wir basteln Funktionen

(vgl. :
weil Pettersson sich den Fuß verstaucht hat und deshalb keinen echten Tannenbaum besorgen kann, beschließt er einfach:
"Wir basteln einen Tannenbaum."
D.h. er macht - wie wir im Folgenden - aus der Not eine Tugend!)

Allemal interessant wäre es auch, Funktionsgraphen zu basteln, um durch solche "Handgreiflichkeit" größere Anschauung zu erlangen.

Hier aber sind tatsächlich die Funktionen selbst gemeint

(also Funktionsgleichungen/-terme),

womit zugegebenermaßen das "Basteln" (leider) nicht mehr ganz so wörtlich gemeint ist.

(Und schon fahre ich mir selbst in die Parade: warum soll es nicht auch möglich sein, Funktionen wortwörtlich zu bauen? - Funktionen, die stumpf mit verschiedenen Eingaben dennoch immer dasselbe machen

[wohlgemerkt: immer nach demselben Verfahren, nicht aber notgedrungen mit demselben Ergebnis],

nämlich z.B. mittels Spiegel alles verdoppeln:

 

Und zwei rechtwinklig zueinander montierte Spiegeln quadrieren alles:

)


Viele SchülerInnen werden - meist mit Recht! - meinen, Matheaufgaben seien einzig und allein zu dem Zweck da (und zudem künstlich verklausuliert), dass sie von den SchülerInneN gelöst (bzw. vereinfacht) werden.

Das ist so ähnlich wie im Fach Deutsch mit Gedichten, die ja - so eine weitverbreitete Meinung - absichtlich verklausuliert wurden, damit die SchülerInnen das ins "eigentlich Gemeinte" zurückübersetzen; oder mehr noch: damit sie das gerade nicht schaffen.

Der Unterschied zwischen Gedichten und Mathematikaufgaben ist, dass erstere von mit Namen genannten AutorInnEn geschrieben wurden, letztere hingegen völlig anonym veröffentlicht werden (und auch so anonym wirken):

vermutlich haben die meisten SchülerInnen das Gefühl, dass Matheaufgaben nicht gemacht werden, sondern wie Meteoriten vom Himmel fallen, und an jedem Meteoriten steht dran: "Löse mich!"


Es ist also eine vornehme Aufklärungsarbeit, SchülerInnen immer wieder (und hier exemplarisch) zu zeigen, wie Matheaufgaben zustande kommen - und wie man sie selbst machen kann.


Die meisten Matheaufgaben sind tatsächlich (glücklicherweise!) künstlich verklausuliert: wenn beispielsweise gefragt ist, welche Nullstellen die Funktion f: y = x2 - 5x + 6 hat und da als Nullstellen hinterher x1 = 2 und x2 = 3, also sehr einfache Lösungen herauskommen

(und damit auch der Weg zur Lösung relativ einfach ist),

so ist das kein Zufall, sondern haben die Macher der Aufgabe genau umgekehrt angefangen, nämlich mit den beabsichtigten Lösungen, und dann erst daraus eben die Funktion  f: y = x2 - 5x + 6 entwickelt, die nun wiederum den SchülerInnen vorgesetzt wird, welche "rückwärts" wieder die Nullstellen finden müssen.

(Das ist auf zwei Arten möglich:

  1. mit dem "Satz von Vieta", der allerdings nur für quadratische Funktionen funktion[!]iert,

  2. auf dem Weg, der unten gezeigt wird.)

Anders gesagt: es wundert die Macher keineswegs, dass einfache Lösungen rauskommen, sondern sie haben ja dafür gesorgt. Und es wäre ja auch schrecklich für die Macher

(aber "no tears for the creatures of the night"),

wenn sie evtl. hunderte von Funktionen durchprobieren müsste, bis dann zufällig bei einer Funktion endlich mal einfache Lösungen zustande kämen und sie diese Funktion dann SchülerInneN vorsetzen könnten.

Und noch schlimmer wäre es, wenn die SchülerInnen all die "schwierigen" Funktionen bekämen.


In war gezeigt worden, wie wichtig es ist,

Und bei Letzterem war gezeigt worden, dass zur Lagebestimmung insbesondere die Schnittpunkte mit der x- und der y-Achse hilfreich sind.

Nun sind die Schnittpunkte mit der y-Achse normalerweise sehr einfach zu bestimmen

(man muss nur x = 0 einsetzen, und dann ergibt sich das zugehörige y direkt und ohne jegliche Rechnung)

während die Bestimmung der Schnittpunkte mit der x-Achse

(Satz von Vieta, quadratische Ergänzung, p/q-Formel)


Deshalb gilt es aus der Not eine Tugend zu machen, d.h.

Dazu aber gibt es - bei ganzrationalen Funktionen - einen genial einfachen und dennoch ein wenig um die Ecke gedachten Trick.

