"drei Viertel", "3 von 4", "3 durch 4" und last but not least "75 %"

Die Bruchrechnung ist doch zumindest rechnerisch äußerst simpel, wenn man sich

  1. die wenigen Rechenregeln für

(als Multiplikation mit dem Kehrwert des zweiten Bruchs),

  1. die Regeln fürs Erweitern und Kürzen (von Zähler und Nenner gleichzeitig!) einbläut

(inkl. "Kürzen aus Summen / tun nur die Dummen")

und

  1. bemerkt, dass all diese Regeln einzig und allein dazu dienen,

das

  • Rechnen mit Brüchen

  • auf das Rechnen mit (beim vorletzten Bruch jeweils im Zähler bzw. Nenner) ganzen Zahlen

zu reduzieren:

Bild = Bild

Nicht nur Laien, sondern auch MathematikerInnen sind strubbeldumm: sie können überhaupt nicht mit Brüchen, sondern eben nur mit den simpelsten, also ganzen Zahlen rechnen.

Woher - wenn's rechnerisch so simpel ist - rühren dann denn überhaupt die leidigen Probleme mit der Bruchrechnung?

Es mangelt oftmals (vor und neben jeder Rechnung) vor allem an jeglicher Anschauung, und dieses Problem zeigt sich auch sprachlich:

mit der Vielfalt der Ausdrucksfähigkeit

"drei Viertel", "3 von 4", "3 durch 4" und last but not least "75 %"

haben wir die typischen (Schüler-)Probleme mit der Bruchrechnung doch wirklich mal beim Wickel.

Wie bereits gesagt, hängen dabei einerseits Sprache und andererseits Anschauung  direkt zusammen:

  1. "drei Viertel": Bild

     

  1. Ein (!) Kuchen wird geviertelt, drei von diesen Vierteln werden zusammengezählt. *

oder

  1. Arno isst drei Viertel eines (!) Kuchens. *
     

  1. "3 von 4":     Bild

    Man nimmt drei von vier Kuchen. *
     

  2. "3 durch 4": Bild

    Drei Kuchen werden an vier Leute (Arno, Berta, Caesar und Dagobert) verteilt *

(z.B.: Arno erhält bei der Verteilung von drei Kuchen an vier Leute den grünen Anteil Bild* )


... und schon sind wir beim nächsten sprachlichen Problem:

                            "3                [geteilt] durch 4"

ist verwirrenderweise synonym mit

                                     "drei Kuchen werden an [!] vier Leute ver[!]teilt".

(Nebenbei: wenn vier Leute drei Kuchen essen, werden sie diese üblicherweise nicht in der Aufteilung

Bild

essen, sondern sich erst gemeinsam über den ersten, dann über den zweiten und zuguterletzt - wenn ihr Hunger noch immer nicht gestillt ist - über den dritten Kuchen hermachen. Die Aufteilung

Bild

ist also sehr abstrakt z.B. unter der Anweisung, drei Kuchen mit möglichst wenig Schnitten an vier Leute aufzuteilen.)

In 1. bis 3. wird schon überdeutlich, dass jeweils völlig unterschiedliche Sachverhalte gemeint sind - oder zumindest gemeint zu sein scheinen.

Vollends unübersichtlich wird's aber durch

  1. "75 %", was ja nun in keinerlei Bezug mehr zum Vorherigen zu stehen scheint, da nicht mal mehr die 3 und die 4 auftauchen.

Dennoch ist "75 %" auch nur

75 % = 75 Prozent = 75 pro centum = 75 von hundert Bild

Mehr noch: Bild sind dasselbe (nur in anderer Schreibweise) wie Bild, denn man kann Bild aus Bild durch Erweitern mit 25 erhalten:

Bild= Bild

Nun verbinde aber zumindest ich mit Prozenten nie - wie oben - eine runde Skala (Kreise), sondern eine lineare, und somit ist mein Bild von 75 %

Bild


Alle Klarheiten beseitigt?!

(Aber keine Bange, es kommt noch viel schlimmer :-)

Die Sprache

"drei Viertel", "3 von 4", "3 durch 4" und last but not least "75 %"

kodiert bzw. suggeriert also

(wenn man davon absieht, dass in 1. bis 3. immerhin noch jeweils die 3 und die 4 vorkommt)

vier völlig unterschiedliche Bilder

(und Handlungen bzw. Sachverhalte!; s.o. *).


Um ein wenig Klarheit zu erreichen, kann man sich nun fragen:

Wo bleiben die 3 und die 4 ? Oder genauer: wie kommen die jeweiligen Ergebnisse

(die ja normalerweise nicht vorgegeben sind, sondern erst konstruiert werden)

mittels 3 und 4 zustande?

Das missing link, das alle Ausdrucksweisen und Bilder zusammenführt (und mitBildverbindet), ist ziemlich abstrakt:

  • In jedem der Fälle 1. bis 4. wird die GESAMTMEngE in vier jeweils gleichgroße EINHEITEN unterteilt,

  • von denen dann (in den Fällen 1., 2. und 4., nicht aber in 3.; s.u.) jeweils drei zusammengefasst werden.

Dabei ist die Größe der EINHEITEN natürlich abhängig von der Größe der jeweiligen GESAMTMEngE.

  1. In

"drei Viertel": Bild

Drei dieser EINHEITEN werden zur roten Fläche Bild zusammengefasst.

