war ich auch "so"?
Mit zunehmendem (Dienst-)Alter bemerkt man als Lehrer naturgemäß auch eine zunehmende Distanz zu den SchülerInneN
im Referendariat (also als 25-27jähriger) war ich altersmäßig erheblich näher an den SchülerInneN als an den meisten KollegInnEn
(was zu einigen auch meinerseits Missverständnissen geführt hat),
derzeit (mit 46 Jahren) bin ich wohl etwa im "Mittelfeld" der KollegInnEn,
und irgendwann werde ich vermutlich einer der ältesten Kollegen sein - und Welten entfernt von den SchülerInneN!?
Die altersmäßige Distanz zu den SchülerInneN ist banalerweise wechselseitig, d.h.
sie entfernen sich von mir
und ich mich von ihnen,
wobei mich hier wegen meiner subjektiven Perspektive nur a. interessiert, nicht aber b.
(... dass ich vermutlich in ihren Augen zunehmend bzw. längst ein "alter Sack"
[älter sogar als ihre Eltern; und das soll was heißen!]
bin, wie ich ja sowieso manchmal das Gefühl habe, dass ein "uralter" Lehrer in ihren Augen sowieso keine Chance mehr hat.)
Scheinbar banal ist es auch, dass
nur LehrerInnen altern,
während SchülerInnen nicht mit-altern, sondern immer gleich alt bleiben
(man hat z.B. an einem Gymnasium immer 10-19jährige "vor sich sitzen", und man bemerkt nur eine Veränderung in diesem Zeitrahmen, dass also
[spannend genug, ja geradezu "das Salz des Lehrerberufs"!]
5.-KlässlerInnen zu 13.-KlässlerInneN mutieren).
Unter der notgedrungenen Prämisse a., also "sie [die SchülerInnen] entfernen sich von mir", neigt man wohl dazu,
den eigenen Standpunkt als unverändert-fest ("prinzipientreu") anzusehen,
während einem die Positionen der SchülerInnen als fließend ("flatterhaft" ...) erscheinen.
Da können nicht schaden einige
"Prämissen für alternde LehrerInnen"
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Ein befreundeter Lehrer, der sonst eher dazu neigt, das von seiner Frau (!) gekochte Essen in den höchsten Tönen zu loben, sagt ganz selten, wenn ein Essen dann doch mal wirklich missglückt ist: "Na, das war aber höchstens befriedigend minus". |
Wenn ich mal wieder bei reihenweise Klassenarbeiten lese, die vor Fehlern strotzen und inhaltlich "nicht Fleisch, nicht Fisch", also - freundlich gesagt - "befriedigend minus" sind, ermahne ich mich immer selbst:
Es gibt (insbesondere für Jugendliche) Wichtigeres im Leben als meine Fächer
(und überhaupt Schule?),
- Meine Lehrer werden seinerzeit beim Lesen meiner Klassenarbeiten auch verzweifelt die Hände über ihren Köpfen zusammengeschlagen haben.
Ich war doch damals auch "so" (wie heutige SchülerInnen)!
(... wobei es immer schon SchülerInnen gab und auch heute noch gibt, die mir
[wie ich damals war bzw. mich in Erinnerung habe]
meilenweit voraus waren bzw. sind.
überhaupt bekommt man als LehrerIn im "normalen" Unterricht interessante Entwicklungsschritte und sogar fachnahe Fähigkeiten vieler SchülerInnen gar nicht mit.
... und dann gibt es noch[ich weiß: gefährlich pauschal gesagt]
die ewigen Discomäuschen und Saufbolde unter den SchülerInneN, bei denen - zumindest bis zum Abitur - keinerlei Entwicklung festzustellen ist: sie haben nicht den mindesten Draht zu irgendwas "Geistigem", und der einzige Grund, weshalb sie noch auf der Schule sind, ist, dass Pappi und Mammi sie viele Jahre vorher angemeldet haben und sie die Schule als Parkplatz betrachten.)
Wenn (andere) LehrerInnen mal wieder über die zunehmende Blödheit "der Jugend von heute" klagen, werfe ich gerne ein:
Erinnert euch nur mal ehrlich zurück: Wart ihr wirklich besser?
Vielleicht wart ihr ja tatsächlich "besser" im Sinne von "schulkompatibel" - und seid genau deshalb LehrerInnen geworden!
(Ihr passtet von Anfang an und bis heute bestens in ein System, das ein intelligenter Mensch keine drei Tage aushält.)
Denkt mal an die restlichen 90 % eurer damaligen KlassenkameradInnEn, die auch nicht im mindesten an Schulischem interessiert waren, sondern höchstens unter "Druck" gelernt haben
(... was kein Plädoyer für "Druck" ist!).
Eure Lehrer werden seinerzeit beim Lesen eurer Klassenarbeiten auch verzweifelt die Hände über ihren Köpfen zusammengeschlagen haben.
