eine neue Sprache im Mathematikunterricht:
„Exponentielles Wachstum […] überfällt einen
hinterrücks
auf wirklich unheimliche Weise.“

  "Einst [...] hatte ein Kunstkritiker den Maler [Böcklin] nach der Bedeutung des Bildes gefragt. Böcklin blickte ihn erstaunt an und antwortete knapp: »Das, was Sie sehen. Ich male nur Bilder und keine Bilderrätsel!«"
(Quelle: )

Ich war nicht nur Mathematik-, sondern auch Deutschlehrer, und im Fach Deutsch gibt es bei literarischen Texten die Uralt-Arbeitsanweisung

„Analysiere und interpretiere den Text!“:

eine Aufgabenstellung, die vielen Schülern, je länger sie auf der Schule sind, desto mehr zu sämtlichen Poren herauskommt:

„Wenn ich jetzt auch noch in Erdkunde einen Text analysieren soll, krieg‘ ich die Krätze.“
(ein Schüler vor der Tür des Erdkunderaums)

Und erst recht kriegen viele Schüler die Krätze bei der Teil-Anweisung

„interpretiere!“

Denn vielen Schülern ist trotz vielfachen Übens völlig unklar, was eine Interpretation eigentlich ist:

  • „was will uns der Schriftsteller damit »sagen«?“: das angeblich eigentlich Gemeinte, das der Autor eines Textes aber geradezu heimtückisch hinter einer Fassade versteckt;
  • oftmals geradezu das Gegenteil von dem, was er ausdrücklich sagt;
  • bzw. in Texte wird immer nur reininterpretiert, was nicht bereits in ihnen steht;
  • das, was der Deutschlehrer

(der ja die Interpretationen der Schüler bewertet)

völlig willkürlich für die einzig wahre Interpretation hält und das man in einer Klassenarbeit höchstens dadurch treffen kann, dass man eine Schrotschussladung abgibt, also möglichst viel und alles und jedes in der Hoffnung schreibt:


(Nebenbei: „Korn“ wird hier im Sinne von wörtlich genommen!)

Für des Lesens ungeübte Schüler ist es

(insbesondere bei sehr alten, „entfernten“ Texten)

oft schwierig bis geradezu unmöglich, die Druckerschwärze zum Leben zu erwecken.

Dabei ist es doch eigentlich so einfach:

man nehme die Texte „nur“ wörtlich - und hat dann auch schon eine Interpretation;
bzw. man darf nicht rein-, sondern muss rausinterpretieren.

Aufgegangen sind mir die Schwierigkeiten vieler Schüler, als ich vor ca. 30 Jahren mit Schülern durchgenommen habe und die Schüler überhaupt nicht die Brutalität des Textes mitbekamen.

(Nebenbei: vgl. auch aus dem Jahr 2006 ; allerdings war dieses Sommermärchen im Gegensatz zum Wintermärchen ein positiver [wahrgewordener] Traum.)

Und in Erinnerung ist mir auch geblieben, bei welcher Textstelle das geschehen ist.

Heine

(um hier mal das Ich des Textes mit dem Autor gleichzusetzen)

der aus politischen Gründen lange im Exil in Paris gelebt hat, reist doch wieder durch Preußen, das er erstmals wieder in Aachen betritt, wo er an einer Poststation den preußischen Adler

(im Folgenden ironisch zu einem beliebigen Vogel herabgestuft)

sieht:   

Zu Aachen, auf dem Posthausschild,
Sah ich den Vogel wieder,
Der mir so tief verhasst! Voll Gift
Schaute er auf mich nieder.

Da nehme man "tief verhasst" einfach wörtlich und setze da auch mal probeweise etwas ein, was man selbst abgrundtief hasst.

"Voll Gift / Schaute er" wird verständlich, wenn man sich ein anderes preußisches Schild ansieht: . Wegen der langen roten Zunge sieht der Adler da fast wie eine (Gift-!)Schlange aus. Gleichzeitig meint man "giftig schauen" manchmal aber auch im übertragenen Sinn von

.

