(produktive) berufliche midlife-crisis
oder
keinen Bock mehr auf schwachsinnige Reglementierung


Friedrich Hölderlin:

Hälfte des Lebens

Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm’ ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.

(Naja, mit 56 bin ich wohl schon ein bisschen
über die Hälfte des Lebens und das "midlife" hinweg)

Ich bin immer skeptisch, wenn Berufs-Senioren

(also in meinem Alter)

sämtliche neuen Entwicklungen in ihren Berufen kritisieren: da wird oftmals doch allzu offensichtlich nur die

(unbemerkte oder nur nach außen verleugnete?)

eigene abnehmende Leistungs- und Wandlungsfähigkeit mit der vermeintlich zunehmenden "Schwierigkeit der Welt" übertüncht.

Eine besonders lustige Form der Vergreisung ist es, wenn man

(selbst inzwischen oder schon immer lethargisch)

(während man selber gemütlich auf der Zuschauertribüne sitzt: ),

Viele Berufsanfänger sind wohl "naturgemäß" hyperengagiert, weil sie noch vor Saft, Kraft und Begeisterung strotzen - und weil sie meist noch keine Familie (Kinder!) haben.

(Dauerhaft hyperengagiert kann wohl nur jeMANNd sein, der schön klassisch ein holdes Weib zuhause sitzen hat, das ihm "den Rücken frei hält".

Nebenbei:

Und als junger Mensch glaubt man noch alle (auch beruflichen) Moden

(weil es die ersten sind, die man miterlebt),

während man später schon so viele Moden

gesehen hat: es wird halt alle paar Jahre eine (vermeintlich) neue Sau durchs Dorf getrieben (vgl. "des Kaisers neue Kleider"), und im Lehrerberuf hat man die stete Erlassflut und die andauernden Schnellschüsse aus dem Kultusministerium irgendwann einfach "bis Oberkante Unterlippe" stehen.

(Ich wundere mich aber oftmals über Erwachsene [?], die noch immer auf jede neue Mode abfahren. So wollte mir doch mal ein in der Lehrerfortbildung

[da arbeiten ja eh oftmals die Falschen, nämlich brav Systemgläubigen - und (wie in der Kultusbürokratie) Leute, die verzweifelt aus der Schule raus wollen - und ihr dann andauernd reinreden]

tätiger Lehrer, der

[kennt überhaupt noch jemand diesen Klippert?],

Litt dieser Lehrer unter bemitleidenswerter allzu früher Demenz - oder wollte er nur Karriere machen, indem er sein Fähnchen immer skrupellos nach dem Wind drehte?)

Als Senior scheint mir hingegen, dass die meisten wirklich guten pädagogischen Ideen

(z.B. die Reformpädagogik)

alle uralt sind, nur leider viel zu selten umgesetzt wurden.


In letzter Zeit höre ich zunehmend Klagen älterer

(also mit mir gleichaltriger)

Berufstätiger über ihre Berufsleben. Einig sind sich dabei die meisten im Hinblick auf die in fast allen Berufen zunehmende stramm phantasielose Reglementierung und Bürokratisierung

(es hat sich schonmal jemand totdokumentiert!).

Eine immer wieder genannte Begründung für den Berufsfrust sind auch Vorgesetzte, die fachlich brilliant sein mögen, aber menschlich schwerstbehindert sind

(es ist mir immer ein Rätsel, wie solche Leute in Führungspositionen kommen konnten:

nebenbei: ich habe immer Glück mit meinen Chefs gehabt).

Es gibt in meinem Bekanntenkreis auch zunehmend Leute, die lieber heute als morgen in Rente gehen würden

(und doch noch zehn lange Jahre arbeiten müssen)

und mich als Frühpensionierten beneiden

(als wenn es so schön wäre, durch eine Krankheit rausgekegelt zu werden und seiner Berufung nicht mehr nachgehen zu können).

Einer der Hauptgründe dieser meist in ihren Berufen durchaus engagierten Leute für die Sehnsucht nach der Rente ist der zunehmende Leistungsdruck

(egal, ob er

nebenbei: bekanntermaßen ist die sogenannte "freie Wirtschaft" alles andere als frei: die Freunde, die dort arbeiten, erlebe ich fast durch die Bank als Gehetzte in permanenter "Existenz"-Angst

[von der Beamte oftmals keinen blassen Schimmer haben]:

immer in der Panik, als Angestellte gefeuert zu werden oder als Selbstständige nicht genug Aufträge einzufahren).

Man kann's auch mal so sehen: wer etwas auf sich hält, pflegt heutzutage seinen permanentem "burnout" - und versucht nur noch verzweifelt zu funktionieren.

Aber den meisten ist gleichzeitig bedrückend klar, dass sie nicht die geringste Chance haben, dem als unerträglich empfundenen beruflichen Druck vorzeitig zu entkommen

("hier kommt keiner lebend raus"; "wer nimmt einen denn noch mit 55 Jahren - und insbesondere, wenn man nur »Lehrer« kann?").