Seid also bittschön ganz leise! ("Glashaus ... Steine")
Alles Folgende ist keine Angeberei, sondern beruht auf einer enormen Irritation, die mich letztens kalt erwischt hat. |
Ein Freund und ehemaliger Klassenkamerad hat unter seinen alten Papieren ein Protokoll einer Erdkundestunde gefunden, das ich (!) 1975, also als gerade 17jähriger, angefertigt habe
(... und was haben wir damals blödsinnig stapelweise Protokolle schreiben müssen, die kein Schwein interessierten!):
Als ich dieses mein Protokoll
(an das ich mich natürlich nicht mehr erinnern konnte)
nach so vielen Jahren erstmals wieder in den Händen hielt, ward mir doch recht warm ums Herz und nostalgisch zumute, und zwar
nicht wegen meiner eigenen Schulzeit oder gar ehemaligen Schule, dem (damals noch) altehrwürdigen staatlichen (!) Gymnasium
(der angeblich ältesten Schule Deutschlands und damals dementsprechend eingebildet-reaktionär;
da neige ich nicht im mindesten zu irgendwelcher nachträglichen Verklärung, und ich hatte nach meiner Schulzeit auch nie wieder das Bedürfnis, "diese unsere Anstalt" nochmals zu betreten oder gar - auf einem paramilitärischen sogenannten "Farbenfest" - die Leiche längst verflossener Klassenkameradschaften zu reanimieren;
stolz bin ich aber allemal auf die 1 1/2 Klassenkameradschaften, die echte Freundschaften geblieben bzw. überhaupt erst geworden sind),
sondern
, weil das Papier (und damit meine Jugend!?) schon so herrlich vergilbt war
(oben nicht gerade farbecht wiedergegeben;
nebenbei: es scheint einem immer, dass die Gegenstände schneller altern als man selbst),
, weil das Protokoll offensichtlich von einer
(damals Speerspitze des Fortschritts!)
"Matrize" abgezogen war und in mir da doch sofort der betörende (:-) Geruch solcher Matrizen aufstieg, von dem man geradezu high werden konnte.
Der damalige Erdkundelehrer, Herr "Doktor" ..........
(de mortuis nil nisi bene),
war nach Erinnerung meines Klassenkameraden
(der das Protokoll wiedergefunden hat)
zwar ein typischer, also erz"konservativer" Lehrer
(vgl. "Wir stellten fest, daß der Film nicht sehr objektiv war, weil fast nur die Meinung der Farbigen gezeigt wurde. Die Portugiesen, die dem ganzen Land [...] immerhin sehr geholfen hatten, wurden schlecht gemacht."),
aber eben letztlich doch nur eine Pfeife
(was man ja auch daran merkt, wie er problemlos von Angola [1. Seite] auf eins seiner Lieblingsthemen [2. Seite], nämlich die "Bielefelder Scharte" [:-)], kam: ein assoziatives Denken, das ich allerdings auch mir selbst in meinem heutigen Unterricht zutraue).
Solch eine Pfeife zu verulken (s.u.), ist natürlich sehr einfach, wenn nicht sogar billig - und hat wahrhaft nichts Heldenhaftes an sich.
Meiner Erinnerung nach war dieser Lehrer aber doch gerade in seiner völligen Spleenigkeit
(das muss man dem damaligen lassen: da gab's noch reihenweise echte Originale aus dem tiefsten 19. Jahrhundert)
auch gefährlich.
"Ich ist ein anderer"
(Arthur Rimbaud)
Ich weiß nicht, ob anderen auch das Gefühl bekannt ist, dass einem
(ich kann's nur so um die Ecke sagen)
das eigene ehemalige Ich bzw.
der Mensch, der man mal war,
fremd vorkommt. Ich empfinde also kaum eine Einheit bzw. Kontinuität mit dem 17jährigen, der ich mal war, sondern er kommt mir eher vor wie ein Sohn, zu dem ich zwar eine gewisse Distanz habe, den ich aber sehr mag, ja, für den ich im Nachhinein gerne (quer durch die Zeiten) ein guter Vater oder gar ein Schutzengel wäre, der ihm dringend nötigen Mut und Geborgenheit zuspräche.
Denn mich selbst mit gerade mal 17 Jahren habe ich doch folgendermaßen in Erinnerung:
nach einer Mittelstufenzeit, in der ich zwar schlau genug war, nie sitzen zu bleiben, in der mich aber nicht im mindesten interessierte, was "da vorne an der Tafel" lief, wachte ich 1975 gerade erst auf und entwickelte ein ansatzweises Interesse an einigen Schulfächer
(auch und gerade an Erdkunde, wenn auch sicherlich nicht bei Herrn "Doktor" .......... , sondern bei einem unvergesslichen Lehrer, der uns - meiner Erinnerung nach mörderisch spannend und hautnah - "Deutschland von der Nordsee bis zum Mittelgebirge" gezeigt hat);
mein damaliges Ich erscheint mir aus heutiger Perspektive
(und vielleicht verzerrt diese doch ungemein und tut meinem damaligen Ich bitter unrecht)
als kleines, abgrundtief verunsichertes Jüngelchen
(und zwei Jahre später
, im Abitur, war's auch nicht besser; vgl. nochmals );
wenn ich in der Oberstufe
(aber doch noch nicht in der 11. Klasse, in der jene Erdkundestunde stattfand!?)
dann doch reihenweise gute Zensuren eingefahren habe, so lag das einerseits tatsächlich an erwachendem Interesse, andererseits und vor allem aber (deswegen?) daran, dass ich dann einen
(wie ich allerdings nach wie vor glaube: keineswegs streberhaften)
Bienenfleiß entwickelt habe.
Meiner Erinnerung nach hat also alle Entwicklung zu einem halbwegs erwachsenen (?) Menschen erst lange nach meiner Schulzeit stattgefunden.
Nebenbei: mir ist ja sogar die ungelenke Unterschrift unter dem Protokoll fremd.
In genau dieses nachträgliche Selbstbild ist dann aber mein 31 (!) Jahre später
wiedergefundenes Erdkundeprotokoll wie eine Bombe eingeschlagen - und hat mich vollends (bis jetzt) irritiert:
ist das Protokoll fast fehlerfrei
(man bedenke immerhin, dass man auf den damaligen "Matrizen" nicht - wie heute bei Textverarbeitungsprogrammen - verbessern konnte),
und das heißt insbesondere, dass mein ehemaliges Ich fast perfekt die Zeichensetzung auch in komplizierteren Sätzen (s. 2) beherrscht hat
(was "heutzutage" unter SchülerInnen die absolute Ausnahme ist).
hat mein ehemaliges Ich schon einen
(wiederum: "heutzutage" fast unbekannten)
komplexeren bis geradezu raffinierten Satzbau beherrscht:
"Wir stellten fest, daß der Film nicht sehr objektiv war, weil fast nur die Meinung der Farbigen gezeigt wurde. Die Portugiesen, die dem ganzen Land, wenn vielleicht auch nur aus eigenem Interesse, immerhin sehr geholfen hatten, wurden schlecht gemacht."
"Wir sagten, daß von allen für die Entwicklung relevanten Infrastrukturmaßnahmen dem Ausbau eines modernen Verkehrsnetzes wegen seiner besonderen Raumwirksamkeit vielleicht die größte Bedeutung zukommt."
sprüht aber das Protokoll schon vor
(mutiger oder doch eben nur billiger; vgl. oben)
Ironie
(wird da vielleicht sogar schon eine meiner heutigen, weniger angenehmen Eigenschaften deutlich?):
"Nachdem wir einen dem Kursleiter [!] [besser: des Kursleiters] würdigen Stuhl beschafft und die Abwesenheit des Kollegen [!] Wermter zur Kenntnis genommen hatten, gingen wir zum Thema über."
"Da in diesem Film kaum aktuelle Informationen über die Lage in Angola gegeben wurden, hielt der Kursleiter es für notwendig, dieses umgehend nachzuholen [...]"
(Ich kann mich sogar noch an ein anderes Protokoll erinnern, das vollständig zitiert etwa lautete: "Weil das Protokoll der letzten Stunde noch nicht vorlag, wiederholte der Kursleiter diese einfach komplett.")
überhaupt die permanente Verwendung des "wir" & Indikativ, woraus doch überdeutlich rauszuhören ist, dass allein der Kursleiter "verlautbarte". Denn gerade bei diesem Erdkundelehrer galt doch:
"Wenn alles schläft und einer spricht,
so nennt man dieses Unterricht."(Bei einem anderen [Latein-]Lehrer durfte man sich sowieso niemals "melden", sondern wurde man jahrelang nur aus heiterem Himmel "dran genommen" - und hatte dann zackig aufzuspringen: "Hände an die Hosennaht", wobei die Hose unter keinen Umständen eine - Gott bewahre! - Jeans sein durfte: "Da hat doch schon Angela Davis drin gefurzt, und die hat drei üble Eigenschaften: 1. Kommunistin, 2. Neger, 3. und am schlimmsten: Frau.")
"Dann entließ der Kursleiter uns in die wohlverdiente Pause."
Ich kann mir nicht helfen:
auf massiv irritierende Weise und völlig unerwartet tritt mir in diesem Protokoll ein blitzgescheites Bürschchen entgegen, das
auch heute noch
einer der besten Schüler in einem meiner heutigen Oberstufenkurse wäre.
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Aber genau so
(nämlich "heute sogar mehr denn je")
möchte ich gerade nicht über heutige SchülerInnen sprechen, sondern die Prämisse hat (nochmals) zu sein:
"Wo, wenn überhaupt, sind sie anders, wenn nicht sogar besser?"