die Bruchdivision
oder

Vorweg, damit man mich nicht falsch versteht: im üblichen Matheunterricht wird viel zu viel Wert auf Rechenrezepte statt auf Verstehen gelegt.


Bei mir um die Ecke gibt es es eine der größten und schönsten Kanalwiesen Münsters, die im Sommer bei schönem Wetter von hunderten bildschöner junger Menschen bevölkert wird, um da zu schwimmen und zu grillen.

(Vor einigen Jahren sind zwei meiner Neffen extra mal angereist, um auf dieser Wiese halbnackte bildschöne Frauen anzusehen.)

Als nun in den Jahren 2019/20 in meinem Stadtviertel Glasfaserkabel verlegt wurden, hat man sich wohl gefragt, wie man diese Wiese maximal verschandeln könnte, und dann als Verteilerstation (?) für die Glasfaserkabel am Rand der Wiese einen potthässlichen Betonklotz hingek(l)otzt - der natürlich ein gefundenes Fressen für Sprayer war.

Und so ist an einer Seite des Betonquaders schnell dieses Graffito entstanden:

 

Unten links steht auch noch in Worten, wer mit der grün gekleideten, mit Bogen und Pfeilköcher versehenen Figur gemeint ist, nämlich Robin Hood.

(Vgl.   .)

Als „Rächer der Enterbten“ und insbesondere der Witwen und Waisen hat der edle Räuber Robin Hood stets nach dem Motto „take it from the rich, give it to the poor“ gehandelt,  also UmverTEILUNG (auf dem Graffito von Dollars) von oben nach unten betrieben. Und so ist dann wohl auch

gemeint: als Aufforderung, die Reichtümer der Welt gerecht zu verTEILEN.

Bemerkenswert an dem Satz "Teilt doch einfach mehr!" scheint mir zu allererst das kleine Wörtchen „einfach“ zu sein, mit dem unterstellt wird, dass ein gerechter Ausgleich ohne große Mühen erreichbar ist - und man also sofort damit anfangen kann.

Überhaupt wirkt der Satz mit dem „doch“ wie die Antwort auf die resignierte Frage „Die Welt ist ungerecht aufGETEILT, aber was kann man schon dagegen tun?“, also als erstaunlich einfache Lösung eines bis dahin für schier unlösbar gehaltenen Problems: etwa so, wie Alexander der Große mit einem einzigen Schwerthieb den gordischen Knoten „gelöst“ hat:

Interessant ist auch das kleine Wörtchen „mehr“ in „Teilt doch einfach mehr!“, denn dieses

(auf dem Graffito sogar extra groß geschriebene)

 „mehr“ scheint mir doppeldeutig zu sein:

  1. kann es quantitativ gemeint sein, d.h. es soll noch mehr Geld von oben nach unten umverTEILt werden

(z.B. durch eine TEILweise Enteignung der Reichen oder ihre höhere Besteuerung [„Reichensteuer“] - woraufhin reflexartig der Vorwurf des „Sozialneids“ und der „Neiddebatte“ folgen wird);

  1. : kann es zeitlich gemeint sein, d.h. es soll häufiger GETEILT werden

(vgl. etwa „geht mehr schwimmen!“, womit ja wohl nicht gemeint ist, dass man längere Strecken schwimmen soll).

Wenn wir nun „Teilt doch einfach mehr!“ mal vom rein Materiellen und Geld (Dollars) ablösen, so kann der Satz auch als Aufforderung verstanden werden, häufiger Immaterielles wie Freud und Leid miteinander (!) zu TEILEN oder überhaupt großzügiger zu sein.

( , woraus [allerdings nur mathematisch] folgt, dass Freude = 0, also Freudlosigkeit.)

Halten wir also fest:

es soll häufiger GETEILT werden, und das ist ganz einfach.

Dem Mathematiker ist alles Mathematik, d.h. er entdeckt sogar da Mathematik, wo gar keine (gemeint) ist.

(Das mag eine liebenswerte Macke sein, ist aber sicherlich keine abwegige Spinnerei, sondern Gedankenfreiheit: )

Und so verstehe ich dann eben auch „TEILT häufiger, und das ist ganz einfach!“ spaßeshalber mal mathematisch:

“DIVIDIERT doch einfach mehr!“

Also:

„DIVIDIERT häufiger, betreibt mehr Bruchrechnung - und betreibt sogar Bruchdivision, also das Teilen von Brüchen durch Brüche bzw. den ultimativen Kick: das Teilen von Geteiltem durch Geteiltes!:

Und ihr werdet merken: das ist ganz einfach, bzw. je häufiger ihr es tut, desto einfacher wird es.“


Aber "Spaß beiseite" und ab in den bitteren "Ernst des Lebens"

(der für viele Schüler ja u.a. aus der vermaledeiten Bruchrechnung besteht).

"Bruchdivision" bedeutet, dass

(z.B. )
(z.B. )
dividiert wird
(also z.B. ; man könnte das auch in Form des Doppelbruchs  schreiben - und der Leser ahnt vielleicht schon, dass dann auch Dreifach-, Vierfach- ... , ja sogar Unendlich-Brüche denkbar sind; und so ein Unendlich-Bruch wie z.B. ist doch wirklich eine herrlich gehirnausrenkende Sache: je weiter man ihn nach unten rechnet, um so näher kommt man der abgefahrenen "Eulerschen Zahl" e = ‭2,7182818284590452353602874713527‬...).

Die Regel für die Bruchdivision lautet, dass man

(die Bruchdivision wird also auf die einfachere Bruchmultiplikation zurückgeführt):


(Unten werde ich das immer nur „Rechenrezept“ nennen.)

Die weitere Rechnung sieht dann so aus:    

Daran ist durchaus bemerkenswert, dass hier - wie bei allen Bruchrechenregeln - das Rechnen mit Brüchen auf das viel einfachere Rechnen mit ganzen Zahlen

(im Zähler , im  Nenner )

zurückgeführt wird:

Am Ende könnte man auch noch runden

(was im Schulunterricht leider viel zu selten geschieht, obwohl es doch endlich mal eine [wenn auch nur ungefähre] Vorstellung von den Bruchrechenergebnissen erzeugen würde):

(weil der Zähler 15 und der Nenner 14 annähernd gleich groß sind)

oder kurz

(wobei ein wenig größer als 1 ist, da der Zähler 15 größer als der Nenner 14  ist).    

Was nun aber kann man bei der Bruchdivision eigentlich unter „Verstehen“ verstehen:

  1. , das jemand die „Bedienungsanleitung“ bzw. das Rechenrezept „teile durch einen Bruch, indem du mit seinem Kehrwert multiplizierst“ verstanden hat, sie also bei diversen Bruchdivisionen anwenden kann?
  2. , dass er begreift, was eigentlich bedeutet?
  3. , dass er versteht, weshalb man durch einen Bruch dividieren kann, indem man mit seinem Kehrwert multipliziert?

Zu 2.:

Es ist merkwürdig:

(wozu ganz unüblich von rechts gelesen werden muss).

Schauen wir uns dieses „wie oft passt“ mal genauer an:

Da sieht man auch mit bloßem Auge, dass

,

Zu 3., also "weshalb man durch einen Bruch dividieren kann, indem man mit seinem Kehrwert multipliziert":

Es ist gar nicht so einfach, da "drauf" zu kommen:

    1. , dass eine beliebige Zahl durch sich selbst geteilt immer 1 ergibt, also z.B. 4 : 4 = 1

(oder anders gesagt: die 4 passt genau 1 mal in die 4):

Das gilt natürlich auch für Brüche, da Brüche ja auch nur (kompliziertere) Zahlen sind.

Also gilt z.B. : = 1

(denn natürlich passt genau 1 mal in hinein).

    1. , dass man nun versuchen könnte                                                                                                                                       

(weil Division und Multiplikation naturgemäß eng zusammenhängen, da erstere letztere rückgängig macht),

                 die heikle Bruchdivision durch die bereits bekannte Bruchmultiplikation zu ersetzen

(typisch für die Mathematik: man versucht etwas Schwieriges auf dem Umweg über Einfaches zu erreichen).

Man kann sich also fragen, ob man   mit einer (noch unbekannten) Zahl x so multiplizieren kann, dass ebenfalls 1 herauskommt:

             x = 1         ???

Eine Gleichungsumformung ergibt

            x = 1          | 3

   2 •  x = 3          | : 2

          x =    

Es gibt also tatsächlich eine Zahl (nämlich ), bei der durch Multiplikation dasselbe Ergebnis 1 zustande kommt wie bei der Division durch .