Jede Wette, dass es

(und zwar in allen Berufssparten)

Hundertausende gibt, die in ihren Berufen totunglücklich sind - und doch nicht rauskönnen.

(Und das sind keineswegs nur jene Langeweiler, die schon immer in ihren Berufen unglücklich waren - und es in jedem Beruf geworden wären.)

Dabei bewundere ich jeden, der es auch in fortgeschrittenem Alter noch wagt, aus einem als unerträglich empfundenen Beruf auszusteigen - und was Neues zu wagen. Allemal klar ist dabei aber, dass damit ein erhebliches finanzielles Risiko bis hin zur vorprogrammierten Altersarmut verbunden ist.


Für besonders gefährlich halte ich eine Frust-Haltung im Lehrerberuf, denn da werden Frustrierte immerhin auf junge Menschen

(also - wie man so schön entlarvend sagt - unser "Zukunftskapital")

losgelassen: ein Lehrer, bei dem das fachliche "Feuer" nicht mehr brennt und der nichts mehr mit jungen Menschen anfangen kann

("die Jugend von heute wird immer dümmer und bösartiger"),

sollte eigentlich schleunigst aus dem Dienst an vorerster pädagogischer Front entfernt werden.

(Nur wohin?)

Insbesondere gefährlich im Lehrerberuf finde ich

(dann ist Schule schnell nur noch langweilig, denn da wird ja

[kreuzbrav an schnarchlangweiligen Schulbüchern entlang]

tatsächlich fast immer dasselbe durchgenommen; wobei man es doch auf neue und hoffentlich bessere Art "beibringen" könnte).

Und einfach schade bis geradezu skandalös finde ich es, wenn Lehrer durch das zunehmende starre Reglement kaputt gemacht werden.

Konkret im Hinblick auf mich: ich bin während all meiner Berufsjahre immer gerne in Schulklassen gegangen und habe gerne unterrichtet

(mich hat beispielsweise fast weniger die Mathematik selbst als ihre Vermittlung interessiert),

aber die zunehmende rabiate Reglementierung der Schulen war mir am Ende (vor meiner Pensionierung) geradezu körperlich zuwider: es ging so unendlich viel Zeit für Schwachsinn drauf, pars pro toto für die "Qualitätsanalyse"

(vgl. ).

Manchmal kommt es mir so vor, dass junge Kollegen das alles erstickende zunehmende Reglement nicht so stört: sie haben ja (nach PISA) nie Freiheiten erlebt.


Man nennt das Ganze wohl schlicht und einfach (verspätete) "midlife crisis":


Nun leiden natürlich nicht alle meine Altersgenossen an einer beruflichen "midlife crisis", sondern viele gehen ihrem Beruf nach wie vor gerne, wenn nicht sogar begeistert nach

(wobei jeder Beruf natürlich spezifische unangenehme, aber nunmal auch unumgängliche Nachteile hat: z.B. dokumentieren sich Ärzte um Kopf und Kragen und korrgieren sich einige Lehrer tot oder sitzen sie sich den Arsch auf unerträglichen, weil unpädagogischen Konferenzen platt

[was einen immer mehr von den wirklich wichtigen beruflichen Tätigkeiten abhält].)

Und die berufliche "midlife crisis" ist keineswegs immer so unerträglich, wie es mein bisheriger Text zu suggerieren scheint, sondern kann durchaus

(zumindest theoretisch)

 produktiv sein:

(weil sie immer dasselbe machen)

Langeweile

(die ich in meiner langen Zeit als Lehrer niemals empfunden habe!);

(wenn auch unklar)

danach, mal "was ganz Anderes" zu machen, also andere ihrer möglichen Berufswünsche umzusetzen

("das kann's doch nicht gewesen sein").

Sie wollen ja durchaus gesellschaftlich produktiv bleiben und sich keineswegs durch eine Rente alimentieren lassen. Und sie haben aufgrund ihrer langen Berufserfahrung das Gefühl: "ich hätt der Welt noch so viel [anderes] zu sagen, aber das interessiert die Welt ja nicht"

(wobei ich ja gegenüber allem Prophetischen skeptisch bin: bei vielem [diesem Text?] ist [wäre] es auch ganz gut, dass "die Welt" nicht auch noch mit ihm vollgepestet wird [würde];

das ist nicht neu: es ist ein Riesenfehler der "freien" Wirtschaft, wenn sie vor allem auf junge Arbeitnehmer setzt: sicherlich kann man den nur noch frustriert hinterherhinkenden Teil der älteren Belegschaft in der Pfeife rauchen, aber der Rest hätte einen enormen Erfahrungsschatz einzubringen;

und sowieso ist es ein Irrtum, dass junge Leute automatisch "progressiver" und ideenreicher sind).

