des Bildungsbereichs
die Weisheiten vorweg
rin ins Getümmel
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Man lernt ja nie aus: ich hätte doch gewettet, dass "Horror" aus dem Englischen kommt, und glaube, dass es in meiner Kindheit und Jugend dieses Wort gar nicht gab, sondern nur sehr viel differenziertere Wörter wie "Angst", "Furcht", "Panik" "Entsetzen", "Gruseln" (früher gab's "Gruselfilme") usw.
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"Horror" ist natürlich arg dick aufgetragen
(deshalb ja die Ergänzung "kleine"),
aber es geht mir natürlich auch um Kunden- bzw. Leserfang.
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"Bildungsbereich" bedeutet für mich (als Gymnasiallehrer) "Schule & Universität", und die Probleme lassen sich da sehr einfach auf den Punkt bringen: "PISA & Bologna"
(wobei mir die Ergebnisse von PISA egal sind: der "Horror" besteht vielmehr aus den Konsequenzen aus PISA).
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Wer halbwegs bei Verstand ist, wusste doch schon immer, dass "[die Konsequenzen aus] PISA & Bologna" gemeingefährlicher Blödsinn sind. Neu ist nur, dass das inzwischen die Spatzen von den Dächern pfeifen
(und doch merken einige noch immer nix).
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Dass ich "PISA & Bologna" für Schwachsinn halte, heißt nicht, dass ich den Zustand vorher für befriedigend halte: "PISA & Bologna" haben "nur" die Probleme verschärft, die zu lösen sie vorgaben: die Arznei war (wie so oft im Bildungsbereich) schlimmer als die Krankheit.
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Eines wird man nicht erleben: dass ich die Ursache der Probleme in
"der Jugend von heute , die noch nie so schlecht, doof usw. war wie schon immer"
finde: Jugend ist oftmals nur ein (Zerr-)Spiegel der Denkschemata der Erwachsenenwelt
(siehe unten: "Sie halte[n] sich nur an die Spielregeln"),
und Jugendliche haben ein seismographisches "Bauchgefühl" dafür, was hinter den Sonntagsreden wirklich läuft.
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Anlass für diesen sukzessive fortzuschreibenden Sammel-Essay ist, dass ich einfach keine Lust mehr habe, für jede neue "Horror"-Meldung aus dem Bildungsbereich umständlich einen neuen Einzel-Essay anzulegen.
(, 15.9.2016)
Nun bin ich ja bei allen "repräsentativen" Umfragen skeptisch:
: was heißt schon "repräsentativ"?!
: allzu oft ist das Spektrum der möglichen Antworten viel zu undifferenziert,
sind die Fragen oftmals allzu suggestiv.
(ein Beispiel aus dem in dem Zeitungsartikel erwähnten "Bildungsbarometer":
Wenn doch in einem "anderen Land, das bei der letzten PISA-Studie besonders gut abgeschnitten hat, [...] nur die Schulabsolventen mit den besten Ergebnissen in einem Eignungstest zum Lehramtsstudium zugelassen [werden]", wer könnte man dann noch gegen solch einen Eignungstest sein?!
Nicht überprüfbar ist da, um welches Land es sich handelt und wie dort die Aufnahmeprüfung aussieht. Zudem wird die PISA-Studie völlig unkritisch zum einzigen Kriterium hochgejubelt. Völlig unklar bleibt außerdem, wie ein deutscher Lehramts-Eignungstest aussehen könnte, d.h. wie man denn die "pädagogische und fachliche Eignung" messen will - und ob sie überhaupt messbar ist
[zumal man ja in einem Eignungstest pädagogischen Eros wunderbar vorheucheln kann].)
Solche Einwände sind aber natürlich ein feines Mittel, sich alle unliebsamen Umfrageergebnisse vom Leibe zu halten
(...
worin insbesondere Mathematiker
gut sind, da sie garantiert ein mathematisches Haar in jeder Suppe finden).
: wer führt eigentlich die Umfrage "Bildungsbarometer" durch?:
(man lasse sich die Internetadresse auf der Zunge
zergehen:
https://www.cesifo-group.de/de/ifoHome/research/Departments/Human-Capital-and-Innovation/Bildungsbarometer.html)
Herausgeber der Internetseite und Veranstalter des "bildungsbarometers" ist
Und zum "ifo":
Kurz und schmerzlos: das "CESifo" ist durch nichts qualifiziert, sich in schulische Belange einzumischen, und das "Bildungsbarometer" ist nur ein weiterer Teil der rabiaten Einflussnahme "der" Wirtschaft auf die Schulen
(vgl. auch die "OECD" [= Organisation für wirtschaftliche (!) Zusammenarbeit] als Veranstalterin von PISA, die "Bertelsmannstiftung" und die "Initiative Neue Soziale [???] Marktwirtschaft").
Wirklich erschütternd an dem "Bildungsbarometer 2016" ist aber dreierlei
(und ich unterstelle jetzt mal probeweise, dass die Ergebnisse durchaus repräsentativ sind):
, wie zumindest die "Westälischen Nachrichten" unterstellen: Um Gottes willen: noch eine?
:
(Ob die derzeitigen bundesweiten Bildungs[?]standards überhaupt sinnvoll sind, wird da natürlich nicht gefragt - und welcher "Otto Normalverbraucher" hat davon auch nur halbwegs Ahnung?!)
Bemerkenswert scheint mir aber auch
Da sind also
(was ich ja noch verstehen kann)
84 % der Gesamtbevölkerung für einheitliche Vergleichstests,
Und noch doller:
Hier muss man differenzieren:
"erstaunlicherweise", weil man doch vermuten sollte (?):
Fragwürdig scheint mir, dass unter Lehrerautonomie in einem Atemzug autonome
genannt werden:
wer bei autonomen Beurteilungskriterien die Gefahr der Willkür sieht, wird da doch allzu schnell gegen jede Lehrerautonomie stimmen.
Man könnte die Befragungswerte zur Lehrerautonomie durchaus positiv sehen: immerhin (oder nur)
Erstaunlich finde ich aber, dass zwischen 37 und 40 % der Lehrer (!) gegen Lehrerautonomie sind!
Wie kann man als Lehrer denn derart masochistisch
(oder angesichts der längst etablierten zentralen Prüfungrn resigniert)
sein???
Da frage ich mich doch, was das wohl für Lehrer sein mögen, die gegen Lehrerautonomie sind. Meine erste Reaktion: genau solche Typen dürfen erst gar nicht Lehrer werden
(sollte man mit einem A-Priori-Eignungstest [s.o.] frühzeitig rauskegeln?)!
Ein Lehrer, der gegen Lehrerautonomie ist, hat vermutlich allerbeste (klischeemäßige) Beamteneigenschaften, und ich stelle ihn mir komplett phantasielos vor: er braucht gar keine Autonomie, weil er noch nie selbstständig gedacht hat, sondern nur Vorgaben ausführen kann.
Solch ein Lehrer soll ja von mit aus gerne seine Phantasielosigkeit beibehalten
(man wird solche Leute nunmal nicht los, und kein Eignungstest kann sie aussortieren; und vielleicht / vermutlich sind solche Lehrer ja sogar "von oben" gewollt).
Aber wieso wollen solche Lehrer es auch noch anderen vorschreiben? Ich sehe da nur einen Grund: "wenn ich phantasielos bin, sollen die anderen es auch sein". Ich ahne da also jene fatale Mischung aus Missgunst und Neid.
Eines ist wohl allemal klar: ein Lehrer, der keine Lehrer-Autonomie will, erzieht auch Schüler, die unfähig zur Autonomie sind
(und vielleicht ist ja auch das [auch wenn es keiner zugeben wird] gewollt).
***
Für diese Diagnose hätte ich keine "Experten" gebraucht
(und überhaupt ist natürlich allergrößte Skepsis angesagt, wenn eine Untersuchung von der Bertelsmannstiftung stammt).
Das Fazit der "Experten":
"Ein konzeptionelles Vakuum",
"Ansonsten bleibt der Ganztag - zumindest an vielen Schulen und in etlichen Bundesländern - eine pädagogische Mogelpackung."
***
***
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Das ist nun wahrhaft der XXXL-Horror: an deutschen (!) Schulen
(ich traue mich kaum, es auszusprechen)
fällt Unterricht aus!:
(, 13.8.2015)
Mein Sohn, zwölf Jahre alt und in der 7. Klasse, hat an zwei Tagen in der Woche acht und an drei Tagen sechs, also pro Woche insgesamt 34 (!) Schulstunden. Da wäre ich doch nur heilfroh, wenn seine Schulleitung auch ein paar Schulstunden "vergessen" hätte!
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Eine Schülerin namens "Naina" hat im Januar 2015 Folgendes "getwittert":
und damit ein wohl auch sie selbst überraschendes mediales Stürmchen hervorgerufen.
Nun möchte ich ja zu allererst verstehen, was diese Naina zu ihrem Gezwitscher veranlasst haben mag: es ist offensichtlich nicht gelungen, ihr den "Sinn" von Gedichtinterpretationen zu vermitteln. Nun kann man natürlich einfach unterstellen, dass Naina einer jener Dumpfbolzen ist, bei denen jegliche kulturelle Liebesmüh verloren ist. Könnte es aber nicht auch sein, dass ihr (wie millionen anderen Schülern) das ewig gleiche "analysiere und interpretiere" (und dann auch noch in vier Sprachen) zu sämtlichen Poren heraus kommt - und dass sich somit endlich mal der Deutsch- und überhaupt Sprachunterricht ändern muss
(womit ich keineswegs den schnöden Trend zur Sachtextanalyse meine)?
Naina ist, wie ihr "Tweet" (?) zeigt, ein typischer, lebenslustiger und teilweise herrlich naiver Teenager - und nimmt sich mit ihren typischen Twitter-Nichtigkeiten (?) selbst nicht ernst, indem sie sich selbst bzw. ihren Tweet "nainablabla" nennt
(und dann gibt's in der von ihr entfachten Diskussion massenhaft selbsternannte Oberlehrer, die über die Rechtschreibung von Jugendlichen auf Twitter flennen).
Allemal bemerkenswert finde ich, was Naina direkt nach o.g. "post" gepostet hat, in der öffentlichen Diskussion aber nicht mehr vorkommt:
Hier zeigt Naina viel deutlicher und weniger plakativ,
, dass sie gar nicht grundsätzlich gegen die Lerninhalte der Schule ist,
, was sie wirklich vermisst: dass Schule tatsächlich oder angeblich nicht vermittelt, "wie man später auf eigenen Beinen steht".
Fragt sich nur, ob Schule "sowas" überhaupt "liefern" kann - was für mich keineswegs nur eine rhetorische Frage mit der stillschweigend mitgelieferten Antwort "sie kann es nicht" ist
(ein herrlicher Freibrief dafür, dass Schulen "es" erst gar nicht versuchen - und alles hübsch bleibt, wie es ist).
Wenn das gesagt ist, bleibt nur, was ausgerechnet in der "Wirtschafts[!]woche" stand:
"[...] Mit diesem Post hat Naina im Internet
und in der Boulevardpresse eine Lawine an Aufmerksamkeit ausgelöst.
Offenbar fühlen sich ganz viele Menschen in ihren Ängsten bestätigt,
dass die Schulen alles falsch machen und nicht auf das Haifischbecken
vorbereiten, das das wahre Leben ist. Naina sagt nun, dass sie den Hype
nutzen will, um das Schulsystem zu „verbessern“. 14 Jahre
PISA-Panik-Propaganda [!!!] sind
offensichtlich [natürlich!] auch an den Schülern nicht spurlos
vorbeigegangen.
Der einzig angemessene Kommentar stammt von Nainas Schulleiterin: „dumm
und fahrlässig“. Man mag dem Mädchen den unreifen Unsinn angesichts
ihres Alters verzeihen. Aber traurig ist, dass offensichtlich viele
Tausend erwachsene Menschen in Sachen Schule ebenso verunsichert und
haltlos sind wie das Mädchen.
Das Gezwitscher zum Thema erinnert nicht zufällig an die Eltern im
Film
.
Nicht nur Frau Müller, sondern das ganz
Schulsystem mit seinen angeblich überkommenen Vorstellungen von Bildung
genießt kein Vertrauen mehr. Das ist der traurige Erfolg von 14 Jahren
Bildungspolitik im Zeichen von PISA und Employability.
Naina und den besorgten Eltern kann man derweil nur zurufen: Ohne
Gedichte und andere unnütze Dinge, die man in der Schule
glücklicherweise noch lernt, wäre das Leben nicht lebenswert. Und
deswegen machen uns Lehrer in der Schule mit diesen Bildungsinhalten
bekannt, weil viele Eltern es nicht können. Steuern, Miete und
Versicherungen sind gerade nicht das Leben, sondern Alltag. Wie man den
bewältigt und auf eigenen Beinen steht, lernt man noch früh genug und
am besten nicht in der Schule. Manchmal kann man sogar seine Eltern
fragen."
Es ist zumindest auf den ersten Blick wohl vergeblich, dem kulturlosen Rotzpack
(womit ich nicht 18jährige Schülerinnen meine, sondern scheinbar erwachsene Leute)
klar machen zu wollen, dass es in Schule um anderes als kurzfristige (ökonomische) Verwertbarkeit gehen sollte.
Oder um es ein wenig freundlicher zu sagen: ich habe bislang (dennoch) sehr wohl alle Leute, die strubbelnaiv
"ich habe im Leben nie wieder Mathematik gebraucht"
sagten, davon überzeugen können, dass Mathematik mehr ist als simple Anwendbarkeit.
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Jetzt wird auch noch das vorletzte Schwein geschlachtet:
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(, 24.10.2014)
Von wegen "[...] keine [...] Entlastung für die Kinder [...]": es wird also NICHTS besser bzw. alles ist nur Fassadenkosmetik!
... und zwar u.a., weil angeblich "[d]er hohe organisatorische Aufwand [...] gegen eine Rückkehr zu G9 [...]" spricht.
Reden wir da doch mal von dem hohen organisatorischen Aufwand, der zur Umstellung auf G8 nötig war!
(Mein Gott, was haben wir uns an den Schulen totimplementiert!)
Der hohe organisatorische Aufwand, der angeblich gegen eine Rückkehr zu G9 spricht, bestünde wohl vor allem darin, dass alle Lehrpläne neu geschrieben und dann an den Schulen "implementiert" werden müssten. Dass man einfach die alten Lehrpläne vor der Umstellung auf G8 reaktiviert, kommt ja gar nicht in die Tüte, denn schließlich müssen die Kultusbürokraten ja weiterhin beschäftigt werden.
Ansonsten sprechen gegen die Rückkehr zu G9 natürlich vor allem finanzielle Gründe - wie ja auch die Umstellung auf G8 nur finanzielle (Verbilligung der Schulen) und ökonomische (frühere Bereitstellung des "Humankapitals" für den Arbeitsmarkt) Gründe hatte
,
aber sicherlich keine pädagogischen.
Aus zwei Gründen wird NICHTS besser:
, weil durch die "Experten" noch immer keine gründliche Ausmistung des Unterrichtsstoffs vorgenommen wurde
(ein Vorschlag zur Güte: im Fach Deutsch wird der Grammatikanteil rabiat gekürzt, werden also z.B. Sechstklässler nicht mehr mit
"adverbialen Bestimmungen der Art und Weise, des Ortes, der Zeit, des Grundes und des Schwachsinns"
belästigt: Kenntnisse, die eh nur bis zur nächsten Klassenarbeit halten und nichts zum eigentlich Wichtigen, nämlich der aktiven und passiven Ausdrucksschulung, beitragen),
, weil viele Lehrer unfähig zu solch einer Stoffreduktion sind: "das haben wir schon immer so gemacht, da könnte ja jeder kommen, und überhaupt: wo kommen wir da hin?"
Nun ist solch ein Zeitungsartikel ja eine Kompilation aus verschiedenen Quellen, deren "Sprecher" nie wirklich miteinander diskutiert haben.
Stellen wir aber dennoch mal zwei Quellen direkt gegeneinander:
"Die Verkürzung der Gymnasial-Regelzeit von neun auf acht Jahre wird vor allem von Eltern- und Schülerverbänden kritisiert."
"Der [...] Vertrauensschutz [was immer das sei, bzw. da müssen ausgerechnet "die" von reden] für die Eltern und Kinder [...] [spricht] aus Sicht der Experten [???] gegen eine Rückkehr zu G9."
Die "Experten" sind entweder unempfindlich für die Sorgen von Schülern und Eltern - oder zynisch:
"weil ihr [= die Eltern und Schüler] unmündig blöd seid, sind wir [= die Experten] »in eurem wohlverstandenen eigenen Interesse« gegen G9".
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Da könnte man ja eine Menge Fragen stellen. Z.B.
von wegen : wer ist das Institut "TNS Infratest", das die Umfrage (das "Ifo-Bildungsbarometer") durchgeführt hat?
wie (suggestiv) lauteten die Fragen?
und vor allem aber: was eigentlich versteht man unter "Leistung"?
Anscheinend etwas (in Schulnoten) Messbares, und das Sitzenbleiben ist dann "nur" eine Folge des Messbaren.
Was für eine bitter arme, ja geradezu reaktionäre Definition von "Leistung"!:
(... sagen diejenigen, für die es sich messbar
[finanziell] gelohnt hat.)