Heine ist der Adler verhasst, weil der Adler gehässig guckt: das Ganze beruht auf Gegenseitigkeit.

Kommt hinzu, dass der Adler über Heine angebracht ist, und deshalb "Schaute er auf mich nieder."

Wörtlich genommen ist das räumlich gemeint, aber in übertragenem Sinn heißt es eben auch

.

Mag also sein, dass Heine sich wie im ersten Beispiel gemustert, also während der ganzen Reise im Blick der preußischen Behörden fühlt:

Vor allem aber fühlt Heine sich wohl geringgeschätzt - wie eben der rechtschaffene und biedere Mann im zweiten Beispiel: der preußische Staat schaut auf seine Unter(!)tanen herab.

Bemerkenswert ist aber auch, dass der Adler häufig für Macht und Aggression steht:

"Schon in der Antike stand der Adler für Unsterblichkeit und irdische Macht. […]
Er wird sehr, sehr häufig als auffliegend dargestellt, von vorn zu sehen, zum Angriff bereit, den Kopf zur Seite gewendet, die Fänge (Krallen) gespreizt, die Flügel halb ausgebreitet."
(Quelle: )

Kein Wunder also, dass es dann aus Heine herausbricht:

Du häßlicher Vogel, wirst du einst
Mir in die Hände fallen;
So rupfe ich dir die Federn aus
Und hacke dir ab die Krallen.

Das ist zwar nur ein Wunschtraum, aber man nehme ihn wirklich mal wörtlich: jemand rupft einem Adler bei lebendigem Leib die Federn aus

(da wirkt sogar ein Suppenhuhn plötzlich brutal)

und hackt ihm die Krallen ab!

Noch deutlicher gefällig?: man "tue" letzteres in seiner Phantasie mal mit einer einem an!

Wichtig an all dem ist: selbst derjenige, dem die von mir angeführten Hintergrundinformationen fehlen und der nichtmal merkt, dass der Vogel ein Adler und zudem der preußische Adler ist, müssten die Brutalität und damit der mörderische Hass Heines aufgehen - was doch bereits die halbe Miete einer Interpretation ist.

(Nebenbei: die „übertragenen“  Bedeutungen von „voll Gift / Schaute“ und „Schaute er auf mich herab“ sind keine [willkürlichen oder verborgenen] „Interpretationen“, sondern alltagssprachliche Zweitbedeutungen.)



(Sergio Ramos foult Lionel Messi)

Nun aber endlich zu

„Exponentielles Wachstum […] überfällt einen
hinterrücks
auf wirklich unheimliche Weise.“

Ein geübter Leser braucht da nichtmal die Illustration , sondern indem er das Wort „hinterrücks“ wörtlich nimmt, denkt er sofort an hinterhältigen Mord

(und entsteht in seinem Kopf sofort ein inneres Bild davon).

Dabei bedeutet "wörtlich" hier die Lexikondefinition(en):

Es ist also keine willkürliche und übertriebene Interpretation, dass in

„Exponentielles Wachstum […] überfällt einen
hinterrücks […]“

(keine Ahnung, welche Absichten Autoren beim Schreiben hatten, wenn sie diese nicht ausdrücklich genannt haben)

(und zwar eventuell auch gegen die Absicht des Autors: er hat nunmal das Wort „hinterrücks“ benutzt und danach keine Kontrolle mehr darüber, welchen Teil des Bedeutungsspektrums von „hinterrücks“ Leser assoziieren;

ein Problem besteht allerdings darin, dass der Text ursprünglich in englischer Sprache geschrieben wurde und ich nicht weiß, was da an der Stelle „hinterrücks“ ursprünglich in Englisch stand; für meine Argumentation hier ist mir allerdings auch die deutsche Übersetzung recht)

Nun aber noch zu

„[…] auf wirklich unheimliche Weise“,

wobei mich hier erstmal das Wort "wirklich" interessiert:

Im vorliegenden Fall „[…] auf wirklich unheimliche Weise“ scheint mir am ehesten "im eigentlichen [bzw. wörtlichen!] Sinne" passend, womit sich ergibt:

„[…] auf im wörtlichen Sinne unheimliche Weise“

Oder der Autor will (?) signalisieren: "ich meine das Wort »unheimlich« wirklich ernst [= wörtlich!] und übertreibe damit nicht".

Was aber bedeutet das Wort "unheimlich" im wörtlichen Sinne?:

Im Zusammenhang mit dem oben erläuterten "hinterrücks" scheint mir "unheimlich"

(wobei "ein unbestimmtes Gefühl der Angst" vielleicht noch schlimmer ist als eine Angst, deren Ursache man genau kennt)

Nun aber zum grammatikalischen Subjekt in

Exponentielles Wachstum […] überfällt einen
hinterrücks
auf wirklich unheimliche Weise.“

Eines der dämlichsten Argumente insbesondere von Klugscheißer-Mathe-Nerds unter Schülern ist es, dass exponentielles Wachstum

(oder allgemein gesagt: dass die gesamte Literatur eine einzige Lüge oder zumindest doch maßlose Übertreibung sei).

Weil in der exponentielles Wachstum

spricht man von einer "Personifizierung": es wird probeweise so getan, als wenn exponentielles Wachstum eine Person (ein Lebewesen) sei.

Aber dieses "probeweise so getan, als wenn" ist auch nur eine Verharmlosung,

  1. allgemein, weil unser Gehirn anders funktioniert: es glaubt erst fast jede Behauptung und jedes Bild

(hier, dass exponentielles Wachstum jemanden absichtlich heimtückisch überfallen kann),

um evtl. erst in einem zweiten Schritt zu sagen: "Aber das ist doch falsch." Jedoch hat hat das Gehirn die Behauptung dann doch mal kurz geglaubt - und das bleibt trotz allem oftmals hängen

(und erklärt die ungeheure Suggestivität auch noch so falscher oder unwahrscheinlicher Bilder).
  1. im Hinblick auf die Mathematik, weil es manchmal durchaus so scheint, als wenn die mathematischen "Sachverhalte" lebendig, denkfähig und fallweise sogar schlauer als Menschen (Mathematiker) sind.
(Vgl. etwa den Umstand, dass in jedem [!] Dreieck die drei Seitenhalbierenden sich in einem Punkt schneiden  [und dieser Schnittpunkt dann auch noch der Schwerpunkt des Dreiecks ist]: woher "weiß" die dritte Seitenhalbierende, dass sie ebenfalls durch den Schnittpunkt der ersten beiden Seitenhalbierenden gehen muss? Dass es dafür einen Beweis gibt, demontiert diese Frage keineswegs, da der Beweis aus so vielen Einzelschritten besteht, dass er zu keinem Gesamtbild und keiner Anschauung führt.)

Nun aber endlich zu dem Buch

(im Original ),

aus dem das Zitat

„Exponentielles Wachstum […] überfällt einen
hinterrücks
auf wirklich unheimliche Weise.“

stammt.

Der Buchtitel ist arg allgemein, weshalb erst durch den deutschen Untertitel klar wird, was die Stoßrichtung des Buches ist - und dass der vervollständigte, dann aber vielleicht doch zu sperrige Titel in etwa lauten müsste.

Das Buch ist also keineswegs ein Mathematik-, sondern ein Wirtschaftsbuch. Dabei ist seine zentrale These zwar nicht neu, aber sie wird in allerfeinst angelsächsischer populärwissenschaftlicher Manier mit neuesten Daten begründet.

Die Hauptthese des Buch ist, dass ein ewiges (und gar exponentielles) Wirtschaftswachstum "widernatürlich" ist:

„Wachstum ist die wichtigste Direktive des Kapitals. Nicht Wachstum für irgendeinen bestimmten Zweck, wohlgemerkt, sondern Wachstum um des Wachstums willen. Und darin liegt eine Art totalitärer Logik: jede Branche, jeder Sektor, jede nationale Wirtschaft muss wachsen, die ganze Zeit, ohne dass irgendein Endpunkt auszumachen wäre. Es ist gar nicht so leicht, die Folgen dieses Imperativs vollständig zu begreifen. Normalerweise nehmen wir die Vorstellung von Wachstum als selbstverständlich hin, weil sie so natürlich klingt. Und das stimmt ja auch. Alle lebenden Organismen wachsen. In der Natur gibt es beim Wachstum aber eine selbstbegrenzende Logik: Organismen wachsen bis zu einem Reifepunkt und behalten dann den Zustand eines gesunden Gleichgewichts bei. Wenn das Wachstum nicht aufhört – wenn die Zellen sich einfach nur immer weiter reproduzieren –, ist dies auf einen Irrtum bei der Kodierung zurückzuführen, wie das etwa bei Krebs der Fall ist. Diese Art Wachstum wird schnell tödlich.“

"widernatürlich" ist ein ewiges Wirtschaftswachstum laut Hickel insbesondere, weil es wider die Natur ist, nämlich zu der ökologischen (Klima-)Katastrophe führt, die wir längst erleben, und sie noch weiter verschärft.

(Endloses exponentielles Wachstum ist nur in der abstrakten Mathematik möglich.)

Hickels Hauptthese soll hier nicht diskutiert werden, sondern mich interessiert hier nur, mit welchen Wörtern er über exponentielles Wachstum spricht.

Um „weniger Wirtschaftswachstum“ geht es auch in der längeren Textstelle, der das Zitat

„Exponentielles Wachstum […] überfällt einen
hinterrücks
auf wirklich unheimliche Weise.“

entnommen ist:

“Normalerweise wächst die Weltwirtschaft pro Jahr um etwa drei Prozent. Diesen Wert halten Ökonominnen und Ökonomen für notwendig, um sicherzustellen, dass die meisten Kapitalist*innen eine positive Rendite einbringen. Drei Prozent klingt nach nicht sehr viel, aber das liegt daran, dass die Vorstellung von Wachstum, die wir im Kopf haben, normalerweise linear verläuft. Exponentielles Wachstum – was die Grundstruktur der Reinvestition von Kapital ist – ist [hingegen] etwas, das man nur schwer nachvollziehen kann. Es überfällt einen hinterrücks auf wirklich unheimliche Weise.

Zur Illustration fährt Hickel direkt danach eines der berühmtesten Beispiele für exponentielles Wachstum an.

“Es gibt eine alte Fabel, die den surrealen Charakter des [exponentiellen] Wachstums gut verständlich macht – die Geschichte von dem Mathematiker im alten Indien. Um ihn für seine Verdienste zu ehren, ließ ihn der König in den Palast rufen und bot ihm ein Geschenk an: »Nenne mir, was du willst«, sagte er, »und es ist dein.« Demütig antwortete der Mann: »Mein König, ich bin ein bescheidener Mann – ich erbitte nicht mehr als ein wenig Reis.« Er holte ein Schachbrett heraus und fuhr fort: »Lege ein Korn auf das erste Feld, zwei auf das zweite, vier auf das dritte und verdoppele die Körner auf jedem Feld immer weiter, bis du am Ende des Brettes angelangt bist. Damit will ich mich zufriedengeben.« Dem König kam die Bitte seltsam vor, aber er willigte ein und war froh, dass der Mann nichts Aufwendigeres verlangt hatte. Am Ende der ersten Reihe lagen weniger als 200 Körner auf dem Brett – nicht einmal für eine Mahlzeit ausreichend. Dann aber nahm die Angelegenheit eine sehr merkwürdige Wendung. Auf das 32. Feld – das war gerade die Hälfte – musste der König zwei Milliarden Körner legen – und damit sein Königreich zugrunde richten. Wäre er in der Lage gewesen weiterzumachen, hätte er 18 Trillionen Körner auf das 64. Feld legen müssen, genug, um ganz Indien mit einer Reisschicht von einem Meter zu bedecken.“

Daran ist allerlei bemerkenswert:

  1. benutzt Hickel eine neue Charakterisierung des exponentiellen Wachstums, nämlich „surreal“:

  1. verspricht Hickel etwas Paradoxes, nämlich das Surreale verständlich zu machen

(das ist etwa so, als wollte man die Metaphysik mit der Physik erklären).

Aber vielleicht ist hier mit "verständlich" doch eher "emotional erfahrbar" gemeint.

  1. (aber das nur nebenbei) trieft der Mathematiker (!) in der Geschichte vor Ironie: er ist keineswegs demütig und bescheiden, sondern seine Demut und seine Bescheidenheit sind nur gespielt: in Wirklichkeit ist er geradezu hinterhältig und will er anscheinend

(weil er im Gegensatz zum König schon vorweg weiß, worauf seine Bitte hinausläuft)

den König belehren, wenn nicht gar beschämen - oder veräppeln

(eine potentielle Majestätsbeleidigung, die für den Mathematiker übel ausgehen könnte).

Genauso ist auch „ich erbitte nicht mehr [!] als ein wenig [!] Reis“ blanke Ironie.

  1. besteht das Surreale wohl darin, dass

(Nur Mathematiker verstehen [?] noch, wohin das alles führt, und können es sogar exakt berechnen.

Nebenbei: es ist ein Standardvorwurf gegenüber der Mathematik, dass sie alles Einfache unnötig kompliziert mache, und  dieses Unversehens-kompliziert-Werden kommt ja tatsächlich häufig in der Mathematik vor

[vgl. z.B. die Goldbachsche Vermutung oder Fermats letzten Satz],

ist für Mathematiker aber auch gerade das Reizvolle an der Mathematik

[immer wieder gemischt mit großer Frustration].)

  1. lokalisiert Hickel eine „eine sehr merkwürdige Wendung“ nach der ersten Reihe des Schachbretts, was sich so anhört, als wenn zwischen dem achten und neunten Feld urplötzlich ein "Knick" vorliegt

(wobei das Wort „merkwürdig“ doppeldeutig ist:

Dann aber springt Hickel sofort sehr weit: „beim 32. Feld – das war gerade die Hälfte – musste der König zwei Milliarden Körner legen – und damit sein Königreich zugrunde richten.“

Das „Befüllen“ des Schachbretts wirkt aber gerade deshalb so „hinterrücks“, weil es eben keinen klaren „Knick“ gibt, sondern der König zu spät bemerkt, dass er inzwischen sein ganzes Königreich verspielt hat.

(Nebenbei: wäre der Mathematiker wirklich hinterhältig, so würde er das Königreich nun tatsächlich einfordern - oder ersatzweise die natürlich bildschöne Königstochter und das halbe Reich?)

  1. Hickel kommt weder in der Schach-Reis-Geschichte noch im restlichen Buch auf die eigentliche mathematische Definition und Beschreibung exponentiellen Wachstums zu sprechen, und dementsprechend erklärt er auch nichtmal, woher das Wort "exponentiell" kommt.

Für seine Zwecke in dem Buch scheint es zu genügen, dass man die "Explosionskraft" exponentiellen (Wirtschafts-)Wachstums eindrücklich erlebt. So heißt es an anderer Stelle des Buchs:

"Man muss also nicht Mathematik studiert haben, um sich auszurechnen, wer für das Chaos [!] verantwortlich ist, in dem wir uns befinden.",

wobei mit "sich auszurechnen" sicherlich

(und "Chancen ausgerechnet" bedeutet sicherlich keine Wahrscheinlichkeitsrechnung:

"Was steht auf dem Grabstein eines Mathematiklehrers?
 »Damit hat er nicht gerechnet.«).

Man kann die Schach-Reis-Geschichte auch noch schöner und anschaulicher machen, als Hickel es getan hat.

Vgl. z.B.

  • das Buch , das beweist, dass man das Grundproblem exponentiellen Wachstums auch schon Grundschulkindern vermitteln kann;
    • Leseprobe:  
    • Hörspielversion des Buchs:
  • schön im Märchenton vorgelesen und wunderbar veranschaulicht:
 

In dem Buch folgt direkt nach der Schach-Reis-Geschichte die Übertragung auf Hickels eigentliches Thema, nämlich das Wirtschaftswachstum:

"Derselbe unheimliche Mechanismus ist am Werk, wenn es um wirtschaftliche Expansion geht. Diese Tendenz wurde im Jahr 1772 von dem Mathematiker Richard Price erkannt. Exponentielles Wachstum, betonte er, »erhöht sich zunächst langsam … aber da sich die Rate des Wachstums stetig beschleunigt, wird es nach einer gewissen Zeit so schnell, dass es jede Vorstellungskraft sprengt«. Nehmen wir einmal die Weltwirtschaft im Jahr 2000 und lassen sie um die übliche Rate von drei Prozent pro Jahr wachsen. Selbst bei diesem bescheiden klingenden Zuwachs wird sich die Wirtschaftsleistung alle 23 Jahre verdoppeln, was eine Vervierfachung noch vor der Mitte des Jahrhunderts bedeutet, also innerhalb der halben Lebensspanne eines Menschen. Und wenn wir mit der gleichen Rate weiterwachsen, wird die Wirtschaft am Ende des Jahrhunderts zwanzig Mal größer sein – zwanzig Mal mehr, als was wir jetzt schon tun in den wilden 2000ern. Noch einmal hundert Jahre später und sie ist 370-mal so groß. Weitere hundert Jahre danach ist sie 7.000-mal so groß und so weiter. Das sprengt jede Vorstellungskraft."

Bemerkenswert daran ist:

(Nebenbei: die Mathematik ist ja eben auch eine Sonde in die unvorstellbaren Weiten des Universums, aber dann natürlich notgedrungen abstrakt.)

Weil Hickel

(vom 8. zum 32. zum 64. Schachbrett-Feld)

(die Weltwirtschaft im Jahr 2050, 2100 und 2200)

allzu schnell springt, bleibt unklar, weshalb das exponentielle Wachstum einen „hinterrücks“ überfällt.

Um das herauszufinden, muss man schon ein wenig „mathematischer“ werden:

weil heutzutage keiner mehr Lust hat, solch gigantische Zahlen wie in der folgenden Tabelle zu berechnen

(immer in der Gefahr, sich zu verrechnen und ab da nur Folgefehler zu haben),

schmeißen wir einen Computer an, der uns die Tabelle und den zugehörigen Graphen auswirft:

 

Dabei ist die Tabelle links eher irreführend, denn die Zahlen in ihr wachsen annähernd (?) linear:

 

(Hier sei nicht erklärt, warum das so ist [nämlich weil die Dezimalschreibweise "logarithmisch" ist].)

Sondern die Tabelle dient uns nur dazu, den Wachstumsgraphen zu zeichnen:

 

Bemerkenswert daran ist doch, dass der Graph

(Selbstverständlich wäre im Unterricht wäre zusätzlich (durch Rückgriff auf die Tabelle) unbedingt zu erarbeiten, dass der Graph

  1. weder teilweise exakt waagerecht
  1. noch teilweise exakt senkrecht ist

[und dass auch ein falsches Kurvenstück eingebaut wurde]

  1. und warum er es dennoch teilweise zu sein scheint.)

Bleiben wir erstmal beim (Spielzeug-)Autorennen

(oder einer Modelleisenbahn; am besten wäre es, wenn ein Schüler sowas besäße und mitbringen könnte, damit die Schüler die Strecke tatsächlich "tun" könnten).

Angenommen mal, wir wollten ein illegales Autorennen wie in oder veranstalten

(und das, weil wir ja gehirnamputiert sind, am besten mitten in einer belebten Stadt).

Als zusätzliche Herausforderung veranstalten wir das Autorennen im Nebel   oder nachts, d.h. wir sehen immer nur ein kurzes Stück Straße vor uns, aber nicht die ganze Strecke.

Nach dem Start haben wir eine harmlose gerade Strecke vor uns und können mal so richtig schön Vollgas geben:

Ein bisschen weiter sieht's dann so aus:

:

Da ist noch immer alles hübsch harmlos gerade, wir können also das Gaspedal durchgedrückt halten: .

Bruchteile einer Sekunde später sieht's aber so aus:

:

Weil wir uns in Sicherheit gewiegt haben

(„das läuft doch alles wunderbar, das kann doch ewig so weitergehen“),

überfällt uns die Kurve hinterrücks

(„muss denn auch diese scheiß Kurve im Weg sein?“),

wir können nicht mehr bremsen - und deshalb endet es mit uns so:



Wenn exponentielles Wachstum

(evtl. nach sehr langer „Flachheit“)

erstmal in einer „Kurve“ hochstartet, dann ausgesprochen rabiat:

 

Ein erschreckend gefährliches Beispiel für solch ein rabiates Wachstum zeigt ein Modell im Deutschen Museum in München:


Bevölkerungszahl auf der Erde

Mit meinen derzeit (2022) 63 Jahren bin ich genau in der „Kurve“ aufgewachsen:

Weil aber der Graph lange Zeit so flach war, sind viele überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass sich das mal ändern könnte - und dann von der rasanten Entwicklung hinterrücks überfallen bzw. eiskalt erwischt worden.

(Eine Ausnahme war Thomas Robert Malthus [* 1766  + 1834]; vgl. .)

Immerhin gibt es seit wenigen Jahren einen Hoffnungsschimmer: die Bevölkerungszahl scheint nicht mehr ganz so stark, also auch nicht mehr exponentiell zu wachsen

(aber sie wächst nach wie vor):

(Vgl.


Weiterhin ein wenig "mathematisch" wäre nun noch zu veranschaulichen, dass exponentielles Wachstum ab einem bestimmten Punkt besonders schnell explodiert.

Dazu bemühen wir jetzt doch mal eine Wertetabelle:

Auffällig daran ist, dass

An der Wertetabelle wird deutlich, dass zwar alle drei Funktionen wachsen, aber auf die Dauer

Wenn man alle drei Funktionsgraphen ins selbe Koordinatensystem zeichnet, wird noch etwas anderes Interessantes deutlich:

Die Exponentialfunktion liegt

Bislang haben wir uns nur spezielle lineare, quadratische und exponentielle Funktionen angeschaut

(nämlich 2 x, x2 und 2x).

Es lässt sich aber zeigen, dass jede einzelne Exponentialfunktion
(z.B. die scheinbar harmlose Funktion 3x)
(z.B. y = 1000000 x)
(z.B. 88888888 x9999999999999999 )
wird,

Jede einzelne Exponentialfunktion kann es also problemlos mit allen linearen und allen Potenzfunktionen aufnehmen:


Wenn all das gesagt ist, kann die übliche

(auch wichtige!)

Schulmathematik zum Thema „exponentielles Wachstum“ anfangen.

Aber all das oben Gesagte ist der eigentliche Beitrag des mathematischen Themas „exponentielles Wachstum“ zur Allgemeinbildung!

Denn dann kann man z.B. die mathematischen Teile von verstehen.

(So gesehen ist die "eigentliche" Mathematik nur ein zusätzlicher Luxus:

"Ich kann auf alles verzichten. Nur nicht auf Luxus."
[Oscar Wilde  ]).


Inzwischen haben wir ein großes Arsenal an Wörtern

(und auch Bildern),

die das exponentielle Wachstum beschreiben:

Das sind fast alles Wörter, die für Mathematiker anrüchig subjektiv und deshalb in „richtigen“ Mathematik(schul)büchern tabu sind und auch in kaum einem Unterricht auftauchen.

Aber sie sind gerade für Anfänger (Schüler) / Laien das notwendige Fleisch an den dürren Knochen der Mathematik:


PS:

à propos Sprache: meine liebe Fachleiterin im Referendariat

(Gott hab sie selig!)

würde mich wegen meines

(gelinde gesagt)

laxen Gebrauchs der mathematischen Fachsprache in diesem Essay hinrichten

(wenn ich hier z.B. die Begriffe Funktion, Funktionsgleichung, Funktionsterm und Funktionsgraph fast synonym verwende).

Eine Hinrichtung, mit der ich heutzutage prächtig leben könnte.

 

PPS:
( , 30.11.2022 während der WM in Katar)
PPPS: