gemein(sam)e klammheimliche Freude
Ich z.B. werde nicht - nur weil das so einfach ist - nochmal für den Unterricht ungeprüft (ungelesen) Gedichte aus dem Internet entnehmen. Denn dann passiert z.B. der folgende spaßige Fehler:
im Gedicht "ins lesebuch für die oberstufe" von Hans Magnus Enzensberger heißt es laut der Quelle
"[...]
lern unerkannt gehn, lern mehr als ich:
das viertel wechseln, den spaß, das gesicht.
[...]"(den Spaß wechseln???),
während es doch eigentlich lauten muss:
"[...]
lern unerkannt gehn, lern mehr als ich:
das viertel wechseln, den paß, das gesicht.
[...]"(Nebenbei: dass "spaß" vom Sinn her nicht passt, hat kein einzigeR SchülerIn bemerkt; vielleicht auch deshalb nicht, weil ihnen eh alles böhmische Dörfer sind.)
Aber es ist mir eben doch eine klammheimliche Freude, wenn Leute Fehler machen, die sich allzu sehr aufplustern
(vor lauter Bedeutsamkeit kaum mehr gehen können)
und
- nie eigene Fehler eingestehen,
- sie aber anderen niemals verzeihen.
Ist eigentlich im Schulwesen jemals etwas derart gigantisch aufgezogen worden wie das erste Zentralabitur in NRW im Jahr 2007?
Ich wette
(und habe da Informationen "aus gewöhnlich gut unterrichteter Quelle"),
dass an diesem Zentralabitur
(den Aufgabenstellungen, der Bereitstellung über Computer, der Logistik
[bei der Übergabe an die Zweitkorrekturen müssen exakt 20 Meter Tischfläche zur Verfügung stehen]
der Geheimhaltung ...)
mindestens eine Hundertschaft höchst bedeutsamer Leute monatelang Tag und Nacht gearbeitet hat.
(Wie hat man eigentlich kurz nach dem Krieg und ohne Hightech das Zentralabitur beispielsweise in Bayern abgehalten? Und doch hat´s funktioniert!)
Und zweifelsohne sind alle an der Vorbereitung des Zentralabiturs Beteiligten gestorben vor Angst, dass
(nebenbei: es ist herzhaft egal, wie das Zentralabitur ausfällt, Hauptsache, es hat stattgefunden; bzw. am besten ist es, wenn es genauso ausfällt wie alle Nicht-Zentralabiture vorher auch, Hauptsache, es hat stattgefunden),
Das arme Schwein, das solch einen Fehler verursacht hätte, wäre doch sicherlich hingerichtet, aber allemal seines (Berufs-)Lebens nicht mehr froh geworden.
Oh doch, ich hätte mich allemal klammheimlich gefreut, wenn einer der o.g. Fehler aufgetreten wäre
(Hauptsache, er hätte sich nicht an den SchülerInnen gerächt, also beispielsweise ihre Angst erhöht oder ihre Zensuren vermindert)!
Wie gesagt, Fehler macht JEDER, hat es also sicherlich auch schon im alten (Nicht-Zentral-)Abitur gegeben. Nur
Wie schön, dass jetzt im ersten Zentralabitur tatsächlich solch ein Fehler aufgetreten ist:
Falsches Wort in Barock-Gedicht
Dienstag 3. April 2007, 17:52 Uhr[...] Ein Fehler in einer Zentralabitur-Aufgabe im Fach Deutsch wird keine Auswirkungen auf die Benotung der Klausuren haben. «Kein Schüler muss jetzt befürchten, dass es deshalb eine schlechte Note gibt», versicherte Schulministerin Barbara Sommer (CDU) am Dienstag in Düsseldorf.
Nach Angaben der Ministerin war in einem Barock-Gedicht, das Textvorlage einer der Leistungskurs-Arbeiten war, durch einen redaktionellen Fehler ein falsches Wort eingefügt worden. Mit den schriftlichen Prüfungen für die Deutsch-Grund- und Leistungskurse hatte am Montag vergangener Woche das erste Zentralabitur in NRW begonnen.
Der Fehler war den Angaben zufolge in einer von insgesamt vier zur Auswahl stehenden Leistungskursaufgaben aufgetaucht, bei der es um die Interpretation des Sonetts «Vergänglichkeit der Schönheit» von Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau ging. Die zuständige Aufgabenkommission habe sich dabei auf eine der renommiertesten Gedichtsammlungen bezogen.
Der Herausgeber dieser Ausgabe habe gegenüber dem Ministerium bedauert, dass in einer Passage des Gedichtes «gemeines Band» offenbar irrtümlich in «gemeinsames Band» geändert worden sei. Auf den Fehler war ein Deutschlehrer aus Troisdorf aufmerksam geworden.
(zitiert nach ; nebenbei: das wäre ja auch noch schöner, wenn sich der Fehler an den SchülerInnen rächen würde)
Der Stein des Anstoßes:
Vergänglichkeit der Schönheit
Christian Hofmann von Hofmanswaldau (1616-79)
Es wird der bleiche tod mit seiner kalten hand
Dir endlich mit der zeit um deine brüste streichen /
Der liebliche corall der lippen wird verbleichen;
Der schultern warmer schnee wird werden kalter sand /Der augen süsser blitz / die kräffte deiner hand /
Für welchen solches fällt / die werden zeitlich weichen /
Das haar / das itzund kan des goldes glantz erreichen /
Tilgt endlich tag und jahr als ein gemeinsames band.Der wohlgesetzte fuß / die lieblichen gebärden /
Die werden theils zu staub / theils nichts und nichtig werden /
Denn opffert keiner mehr der gottheit deiner pracht.Diß und noch mehr als diß muß endlich untergehen /
Dein hertze kan allein zu aller zeit bestehen /
Dieweil es die natur aus diamant gemacht.
Germanisten sind derart auf "Sinnfindung" getrimmt, dass sie gerade die Abweichung vom strikten Verlauf als besonderes künstlerisches Mittel interpretieren - und deshalb Druckfehler und Versehen oftmals gar nicht als solche erkennen.
Und schon gar nicht vermutet man Fehler, wenn die Quelle "eine der renommiertesten Gedichtsammlungen" ist.
Ich stehe da nicht drüber, ich hätt´s vermutlich auch nicht bemerkt. Und doch hätte man es bemerken können, und zwar nicht am Sinn, sondern am Versmaß: "gemeinsames" passt - im Gegensatz zu "gemeines" - einfach nicht ins strikte Versmaß des Gedichts.
"nicht am Sinn":
(bzw. die Tage ein Band, das ein Jahr ergibt?).
Bei aller Genauigkeit bin ich doch kein kleinkarierter Purist, und deshalb halte ich den Fehler für unerheblich - und allemal verzeihlich.
Und doch (nochmals): wie schön, dass er unterlaufen (und so harmlos ausgefallen) ist!
Ich befürchte allerdings, dass die Aufdeckung solch eines (nichtigen) Fehler zur falschen Konsequenz führen wird:
(wofür rabiat pädagogische Gründe sprechen!),
Und in der Tat läuft die Diskussion anscheinend rein äußerlich und völlig unpädagogisch, d.h. nicht über die Fraglichkeit der angeblichen "Objektivität" und der Aufgabenstellungen:
(, 25.4.07)
PS:
(, 20.4.07)