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Ich hab's gar nicht nötig, mich gegen allzu verlässlich kommende Einwände ("Schwarzmalerei", "Killerargumente") abzusichern, indem ich mich vorweg totdifferenziere. Oder pathetischer gesagt: ich habe den Mut, auch mal zuzuspitzen.

Dennoch: ich werde werde den Teufel tun, den enormen Einsatz vieler LehrerInnen beim Thema "individuelle fördernung" sowie tatsächlich funktionierende Anstrengungen einiger Schulen in dieser Richtung in Frage zu stellen.

Zudem gibt es allemal LehrerInnen, die "individuelle fördernung" schon seit Ewigkeiten betreiben, also nicht erst, seit "individuelle fördernung" Modewort und befördernungsfördernlich ist.

(Aber wie vor allem der Begriff "Professionalisierung der Lehrer" deutlich macht, wird ja andauernd unterstellt, die LehrerInnen seien [alle] bislang "unprofessionell" gewesen.)


Wie sage ich's meinem "Kinde"?:

  1. dies und das war schlecht, aber ...
  2. dies und das war gut         , aber ...

Wie man's macht, macht man's verkehrt:

"fördern & fordern" bzw. "Zucker & Peitsche" werden immer in genau dieser und nie in umgekehrter Reihenfolge genannt, entsprechen also dem zweiten Schema.

Und funktionieren beide nicht tatsächlich nach dem Motto

"... und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt"?

Wäre also die umgekehrte Reihenfolge "fordern & fördern" bzw. "Peitsche & Zucker" nicht ehrlicher?

Und um die Peitsche auch lautmalerisch hervorzuheben, habe ich eben "pfoerdern & pfordern" geschrieben.


Nebenbei: denjenigen, der die hübsch hinterhältige, alliterierend-reimend-kalauernde Wortkombination "fördern & fordern" erfunden hat, sollte man wegen solch stilistischen Könnens umgehend mit dem Büchnerpreis auszeichnen.


"fördern & fordern" ist derzeit eine Standardfloskel aller Politik und zeigt sich insbesondere bei "Hartz IV", also einer Sozialgesetzgebung, die immer mit eben der Floskel "fördern & fordern" verkauft wird.

Dabei heißt "fördern", dass man den Menschen so wenig Geld gibt, dass sie davon kaum überleben können: Bild "1,5 Liter Bier ergibt den Tagessatz von Hartz IV".

(Einige haben erst im Sommer 2007 mit [gespieltem?] Schrecken bemerkt, wie schier unglaublich wenig Geld so ein Hartz-IV-Empfänger bekommt, obwohl es doch seit Ewigkeiten bekannt ist:  Bild ),

Und "fordern" heißt, dass ein Arbeitsloser jede Arbeit annehmen muss, wobei viele Politiker wohl keinen blassen Schimmer haben, was "jede Arbeit" konkret bedeutet, und wohl auch (wissentlich?) übersehen, dass einige Menschen gar nicht arbeiten können und sowieso ja gar nicht genug Arbeit vorhanden ist: "du hast keine Chance, aber nutze sie."


Irgendwann, ganz am Ende und kurz vor dem Aussterben, sickern die Floskeln bzw. Totschläger dann verlässlich auch in die Schulen - oder genauer: die Schulverwaltung - durch.

Inzwischen gibt es also in der Schulpolitik zwei Säulen:

1. zentrale Prüfungen, Bildungsstandards, Kernlehrpläne ...

2. eben "individuelle fördernung".

Dabei ist "fördern & fordern" wohl gerade das Bindeglied zwischen 1. und 2.


Nur zwei Impressionen, was "individuelle fördernung" oftmals in freier Wildbahn bedeutet:

  1. eine Fortbildung zu diesem Thema, zu der eine ansonsten sehr besonnene Lehrerin nur sagte: "außer Floskeln nichts gewesen" und "das konnte man nur noch verbessern";
  2. wird an einer Schule inzwischen Mathematik-"fördernunterricht" für die "problematischen" SchülerInnen der 7. und 8. Klassen abgehalten, und der Schulleiter macht auch mächtig Reklame mit diesem fördernunterricht. Der Witz dabei ist, dass in diesem fördernunterricht sage und schreibe 40 (in Buchstaben v-i-e-r-z-i-g) SchülerInnen sitzen, und abgehalten werden kann er nur im einzigen Klassenraum der Schule, der groß genug dafür ist.

Bei allen Bemühungen verantwortlicher LehrerInnen, auch im "normalen" Unterricht individuell zu fördern, bleibt doch festzuhalten, dass im "normalen" Unterricht üblicherweise 30 SchülerInnen vor einem sitzen und man derart an einem einzigen Vormittag bis zu 180 SchülerInnen sieht.

So viel zum Thema "Individualität".


Ich werde zudem - wie schon oben angedeutet - den Verdacht nicht los, dass "fördern" bzw. "individuelle fördernung" nur Feigenblätter bzw. Mogelpackungen sind: letztlich zählen an (vielen) Schulen derzeit nur

1. zentrale Prüfungen, Bildungsstandards, Kernlehrpläne ...

Und 1. und 2. sind eben nicht problemlos unter einen Hut zu bringen, sondern widersprechen sich (zumindest teilweise):

in sämtlichen zentralen Prüfungen sind individuelle Leistungen überhaupt nicht mehr (positiv/negativ) bewertbar - und auch gar nicht gewollt?


Ich habe ja gar nichts gegen viele "neue" Ansätze, aber mich stört gewaltig, wie lautstark sie rausposaunt und in welche Hochglanzbroschören sie gepresst werden, ohne dass "man" sich im mindesten die komplexe schulische Wirklichkeit anschaut.

für mich ist es nicht der mindeste Widerspruch, Visionen zu haben UND Hindernisse zu berücksichtigen. Denn Visionen können überhaupt nur dann teilweise Wirklichkeit werden, wenn man die Hindernisse nicht leugnet, sondern ernst nimmt.

(Vgl. Blochs "konkrete Utopie"; und das Haupt-Hindernis ist sicherlich nicht die angebliche Trägheit oder Faulheit "meiner" LehrerInnen [wie es ein Kultusminister anbiedernd-herablassend ausdrückte].)

Genauso stinken mir aber all jene längst resignierten Realisten

(wobei ich dennoch für jedes Burn-Out-Syndrom Verständnis habe),

die pauschal blockieren und sagen: "Das [Verbesserungen] geht ja sowieso alles nicht." Oder jene Hardcore-nur-FachlehrerInnen, die alle "neuen" Ansätze als "Kuschelpädagogik" denunzieren.