Gehirnfutter für die Interessierten

"Tu niemals (für vermeintliche Freunde) dümmer, als du bist"
und
"2/3 der anderen sind noch dümmer als du selbst"

Sicherlich ist es auch Aufgabe von LehrerInnen, überhaupt erst durch ihren Unterricht für das zu Lernende Interesse zu wecken, statt bereits Interesse vorauszusetzen.

(Nur Fachidioten setzen voraus, dass auch alle anderen sich automatisch für ihre Einseitigkeit interessieren - oder dumm sind.

Aber ist es unangebracht resigniert, wenn man das Gefühl hat, dass meistens nur bei jenen Interesse zu wecken ist, die es sowieso schon mitbringen? Schlaue SchülerInnen sagten mal zu mir, dumme würden sich sogar über jene LehrerInnen lustig machen, die ernsthaft interessantere Inhalte und Methoden versuchten, und wir LehrerInnen seien blöd und es sei verlorene Liebesmüh´, wenn wir Arbeit darauf verwenden würden, desinteressierte SchülerInnen zu erreichen.)

Ich habe allemal auch größtes Verständnis dafür (ich war selbst mal jung), dass (pubertierende) SchülerInnen sich für alles (überhaupt irgendwas?) interessieren - nur nicht für Schule (bzw. da wohl für die "peergroup" in der Klasse, aber nicht für Schulfächer):

(Große Selbstbezichtigung: auch mein Unterricht ist derart totlangweilig routiniert und "immer Dasselbe".)

Wundert es einen da noch, dass sie bald gar nichts (Schulisches) mehr interessiert?

(was allerdings - glücklicherweise? - oftmals höchstens Verbalanarchie bleibt; üblichere Formen sind wohl Pop- und Schauspieler-Schwärmereien, "Weiber & Macker", H & M, Fußball, Ballerspiele, tiefergelegte Autos, "wann um Gottes willen ist die nächste Party?", "le Handy, c'est moi" ...)

 

Und doch stinkt mir solch ein einseitiges Bild von Pubertät (als Generalentschuldigung = -unterstellung = -vorwurf):

Es gibt eben auch eine Menge Jugendlicher, die durchaus auch solche (außerschulischen) Interessen haben (normal sind) - und echte Neugierde auf die Welt & Wissenschaften.

Dass Jugend sich ausschließlich auf dem Niveau etwa von Nachmittagstalkshows und Vorabendserien ("Schlechte Zeiten/Grauenhafte Zeiten") bewege (zu bewegen habe), ist ja auch schon ein fürchterliches Diktat.

 


Wichtiger als die

  • vermutlich höchst seltenen wirklich hochbegabten

scheinen mir die

  • gar nicht so wenigen interessierten SchülerInnen,

und die eigentliche Schande (!) besteht darin, dass letzteren so häufig durch ein dumpfbackiges Kursklima die Freude am Lernen und die Neugierde vermiest werden.

Sie trauen sich dann oft gegen die "trendy" Verachtung  allen Interesses gar nicht mehr, dieses zu äußern.

Und deshalb bemerken LehrerInnen oftmals gar nicht durchaus vorhandenes Interesse, sondern nur Schweigen und angebliche Schüchternheit - also vermeintliche Dummheit.

(Ich hatte in einem LK mal ein "stilles Mäuschen", von dem ich erst in einem dann endlich zwanglosen Gespräch nach der Abiturfeier erfuhr, wie gründlich "es" sich in Gegenwartsliteratur eingelesen hatte.)

Die Zeit der LehrerInnen geht dann leider zum Großteil dafür drauf, die "Sache"  zu verteidigen

("wozu machen wir das alles eigentlich - und Goethe ist »sowieso« doof")

 - statt sie mit den Interessierten zu erkunden.


Manchmal träume ich davon, mir die Mitglieder eines Deutsch-Leistungskurses selbst aussuchen zu dürfen, und dabei würde ich nicht in erster Linie nach "Leistung" (Vorzensuren) und Vorwissen gehen

(wenn auch wohl kaum jemand etwas in einem Leistungskurs zu suchen hat, dem beispielsweise vorher permanent meterdicke Ausdrucksprobleme attestiert wurden),

sondern nach Neugierde und Offenheit

("würde es dich mal interessieren, mehr über afrikanische Literatur und ihre Hintergründe zu erfahren?").


Nötig wäre eine "neue" bzw. andere Art "Binnendifferenzierung", und zwar eben weniger nach Leistung als nach mehr oder weniger vorhandenem Interesse:

  1. jene, von denen sich bald herausstellt, dass sie durch nichts wirklich zu interessieren sind

(also etwa jene Mitglieder eines Deutsch-LKs, die keinerlei Interesse für Literatur, Kunst, Geschichte, soziale Prozesse ... aufbringen können),

  1. jenes Mittelfeld, das zumindest ab und zu erreichbar ist,

  2. jene Neugierigen und Wissbegierigen, die vorwärts stürmen wollen.

Ohne endgültige Einsortierung wären alle drei "Gattungen" parallel zu "beschäftigen".

Weil es mir hier eben nicht um vordergründige Leistung geht, soll dann auch jedes Mitglied der ersten "Gattung" gerne sein "befriedigend" erreichen können.

Aber insbesondere müssen auch der 3. Gruppe von Anfang an

geboten werden.

Vor allem aber sind SchülerInnen der dritten "Gattung" von Anfang an - wie eigentlich? - vorm Andrang der Dummheit und des Desinteresses zu schützen.

Denkbar ist das alles für mich (auch nur in ersten Ansätzen) durch "Parallelschienen" und Exkurse: SchülerInnen werden durch direkte Ansprache aufgefordert, sich in Einzelreferaten und - besser noch - Spezialistengruppen mit Zusätzlichem zu beschäftigen - und dabei dann stetig begleitet.

Auf die Schnelle mal zwei solche "Parallelprojekt" - und nur fürs Fach Deutsch:

(es ist so grauenhaft langweilig und doch zwecks des Erwerbs von "Handwerkszeug" wichtig: "noch´n Gedicht" [Heinz Erhard]),

begibt sich eine interessierte Gruppe an eine echte Herausforderung:

"Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt
Gab mir ein Gott zu sagen was ich leide."

ein "Hypertextprojekt"
(ähnlich wie das "Celan-Projekt")

Götterverehrung
(samt lustvoller Lektüre)

(und gleich noch draufgesetzt: Rilke!)

Immerhin erste Ansätze solch einer "neuen" Binnendifferenzierung wären

(teilweise eben doch wieder auf der Bewertungsschiene):

  1. Das Engagement in "Gruppenarbeit" (und zusätzliche Recherche zuhause) wird knallhart bewertet

(und wer dazu nicht bereit oder fähig ist, wird in den Standardunterricht "strafversetzt"; sowieso scheint mir, dass eine Gruppenarbeit für alle schon vom Ansatz her falsch ist).

  1. Es werden klare Kriterien der Güte von (immer begleiteten!) Referaten erarbeitet - und eingefordert

(der Lehrer hört sich nicht noch einmal ein Referat an, das besagt, dass beim Epochenbruch 1900 eigentlich gar nichts Wichtiges passiert sei - oder eine unverstandene Abschrift eines Lexikonartikels).

  1. Die Exkurse sollten "praktisch" sein, d.h. wenn schon nicht dem desinteressierten Restkurs, so doch einer "anderen" Öffentlichkeit zugute kommen (Internetprojekt, Schulausstellung ...). äußere Anerkennung oder zumindest doch Stolz auf das Geleistete tun not!
    Man könnte auch sagen:

"der Hund bellt [die Desinteressierten verbleiben im Tiefschlaf], die Karawane [die Interessierten] zieht weiter."

(man höre sich nur mal an, wie abwertend interessierte SchülerInnen in jedem LK über den "billigen Rest" reden: das sollten LehrerInnen nicht offen unterstützen, aber eben doch wahrnehmen)

  1. Textkenntnisklausuren sind selbstverständlich.

  2. Es finden regelmäßig Lautlese- und Buchvorstellungsstunden statt: da haben interessierte SchülerInnen die Chance, ihr Lesepensum einfließen zu lassen. Zunehmend wird dabei allerdings auch darauf geachtet, dass nicht nur Pseudoliteratur vorgestellt wird, sondern auch (auf Anregung der Lehrkraft) "Anspruchsvolles".

  3. Das ganze wird ergänzt durch freiwillige Exkursionen (Theaterbesuche, Weimar ... - aber eben alles immer vorbereitet).

Und jetzt müsste einE LehrerIn dafür "nur" noch Zeit haben.

Dringend ergänzt sei allerdings auch:

Man mache nicht immer nur die (desinteressierten) SchülerInnen verantwortlich: ein Deutsch-LK, der mit mehr als 15 Leuten besetzt ist, kann überhaupt nur im Mittelmaß enden, weil eine zentrale Voraussetzung gerade des Faches Deutsch nicht erfüllt ist: "intime" sprachliche Kommunikation.

Zuguterletzt noch ein häretischer Vorschlag zur Mathematik: eine Pflichtkopplung eines Mathematik-Leistungskurses an einen Geschichts-Grundkurs (neudeutsch "Profilbildung") - und dann wird jedes mathematische Thema auch historisch eingeordnet

(und in Geschichte endlich mal die eminente Bedeutung der Mathematik und Naturwissenschaften durchgenommen).

Das wäre ein Jux - und ein Affront gegenüber mathematischen Fachidioten, die erst gar nicht in den LK rein kämen oder schnell raus geekelt würden!


Eine ganz andere Frage wäre, ob man dafür sorgen kann bzw. sollte, dass Desinteressierte erst gar nicht in bestimmte Kurse kommen.

  1. Zucker:

Anfrage an die SchülerInnen bzgl. eines Deutsch-LKs:

  1. Peitsche:

Gottfried Benn: Kleine Aster

Ein ersoffener Bierfahrer wurde auf den Tisch gestemmt.
Irgendeiner hatte ihm eine dunkelhelllila Aster
zwischen die Zähne geklemmt

Als ich von der Brust aus
unter der Haut
mit einem langen Messer
Zunge und Gaumen herausschnitt,
muss ich sie angestoßen haben, denn sie glitt
in das nebenliegende Gehirn.
Ich packte sie ihm in die Brusthöhle
zwischen die Holzwolle,
als man zunähte.
Trinke dich satt in deiner Vase!
Ruhe sanft,
kleine Aster!

(wobei ich ja durchaus weiß, dass viele dann gar keine Wahlfreiheit mehr hätten - und ohne jedes schulische Interesse irgendwas wählen müssen).