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Ich
entwickle
anscheinend seit Jahren immer mehr einen Vollständigkeitswahn bzgl. des
komplexen Biotops Schule. Dabei ist jeder Versuch der Vollständigkeit
aber natürlich a priori zum Scheitern verurteilt - und sorgen meine
vielfältigen Essays allemal dafür, dass meine Internetseiten immer
unübersichtlicher werden. |
„wie man‘s (zu Schülern)
sagt, sagt man‘s verkehrt“ suggeriert, dass ausnahmslos alles, was man
(als Lehrer) zu Schülern sagt, bei diesen falsch ankommt.
Das ist natürlich heillos
übertrieben, und ich behaupte glatt, dass das Allermeiste
von dem, was Lehrer zu
Schülern sagen, bei letzteren
(im
Guten wie im
Schlechten)
genauso ankommt, wie es
gemeint war.
Dennoch kann der Rest
so fatal wirken, dass er
im Folgenden allemal erwähnenswert ist.
„wie man‘s (zu Schülern)
sagt, sagt man‘s verkehrt“ bedeutet wohl auch, dass das,
-
was von Lehrern gut gemeint war
(„»gut«
ist das
Gegenteil von »gut gemeint«“),
-
bei Schülern manchmal
schlecht ankommt,
also Missverständnisse
vorliegen.
Im Folgenden geht es mir
also nicht um die Fälle, in denen etwas
-
von Lehrern schon böse
gemeint war
(ohne
jedes
Missverständnis)
Es geht mir hier also
nicht um diejenigen Lehrer, die manchmal oder gar
systematisch böse/bösartig sind
(der
langjährige
Lateinlehrer während meiner eigenen Schulzeit war z.B. Meister darin,
Schüler vor versammelter Klasse lächerlich zu machen und bodenlos zu
erniedrigen; ja, vielleicht ist Beschämung tatsächlich das
„nachhaltigste“ unter allen bösartigen Mitteln).
Und ich glaube sogar,
dass zumindest heutzutage die allermeisten Lehrer keineswegs bösartig
sind.
Vielleicht sind die Tage von
ja tatsächlich weitgehend vorbei
(was ja
nicht
ausschließt, dass es unter Lehrern nach wie vor „schwarze Schafe“ gibt,
die ihren Beruf als Freibrief für Tyrannei verstehen, also nie hätten
Lehrer werden dürfen).
Auch nicht unter „wie
man‘s (zu Schülern) sagt, sagt man‘s verkehrt“ subsummiere ich, dass
wohl jedem Lehrer mal die verbale „Hand“ ausrutscht, nämlich z.B., wenn
-
eine Klasse „über
Tische und Bänke“ geht oder einen einfach apathisch "unterm Arm
verrecken läßt",
-
oder ein Einzelschüler
einen
(aus
welchem Grund auch
immer)
(sowas
gibt‘s eben auch!):
„die verbale Hand
ausrutscht“ bedeutet nämlich, dass da
Worte
-
nicht bloß (bei
Schülern) böse ankommen,
-
sondern auch schon (von
Lehrern) böse gemeint waren.
Nun ist es mit dem
„Ausrutschen“ der
„verbalen Hand“ aber genauso wie mit dem Ausrutschen der „richtigen“ Hand,
also mit Schlägen:
beide sind vielleicht
situativ verständlich, aber dennoch nicht zu legitimieren
(„ein
leichter Klaps hat
noch keinem geschadet“, „Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn;
wer ihn aber liebt, der züchtigt ihn bald“ [aus dem Alten Testament
bzw. genauer Spr 13,24]):
im besten Fall
-
bittet der Täter da das
Opfer um Entschuldigung
-
und gewährt das Opfer
(weil es dem Täter die Reue abnimmt) diese aus freien Stücken
(mit einer
Entschuldigung
ist es wie mit Autorität: die kann man
-
sich nicht selbst nehmen [anmaßen],
-
sondern
nur einem
anderen gewähren [zusprechen]).
Ein Lehrer sollte „Manns
genug“ sein, für verbale „Ausrutscher“ vor genau dem Kreis (ggf. einer
ganzen Klasse) um Entschuldigung zu bitten (!), vor dem ihm der verbale
„Ausrutscher“ unterlaufen ist, und zwar spätestens am Tag danach, wenn
der Lehrer wieder denkfähig ist.
Nur kurz angedeutet sei
der umgekehrte Fall: dass das, was Schüler sagen, bei Lehrern falsch
ankommt.
Ich bin (war) nunmal
Lehrer und kann deshalb nur darüber mitreden, was Lehrer (ich)
tatsächlich gemeint habe(n), und aus eventuellen Schülerreaktionen
schließen, wie das bei ihnen angekommen ist. Ich kann mich aber
nur an ganz wenige Fälle erinnern, in denen ein Schüler mal mir
gegenüber klargestellt hat, wie er etwas gemeint hatte.
Dennoch sollte ein Lehrer
bereit und in der Lage sein, immer mal wieder zu überlegen, ob eine
(scheinbar) böse Schüleräußerung nicht vielleicht doch „ganz anders“
gemeint war - und Schüler gegebenenfalls auch darauf ansprechen.
Worum es mir bei „wie
man‘s (zu Schülern) sagt, sagt man‘s verkehrt“ geht, läßt sich
vielleicht am besten an Erlebnissen aus meinem eigenen Berufsjahren
klar machen.
Mein schockierendstes
Erlebnis:
-
ein Kollege kam auf
mich zu und erzählte Folgendes: in der kommenden Woche nehme er einer
Schülerin das mündliche Abitur im Fach Deutsch ab. Dabei sei ich von
der Schulleitung als Prüfungsvorsitzender vorgesehen. Nun habe die
Schülerin aber gerade eben zu ihm (dem Kollegen) gesagt, wenn ich
tatsächlich als Prüfungsvorsitzender auftauche, werde sie garantiert
gegen die Prüfung Widerspruch einlegen, denn ich hätte schon in der
Mittelstufe zu ihr (der Schülerin) gesagt, dass ich alles in meiner
Macht Stehende tun werde, um zu verhindern, dass sie das Abitur
schaffen würde.
Ich habe darauf sofort zu
dem Kollegen gesagt, ich werde „jetzt gleich“ zur Schulleitung gehen,
um nicht in der betreffenden Prüfungskommission eingesetzt zu werden,
und die Schulleitung hat mich dann auch sofort aus der
Prüfungskommission herausgenommen.
-
keineswegs (oder
zumindest nicht in erster Linie), mir den
drohenden Widerspruch zu ersparen
(ein
Widerspruchsverfahren kann über die Schulleitung, den Schulträger und
die Bezirksregierung bis hin zum Kultusministerium oder gar einem
Gericht gehen und ist mit enormem Arbeitsaufwand und Stress verbunden),
-
sondern (vor allem), der Schülerin ihre offensichtlich enorme
(wenn
auch - da war und
bin ich mir sicher - völlig unangebrachte)
Es ist natürlich (!)
schlicht undenkbar, dass ich zu der Schülerin jemals gesagt hatte,
„dass ich alles in meiner
Macht Stehende tun werde, um zu verhindern, dass sie das Abitur
schaffen würde“!
Vielmehr kann ich mich
bis heute sehr genau daran erinnern, was ich Jahre vorher als
Klassenlehrer auf einem Elternsprechtag zu ihr und ihrer Mutter gesagt
hatte:
weil die Schülerin in der
Mittelstufe in vielen Fächern sehr schlecht stand und sogar schonmal
eine Klasse wiederholt hatte, hatte ich ihr
(wie
anderen Schülern in
ähnlichen Fällen)
-
die Mittelstufe an
einer Realschule zu beenden,
-
dort endlich mal wieder
Erfolgserlebnisse zu haben
-
und dann zwecks Abitur
doch wieder an unsere Schule zurückzukehren
... was aber bei ihr
anscheinend so angekommen ist, dass ich sie
(mit in ihren Ohren
unglaubwürdigen Vertröstungen)
loswerden wollte. Wie
daraus aber
„dass ich alles in meiner
Macht Stehende tun werde, um zu verhindern, dass sie das Abitur
schaffen würde“
werden konnte, ist mir
bis heute ein Rätsel.
Immerhin habe ich in
diesem Fall aber noch rechtzeitig von der Angst der Schülerin
erfahren, konnte ich also auch
(wenn
auch nicht in
direktem, vermutlich sowieso aussichtslosem Kontakt mit ihr)
(der
Schülerin die Angst
nehmen, indem ich nicht in der Abitur-Prüfungskommission eingesetzt
wurde).
