ein (nicht nur) mathematischer Hilfeschrei

(zitiert nach )

Es ist ja schon fast lustig, dass da jemand wegen eines Hilfeschreis (im Gedicht) um Hilfe schreit (für "den lernstand", also eine zentrale Prüfung).

Und lustig ist ja auch die Bitte, "was möchte der Autor damit aussagen ..." leicht verdaulich "in einem Satz zusammenzufassen", zumal das Gedicht aus überhaupt nur zwei Sätzen besteht.

In meinem erreichen mich Reaktionen

• zum großen Teil von "ganz normalen" Laien lange nach ihrer Schulzeit

(ein allemal interessantes Publikum

• kaum von MathematikerInneN bzw. MathematiklehrerInneN,
• sowieso fast nie von anderen LehrerInneN  auf meine Internetseiten ,
• selten von SchülerInneN

(für die meine Internetseiten ja auch gar nicht geschrieben sind!),

und wenn, dann auf zwei unterschiedliche, schon allein an der Uhrzeit des Eintreffens erkennbare Arten:

• wenn die Gästebucheinträge von SchülerInneN morgens, also während der Unterrichtszeit eintreffen, bestehen sie fast nur aus Unflätigkeiten

(und werden dann erst gar nicht ins "moderierte" Gästebuch übernommen);

allzu offensichtlich ist dann immer der Grund für diese Unflätigkeiten: da jagt irgendeinE LehrerIn gerade eine ganze Klasse über meine ach so tollen Internetseiten

(wofür sie nun wahrhaft nicht gedacht sind!)

und lässt die SchülerInnen damit alleine, die nun das unbeaufsichtigte   nutzen, um ihren Frust über Mathematik bzw. die/den LehrerIn los zu werden - oder aber auf ganz andere Internetseiten auszuweichen;

• wenn die Gästebucheinträge von SchülerInnen nachmittags oder abends eintreffen, sind es meist Bitten um schnelle Hilfe.

Eine solche Bitte hat mich gestern (21.5.07) am späten Nachmittag erreicht:

hallo! mein name ist c[...] bin in der 7 klasse auf der hauptschule schreiben balt eine arbeit zum thema term.
ich hätte dann mal ne frage wie man denn den term berechnet?
ich stelle ihn mal eine aufgabe und rechne sie dann bitte aus so das ich das verstehen kann:

Notiere die termen in Textformat:
x+4     x-8

bitte antworten Sie mir so schnell es geht denn ich schreibe morgen den 22.05.2007 eine mathearbeit.
tschüss
                    c[...]

Weil einige LeserInnen vermutlich kaum glauben werden, dass sowas mathematisch und sprachlich überhaupt möglich ist, kann ich nur beteuern, dass ich, abgesehen von der Anonymisierung, den Text exakt so, wie er in der Email stand, übernommen, nämlich einfach "rüberkopiert" habe.

Andere LeserInnen werden vielleicht denken: "Naja, auf einer Hauptschule war das ja wohl auch nicht anders zu erwarten, bzw. hier wird überhaupt erst klar, wie grauenhaft es auf Hauptschulen aussieht."

Ich aber hatte anfangs überlegt, auch noch "auf der hauptschule" "weg zu anonymisieren", weil ich die Email durchaus auch im Hinblick auf andere Schulformen ("sogar" Gymnasien) für symptomatisch halte:

"symptomatisch" nicht in dem Sinne, dass es bei allen SchülerInnen sprachlich und mathematisch so bitter aussieht, wohl aber in dem Sinne, dass die Email sehr schön auf den Punkt bringt, wie eine komplette Unterrichtseinheit vollständig an einigen SchülerInnen vorbeigehen kann: sie leiden nicht nur an dem einen oder anderen (harmlosen) Rechenfehler, sondern an TOTALEM Unverständnis!

Die Email ist eine ausdrückliche Bitte um mathematische Hilfe, aber man könnte sie genauso gut als (allerdings "unbewusst"-unausgesprochene) Bitte um sprachliche Hilfe verstehen.

Ja, beides hängt sogar zusammen, wenn der Schüler etwa schreibt: "wie man denn den [!] Term berechnet": da scheint er sich nicht bloß ungünstig auszudrücken ("es" aber im Prinzip verstanden zu haben), sondern zeigt ja gerade die Sprache, dass er den mathematischen Sachverhalt (TermE, also Plural!) nicht verstanden hat.

Man kann sich ja über den heutigen SMS-, Email- und Chat-Jargon trefflich streiten, kann es aber auch sein lassen:

• da wird halt spontan in den Computer reingehackt und nachher (?) natürlich nicht nochmals "Korrektur gelesen"

(beispielsweise der Widerspruch "schreiben balt eine arbeit"/"schreibe morgen den 22.05.2007 eine mathearbeit" beseitigt;
wenn es denn überhaupt ein Widerspruch ist: denkbar wäre ja auch, dass der Schreiber anfangs nicht offenbaren wollte, dass er erst am Tag vor der Arbeit übt, ihm dies aber hinterher vor lauter Panik dennoch versehentlich rausgerutscht ist);

• der Umgangston ist kumpelhaft herb und man hält sich nicht an spießige Anrede-, Einleitungs-, Höflichkeits- ... -Floskeln (?).

Aber die meisten ("meiner") SchülerInnen wissen ganz genau, wann solch ein Ton angebracht ist (eben beispielsweise in SMS-Mitteilungen, Chats ...) - und wann nicht (etwa bei Bewerbungen), und sie beherrschen fallweise auch durchaus weitgehend den jeweils richtigen Ton.

Kommt hinzu, dass der Emailschreiber sich ja sehr wohl an gewisse Grundformen der Höflichkeit gehalten hat: er

• stellt sich vor,
• schildert den Anlass (allerdings nicht, wie er auf mich gekommen ist),
• bittet (!) um Hilfe
• und grüßt am Anfang und am Ende.

(Ich habe auch schon so einige Hilferufe von SchülerInneN bekommen, die etwa folgendermaßen lauteten:

"Lösen Sie bis morgen folgende Aufgabe"

... und das war's dann auch schon.)

Schon allein wegen dieser Höflichkeit des Emailschreibers, aber auch wegen der offensichtlichen Not, aus der heraus er schreibt, liegt es mir fern, mich über seine Email lustig zu machen, ja, ich fühle mich schon allein dadurch, dass er sich freundlich an mich gewandt hat, ein wenig in die Pflicht genommen, wenn nicht sogar geehrt, denn der Schüler traut mir ja immerhin (wegen meiner Internetseiten?) Hilfe zu.

Natürlich ist (trotz allem) die sprachliche Hilflosigkeit des Schülers bitter. Aber das liegt nicht an den lässlichen Rechtschreibe- und Zeichensetzungsfehlern, die ich nachgerade schon liebenswert finde, sondern hat "tiefere", nämlich mathematische Ursachen:

1. nochmals "wie man denn den [!] Term berechnet",
2. völlig unverständlich ist "Notiere die termen [!] in Textformat [???]":
   "Textformat" ist ein computertechnischer und kein mathematischer Begriff - und wie mag er in die Email reingerutscht sein? Könnte es sein, dass der Emailschreiber da etwas (inkl. "x+4     x-8") in seine Email reinkopiert hat und dabei (eben auch in "x+4     x-8") Zeichen hinzugekommen bzw. verschwunden sind? Konnte der Emailschreiber diese Zeichen in seinem Emailprogramm noch (nicht) sehen, während sie erst in meinem sichtbar wurden bzw. verschwanden?
3. und "x+4     x-8" sind zwar tatsächlich zwei Terme, aber da sie völlig unverbunden nebeneinander stehen, bleibt es (dem Schüler? - und mir!) völlig unklar, was da nun eigentlich getan werden soll: woher hat der Schüler diese beiden Terme (und die Anweisung "Notiere die termen in Textformat")? Da ist doch zu vermuten, dass er

• sich entweder selbst welche ausgedacht hat, mit denen aber, weil er nichts verstanden hat, auch nichts anzustellen ist,
• oder sie aus einem Buch abgeschrieben hat, nur eben unvollständig und damit unverständlich; ich vermute mal, dass da

(x + 4 ) • (x - 8)

stand und zum "Ausmultiplizieren" der Klammern ("Vereinfachen"???) aufgefordert wurde.

Ach, man neigt dazu, viel zu kompliziert (vom Ende aus) zu denken. War

(worauf mich erst ein Kollege aufmerksam machen musste)

mit

"Notiere die termen in Textformat"

vielleicht nur gemeint, dass beispielsweise "x + 4" in Worten ( = Textformat?) gesagt werden sollte?: "Addiere zu einer x-beliebigen Zahl die 4."

Nebenbei: das häufiges falsche Abschreiben mag zwei Gründe haben:

1. pure Schlampigkeit,
2. und wohl eher aber, dass dem Schüler nicht verständlich geworden ist, dass es auf solche "Kleinigkeiten" wie Klammern und Mal-Punkte durchaus ankommt.

Vielleicht folgt sogar a. erst aus b.

(Überhaupt wundert mich manchmal - trotz - ja doch die Unbedarftheit vieler SchülerInnen:

1. Wie kann man nach langjährigem Matheunterricht denn so naiv sein zu meinen, es komme auf "Kleinigkeiten" nicht an?!
2. Wie kann man denn hoffen, am Tag vor einer Mathearbeit noch schnell eine - zudem wirksame - Instanthilfe zu bekommen?!
3. Warum fangen viele SchülerInnen mit dem Üben erst einen Tag vor der Klassenarbeit an?! Mag sein, dass sie vorher noch für andere Klassenarbeiten üben mussten, aber oftmals wirkt dieses Üben "kurz vor Toresschluss" doch auch einfach nur halbherzig.
4. , wie auch immer wieder in anderen solchen Hilfeschrei-Emails deutlich wird: viele SchülerInnen haben sich offensichtlich keine Sekunde selbst mit den Aufgaben "auseinandergesetzt" [oder nur draufgeschaut und "das kann ich alles nicht" gesagt], hoffen nun aber, dass die SchnellLösung eines Dritten ihnen helfen könnte.)

Nun wäre ich der freundlichen Bitte des Email-Schreibers um Hilfe ja gerne nachgekommen, nur war die Zeit zu knapp, auch nur nach der korrekten Aufgabenstellung zu fragen (geschweige denn dann nochmals helfend zu antworten).

Die Alternative (wenn die Zeit nicht so gedrängt hätte) wäre ein offensichtlich dringend nötiger umfangreicherer "Crash-Kurs" über Termumformungen gewesen. Aber kann solch ein Crashkurs für "wildfremde" SchülerInnen überhaupt meine Aufgabe sein?

Nur: wo denn sonst gibt es für SchülerInnen, die ernsthaft

(also nicht "auf den letzten Drücker")

Fundamentales nacharbeiten wollen und müssen

(bei denen also nicht ein paar Aufgaben reichen),

leicht auffindbares und vor allem verständlich-hilfreiches Material?