Wirklich, ich lebe in [pädagogisch] finsteren Zeiten!

Bert Brecht: An die Nachgeborenen

Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unempfindlichkeit hin.
[...]

Es ist sicherlich arg (unerlaubt?) "hoch" gegriffen, meine derzeitigen pädagogischen Erfahrungen mit denen Brechts im Nationalsozialismus gleichzusetzen.

Und arg pathetisch mag es auch erscheinen, wenn ich hier (indirekt) an die Nachgeborenen appelliere. Aber ich bin mir sicher, dass auch wieder bessere Zeiten kommen werden, in denen man kaum verstehen (sondern darüber schmunzeln) wird, was in Deutschland nach der "PISA-Katastrophe" los war

(und das wird nicht daran liegen, dass man im Jahre 2327 vielleicht wieder Weltspitze in PISA ist).


Geschrieben ist dieser Aufsatz im Jahr 0 nach Einführung der unendlich vielen Zentralprüfungen in NRW, und zwar genau in der Zeit, in der sämtliche weiterführenden Schulen in NRW wochenlang wegen dieser Zentralprüfungen blockieren bzw. gebannt wie die Kaninchen vor dieser Schlange sitzen:

„»Ach«, sagte die Maus, »die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.« [...]"
(Franz Kafka)


Wenn man Licht und Schatten sehen will, reicht es, in die "Zeit" vom 3.5.07 zu schauen:

  1. der Schatten bzw. das :

    "[...] Härte, Unterordnung, Strafe, Zwang! Ein alter Lehrer verkündet uralte Lehren, und sein Buch Bild ist ein Hit, wird verschlungen, in hochwogenden Bestseller-Auflagen. An der Schwelle des 21. Jahrhunderts, 250 Jahre nach dem großen Pestalozzi und dem nachdenklichen Rousseau, nach 50 [Jahren] Laborschule in Bielefeld, der vorbildlichen Wiesbadener Helene-Lange-Schule, nachdem sich einige Kindergärten und Schulen und einzelne Lehrer endlich aufgemacht haben, nicht irgendeine Ideologie, sondern die Kinder respektvoll in den Mittelpunkt ihrer Pädagogik zu stellen, da entfaltet im modernen Deutschland eine Schrift des pensionierten Schulleiters Bernhard Bueb aus dem Internat Salem größte Faszination, die Jugendliche als renitente Egoisten zeichnet, verweichlichende Mütter anprangert und unerbittliche Härte als Tugend verkauft. ärgerlich. Erschreckend. Ja, eine Zumutung!

    Aber verlangt doch Auseinandersetzung. Was ist los in diesem Land, dass es sich berauscht an Themen, die längst erledigt schienen? [...]".
    (zitiert nach  Bild ; rote Hervorhebung von mir, H.St.; nebenbei: die Autorin wird dann aber leider in der Mitte ihres Aufsatzes mindestens genauso platt, wie sie es am Ende anderen vorwirft)

    Da steht das Entscheidende ganz am Ende (von mir rot hervorgehoben): finster ist

(wobei ich nicht im mindesten die wahrhaft rabiaten Probleme leugne, die es an einigen Schulen gibt; oder genauer: die die Schulen auszubaden haben; aber diese rabiaten Probleme werden zu allerletzt Leistungsprobleme sein),

Wirklich finster ist also oftmals das derzeitige gesellschaftliche Denken: wir leben - keineswegs nur in pädagogischen Fragen - in einfallslos resignierten und wohl vor allem deshalb erzreaktionären Zeiten!

(Z.B. herrscht in der Politik ein Fatalismus ggb. "der" Globalisierung

[bzw. sie ist willkommener Anlass für den kapitalistischen "backlash"]

und fallen naturwissenschaftliche Epigonen

[vor allem in der Genetik oder der Neurobiologie]

in simpel-rabiates mechanistisch-reduktionistisches Denken zurück, als gäbe es nicht längst differenziertere Ansätze.)

  1. die Lichtblicke, denn an Patentrezepte glaube ich ja eh nicht. Aber diese Lichtblicke deuten doch an, in welche Richtung positive Veränderungen gehen könnten

(statt immer nur "negativ" zu disziplinieren, prüfen ...):

  1. "Eine Hamburger »Produktionsschule« hilft Hauptschülern, einen Abschluss zu machen."
    (zitiert nach  Bild )

  2. "»Wer Gutes tut, ist auch gut in der Schule«
    Der amerikanische Entwicklungspsychologe Richard Lerner erklärt gesellschaftliches Engagement zum Bildungsziel
    [...]
    Lerner: Wir müssen weg vom Bild der Schule als Ort, an dem man Lesen und Schreiben lernt. Schule ist mehr, als in einem Klassenraum zu sitzen und eine Lektion durchzunehmen. [...]"
    (zitiert nach  Bild ; ich ahne - nebenbei - schon den Einwand: noch ein Entwicklungspsychologe bzw. noch ein "Bildungsexperte"

[also sozusagen die Aasgeier der "PISA-Katastrophe"]

hat uns gerade noch gefehlt! Vgl. )

PS: Gut, dass die Autoren des Buchs Bild rabiat auf Bueb geantwortet haben!
 
PPS: Es ist nicht zu fassen, dass sowas wieder möglich ist:

Bild

Als hätten wir nicht andere Sorgen!