den Erziehungswissenschaften eins vor´n Latz


(Wilhelm von Humboldt)

vgl. auch

Um gleich zu Anfang Missverständnissen vorzubeugen:

Ich halte eine theoretische (auch historische) Pädagogik allemal für wichtig, damit man immer mal wieder mit diesen Vorgaben und an diesem Maßstab die eigene pädagogische

(soweit sie überhaupt dieses Epitheton "pädagogisch" verdient)

Praxis

(Umgang mit SchülerInneN, Unterricht)

reflektieren und korrigieren kann.

Und ich wundere mich immer wieder, dass viele (vor allem Mathe-)LehrerInnen überhaupt nicht ihr pädagogisches Handeln reflektieren können - oder zumindest nicht verbal.

Nebenbei: erst eine historische Pädagogik macht einen immun gegen sämtliche "erziehungswissenschaftlichen" Modetorheiten - und bietet einem ein unermessliches Reservoire an (längst erprobten!) Ideen.

Denn merke: die wirklich guten pädagogischen Ideen sind alle uralt!


Am 10.3.05 stand in der "Zeit" ein Artikel mit folgendem Titel:

Nur bedingt [= gar nicht] wissenschaftlich

Die Erziehungswissenschaften haben in der Forschung und der Lehrerausbildung versagt. Eine Polemik

"Aha", dachte ich mir als erstes, "da wird nun also wieder eine neue (und wie immer folgenlose) »Debatte« vom Zaun gebrochen."

Nun wird

Mein zweiter Gedanke: "Das wird ein Fest für die Reaktionäre,


Da bleibt doch unbedingt festzuhalten:

diese unbelehrbaren konventionellen "Pädagogen" sind ja mindestens genauso unerträglich wie all der modische Schwurbel, der heute oftmals als "Erziehungswissenschaft" firmiert.

Ebenso muss von Anfang an klargestellt werden:

Die Polemik in der "Zeit" wie auch meine eigene richtet sich mit keinem einzigen Wort gegen das Fach "Erziehungswissenschaften" in der Schule.

Wenn dieses Schulfach "Erziehungswissenschaften"

(wie z.B. auch "mein" Fach Deutsch)

als "Laberfach" gilt

(und oftmals die entsprechenden SchülerInnen anzieht),

so ist das ja nicht naturgegeben so: selbstverständlich können beide Fächer auf höchstem Niveau

(und schülergerecht)

unterrichtet werden!


Ich kann überhaupt nicht darüber mitreden, welches Bild die Erziehungswissenschaften heute im Studium abgeben, wohl aber darüber, wie es "zu meiner Zeit", also vor mehr als zwanzig Jahren war

(oder genauer: an der Universität, an der ich studiert habe).

Kommt hinzu, dass ich ja nicht im Hauptfach "Erziehungswissenschaften" studiert, sondern nur ein verpflichtendes "pädagogisches Begleitstudium" zu meinen "richtigen" Fächern Mathematik und Deutsch absolviert habe.

(Hinzu kamen

[als einzige "Praxis(???)anteile" damals; denn von innen gesehen habe ich eine Schule während meines ganzen Studiums nicht - was auch mein Versäumnis war]

verpflichtende sogenannte "fachdidaktische" Seminare, die überhaupt nur ein Witz waren, weil sie rein gar nichts mit irgendeiner Schulrealität zu tun hatten - und sowieso von reinen "Fach-Professoren" abgehalten wurden, die dazu verdonnert worden waren.)


Natürlich war es sträflich, dass "zu meiner Zeit" das gesamte Lehramtsstudium ohne jede Berührung mit der Schulwirklichkeit stattfand

(inzwischen müssen LehramtsstudentInnEn ja glücklicherweise Schulpraktika machen).

Nur befürchte ich, dass demnächst das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird, wenn das Lehramtsstudium radikal "verschlankt" und allzu einseitig auf die Schule ausgerichtet wird. Eine solide (auch über den reinen Schulstoff hinausgehende) fachliche Ausbildung hat durchaus etwas für sich, und zwar indirekt auch im Hinblick auf die spätere Tätigkeit an der Schule!


"Zu meiner Zeit" also war das "pädagogische Begleitstudium" die lascheste Veranstaltung weit und breit: von keiner Ahnung getrübt und mit minimalem Aufwand konnte man da allemal seine nunmal verpflichtenden "Scheine" machen.

Ansonsten wurde in den (irrwitzig großen) Seminaren in der Tat grenzenlos (und frustrierend) geschwafelt. Hauptsache, man war "links" und "sozial bewegt"

(heute ist "man" leider keines von beiden mehr).