Viel schlimmer sind aber
die Fälle, in denen man zu spät erfährt, was die eigenen Worte bei
Schülern angerichtet haben.
Und geradezu tragisch ist
es, wenn man das nie erfährt: tragisch allerdings
-
nicht für einen selbst
(den Lehrer), denn man erfährt ja eben nie etwas von den
Missverständnissen, die man unabsichtlich angerichtet hat,
-
sondern für den
Schüler, der ohne Erklärung durch den Lehrer vielleicht ein Leben lang
unter einem Missverständnis leidet.
Bzw. tragisch für einen
Lehrer ist „nur“ die schwammige Vermutung, dass sicherlich einiges
(was?) von dem, was er gesagt hat, bei Schülern falsch angekommen sein
wird.
Ein zweites Beispiel aus meinem Lehrerleben:
-
Ich habe mein
Referendariat vor Ewigkeiten in Lüneburg, also Niedersachsen gemacht.
Weil da vor allem „Lutherlümmel“ leben, die mit lustvollem (also
katholischem) Karneval nichts am Hut haben, gibt es in Niedersachsen am
Rosenmontag kein schulfrei. Als ich nun aber an einem Rosenmontag den
Klassenraum einer 9.Klasse betrat, waren die Schüler allesamt
verkleidet und bereits in allerbester Feierlaune - und war an regulären
Unterricht gar nicht zu denken.
(also
dem eigentlichen
Karneval)
erneut den Klassenraum
betrat, waren die Schüler wieder verkleidet und in Feierlaune. Als ich
dann aber darauf bestand, dass nun doch wieder regulärer Fachunterricht
stattfinden müsse, wurden die Schüler nach einiger Zeit durchaus
„anstellig“ und aufmerksam. Nur eine
(direkt
vor mir sitzende
und nebenbei gesagt bildschöne)
Schülerin bastelte weiter
unter
Kichern und Kieksen weiter an ihrem Makeup herum. Als ich dann flapsig
zu ihr
„das hilft jetzt auch nicht mehr“ sagte, brach sie prompt in Tränen aus
und war sie für den Rest der Schulstunde überhaupt nicht mehr (durch
ihre Freundinnen) zu trösten.
Mein „das hilft jetzt
auch nicht mehr“ war natürlich - zum närrischen Anlass passend? - ironisch gemeint, denn die Schülerin war
ja (wie schon gesagt) tatsächlich bildschön.
(„das hilft jetzt auch
nicht mehr“ könnte da höchstens bedeuten: „noch schöner, als du es
sowieso schon bist, kannst du gar nicht mehr werden“.)
Aber was heißt schon
„tatsächlich“?: sie war es in meinen Augen, aber das konnte ich
natürlich nicht ausdrücklich ergänzen. Vermutlich war es der Schülerin
aber selbst gar nicht so eindeutig klar, dass sie in anderen (meinen)
Augen schön war: wie oft habe ich
Schülerinnen (und überhaupt Frauen) erlebt, die auf geradezu tragische
Weise permanent massiv
an ihrer Schönheit zweifelten, obwohl sie doch bildschön waren!
(Nebenbei:
mir ist
durchaus bewusst, dass ich mich hier auf sehr dünnes [sexistisches] Eis
begebe: um es mit [meiner Erinnerung nach] John Berger zu sagen:
„Männer sehen, Frauen werden gesehen.“
Und auch
nebenbei: es hat
ewig lange gedauert, bis ich bemerkt habe, dass ich in den Klassen
oftmals auch bildschöne männliche Schüler vor mir sitzen hatte.
Ich glaube
allerdings
nicht, dass die Schönheit einer Schülerin oder eines Schülers jemals
großartig mein Verhalten ihr/ihm gegenüber beeinflusst hat. Im
Unterricht war ich immer Profi, der die Reize der Schönheit zwar manchmal
durchaus wahrnahm, dann aber im Eifer des pädagogisch-fachlichen
Unterrichtsgefechts doch problemlos über sie hinwegsehen konnte.)
Merkwürdig, dass mir das
„Karnevalserlebnis“ mit der Schülerin auch mehr als 30 Jahre später
nachgeht und heute noch geradezu fotografisch vor Augen steht
(was
überhaupt der Grund
ist, es hier zu erwähnen).