  1. In

"3 von 4":     Bild

Bild,

woraus durch Teilung in vier gleichgroße Teile

Drei dieser EINHEITEN werden zur roten Gesamtfläche

Bild

 zusammengefasst.

(3. wird aus gutem Grund noch zurückgestellt; s.u.)

  1. In

"75 %": Bild

Bild

die GESAMTMEngE, aus der durch Teilung in vier gleichgroße Teile

Bild

Drei dieser EINHEITEN werden zur roten Gesamtfläche

Bild

zusammengefasst.

Damit aber zum ein wenig anders gelagerten Fall

"3 durch 4": Bild
 

Hier

Bild Bild Bild,

aus denen durch Teilung in vier gleichgroße Teile

Von diesen EINHEITEN werden in diesem 3. Fall aber nicht mehr drei zusammengefasst

(also z.B.  Bild ),

sondern die EINHEIT 1, EINHEIT 2, EINHEIT 3 und EINHEIT 4 bleiben vollständig nebeneinander stehen:

Bild
 

Nur in diesem 3. Fall liegt also eine eigentliche Teilung 3 : 4 bzw. Bild vor.

Eigentlich sollte man also sprachlich und in der Schreibweise unterscheiden:


Ich treibe hier die (unnötige?) Verkomplizierung bewusst auf die Spitze, um zu zeigen, dass die Bruchrechnung (u.a. für SchülerInnen) keineswegs so einfach ist, wie meist unterstellt wird.

Außer im 3. Fall "3 durch 4" bzw. 3 : 4 bzw. Bild

(also wenn tatsächlich drei Dinge auf vier Leute verteilt werden),

ist

Bild

eine vollständige Abstraktion, denn in den Fällen 1., 2. und 4. lautet die Frage immer

Bild wovon ?

bzw. Bild von welcher GESAMTMEngE ?

Und schon sind wir beim nächsten sprachlichen Problem: "wovon" wird nämlich in der Mathematik verwirrenderweise durch ein "mal" ausgedrückt.

  1. "drei Viertel": Bild

    Bild 1= 3/4

  2. "3 von 4":     Bild

    Bild 4 = 3

  3. "75 %": Bild

    Bild 100 = 75

Es kommt sprachlich sogar noch doller:

Und um die Verwirrung vollständig zu machen, bedeutet "3 von [!] 4" (s.o.) nochmals was ganz Anderes.

Die Abstraktion Bild

(also ohne "wovon" bzw. ohne genauere Betrachtung der GESAMTMEngE )

hat nun aber - und zwar durchaus auch im "normalen Leben" - gute Gründe:

oftmals wollen wir ja nur den relativen Anteil wissen

(vgl. Bild ),

und da ist es z.B. völlig egal, ob eine 1- oder eine 2-Literflasche Bild Alkohol enthält: in beiden Fällen ist es (unabhängig von der Flaschengröße) mörderisches Gesöff.

(Und man ist schon nach Leeren der 1-Liter-Flasche halbtot; da bedarf es gar nicht erst der 2-Liter-Flasche.)


Nach all der (übertriebenen?) Verkomplizierung erhalten wir aber ganz einfache Ergebnisse, wenn wir in 1., 2. und 4. als GESAMTMEngE einen (immer denselben!) Vollkreis Bild wählen. In allen drei Fällen erhalten wir

Und zuguterletzt lässt sich da auch noch 3. integrieren, wenn wir unter "3 durch 4"

 Bild ,

(weil bei gerechtem Teilen bzw. genauer Viertelung ja alle einen gleichgroßen Anteil bekommen)

nur das, was ein Repräsentant, also z.B. Arno, bekommt:

Bild

PS:

Die in diesem Aufsatz betriebene bewusste Verwirrung war nötig, um zu zeigen, welch enorme Schwierigkeiten SchülerInnen insbesondere bei Bruch-Textaufgaben ("wieviel wovon?") geradezu haben müssen.

PPS:

Dieser Aufsatz ist - wie so viele meiner Aufsätze - offensichtlich nicht (in erster Linie) für SchülerInnen, sondern für LehrerInnen gedacht: Die gezielte Verwirrung, die letzteren gegenüber Absicht ist, wäre ersteren gegenüber nur unverantwortlich

... und der Mathematikunterricht überproblematisiert sowieso (etwa bei den Kongruenzabbildungen und -sätzen) all zu oft, was ohne ihn überhaupt kein Problem wäre.

Im Schulunterricht würde ich also viel früher mit dem Ende obiger Argumentation (gleichgroßen GESAMTMEngEN) einsetzen bzw. mit dem Satz anfangen:

  • die GESAMTMEngE wird in vier jeweils gleichgroße EINHEITEN unterteilt,

  • von denen dann jeweils drei zusammengefasst werden.

Und dennoch ist mir auch dabei nicht wohl: die klare (vorgekaute) Stringenz solch eines Unterrichts würde allzu leicht - wie so oft - die (u.a. sprachlichen) Probleme nur übertünchen.

PPPS:

Vielleicht sind wieder mal die ontogenetische und die phylogenetische Entwicklung sehr ähnlich:

vielleicht haben wir LehrerInnen genauso große Schwierigkeiten, die Schwierigkeiten von Anfängern mit Brüchen zu verstehen, wie heutige Mathematiker und Mathehistoriker Schwierigkeiten haben, den Umgang früher griechischer Mathematiker mit Brüchen zu verstehen. Vgl.  Bild Bild  (ein leider unverschämt teures Buch).