispielsweise durch Abschaffung der gesamten Kultusbürokratie.)

  1. hat ein "konservativer" Politiker, der sich für das Privatfernsehen eingesetzt hat, jegliches Recht verspielt, sich noch über Verwahrlosung und den "Werteverfall" (oftmals wohl eher Wertewandel) aufzuregen und rabiat "alte Werte" einzufordern.

Was die Privatsender verbreiten, ist und propagiert ja (mit wenigen Ausnahmen) regelrecht Verwahrlosung!

Überhaupt scheinen mir - auch und gerade beim hier vorliegenden Thema - die Medien ungeheuer wichtig: wo wird denn mal gezeigt, wie Verwahrlosung zustande kommt - und überwunden werden kann? Wo werden Maßstäbe für Erziehung (in nicht-moralinsauren Spielfilmen) verhandelt?

(... womit ich nun wahrhaft nicht die nett-verlogene alte Famlienidylle beispielsweise à la   "Drei Mädchen und drei Jungen" meine.)

Sowas wäre viel wirksamer als alle Gesetze!

Ich bin ja gar nicht grundsätzlich gegen Fernsehen und Computerspiele - und doch richten sie in toto derzeit eine erzieherische Katastrophe an (bei Kindern und Eltern)!

(... und Eltern haben kaum mehr eine Chance, dagegen an zu erziehen.)

  1. schulische Konsequenzen: