Heiner Stauff - pädagogische Einmischungen

die größte Gemeinheit des Schulsystems

Jüngst (Oktober 2016) kam mein Sohn mit einem Informationsblatt seiner Schule nach Hause, auf dem u.a. stand:

Weil ich diese Regelung natürlich schon aus meiner Lehrerzeit kannte und schon immer schlimm fand, war ich entsetzt, dass sie bis heute unverändert gilt.

Und ahnen diejenigen, die solche Regelungen erlassen, überhaupt, was sie im "wirklichen Leben" einigen Schülern antun???

(Man kann allerdings auch zynisch sagen: "wo gehobelt wird, fallen Späne" oder "ein bisschen Schwund ist immer".)

Einige zweifelhafte Prämissen:

solange wir ein Schulsystem haben, das wesentlich auf Selektion

(Sitzenbleiben, Bestehen oder eben Nicht-Bestehen von Prüfungen)

basiert, wird es immer auch Schüler geben, die wegen mehrfach nichterbrachter Leistung die Schule verlassen müssen;

das "gegliederte Schulsystem", also die Aufteilung in Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien

(sowie Gemeinschafts-, Gesamt- usw. -schulen);

mangelnde Durchlässigkeit dieses gegliederten Schulsystems: wie das Informationsblatt zeigt, kann zumindest in Nordrhein-Westfalen ein Schüler, der am Gymnasium "versagt", eben nicht in jedem Fall sein Glück nochmals in der nächst"niedrigeren" Schulform, also an einer Realschule, versuchen;
Folge des gegliederten Schulsystems ist auch, dass Gymnasien (fast) ausschließlich auf ihren Abschluss, also das hochheilige Abitur, hinarbeiten - und blind für alle "Notausgänge" sind

(ein Beispiel: als an einem Gymnasium Berufspraktika

[meist in nichtakademischen, also z.B. Handwerksberufen]

in der 9. Klasse eingeführt werden sollten, hielten einige Lehrer das für überflüssig und Zeitverschwendung, da die Gymnasiasten nach ihrem

[somit vorausgesetzten]

Abitur ja sowieso studieren würden;

dass ein Schüler

[z.B., weil seine Interessen anders gelagert sind]

das Gymnasium vorher verlassen und nicht das Abitur machen [bestehen] oder nach dem Abitur z.B. ein Handwerk erlernen könnte, passte in die Köpfe dieser Lehrer gar nicht rein

[und auch nicht, dass ein Berufspraktikum

(und überhaupt ein Blick über den Tellerrand der Schule)

z.B. am Fließband in einer Schlüsselfabrik auch für jene Schüler eine enorme Bereicherung sein könnte, die später sehr wohl ihr Abitur machen und studieren]).

Nun sind die Fälle natürlich unterschiedlich gelagert:

in dem oben gezeigten Informationsschreiben geht es um Schüler, die die 9. Klasse nicht schaffen und danach die Schule verlassen müssen, also erst gar nicht in die Oberstufe kommen,
der Erfurt-Amokläufer Robert Steinhäuser, von dem gleich die Rede sein wird, hatte längst die Oberstufe erreicht und ist erst dann von der Schule "geflogen"),

Dennoch zeigt der Fall des Robert Steinhäuser gut, in welche Not Schüler geraten können, die die Schule ohne jeden Abschluss verlassen müssen

(wobei man den Amoklauf Steinhäusers allerdings sicherlich nicht monokausal allein mit seinem Schulverweis samt fehlendem Schulabschluss erklären kann; ein bisschen differenzierter ist da schon :

"Ein Punkt, für sich genommen, hätte nicht dazu geführt. Da kam alles zusammen.“

"Es wird Fragen geben, die offen bleiben.“

[ein bisschen peinlich ist es mir aber doch, den "Focus" zu zitieren]):

Das Land Thüringen hat daraus seinerzeit immerhin Konsequenzen gezogen:

Ich würde allerdings andere Konsequenzen ziehen:

ein Schüler, der (wie Robert Steinhäuser) die Versetzung in die Oberstufe des Gymnasiums geschafft hat, erhält damit auch automatisch (also ohne zusätzliche Prüfung) den Realschulabschluss

(vgl. die Fachhochschulreife, die Schüler in NRW während der gymnasialen Oberstufe automatisch nebenher, also ohne explizite Prüfung erreichen);

in einem Fall, wie ihn das obige Informationsblatt zeigt, d.h. wenn ein Gymnasiast die 9. Klasse (zum zweiten Mal) nicht schafft, darf er es auf jeden Fall nochmal an einer Realschule versuchen:

es muss unter allen Umständen verhindert werden, dass Schüler ins Nichts abstürzen, bzw.

(was sich allerdings schon fast zynisch anhört)

wenn sie schon stürzen, sollte ihr Sturz langsam sein:

"If I should stumble
catch my fall."