man weiß zu wenig (Positives!) über SchülerInnen
"Man" bedeutet natürlich: LehrerInnen.
Es hat überhaupt nichts mit Eigenlob zu tun, wenn ich sage, dass hier
(wie auf anderen meiner Internetseiten)
etwas offen besprochen wird, "worüber man sonst nicht offen redet": z.B., dass
LehrerInnen nur sehr (erschreckend) wenig über SchülerInnen wissen
(nämlich kaum mehr als den Notenstand),
der Notenstand aber eben doch auch vom sonstigen (Nicht-)Wissen über die SchülerInnen abhängig ist
(wenn - welch ein Aberwitz! - LehrerInnen 7 x 30 = 210 SchülerInnen zu unterrichten haben, ist ein direkter Kontakt zu allen EinzelSchülerInnen schlichtweg unmöglich, sondern müssen die LehrerInnen - wie auch immer - anderweitig auf EinzelSchülerInnen aufmerksam werden, und deshalb gehen die Stillen oftmals auch still und leise unter),
auch an "guten" Schulen der Informationsfluss oftmals - gelinde gesagt - schwierig ist.
Das Thema ist durchaus zwiespältig: es gibt auch Privates (Familienverhältnisse, Gefühlswelten) bei SchülerInnen, das die Lehrerschaft einen feuchten Kehricht angeht.
Dennoch sollten LehrerInnen wohl extrem Negatives, also z.B. Todesfälle in der Familie, mitbekommen.
In einem Fall ist mir mal das Thema einer Klassenarbeit fatal missraten, weil ich leider nicht wusste, dass in der Familie eines Schülers kurz vorher ein besonders grauenhafter Todesfall vorgefallen war.
Aber mir geht's hier ja gar nicht um das Negative, sondern im Gegenteil um das Positive bzw. überhaupt (persönliche, außerschulische) Eigenarten:
In einem meiner Deutsch-Leistungskurse saß einmal ein eher "stilles Mäuschen" mit mittelprächtigen Zensuren, das mir später während des Abiturballs, aufgrund der neuen, zensurfreien Situation "zutraulicher" geworden, erzählte, dass es ganz für sich allein die halbe klassisch-moderne Literatur (Hesse, Frisch, Brecht ...) gelesen hätte.
Ach, wenn ich doch früher gewusst hätte, auf was ich da im Unterricht hätte aufbauen und wie ich dieses Mädchen derart besser in den Unterricht hätte einbinden können!
Auf einem Kurstreffen erzählte mir ein Mädchen, das ich bis dahin kaum wahrgenommen hatte bzw. über das ich nichts Näheres hätte sagen können, dass es sehr gerne (und - wie die Freundin hinzufügte - exzellent) Orgel spiele.
Da dachte ich doch prompt: hochinteressant, auf das Mädchen muss ich mehr achten, da ist doch auch schulisch mehr zu erwarten bzw. "herauszukitzeln".
Wenn man erfährt, dass ein Schüler in einer Sportart überragend ist, achtet man doch gleich mehr auf ihn.
Auf Abibällen, wenn die holde Weiblichkeit in feinsten Roben und frisch frisiert und geschminkt erscheint, fällt mir oftmals überhaupt erst auf, was für Schönheiten ich jahrelang vor mir sitzen hatte, wie erwachsen sie aber auch längst sind.
Mein damaliger Englischlehrer kam trotz aller Abneigung gegen "niveaulose" (Jugend-)Popmusik mit dem Ohrwurm "Nights on broadway" von den Bee Gees im Kopf in die Klasse. Weil aber auf die Schnelle nicht mal er als (wirklich exzellenter) Anglist den Text ganz verstanden hatte, fragte er, ob ein Schüler diesen kenne. Und dann meldete sich ein sonst eher "schlechter" Schüler und ratterte vollständig den Text des Liedes herunter. Der Englischlehrer was bass erstaunt und sich nicht zu schade, umgehend eine gute mündliche Zensur für den Schüler zu notieren. Mehr noch: ab da hatte er auch ein "positives" Auge für diesen Schüler.
Dabei kann das Wissen um Eigenarten natürlich auch ein Rohrkrepierer sein. Ich hatte beispielsweise mal im Referendariat die Schönheitskönigin von Niedersachsen vor mir sitzen, und da könnte ich mir
(wie bei Sportlern oder z.B. punkig angezogenen Leuten)
durchaus vorstellen, dass einige LehrerInnen klischeemäßig (und aus Neid?) denken würden:
"Außen schön (athletisch, überhaupt auffällig), also (???) innen hohl."
Weil LehrerInnen ja in der Tat viel Gegenwind von SchülerInneN bekommen
("wozu eigentlich braucht man Mathematik?", was ja eine rhetorische Frage mit der Antwort "zu nichts!" ist;
"Goethe ist doch total veraltet und versteht doch kein Schwein"),
neigen sie zu permanenten Entschuldigungen und Rechtfertigungen
(gibt es - pars pro toto - etwas Lächerlicheres, als das Fach Latein begründen zu wollen?!).
Wenn man nun bedenkt, dass die o.g. Abiturientin, die die halbe "klassische Moderne" gelesen hatte, vermutlich kein Einzelfall war und ist, so zeigt sich, dass solche Rechtfertigungsversuche meist doppelt ins Leere laufen:
diejenigen, die den Sinn von Schultfächern/-themen grundsätzlich anzweifeln, wird man mit meist an den Haaren herbei gezogenen Rechtfertigungen (in der Mathematik "Anwendungsaufgaben") eh nicht erreichen;
es gibt aber viele (leise) SchülerInnen, die längst vom Sinn oder der Schönheit eines Fachs überzeugt sind und die man da "nur" abholen und fördern müsste.
.)(Es ist wie im Kabarett: die Anwesenden fühlen sich eh nicht gemeint, und die Gemeinten kommen erst gar nicht
Nur ein konkretes Beispiel: in einem Deutsch-Leistungskurs dachte ich mal, die "total veraltete" bzw. äußerst künstliche Sprache Goethes in "Iphigenie auf Tauris" rechtfertigen und erklären zu müssen. Bei der wirklich offen gemeinten Aufgabe, diese Sprache mal in heutiges Deutsch zu übersetzen, wehrte sich aber die Mehrheit der SchülerInnen, weil sie
die alte Sprache sehr wohl reizvoll und schön fand
und ihr schien, dass jede Modernisierung sinnentstellend und platt wäre.