z.B. ein Goethe-Tag

Bild
(, 22.3.07)

Man traut es sich bei der derzeitigen rabiaten Hetzjagd auf Unterrichtsausfall ja kaum noch laut zu sagen, aber WIR sind so frisch-fromm-fröhlich-frei und dreist, heute (am 22.3.07) für die gesamte Schule den Unterricht ausfallen zu lassen - und einen Goethe-Tag für alle LehrerInnen und SchülerInnen

(gerne auch klassenübergreifend)

einzuschieben.

Schule ist ja in der Regel derart mit

(auch wichtigem!)

Standardunterricht beschäftigt, dass sie die Welt draußen kaum mitbekommt, also weltfremd ist.

(Um nicht allein von der Tagespolitik zu sprechen: wo bekommen SchülerInnen denn z.B. jemals neueste naturwissenschaftliche Erkenntnisse und damit Bild mit?)

Bzw. damit Schule überhaupt aufwacht, müssen schon einige Flugzeuge in Wolkenkratzer rasen. Drunter tun würd's nicht (mehr).

Ich nenne nur mal vier von unendlich vielen möglichen Ideen, wie ein Goethe-Tag gestaltet werden könnte

(Hauptsache, jetzt wird nicht doch wieder nur Standardunterricht - nur diesmal in allen Klassen über Goethe - abgehalten):

  1. "Goethe nicht ganz ernst nehmen" inkl. Bild Egon Friedell / Alfred Polgar: Goethe,
  2. anlässlich des nunmal vorliegenden Todestages eben Goethes Todestag (in der Hoffnung, dass Goethe dadurch nhbarer wird):

Goethe ist nicht leicht gestorben. Er hat noch bei den leisesten Anzeichen von Besserung gehofft und seinen Diener nach dem Datum gefragt. Als er hörte, es sei der 22. März, meinte er: »Also hat der Frühling begonnen und wir können uns umso eher erholen.« Zur Schwiegertochter spricht er vom April, der zwar stürmisches Wetter, aber auch schöne Tage bringen werde. Den Arzt bittet er, ihm keine Arzneien mehr zu geben, durch Bewegung in der freien Natur werde er sich schon stärken. Aber der Mediziner hat bereits zwei Tage zuvor das Ende gesehen, als er am frühen Morgen gerufen wurde: »Ein jammervoller Anblick erwartete mich. fürchterliche Angst und Unruhe trieben den seit lange nur in gemessenster Haltung sich zu bewegen gewohnten hochbejahrten Greis mit jagender Hast bald ins Bett, wo er durch jeden Augenblick veränderte Lage Linderung zu erlangen vergeblich suchte, bald auf den neben dem Bette stehenden Lehnstuhl. Der Schmerz, welcher sich mehr und mehr auf der Brust festsetzte, preßte dem Gefolterten bald Stöhnen, bald lautes Geschrei aus. Die Gesichtszüge waren verzerrt, das Antlitz aschgrau, die Augen tief in ihre lividen Höhlen gesunken, matt, trübe; der Blick drückte die gräßlichste Todesangst aus. Der ganze eiskalte Körper triefte von Schweiß, den ungemein häufigen, schnellen und hörtlichen Puls konnte man kaum fühlen; der Unterleib war sehr aufgetrieben; der Durst qualvoll.«

  1. , also "das" naturwissenschaftliche (?) Buch Goethes, damit hier nicht der Eindruck aufkommt, am Goethe-Tag seien nur die Deutschlehrer aktiv.

Nun bin ich keineswegs so naiv zu meinen, solch ein Goethe-Tag stoße bei der versammelten Schülerschaft auf gehobenes Interesse.

  1. nicht, weil Goethe eben fast schon abstoßend "groß" war (ist) und da allüberall triefende "Bedeutsamkeit" lauert,
  2. nicht, wenn SchülerInnen eben doch wieder Standardunterricht (des Kaisers neue Kleider) erwarten.

Dann muss man ihnen eben zeigen, dass es auch anders geht.

Keine Frage, solch ein Goethe-Tag bedürfte immenser Vorbereitung, und wenn man mal probeweise nicht davon ausgeht, dass LehrerInnen "sowieso" grenzenlos Zeit haben, kann das nur heißen: auch für die Vorbereitung muss Zeit freigebaggert werden

- von wegen (nochmals) Unterrichtsausfall bzw. anderweitiger Entlastungen (inkl. Kürzung des übervollen Lehrplans).

Aber ich bin der festen Überzeugung, dass solch eine anderweitige Entlastung sowieso der Ausfall des Standardunterrichts sich lohnen würde (könnte): solch ein Goethe-Tag wäre kein Tag voller netter, belangloser, d.h. "unfruchtbarer" Happenings bzw. dürfte es nicht sein.


Zwar war (ist) Goethe allemal eine "singuläre Größe" (Peter Rühmkorf), lässt sich also kaum eine andere ähnlich auffällige historische Person finden

(man nennen mir einen einzigen derart bekannten Mathematiker, von dem man nicht nur den Namen ["Pythagoras"] kennt).

Dennoch ist Goethe mir hier & heute nur zufälliger Anlass. Genauso gut könnte man eben einen Pythagoras-Tag machen und die SchülerInnen damit überraschen, dass Pythagoras weit mehr "erschaffen" hat als "nur" den nach ihm benannten Satz.


Nunja, Goethe ist (scheinbar) gerade nicht das, was ich oben die "[aktuelle!] Welt draußen" genannt habe.

Ich könnte mir also beispielsweise genauso gut einen

(pars pro toto: der Deutschlehrer "unterrichtet" über irakische Literatur, der Geschichtslehrer über die Kulturgeschichte Mesopotamiens ...),

(von Bild und Bild über reine Wiederholung der Rechengesetze bis hin zu hardcore-Mathematik à la Cantor)

vorstellen.


Warum nur ein Tag? Warum nicht wieder Projektwochen, wobei die Mitarbeit (inkl. "Lerntagebuch") in solch einer Projektwoche durchaus eine Klausur ersetzen kann?

Oder umgekehrt: warum nicht mal eine notenfreie Zeit? Warum traut man dem Stoff selbst so wenig zu - und hechelt nur noch verschärft den (Zentral-)Klausuren hinterher (vgl. Bild )?


Nachtrag 2021: