was für ein Vorwurf!: mein Unterricht sei "hermeneutisch"

Jüngst gab es nach 25 Dienstjahren erstmals Beschwerden über meinen Unterricht

(habe ich mich tatsächlich langsam verändert, von den SchülerInneN entfernt; fehlt es mir inzwischen an Konzentration?).

Mein Umgang mit sowas ist immer derselbe: erst halte ich solche Kritik für sowieso berechtigt

("jetzt merken's die anderen auch schon oder sogar noch vor mir"; entsprechend fix & fertig bin ich dann),

und erst ein paar Tage später kann ich (mir selbst) differenziert antworten.


Hier soll es aber nicht um den Anlass der Beschwerden gehen und ebenso wenig darum, ob sie berechtigt waren, sondern vielmehr darum, dass ich in meiner ersten Not

(und als Anregung für langsam differenziertere Überlegungen)

das Gespräch mit einem Freund brauchte, der, um mich verstehen und mir vielleicht sogar brauchbare Ratschläge geben zu können, zudem unbedingt auch Lehrer sein musste.


Nachdem ich meine Unterrichtsweise

(und die sich nunmehr anscheinend daraus ergebenden Probleme)

erklärt hatte, nannte der Freund mein pädagogisches Vorgehen sowohl im Fach Deutsch als auch im Fach Mathematik

"hermeneutisch":

ein Wort, das bei mir wie eine Bombe eingeschlagen ist und mich seitdem verfolgt.

Wie aber war dieses Wort zu verstehen?:

Allerdings fügte der ([dienst-]ältere) Lehrerfreund direkt nach dem Wort "hermeneutisch" noch hinzu, er selbst sei "da" längst völlig resigniert

- und dieses Wort "resigniert" verfolgt mich seitdem ebenfalls!

"Längst völlig resigniert" bedeutete an der Gesprächsstelle wohl, dass der Freund auch mal "hermeneutischen" Unterricht versucht, den gescheiterten Versuch aber schon vor langer Zeit aufgegeben hat.

Auch dieses "längst völlig resigniert" kann man auf (mindestens) zwei Arten verstehen:

  1. kann es einen bitteren Beigeschmack haben und eher ein Selbstvorwurf des Freundes als ein Vorwurf an mich sein

(und in diesem Sinne geht es mir nach, tut mir nämlich der Freund leid und bin ich überhaupt höchst überrascht, da der Freund ein außerordentlich engagierter Lehrer ist und ich ihm solche Verzweiflung vorher nie zugetraut hätte: eine Verzweiflung, die mir vielleicht auch noch bevorsteht?),

  1. im Sinne einer entspannten "resignativen Reife" und dann als Warnung an mich, mir nicht länger den Kopf an allzu dicken Wänden einzurammen. Und so gesehen höre ich da raus, dass meine "hermeneutische" Unterrichtsweise vielleicht bewundernswert idealistisch, vor allem aber

                    (und das wäre dann doch wieder eine Kritik an mir)

         grob unrealistisch ist. 


Der eigentliche Witz ist aber, was mir da vorgeworfen bzw. attestiert wurde:

"Die Hermeneutik (von gr. ἑρμηνεύω hermēneuō ‘erkläre, lege aus, übersetze’) ist eine Theorie über die Auslegung von Werken und über das Verstehen."
(aus Wikipedia)

Da fühle ich mich durchaus gut getroffen:

  1. versuche ich ja tatsächlich immer, sogar im Fach Mathematik weniger letzte Wahrheiten als Auslegungen zu vermitteln,
  2. geht es mir mit meiner anschaulichen Mathematik, aber auch im Deutschunterricht immer um größtmögliches Verstehen

(statt nur Faktenwissen und Rechenrezepte).

Ich fände es schon bitter, wenn mir der Versuch des Verstehens zum Vorwurf gemacht würde.

Und ist Verstehen denn wirklich unrealistisch,


Kurz drauf klopft mir dann aber doch noch jemand auf die Schulter: