Ich bin wohl allzu sehr Germanist und Sprachfetischist, als dass mir
die Doppeldeutigkeit entgehen könnte: mit „marode Schulen“
können einerseits die Gebäude und Einrichtungen
von Schulen,
kann also die materielle Infrastruktur gemeint sein,
andererseits aber auch die pädagogische Arbeit an
diesen Schulen
bzw. das ganze Schulsystem.
Ich bin allemal erschüttert, dass mehrfach Freunde, die keine Lehrer
sind, aber „ganz normale“ Kinder haben, die Schüler an „ganz normalen“
Schulen sind, gleichermaßen entsetzt und resigniert
gesagt haben, an
„den“ (= allen) Schulen habe sich in den letzten 40 Jahren rein gar
nichts zum Besseren verändert, d.h. die pädagogische Arbeit
und das
ganze Schulsystem seien nach wie vor „marode“.
Dennoch scheint es mir zu einseitig zu sagen, an „den“ (= allen)
Schulen werde (von den Lehrern!) ausschließlich schlechte
Arbeit
geleistet: da gibt es allemal auch massenhaft Ausnahmen, die
allerdings
immer in einzelnen Lehrern gesehen werden.
Ich fände es ja auch bitter, mir jetzt, da ich frühpensioniert bin,
eingestehen zu müssen, dass ich in fast 30 Jahren Lehrerdasein nichts
Positives hinterlassen habe, sondern ausschließlich
Erfüllungsgehilfe
eines maroden Systems war.
(Ein Lehrer, der das
Gefühl hat, an
seiner Schule gar nichts Positives mehr ausrichten zu können, sollte
eigentlich umgehend das Weite suchen. Nur wo soll er dann hin, und zwar
insbesondere, wenn er schon älter ist?)
Ja, ich behaupte sogar, dass an vielen Schulen
(natürlich immer auch
mit Ausnahmen)
dennoch
(meist still und leise)
hervorragende pädagogische Arbeit geleistet wird, und zwar
trotz der kultusbürokratischen Fesseln
bzw. im Rahmen dieser immer enger
werdenden Vorgaben,
häufig aber auch in stillschweigenden Abweichungen von
diesen.
(Vorsicht aber mit
aller Selbstbeweihräucherung von
Schulen [und Firmen]
und allen Auszeichnungen!: eine Schule,
die z.B. als „beste Schule Deutschlands“ ausgezeichnet wurde, kann trotzdem
gut sein.)
Im Folgenden geht es mir aber
nicht um die mehr oder minder „marode“ pädagogische Arbeit
an
Schulen,
sondern um das, was ich oben „materielle Infrastruktur“ genannt
habe, also um den Zustand der Schulgebäude und ihrer Ausstattung.
Ich rede in meinen pädagogischen Essays keineswegs immer nur „pro
domo“, also im eigenen Interesse: wenn ich also beispielsweise Lehrer
gegen die üblichen Lehrerklischees verteidige
(z.B. gegen das geradezu
repräsentative
Diktum des ehemaligen Bundeskanzlers und Putin-Intimus‘ Gerhard
Schröder über Lehrer: „alles faule Säcke“),
so geht es mir dabei weniger um Gymnasial-Luxus-Lehrer (wie mich),
sondern um Lehrer, die an "Problemschulen" trotz allen Frusts immer
noch
engagierte Arbeit leisten und tagtägliche die „soziale Suppe“
auslöffeln müssen.
Ich selbst habe an einer bischöflichen Schule gearbeitet, bei
der offensichtlich Geld keine Rolle spielte und deshalb sowohl das
Schulgebäude als auch die Ausstattung immer in makellosem
(manchmal allzu "glattem")
Zustand waren.
(Die katholische Kirche
konnte schon
immer
[oder zumindest, seit
sie 380 n. Chr.
unter Theodosius I. Staatskirche des römischen Reichs geworden war]
bestens mit Geld
umgehen: welche andere
Firma hat eine ca. 1700jährige erfolgreiche Finanzgeschichte?)
Es gibt natürlich ein „Stöhnen auf hohem Niveau“:
„als wir (alten Säcke) vor gefühlten 100 Jahren auf die Schule
gingen, waren die Schulgebäude und ihre Ausstattungen äußerst ärmlich -
und hat es uns geschadet?!“,
„viele Kinder in der »dritten« Welt wären heilfroh, wenn sie überhaupt
zur Schule gehen dürften - und gar ein Schulgebäude hätten“,
„die [u.a. schulische] Infrastruktur in Deutschland mag
teilweise
marode sein, aber in den USA
[„dem schönstem Land der
Dritten Welt“]
sieht‘s doch noch viel schlimmer aus“:
(Quelle:
)
Anders gesagt: „solange es anderen noch schlechter geht, dürft ihr
[glücklicherweise] gar nicht klagen“.
Doch, darf man!
Einige wenige Beispiele für Schularchitektur:
das hochherrschaftliche Hauptgebäude der Schule, an der
ich
Lehrer war
,
die zurückhaltende Schularchitektur der 50er und 60er
Jahre
(die Schule, in der ich Schüler war),
die grauenhaften Betonbunker der 70er und 80er Jahre
,
die Einfaltslosigkeit der meisten heutigen
Schulneubauten
,
gelungene, menschenfreundliche Schularchitektur
(Kindergarten in Vietnam,
könnte allerdings auch als Schule durchgehen;
aber letztlich würde mich weniger das ansprechende Äußere
als das hoffentlich ebenso funktionale wie "wohnliche" Innere
interessieren)
und seelenlose, eiskalte Neubauten, bei denen
die Bedürfnisse der
„Insassen“ nie interessierten:
(der Neubau eines Schultrakts, in dem es
keinerlei Rückzugsräume und kaum Sitzmögllichkeiten für Schüler in den
Pausen gibt,
ja, bei dem nichtmal eine Pauke durch die Musikraumtür passt.)
Schulneubauten darf man nicht irgendwelchen
dahergelaufenen
Architekten überlassen, sondern nur solchen, die
auf Schulbauten spezialisiert sind,
nicht so großen Wert auf "creative" Selbstentfaltung legen
("markante" Effekthascherei),
sondern pädagogisch denken
(was nicht heißt: jeder
gerade aktuellen pädagogischen Mode nachlaufen oder „alles so schön
bunt hier“),
und die Schulen in permanenter Rücksprache mit den Schülern
und
Lehrern planen,
aber auch festgefahrene Vorstellungen
(z.B. „Schulen bestehen
ausschließlich aus kahlen Klassenzimmern und Fluchtwegen = Fluren“)
überzeugend aufbrechen können.
Vgl. etwa
„Seit langer Zeit stellen Schulbauten ein großes
Aufgabengebiet für die Architektur dar und es gibt ein nachhaltiges
Interesse an dieser Bauaufgabe. Diese Publikation erläutert in elf
Kapiteln zentrale Parameter für diesen Bautyp: die Rolle der Schule für
Gemeinde oder Stadtviertel, Fragen der Nachhaltigkeit, flexible Räume
zum Lernen, geeignete Möblierung, Partizipationsprozesse im Entwurf,
Lernen außerhalb des Klassenzimmers, Außenraumgestaltung, Chancen und
Anforderungen der inklusiven Beschulung, die Rolle neuer pädagogischer
Konzepte. Jedes Thema wird ausführlich beleuchtet und mit zahlreichen
gebauten Beispielen illustriert. Bei diesen geht es nicht um eine
komplette Gebäudedokumentation, sondern um die Darstellung einer
vorbildlichen Lösung für den jeweiligen Aspekt. Neben internationalen
Beispielen werden ebenso wegweisende Projekte aus dem deutschsprachigen
Raum dokumentiert, darunter die Carl-Bolle-Grundschule in Berlin (Die
Baupiloten), der Postfossile »Ecowoodbox« Kindergarten in Hannover
(Despang Architekten) oder das Dänische Gymnasium A. P. Møller-Skolen
in Schleswig (Arkitektfirmaet C. F. Møller).“
(Buchcover-Text)
“Die Debatte über die Weiterentwicklung von Schule und
Unterricht berücksichtigt die pädagogische Bedeutung von Schulräumen
nach wie vor zu wenig. Dieser Band möchte dazu beitragen, der
Schulraumgestaltung mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Dazu wird der
Raumbegriff zunächst aus verschiedenen Perspektiven erschlossen:
Thematisiert werden philosophische, psychologische, soziologische und
pädagogische Sichtweisen sowie historische, ökologische und
schulbaurechtliche Aspekte. In einem zweiten Teil setzt sich der Band
mit konkreten Elementen der Schulraumgestaltung auseinander. Die
Bedeutung von Licht, Farbe und Akustik kommt zur Sprache, es wird auf
klimatische Bedingungen, die Sitzordnung sowie auf Herausforderungen
der Inklusion eingegangen. In einem dritten Teil werden innovative
Projekte namhafter Architekten und Schulraumgestalter vorgestellt."
(Buchcover-Text)
Jüngst (November 2017) hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, in einer
NRW-Großstadt
eine Gesamtschule besichtigen zu dürfen.
Dass die Gebäude und Ausstastungen vieler Schulen in Deutschland
verrottet sind, hatte ich ja schon vorher (wohl allzu
abstrakt) gewusst
(Quelle:
),
aber vielleicht war ich doch wegen der prächtigen Infrastruktur meiner
ehemaligen bischöflichen Schule ziemlich blind für die Wirklichkeit
woanders:
Dass aber eine Schule derart
lieblos eingerichtet,
schon schlimmer: ungepflegt
(mit den
Gebrauchsspuren der letzten 50
Jahre)
und am schlimmsten: völlig verrammsackt und kaputt
sein konnte wie eben jene Gesamtschule, hätte ich mir nicht in
meinen kühnsten (naiven) Träumen ausmalen können
(„verrammsacken
etwas
verschleißen,
kaputt machen Wie komms du denn nach Hause, den ganzen Annorack
hasse
verrappsackt. Et is zum Verzweifeln, wie die Blagen die Klamotten
verrappsacken. Musse die neuen Schuhe zum Flatschen anziehen? Die
willze wohl auch gleich widder verrammsacken!“
[Quelle: ]).
Nur ein einziges, sogar eher harmloses, aber eben doch symptomatisches
Beispiel:
da hatten einige Monate vorher Unbekannte massenhaft rohe Eier gegen
die Fenster der Schule geworfen. Erst nach mehrfacher Nachfrage wurden
Monate später die Fenster geputzt, und eine Lehrerin, die mit der
Schule ergraut war, sagte, „sowas“ (also Fensterputzen) hätte sie in
den letzten fast 40 Jahren noch nie erlebt.
In Abwandlung von Heinrich Zilles Diktum
„Man kann mit einer Wohnung einen
Menschen genau so töten wie mit einer Axt.“
kann man sagen:
„Man kann mit einem maroden
Schulgebäude Schüler genau so töten wie mit einer Axt.“
(War es Bob Dylan, der
gesagt hat?:
„Schulen sind wie
Altenheime, nur dass
in ersteren mehr Menschen sterben.“)
Wenn man Jugendlichen mal so richtig zeigen will, wie
scheißegal und wenig (auch finanziell) wert sie einem
sind, lasse man einfach (!) die
Schulen verrotten!
Sowas ist vermutlich meistens keine Absicht, aber allemal der
Effekt
des nur
naiven Kaputtsparens von Schulen.
Dabei bin ich mir ja durchaus bewusst, dass die meisten Kommunen
schlichtweg pleite sind.
Dennoch bin ich nicht der Meinung, dass die eigentlichen
Probleme von
Schulen finanzielle Probleme sind
(genauso, wie man nicht
automatisch
mehr Schulleiter findet
[und wenn doch, so
vermutlich meistens
die Falschen],
wenn man ihr Gehalt
erhöht).
Viel gewichtigere Probleme vieler Schulen sind
die kultusministerielle Regelungs- und Kontrollwut
und die zunehmenden sozialen Probleme, die die Schulen
auffangen sollen bzw. ausbaden müssen.
Aber dennoch geht‘s auch ums liebe Geld
beispielsweise für Sozialarbeiter
oder eben für die Pflege der materiellen Infrastruktur.
Kaputte Schulen und Vandalismus einiger marodierender (!) Schüler sind
vermutlich ein
Teufelskreis:
wieso nicht noch kaputter machen, was sowieso schon kaputt ist
(ach ja, sowas ist
verständlich, aber
nicht zu entschuldigen)?!:
Vielleicht ist also was dran an der
(Quelle: ).
Hiermit erlasse ich folgendes Gesetz:
erst wenn die (sonstige) materielle Infrastruktur aller
(!)
Schulen renoviert ist und Schulen wieder Lebensräume statt Käfige
sind,
darf der erste Cent für eine geile Computereinrichtung
von
Schulen ausgegeben werden.