(Nebenbei: hinter diesem Trick steckt ein absolutes Highlight der Mathematik, nämlich der "Hauptsatz der Algebra", der so etwa sinngemäß besagt, dass

[vgl. "Polynomendivision"].

Der Beweis ist allerdings zu kompliziert, als dass er hier durchgeführt werden könnte.)

Der Trick sei hier mal exemplarisch an einer Funktion dritten Grades vorgeführt

(d.h. er funktioniert auch für alle ganzrationalen Funktionen höheren Grades).

Dabei sei vorausgesetzt (nicht bewiesen), dass wir rein graphisch wissen, dass eine Funktion dritten Grades bis zu drei Nullstellen haben kann. Nehmen wir also mal die größtmögliche Zahl an Nullstellen, also drei, und wählen dafür "frei Schnauze" drei (unterschiedliche) Zahlen, z.B.

        x      = -2                       x       = 1                           x     = 2

Kleiner graphischer Ausflug: der Funktionsgraph soll also so aussehen:

Nun denken wir ein wenig um die Ecke (s.o.) bzw. "verkomplizieren" das sehr Einfache, indem wir in jeder der drei Minigleichungen die Zahl rechts "auf die andere Seite bringen"

(ich weiß, eine gefährlich irreführend Formulierung),

also rechnen:

        x      = -2 | + 2                x       = 1 | -1                     x     = 2 | -2

Es ergibt sich:

        x + 2 = 0                        x - 1 = 0                          x - 2 = 0

Und nun kommt der angekündigte geniale (genial einfache!) Kick - und die arg nachträgliche Begründung, warum wir erst "um die Ecke gedacht" bzw. "verkompliziert" haben.

Schreiben wir dazu allerdings erst mal

(was bislang nicht möglich war)

mathematisch "sauberer" auf, was gemeint ist:

da das x nicht gleichzeitig -2 und 0 und 2 sein kann, müssen wir schreiben:

        x      = -2       oder          x       = 1          oder          x     = 2

            x + 2 = 0       oder           x - 1 = 0          oder          x - 2 = 0

Nun gilt aber, dass das Produkt der drei Terme genau dann gleich Null ist, wenn wenigstens einer der drei Terme Null ist.

(... ein genialer Trick, der nebenbei oftmals in der Mathematik hilfreich ist!)

Also

  •  entweder

                          0                       ( x - 1 )                         ( x - 2 )         = 0

  •  oder

              ( x + 2 )                                      0                      ( x - 2 )         = 0

  •  oder

              ( x + 2 )                         ( x - 1 )                                      0     = 0

Insgesamt gilt also

              ( x + 2 )            •             ( x - 1 )                •         ( x - 2 )         = 0

Unsere selbst hergestellte Funktion ist also

    f: y =  ( x + 2 )            •             ( x - 1 )                •         ( x - 2 )       

Die Nullstellen dieser Funktion werden nun aber berechnet, indem man für y eine Null einsetzt und also wieder

             ( x + 2 )            •             ( x - 1 )                •         ( x - 2 )         = 0

erhält, und da weiß man nun umgekehrt, dass

                  x + 2 = 0       oder           x - 1 = 0          oder          x - 2 = 0

               x      = -2       oder           x       = 1          oder          x     = 2   

... womit sich der (Teufels-)Kreis schließt und wir wieder bei den anfangs vorausgesetzten Nullstellen sind.


Nennen wir nun mal die soeben erhaltene Funktion

     f: y =  ( x + 2 )                         ( x - 1 )                         ( x - 2 )       

"Nullstellenform", weil man daran leicht die Nullstellen ablesen kann

(nämlich - durchaus verwirrend! - immer die Gegenzahl:

        x + 2

          folgt, dass - 2 eine Nullstelle ist,

         x - 1

         folgt, dass +1 eine Nullstelle ist,

       x - 2

folgt, dass + 2 eine Nullstelle ist.)       

Nun liegt unsere soeben erhaltene Funktion aber nicht gerade in der sonst üblichen Form vor. Oder anders gesagt: da könnten - wenn man schon SchülerInnen reinlegen will - die SchülerInnen ja nun allzu leicht die Nullstellen ablesen.

Wir können die Funktion

     f: y =  ( x + 2 )            •             ( x - 1 )                •         ( x - 2 )       

nun aber leicht in die übliche Form bringen, indem wir die Klammern miteinander "ausmultiplizieren", was hier wegen der beiden symmetrischen Nullstellen -2 und +2 allerdings sehr einfach ist, denn nach Umordnen

     f: y =  ( x + 2 )            •              ( x - 2 )                •        ( x - 1 )        

ist auf die ersten beiden Klammern der 3. Binomi anwendbar:

    f: y =                     ( x2 -4 )                                    •        ( x - 1 )   

Und eine Aus-Multiplikation der beiden jetzt noch bestehenden Klammern ergibt:

    f: y =                                         x3 - x2 - 4x + 4

In dieser Form erkennt man nun aber viel leichter, dass eine Funktion dritten Grades vorliegt, der Funktionsgraph also s-förmig sein muss bzw. ist.

Nachteil ist aber, dass man dieser Form nicht mehr die Nullstellen "ansehen" kann, sondern sie umständlich errechnen müsste

(soweit man [bzw. SchülerInnen] das überhaupt kann [können], womit ich nicht irgendwelche Blödheit der SchülerInnen meine, sondern ganz prinzipielle Schwierigkeiten, die hier zu erläutern aber zu weit führen würde).

Wie so oft in der Mathematik haben also verschiedene Formen für ein und dasselbe

(wobei man auf Anhieb gar nicht mal erkennen kann, dass ein und dasselbe vorliegt!)

spezifische Vor- und Nachteile

(etwa so, wie es günstig ist, manchmal die Bruchschreibweise [z.B. 1/2] anzuwenden, manchmal aber die Dezimalschreibweise [z.B. 0,5], also zwei Schreibweisen, die sehr unterschiedlich aussehen und dennoch dieselbe Zahl sind):

"Ich sehe dich in tausend Bildern,
Maria, lieblich ausgedrückt,
Doch keins von allen kann dich schildern,
Wie meine Seele dich erblickt.
[...]"
(Novalis)


Wie wir gesehen haben, ist es relativ einfach, mittels Klammern-Ausmultiplizieren

zu machen.

Umgekehrt ist das aber leider

(bei ganzrationalen Funktionen höheren als zweiten Grades)

keineswegs so einfach

(hier sei nur darauf hingewiesen, dass das [teilweise] mit der sogenannten "Polynomendivision" geht),

aber der oben schon erwähnte "Hauptsatz der Algebra" besagt immerhin, dass das auch umgekehrt geht.


Fleißigere SchülerInnen fragen vor Klassenarbeiten oftmals nach Übungsaufgaben - am besten mit Lösungen.

Mit dem gezeigten Verfahren haben sie nun die Möglichkeit, sich selbst massenhaft Aufgaben "herbeizuzaubern".

  1. Schritt: man geht also z.B. von den beiden Nullstellen x1 = 2 und x2 = 3 aus und leitet sich daraus die Funktion f: y = x2 - 5x + 6 her.

  2. Schritt: man stellt sich dumm

(tut also so, als wenn man die beiden Nullstellen noch nicht kennen würde)

und berechnet nun - ausgehend von f: y = x2 - 5x + 6  - wieder "rückwärts" die Nullstellen

(was ja bei quadratischen Funktionen ja noch relativ einfach möglich ist),

führt aber - in der Oberstufe - auch eine komplette Kurvendiskussionen durch. Die zugehörigen Rechnungen fallen aber einfacher, wenn man schon von Anbeginn an

(u.a. aufgrund der bekannten Nullstellen)

weiß, wie der Funktionsgraph aussieht und wo er liegt:

Dann nämlich weiß man auch, wonach man suchen muss, und kann zudem seine rechnerischen Ergebnisse immer am Graphen überprüfen.

Der Nachteil ist natürlich, dass es demotivierend sein kann, Nullstellen nochmals zu berechnen, die man doch schon längst kennt.

Aber es ist ja auch denkbar, dass SchülerInnen füreinander Funktionen basteln, d.h. der eine geht von den Nullstellen aus, während der andere sie "rückwärts" bestimmen muss, so dass - weniger frustrierend - jeder mal "Geber", mal "Nehmender" ist.

Aber am Erstellen von Funktionen aus ihren Nullstellen ist ja noch etwas anderes interessant, als dass man von Anfang an die zu rekonstruierenden Ergebnisse kennt: statt zwecks Rechenaufgaben irgendwelche Nullstellen einzugeben, kann man auch "durchprobieren", was bei speziellen Nullstellenkombinationen passiert.

Z.B.

(nebenbei: diese Selbstherrlichkeit in der Wahl von [günstigen] Nullstellen könnte SchülerInneN enorm gefallen - und ist eben auch typisch mathematisch!),

(z.B. von x2 - 5x + 6 mit -3, so dass sich -3x2 + 15x -18 ergibt)

zwar für eine Streckung/Stauchung sowie eine umgekehrte "Öffnung" sorgt, aber nicht die Nullstellen verändert.

Man ist nicht mehr Sklave, sondern Herr(in) der Funktionen!


Ich bin der festen Überzeugung, dass der Matheunterricht

(und zwar vorerst mal "nur" rein innermathematisch!)

erheblich spannender wird, wenn man die SchülerInnen vermehrt Aufgaben selbst "basteln" statt immer nur vorgefertigte Aufgaben "wiederkäuen" lassen würde, und zwar

(ein Grundverständnis, das eben auch auf das manchmal unvermeidbare bzw. ja durchaus sinnvolle Abarbeiten fertiger Aufgaben zurückwirken würde).


Es ist wie mit :