Und weil ich´s so frustrierend fand, habe ich mich umgehend in die soziologische und dann in die philosophische Ecke des "pädagogischen Begleitstudiums" verzogen, wo tatsächlich noch mit "Niveau" gearbeitet wurde

(Kant, Hegel, Walter Benjamin etc. bis zum Gehirnausrenken).


Worüber ich heute aber durchaus mitreden kann, ist, was auch im "Zeit"-Artikel angesprochen wird: ein gewisses Beraterwesen von Pädagogik-Professoren, die - gerade im Zeitalter der  "PISA-Katastrophe", die ihnen hochwillkommen sein muss - wie Handlungsreisende durch Fortbildungen ziehen.

Und es ist - bis auf ganz wenige Ausnahmen - schon gar nicht mehr erstaunlich, welch grenzenloses Blabla da abgesondert wird (vgl.  ).

Wenn mir auch nur ein einziger Prof nochmals mit

kommt, verlasse ich umgehend den Saal, weil´s garantiert über altbekannte Binsenweisheiten nicht hinausgehen wird.

Ich ertrage dieses leerlaufende Gesabber einfach nicht mehr

(nebenbei auch das eines Professors, der im "Zeit"-Artikel als Anwalt einer besseren Erziehungswissenschaft dargestellt wird;
um nicht rein negativ zu bleiben: einen der ganz wenigen ebenso anregenden wie unterhaltsamen Vorträge zur Mathematikdidaktik habe ich mal von Prof. Günter Steinberg [Universität Oldenburg] gehört:
)

Wenn man aber

werde man zum Konferenzenhopper und ziehe sich da stunden- und tagelang sowie auf allen Kongressen auf völlig identische Weise

("ach, Herr Spitzer, auch schon wieder da?")

bis zum Hirntod die immer gleichen

(vordergründig "progressiven", in Wirklichkeit reaktionären)

Floskeln rein.

(Vgl. etwa . Wenn sowieso der Philologen-Verband, inzwischen aber auch schon die GEW sich der Sprache der Mächtigen anbiedert

["[...] das Handeln in der Bildungspolitik und der Bildungsverwaltung systematisch auf Reform [!], Qualität [!!] und demokratische Teilhabe auszurichten  [...]"]

und sogar noch päpstlicher als der Papst wird,

["Die in der PISA-Studie festgestellte Differenz in der Lesekompetenz zwischen Jugendlichen aus sozial „stärkeren“ und  „schwächeren“ Familien [...] muss bis 2010 auf den OECD-Durchschnitt [...] gesenkt werden. Danach soll NRW schrittweise den Wert aus der PISA- Spitzengruppe erreichen [...]."
(Zitate nach )],

schwindet langsam jeglicher Widerstand gegen den galoppierenden Schwachsinn.)

Genauso unerträglich sind auch die meisten professoralen "Gutachten": zig und hunderte Seiten Blabla, schön säuberlich wissenschaftlich abgewogen.

(Ein "Gutachten" muss vor allem für gut erachten, damit es dem Geldgeber nicht wehtut - und man auch den nächsten Auftrag bekommt.)

Zudem schaue man sich mal die Internetseiten so einiger professoraler Erziehungswissenschaftler an

(ich kann wegen zu erwartender Beleidigungsklagen leider keine Namen nennen):

es ist auch da schon gar nicht mehr erstaunlich, wie sie sich auf diesen Internetseiten mit Modethemen anbiedern bzw. reflexartig-chamäleonhaft Modewörter aufnehmen, derzeit (2005) also beispielsweise

In meinen Ohren klingt das alles, als wollten da frustrierte Ex-68er

(die damals schon nichts begriffen hatten)

jetzt endlich mal auf der richtigen, also Metzger-Seite sein.


Es müsste "verboten" werden, dass jemand über Schule mitredet

(und schon allein dadurch oftmals auch indirekt mitbestimmt),

der da nicht noch teilweise selbst unterrichtet

(also seine Ideen oder gar Vorschriften da selbst "ausbadet").


Eine Tendenz des "Zeit"-Artikels stört mich nun aber doch: der modische Trend zu (statistischer) Überprüfbarkeit (neudeutsch "Evaluation"). 

Die Erziehungswissenschaften sind eben auch "Geistes"wissenschaften, und bei diesen verbietet  - basta! - sich jede simple Messbarkeit!

(... auch der Anzahl der Publikationen)

Nein, wir brauchen ebenfalls

(geradezu als Widerstand gegen modische Pädagogik und insbesondere gegen die dreist-phantasielose Ökonomisierung der Schule),


PS:

Eine "klammheimliche Freude" ist es mir ja doch, dass in dem "Zeit"-Artikel ein "Professor" namentlich zur Schnecke gemacht wird, den ich als besonders schlimmen Schaumschläger erlebt habe.