einfach (?) mal das Maul halten
oder:
"I wish I'd never opened my mouth almighty."
(Elvis Costello)

Gestern, also am 12.9.06, habe ich's nach 20 (!) Jahren Lehrerdasein doch tatsächlich erstmals geschafft

(und ich hatte es vorher regelrecht geplant),

eine ganze Schulstunde lang gar nichts zu sagen, also die SchülerInnen nicht mal (laut) zu begrüßen.

Vielmehr habe ich nur folgenden Aufgabenzettel verteilt:

Guten Tag,

ich sage heute gar nichts, sondern bitte darum, in Gruppen

1. begründet ein Kapitel aus Teil 2 auszuwählen,

2. begründet eine unter einem speziellen Aspekt (s. 4.) wichtige kurze Passage daraus auszuwählen,

3. deren Funktion im Kontext darzustellen

  1. im direkten Kontext kurz vorher/nachher,
  2. im Gesamtroman,

4. die Passage unter einem Aspekt aus den [im Vorunterricht erarbeiteten] Listen Wort für Wort zu untersuchen,

5. all diese Erkenntnisse in den Freitagsstunden auf interessante Art vorzustellen.

Und am Ende der Stunde habe ich noch an die Tafel geschrieben:

"Vielen Dank und auf Wiedersehen!
 Bitte die Stühle hochstellen."


Bild war doch wahrhaft eine ganz neue Erfahrung sowohl für mich als auch offensichtlich für die SchülerInnen:

Bild,


Nebenbei:

  1. Was für ein Unterschied zwischen LehrerInneN und SchülerInneN: selbst "gute" SchülerInnen erlauben sich doch ab und zu mal eine Schweigestunde, und bei anderen (stilleren, desinteressierteren?) SchülerInneN ist stundenlanges Schweigen doch geradezu die Regel.

  2. Nun rede ich ja auch im sonstigen Unterricht nicht andauernd coram publico, sondern es gibt in meinem Unterricht natürlich durchaus auch Phasen der Einzel- und Gruppenarbeit. Aber selbst in diesen betreibe ich ja meist Einzel- oder Gruppenberatung, rede dann also doch.

Und so sind Stimmbandzerrungen doch die beliebteste Lehrerkrankheit!


Fragt sich nur, warum LehrerInnen (oder zumindest ich) andauernd quatschen

(auch so eine Berufskrankheit, die sich ins sonstige [Privat-]Leben fortsetzt):

  1. , weil das typische Lehrerbild das geradezu von ihnen verlangt und sie dieses Lehrerbild internalisiert haben:

"Ein guter Lehrer ist jemand, der gut erklären [also quatschen] kann."

  1. Der Teufelskreis von

"Wenn alles schweigt und einer spricht,
so nennt man dieses Unterricht."

"Teufelskreis", weil

  1. die SchülerInnen überhaupt nicht dazwischen kommen, wenn der Lehrer ununterbrochen quasselt

(ich hatte allerdings auch mal eine SchülerIn

, die sagte: "Es bringt mir viel mehr, wenn ich Ihnen zuhöre, und ich höre Ihnen gerne zu"),

  1. und umgekehrt aber auch, weil der Lehrer das Schweigen der SchülerInnen nicht erträgt:

"Bevor hier gar keiner was sagt, rede ich doch lieber selbst."

Es ist also nicht automatisch so, dass LehrerInnen von sich aus gerne sprechen, sondern viele tun es oftmals aus der Not heraus und höchst ungern

(wenn man mal vom hauptberuflichen Bild absieht):

Es gibt Tage, an denen man als Lehrer nach Hause kommt und sich selbst nicht mehr mag, weil man den ganzen Vormittag

(und zwar völlig wirkungslos)

gegen eine Wand "angekotzt" hat

(... womit natürlich nicht gemeint ist, SchülerInnen seien eine Wand, die man "ankotzen" dürfe).

  1. Veilleicht weil Lehrer ja vieles tatsächlich besser wissen (müssen), fehlt ihnen einfach die Geduld mit der ganz natürlichen Erkenntnis-Langsamkeit der SchülerInnen und empfinden sie zwischenzeitliches Schweigen als endgültiges:

"Jetzt schweigen die [SchülerInnen] schon seit unerträglichen fünf Minuten
(was meist nur eine subjektiv verfälschte Wahrnehmung ist; in Wirklichkeit sind seit der letzten Lehrerfrage vermutlich gerade mal 14 Sekunden vergangen),
und da bleibt mir gar nichts anderes, als den Eisbrecher zu spielen."

Nebenbei: dieses (vermeintliche?) "besser wissen müssen" kann einen auch ganz schön ankotzen!: man kommt sich manchmal so schrecklich ausgelaufen vor und denkt vielleicht sogar:

"Andauernd küsse ich andere [kümmere ich mich um andere, nämlich SchülerInnen],
aber wer küsst mal mich?"

(... wobei es ein weiterer Irrtum ist, SchülerInnen seien für das Seelenleben des Lehrers verantwortlich.)

  1. geht es zumindest mir oftmals so, dass mich meine Begeisterung für den Unterrichtsstoff und auch (ja allemal vorkommende!) intelligente Schüleräußerungen derart übermannt, dass ich einfach unbedingt "mitspielen" möchte und es nur schwer ertrage, mich rauszuhalten.

(Insbesondere geht mir das so, wenn ich von hinten den Unterricht eines Referendars beobachte.)

Und im Fach Deutsch möchte ich um der Kunst, aber auch um der SchülerInnen willen immer prompt eingreifen, wenn SchülerInnen einen Text gnadenlos langweilig vorlesen bzw. analysieren.


"I've said too much
I haven't said enough"
(R.E.M.)