das "Selbstlernzentrum"
oder
macht euren Scheiß doch alleine
Ich habe lange genug in
“Selbstlern”-Projekten mitgearbeitet, um zu wissen, dass
(allemal erstrebenswertes)
“Selbstlernen” oftmals nur ein Euphemismus für “Alleine lernen” ist und dann bedeutet:
“macht euren Scheiß doch alleine”:
den SchülerInneN wird fertiges
(mehr oder minder gutes)
Material vorgesetzt, das sie dann “selbstständig”
(allein oder in Gruppen)
durchzuackern haben
(... wobei in den seltensten Fällen dazu angeleitet wird, wie gegebenes Material selbstständig aufarbeitet wird: man setzt einfach das voraus, was überhaupt erst zu vermitteln wäre).
Der Lehrer
sucht also das Material nur noch zusammen
bzw. erstellt es,
arbeitet es hoffentlich auch noch didaktisch auf
(indem er beispielsweise “Hilfesysteme” einarbeitet),
zieht sich dann aber aus seinem bisherigen “Kerngeschäft”, dem Unterricht, völlig zurück
(... und macht sich mit all dem auf die Dauer selbst überflüsig, denn Material- und Hilfeerstellung können auch zentral geschehen).
Ich bezweifle ja gar nicht, dass das ab und zu durchaus sinnvoll ist, nämlich z.B., um
zumindest teilweise aus der kompletten Lehrerzentrierung des weitgehend noch üblichen Frontalunterrichts auszubrechen,
auf die Eigenverantwortung an der Universität (bzw. im "richtigen Leben"?) vorzubereiten, wo nicht mehr permanent ein Lehrer zur Verfügung steht, der einem alles vorkaut, gegebenenfalls hilft — und zur Arbeit anhält.
Ein extremes Beispiel: im Oberstufen-Mathematikunterricht an einem Gymnasium wurde ein obligatorisches Teilgebiet komplett aus dem eigentlichen Unterricht heraus geschnitten und ins “Selbstlernzentrum” (!) verlagert, wo die SchülerInnen es in Freistunden oder nachmittags von einer CD am Computer lernen mussten. Das derart selbst Erarbeitete
(und eventuell Un- oder falsch Verstandene)
war aber am Ende in einer Klausur vollgültiger Prüfungsstoff.
Man nennt sowas wohl “E-Learning”.
Oh, all diese Schönen Neuen Euphemismen:
(bei der beide etwas tun müssen), sondern immer eine Vorschrift des Vorgesetzten für den "Nachgesetzten";
(Erst jetzt fällt es mir auf: mit Euphemismen verbessert man die Welt nur sprachlich [Fassadenkosmetik], nicht tatsächlich; mehr noch: man sorgt mit ihnen dafür, dass sie nicht auch tatsächlich verbessert wird.) |
Ich will nicht pauschal “bösen” Willen unterstellen, wenn jemand eine “Mediothek” aufbaut und sie hochtrabend “Selbstlernzentrum” nennt
(oder gar seine uralte Bibliothek mit dreieinhalb Computern aufmotzt und dann einfach in “Selbstlernzentrum” umtauft).
“Selbstlernzentrum” hört sich immer gut an:
“Selbstlern” suggeriert Freiheit und “moderne [konstruktivistische!] Methoden”,
“Zentrum” erhebt die Bruchbude sogar zum Zentrum der ganzen Schule.
Da adelt der Name das Gemeinte, und man muss sich gar nicht mehr um ein
(wie auch immer geartetes)
Konzept fürs “Selbstlernzentrum”
(welche Medien sind denn [nicht] fürs “Selbstlernen” geeignet; und wie wird denn zum “Selbstlernen” angeleitet?)
kümmern.
Vor allem aber spart man sich mit einem “Selbstlernzentrum” schlau-unmerklich das Geld für “human resources”, sprich: einen qualifizierten Bibliothekar, der
(natürlich in Absprache mit den LehrerInneN) Medien einstellt,
die SchülerInneN bei der Recherche anleitet,
ihnen Lektüretipps gibt
(ohne die die SchülerInnen nur auf den bereitstehenden Computern rumdaddeln),
überhaupt durch geeignete Medien
(verdammt nochmal: Bücher!)
und ihre Präsentation Reklame fürs Lesen macht,
regelmäßige "Ereignisse" im "Selbstlernzentrum" organisiert
(Dichterlesungen, Rezitationswettbewerbe, "Buch oder Thema des /Monats", Ausstellungen, "lange Filmnacht", "Märchennacht" ...) ,
aufgrund seiner 40–Stunden-Woche eine permanente Öffnung/Zugänglichkeit des “Selbstlernzentrums” in Pausen, Freistunden und nachmittags ermöglicht.
Dabei könnte ein “SelbstlernZENTRUM” doch tatsächlich zum Zentrum der gesamten Schule werden, wenn
es tatsächlich räumlich im Zentrum der Schule läge, also alle Wege zu ihm hin führten bzw. man an ihm gar nicht unbehelligt vorbei käme
(zur Struktur einer Mediothek siehe auch ),
es jederzeit (auch und gerade in den Pausen) geöffnet und für alle SchülerInnen zugänglich wäre,
(noch vor jeder Arbeit an Medien) gemütlicher Treffpunkt, aber auch Rückzugsraum wäre, an dem nebenbei (z.B. durch geschickt platzierte Neuerscheinungen) zum Lesen verführt würde,
der Unterricht in allen Fächern auf es hinarbeiten würde
umgekehrt das “Selbstlernzentrum” immer mal wieder in alle Fächer ausstrahlen würde
,
indem der Bibliothek ab und zu Gast in diesen Fächern wäre und auf zum gerade anstehenden Unterrichsinhalt passende Medien hinwiese oder einfach Recherchehinweise gäbe.
Und beides zusammen ergäbe das pulsierende “Herz” der Schule:
Wenn man so stockkonservativ ist, nicht nur “Selbstlernen”, sondern auch “Selbstlesen” initiieren zu wollen, muss ein “Selbstlernzentrum” auch Ausleih- statt nur Präsenzbibliothek sein, denn einen dicken Schmöker liest man natürlich nicht in einer Bibliothek, sondern im gemütlichen heimischen Ohrensessel oder im wohlig warmen Bett.
Für jeden Euro, der in “Neue Medien” gesteckt wird, ist zwangsweise auch ein Euro in “Alte Medien”
(Bücher; von mir aus auch elektronische)
zu investieren!