Eine der anderen Möglichkeiten wäre

(inzwischen Irrealis?)

bei mir z.B. ein Astronomiestudium gewesen oder - noch besser - eine Tätigkeit als Populärwissenschaftler

(vgl. Hoimar von Ditfurth oder Rangar Yogeshwar),

allerdings nicht (nur) für Naturwissenschaften, sondern (auch) für Mathematik

(ich habe im Fernsehen noch nie populärwissenschaftliche Mathematik gesehen).

Vorstellen könnte ich mir auch den Job eines Museumspädagogen, der all die glitzernden "science centers" auf Vordermann bringt, in denen nur "geile" Effekte ausgestellt werden, aber nie ein spannender Zugang zu den Ursachen dieser Effekte versucht wird

(die also letztlich wirkungslos bleiben).


(, 7.6.2016)

Und wo eigentlich gibt es ein (wirklich gutes) Mathe-"Museum"?

Manchmal träume ich auch

(wohl völlig unrealistisch)

davon, dass deutsche Lehrer und "Institutionen" offen genug wären

(denn wen interessiert schon eine bessere Vermittlung von Mathematik?!),

zu würdigen, und ich darüber Vorträge, Fortbildungen oder workshops abhalten könnte.

So unklar es ist, ob und wie ich jetzt noch solche Berufe ausüben könnte, so bezeichnend ist es doch, dass ich im Grunde (Mathematik-)Lehrer bleibe, aber meine Erfahrungen gerne mal anderweitig einbringen würde.


PS: von wegen "Nur wohin?" mit den ausrangierten Lehrern:

nachdem ich krankheitsbedingt keinen kompletten Schultag mehr durchhalten konnte und deshalb frühpensioniert worden bin, hätte ich mir gewünscht, meiner Schule anderweitig nützlich bleiben und meine langjährigen Erfahrungen weiterhin einbringen zu können.

Denkbar wären da für mich gewesen:

    1. "Kustos" des "Selbstlernzentrums"

(was meistens nur ein Euphemismus für die ehemalige, mit uralten Büchern bestückte Schulbücherei ist, in die zusätzlich ein paar Computer gestellt wurden, mittels derer die Schüler im Internet recherchieren und vor allem viel "surfen" können):

als solch ein Kustos wäre ich zuständig für

(Die Bibliothek würde nicht nur passiv [und vergeblich] auf "Kundschaft" warten, sondern aggressiv in die Klassen gehen);

    1. eine ,
    1. wechselnde Mini-Ausstellungen zur Mathematik in der Pausenhalle.

Ich ahne aber, warum "meine" Schulleitung daran kein Interesse haben konnte:

(die Kultusbehörden sterben ja vor Angst vor juristischen Scharmützeln),

(aber nicht [wie ich] offiziell pensionierte)

Kollegen sowas gewollt

(dieses Präzedenz-Denken macht an Schulen viel kaputt: so habe ich mal beantragt, dass ich probeweise ein Schuljahr lang nicht zu den Schülern in die Klassen gehen, sondern sie zu mir in einen bestens eingerichteten eigenen Mathe-Raum kommen würden: abgelehnt wegen akuter Präzedenzgefahr);

Und noch weiter zu "Nur wohin?":

man könnte natürlich antworten: "ins Nichts!", d.h. "in die Arbeitslosigkeit feuern, denn schließlich wird das in der »freien« Wirtschaft auch so gemacht".

Das hört sich für mich aber doch sehr nach einer Mischung aus Neid und Missgunst an: "warum sollen Lehrer es besser haben?", d.h. "wenn ich Fieber habe, sollen die anderen auch Cholera haben".

(Ähnlich steht es, wenn Leute fordern, dass "natürlich auch Lehrer" sich einer Kontrolle unterziehen lassen müssten, wie sie auch in jedem anderen Beruf stattfindet.

Das Problem dabei ist, dass es so wenig "harte", "belastbare" Kriterien für die Bewertung des Lehrerberufs gibt und dass die wenigen tatsächlich vorhandenen harten Kriterien [z.B. Lehrplanbezug] allzu leicht nur die Phantasielosen fördern.

Insbesondere aber sind diejenigen [Kultusbürokraten], die Lehrer [beispielsweise in einer "Qualitätsanalyse"] bewerten, meistens völlig ungeeignet und auch unqualifiziert für eine Kontrolle.)

Dem einfachen Feuern alterslahmer Lehrer steht nicht nur ihr Beamtenstatus entgegen

(den ich sofort abschaffen würde, weil er geistlose Langeweiler fördert).

Sondern es gibt auch eine "Fürsorgepflicht": man feuert nicht einfach langgediente Angestellte, nur weil sie Fehler machen oder nicht mehr so leistungsfähig sind, sondern man versucht erstmal, mit ihnen neue berufliche Perspektiven zu finden.