Was mich wohl nicht mehr
losläßt, ist die geradezu tragische „Verfahrenheit“ der damaligen
Situation: nach meinem nunmal geäußerten Satz „das hilft jetzt such
nicht mehr“ und den ersten Tränen der Schülerin konnte ich unmöglich
meinen Satz etwa folgendermaßen ergänzen: „mein Satz war liebevoll
ironisch gemeint, denn in Wirklichkeit bist du ja ein bildschönes
Mädchen“. Äußerungen über das Aussehen von Schülern
(Schönheit
oder gar
Hässlichkeit?)
stehen Lehrern
grundsätzlich nicht zu und sind wohl immer übergriffig und fallweise
sexistisch.
Außerdem hätte mein
Zusatz in den Ohren der weinenden Schülerin wohl nur als unglaubwürdige
Vertröstung geklungen.
Ich war also damals
schlichtweg hilflos - und habe das Trösten den Mitschülerinnen
überlassen.
Und die Situation ist bis
heute uneinholbar: ich weiß nicht, ob die Schülerin bis heute unter ihr
leidet, und ich weiß auch nicht, was aus ihr geworden ist und wo sie
lebt. Ja, ich kann mich
nichtmal mehr an ihren
Namen erinnern.
Aber selbst wenn ich all
das wüsste, wäre es wohl jetzt, also über 30 Jahre später, ziemlich
„schräg“, wenn ich mich jetzt noch bei ihr melden und meinen damaligen
Satz klarstellen bzw. für ihn um Entschuldigung bitten würde:
vielleicht kann sich die Schülerin inzwischen an die damalige Situation
gar nicht mehr erinnern
(geschweige,
dass sie
noch immer darunter leidet)
- und auch nicht an
mich.
Umgekehrt gehen
(tatsächliche oder vermeintliche) Lehreräußerung aber einigen
ehemaligen Schülern noch Jahrzehnte später nach und sind diese
(tatsächlichen oder vermeintlichen) Lehreräußerungen geradezu ein übles
Mantra für ihr ganzes weiteres Leben:
ein Lehrer weiß ja
oftmals nichtmal (ahnt es aber unklar), was er Schülern alles verbal
angetan hat. Vgl.
-
,
-
,
-
: ein
Roman, in dem einem Lehrer anlässlich seines 60. Geburtstags klar
wird,
-
wie vielen Schülern er
im Laufe seines Berufslebens verbal wehgetan hat,
-
ebenso aber, dass
einer seiner ehemaligen Schüler
(der ihm
[dem Lehrer]
sogar eine Morddrohung schickt)
es sich allzu leicht
macht, wenn er dem Lehrer die Alleinschuld dafür gibt, dass sein (des
Ex-Schülers) Leben völlig misslungen ist
(wer immer
nur anderen
die Schuld gibt, ist nie erwachsen geworden).
[auch
nicht Situationen,
in denen andere mir wehgetan haben]
geht mir
auch Jahrzehnte
später noch so nach wie die wenigen „uneinholbaren“ Situationen
[z.B. auch
kindlichen
„Notlügen“],
in [mit]
denen ich verbal
anderen wehgetan habe.)
Ein drittes Beispiel aus
meinem Lehrerleben:
- In einem
Deutsch-Leistungskurs saß eine Schülerin, die intelligente Klausuren
schrieb, aber noch nie aktiv („mündlich“) am Unterricht teilgenommen
hatte. Als sie dann aber doch mal etwas sagte
(und zwar
etwas besonders
Treffendes),
(von der
ich wusste, dass
sie gerne Kaffe trank)
nach einer Pause einen
Kaffee spendiert und dabei gesagt, der sei dafür, dass ich mich so
gefreut hätte, dass sie sich "endlich mal" (?) beteiligt habe.
Monate später habe ich
dann von ihren Mitschülerinnen erfahren, sie sei direkt nach der
betreffenden Unterrichtsstunde auf dem Schulhof regelrecht explodiert,
weil ich sie dermaßen übel
(ich
erinnere mich noch
heute, also über 20 Jahre später, an ihre Wortwahl:)
Ich vermute mal, dass sie
-
nicht das Lob für ihre
neue Unterrichtsbeteiligung,
-
sondern wegen meines
„endlich mal“ nur die Kritik gehört hatte, dass sie sich bis dahin nie
gemeldet hatte.
Und in der Tat hat sie
sich danach nie wieder von sich aus gemeldet
(Schüler
können da enorm konsequent und rigoros sein).
Hier nun aber ein erstes
Beispiel, das nicht von mir, sondern einer anderen Lehrerin handelt:
-
jüngst (Oktober 2017)
erwähnte eine ehemalige Schülerin in einer Email an mich das folgende,
fast 30 Jahre zurückliegende, aber anscheinend noch immer schmerzhafte
Erlebnis
(was
nebenbei der Anlass
für diesen Essay war):
sie war erstmal sitzen
geblieben, hatte dann aber doch die Nachprüfung im Fach Mathematik
bestanden, und zwar mit einer Zwei!:
„[...] ich war nie
stolzer als je in meinem Leben. FRau [XY, ihre Mathematiklehrerin]
gratulierte mir damals mit den Worten, "[...] das war eine besonders
gute Leistung[“], das hätte sie von mir nicht erwartet.“
Die ehemalige Schülerin
hat das in ihrer Email an mich ausdrücklich nicht kommentiert, aber
zwischen den Zeilen höre ich da doch eine bodenlose Enttäuschung
heraus.
Dabei kann ich mir
durchaus vorstellen, dass „das hätte sie von mir nicht erwartet“
erstmal einfach nur das Erstaunen der Lehrerin über die plötzlich so
gute Mathenote
ausdrückte und so etwa bedeutete: „Na, sieh mal einer an, die Schülerin
ist tatsächlich aufgewacht - und das freut mich (für sie).“ Und die
Äußerung der Lehrerin könnte fast auch eine Art „Schuldbekenntnis“
sein: „Anscheinend lag ich mit meiner bisherigen Einschätzung der
Schülerin völlig daneben.“
Aber selbst wenn es von
der Lehrerin so gemeint war, ist es bei der Schülerin nicht so
angekommen
(ein
Musterbeispiel von
„wie man‘s (zu Schülern) sagt, sagt man‘s verkehrt“):
die Schülerin hatte
nämlich anscheinend so etwa verstanden: „Du bist
[mathematisch] so blöd, dass ich dir niemals eine Zwei zugetraut hätte.“
Dabei hatte die Schülerin
mit der Zwei ja bewiesen, dass sie vielleicht mal „blöd“
war, es aber
nicht mehr ist.
Man kann den Satz „das hätte sie von mir nicht
erwartet“ aber auch so interpretieren, dass die Schülerin in den Augen
der Lehrerin „blöd“ war und auch weiterhin ist, nur dass eben auch ein
blindes Huhn mal ein Korn findet.
Denkbar ist da sogar: „Nach deiner
Zwei werde ich schon dafür sorgen, dass sie eine einmaliger
Zufallstreffer ist und bleibt.“ Oder gar: „Ich werde niemals zugeben
[bin unfähig dazu], dass ich mich in dir geirrt habe.“
Fragt sich nur, wieso die
Kommunikation in dem hier berichteten Fall so schiefgelaufen ist:
-
und noch arg
allgemein: vielleicht einfach deshalb, weil die Kommunikation mit
Vorgesetzten prinzipiell asymmetrisch ist
(ein
Lehrer ist ja auch
nur ein Vorgesetzter: er mag noch so „nett“ und [immer schon
zweifelhaft] kameradschaftlich sein, letztlich vergibt er doch die
Schulnoten - und ist er somit ggf. der „Henker“):
was die jeweils
Vorgesetzten sagen, mag sogar tatsächlich freundlich gemeint sein, in den Ohren vieler Untergebener ist es aber doch immer nur eine
freundlich verpackte und deshalb sogar besonders hinterhältige Bosheit
(Vorgesetzte und also
auch Lehrer sollten sich dieses Mechanismus‘ immer bewusst sein: sie
mögen es noch so gut meinen, sie sind dennoch potentiell qua Amt beängstigend.)
Und es gibt halt Leute
(auch Schüler), die
-
sowieso alles
grundsätzlich in den falschen Hals kriegen,
-
sich immer sofort
reflexartig angegriffen fühlen
-
und deshalb immer
sofort in Verteidigungshaltung gehen
,
-
grundsätzlich jedes
Wort so lange auf die Goldwaage legen, bis sie ein Haar in der Suppe
finden
(also
voraussetzen, dass
da ein Haar in der Suppe ist),
-
kein gesundes
Selbstbewusstsein haben,
-
oder anderen immer ihre
eigene Bosheit unterstellen
(„wie man
in den Wald
hineinruft, so schallt es heraus“).
-
und ein wenig konkreter
(„ein
wenig“, weil ich ja
bei der damaligen „Nachprüfungs-Situation“ nicht dabei war, hier also
letztlich doch nur fiktive Überlegungen anstellen kann):
es kommt halt
- nicht nur
darauf an, was man sagt,
-
wann (in welchem Kontext)
es gesagt wird
Vielleicht war das
Verhältnis zwischen der Lehrerin und der Schülerin also seit Langem so
verkorxt, dass „das hätte sie von mir nicht erwartet“ bei der
Schülerin überhaupt nur als
bösartig ankommen konnte
(selbst
wenn es positiv
gemeint war).
Vielleicht bestand der
Fehler der Lehrerin also darin, dass „das hätte sie von mir nicht
erwartet“ in der betreffenden Situation schlichtweg unangebracht war
(nochmals:
selbst wenn es
positiv gemeint war):
im selben Augenblick, in
dem die Schülerin „nie stolzer als je in meinem Leben“ war, kam mit
„das hätte sie von mir nicht erwartet“ ein „aber“ (s.u.) bzw. eine
Einschränkung. Da hätte die Lehrerin vielleicht besser gar nichts
gesagt oder einfach nur (ohne Einschränkung) gratuliert.
Ein weiterer Vorfall mit
einem anderen Lehrer:
- Vor langer
Zeit saß bei
mir in einem Mathematik-Grundkurs in der Oberstufe eine Schülerin, die
-
regelmäßig gute bis
sehr gute Klausuren schrieb,
-
im Unterricht aber
ausnahmslos schwieg.
Irgendwann habe ich sie
auf einem Kurstreffen
(also in „inoffizieller“
und damit entspannterer Atmosphäre)
darauf angesprochen,
worauf sie erklärte, vor einigen Jahren habe ein Mathematik-Kollege
namens NN sie dermaßen zur Schnecke gemacht, dass sie sich geschworen
habe, sich nie wieder mündlich im Mathematik-Unterricht zu melden
(was sie
dann auch bis
zum Abitur durchgehalten hat).
Meiner Erinnerung nach
hat die Schülerin an jenem Abend aber nicht gesagt (oder ich habe es
vergessen), was genau da
vorgefallen war und was der Kollege gesagt hatte.
Nun war dieser Kollege NN
aber der Allerletzte, dem ich wirklich böse Worte zugetraut hätte
Denkbar waren bei ihm
höchstens ein paar flapsige Worte.
Aber manchmal bringt eben
ein einziges weiteres flapsiges Wort das Fass zum Überlaufen.
Wie schon gesagt: es
kommt eben auch darauf an, wer etwas sagt:
ein und dasselbe Wort
wirkt
-
aus dem Munde des einen
Lehrers wie ein (wenn auch deftiger) Witz,
-
aus dem Mund des
anderen Lehrers wie eine abgrundtiefe Bosheit.
Entscheidend scheint mir
dabei zu sein, ob der Lehrer
-
immer nur auf Kosten
der Schüler Witze macht
-
oder sich öfters auch
selbst(ironisch) vergackeiert.
Die Alternative, nämlich
als Lehrer gar keine Witze mehr zu machen, scheint mir da geradezu
kontraproduktiv zu sein:
-
fällt dann eine
einzelne Flapsigkeit nur um so mehr auf,
-
wäre das doch ein
staubtrockener und schnarchlangweiliger Unterricht.
Allerdings gibt es auch
eine arg künstliche Lustigkeit - und hängen Schülern die oftmals ewig
gleichen (Flach-)Witze von Lehrern sowieso schnell zum Halse raus.
Mit all dem möchte ich
nicht sagen, dass man als Lehrer die Schüler nun nur noch mit
Glaceehandschuhen „anfassen“ dürfte.
Sondern zu fragen ist
doch, welche Lehreräußerungen „legitim“ bleiben - und welche
problematisch sind.
Schlimm sind wohl alle
Lehreräußerungen, die
-
sich nicht auf eine
bestimmte Situation (einen Zwischenstand) beziehen,
-
sondern über diese in
die Vergangenheit oder Zukunft hinausgehen und somit sozusagen
„Ewigkeitsanspruch“ haben:
So gesehen
unproblematisch ist also beispielsweise „zur Zeit stehst du sowohl
schriftlich als auch mündlich 5“
(„das wird
man doch noch
sagen dürfen“: und doch wäre es besser, wenn man der Diagnose konkrete
[!] „Therapie“-Vorschläge folgen ließe);
Schlimm sind hingegen
-
„du warst [in der
Vergangenheit] in Mathematik schon immer ein schlechter Schüler (und
wieso sollte sich das [in der Zukunft] jemals ändern?)“
(die
Aussage über die
Vergangenheit ist selbst dann
ein „Todesurteil“, wenn sie zutrifft),
-
„aus dir wird nie
(z.B. In Mathematik) ein guter Schüler werden“.
Als ich noch selbst
Schüler war, erzählte mein Mathematiklehrer mal Folgendes: er habe mal
zu einem Schüler und dessen Eltern
(der Vater war
pikanterweise ein Kollege meines Mathelehrers)
gesagt, der Schüler sei
nunmal in Mathematik unrettbar schlecht, und da Mathematik bis ins
Abitur verpflichtend sei
(und
aufgrund der auch in
anderen Fächern nicht gerade glänzenden Zensuren),
sei es wohl besser, wenn
er das Gymnasium verlasse und eine andere Schulform (Realschule)
besuche.
Der Witz bei der Sache
(so erzählte mein
Mathelehrer dann weiter)
sei aber gewesen, dass
ausgerechnet dieser Schüler später Mathematikprofessor geworden wäre
(nebenbei:
bei genau
diesem Matheprofessor habe ich dann später Examen gemacht).
Mein Mathelehrer sagte
dann zum Schluss, er habe sich damals geschworen, nie wieder endgültige
Aussagen über Schüler zu machen.
Problematisch oder
sowieso „völlig daneben“ sind auch alle Lehreräußerungen, die sich
nicht auf derzeitige Leistungen oder konkretes Verhalten der Schüler im
Unterricht, sondern auf ihre (vermeintliche)
Persönlichkeit beziehen
(also z.B.
oben „das
[Schminken] hilft jetzt auch nicht mehr“; da wäre ein sachliches „höre
bitte sofort damit auf“ besser gewesen).
Des weiteren
problematisch sind alle (durchaus als Hilfe gemeinten)
-
und „aber
ja“-Äußerungen.
Beispiele dazu habe ich
zuhauf in meinem Referendariat
(meinem persönlichen
Stalingrad)
gehört:
-
da fing ein Fachleiter
nach einer von mir abgehaltenen und von ihm beobachteten Schulstunde
mit kurzem Lob („ja“) von geglückten Unterrichtsmomenten an, nur um
(so kam
es zumindest
mir vor bzw. so vergiftet war das Verhältnis Fachleiter-Referendar)
alsbald so sicher wie das
Amen in der Kirche zu ellenlanger Kritik („aber“) an allem und jedem
überzugehen;
-
oder eben umgekehrt: nach
halbstündiger Totalkritik an allem und jedem
(und
nachdem ich
offensichtlich fix und fertig war),
wurde zuguterletzt zwei
Minuten doch noch was Positives angehängt.
Ich hatte dann immer das
Gefühl, das „ja“ sei nur ein an den Haaren herbeigezogenes Trostpflaster
(„sie
haben immerhin
einen
freundlichen Unterrichtsstil“),
im Grunde „aber“ doch
ausnahmslos alles schlecht gewesen
(das höchste Lob, das ich jemals von meiner
Mathe-Fachleiterin
gehört habe, nachdem ich mal offen verzweifelt über als vernichtend
empfundene Kritik war: „soooo schlecht sind Sie nun auch wieder nicht“).
Ein schönes Musterbeispiel für „ja, aber“ ist es, wenn der Lehrer
zum Schüler sagt:
„du bist ja sehr fleißig, aber ...“:
da weiß man schon, was vermutlich folgen wird, nämlich z.B.
„..., aber dabei kommt leider nichts rum“.
Das kann
(selbst wenn es nicht so gemeint war)
beim Schüler nur ankommen als
„du bist so blöd, dass es bei dir nichtmal hilft, wenn du
bienenfleißig bist (also kannst du dir auch deinen Fleiß sparen)“.