Die Division durch kann also durch die Multiplikation mit dem Kehrwert ersetzt werden.

Also gilt z.B. auch .

Ich habe hier 2. und 3. nur deshalb ausführlich vorgemacht, um zu zeigen, dass sowohl 2. als auch 3. ganz schön umständlich sind.

Und man braucht 2. und 3. auch nie

(wobei "braucht" hier rein innermathematisch gemeint ist; und bei echten Anwendungen braucht man 2. und 3. sowieso nie).

Sondern Bruchdivisionen fallen als Nebenrechnungen höchstens beim Gleichungslösen an, also z.B. bei

                     = x .

Das aber löst man so:

             = x        | :

=         x

Und wir wissen bereits, dass da x = rauskommt.

(Bemerkenswert daran ist auch, dass man sich bei der automatisierten Rechnung keinerlei Gedanken über die Größe von , , und machen muss; und es ist einem eigentlich herzhaft egal, was da rauskommt, Hauptsache, es ist richtig.)

Jede Wette, dass auch gestandene Mathematiker Bruchdivisionen "ohne Sinn und Verstand [Verstehen]" einfach nach dem simplen Rechenrezept durchführen, ja, ich vermute sogar mal, dass auch viele Mathematiker nicht mehr wissen, weshalb dieses Rechenschema funktioniert bzw. wie man es herleiten könnte.

Daraus folgt,

dass oftmals die Anwendung von Rechenrezepten reicht. Und die lernt man nunmal durch stumpfe Anwendung auf massenhaft Aufgaben, bis sie vollautomatisch abläuft.

Aus Lehrersicht

(hier der Bruchdivision),

(verständlich sowie - um es mit neudeutschem Geschwafel zu sagen - „nachhaltig“,  „evidenzbasiert“, „robust“ und „belastbar“)

vermittelt werden können.

Die Quintessenz des vorliegenden Essays ist aber sogar die Frage, ob gewisse in Schulen nach wie vor unterrichtete mathematische Sachverhalte

(hier exemplarisch die Bruchdivision)

überhaupt noch unterrichtet

(ersatzlos gestrichen oder durch wichtigere Inhalte ersetzt)

werden oder zumindest “ausgedünnt“ werden sollten.

(In der Regel bin ich dafür, weniger Inhalte besser „beizubringen“, also „weniger ist mehr“.)

Im Fall der Bruchdivision:

(Kenntnis des Rechenrezepts und die Fähigkeit, es auch in anderen Fällen anzuwenden)

(Bedeutung der Bruchdivision und Herleitung des Rechenrezepts)

getrost wegfallen lassen?

Mehr noch: könnte es sein, dass das Verstehen im Sinne von 2. und 3. sogar die Nachhaltigkeit der Einübung des Rechenrezepts verringert, weil dieses erweiterte Verstehen viel Zeit in Anspruch nimmt, die dann beim Einüben des Rechenrezepts fehlt?

Nun geht es in der Mathematik meistens nicht nur um reines Faktenwissen (Rechenrezepte), sondern auch um typische mathematische „Denkweisen“ , und diese scheinen mir der wichtigste

(im üblichen Mathematikunterricht allerdings oftmals zugunsten einer Rezeptmathematik vernachlässigte)

Beitrag der Schulmathematik zur Allgemeinbildung zu sein.

Im gesamten obigen Essay kommen diese „Denkweisen“ allerdings nur in zwei Passagen vor, nämlich in

Nun entstammt allerdings nur die zweite, sehr knappe Passage den Überlegungen zur Bedeutung der Bruchdivision und Herleitung des Rechenrezepts, und das scheint mir als Rechtfertigung für ein Verstehen im 2. und 3. Sinn doch arg mager.

Kommt hinzu, dass die Quintessenz der zweiten Passage, nämlich Schwieriges auf Einfaches zurückzuführen, ja auch schon in der ersten Passage vorkam, nämlich in


Kurz und gut: die Bruchdivision ist in meinen Augen ein Musterbeispiel dafür, dass es in vielen Fällen reicht, in der Schule nur die nackten Rechenrezepte zu vermitteln.

Wenn man aber die Kenntnis und das Anwenden von Rechenrezepten noch lange nicht für echtes Verstehen hält, gilt wirklich mal:

Dennoch bleibe ich dabei, dass die Schulmathematik viel zu oft reine Rezeptmathematik ist.