Lösungsweg:
A. Vorüberlegungen
Im vorliegenden Fall liegt glücklicherweise tatsächlich eine Binomialverteilung vor, da es nur zwei Alternativen gibt:
2. Problemklärung
Es lohnt sich immer, Extremfälle durchzudenken, weil man an ihnen besonders deutlich grundsätzliche Probleme erkennen kann:
(vgl. "Man ist sich auch der Zufälligkeit von Stichprobenergebnissen bewusst"),
aber immerhin doch mathematische, also halbwegs objektive Kriterien für unsere Entscheidung.
3. Herausdestillieren der Mathematik aus der Textaufgabe
10% entspricht 0,1 , Stichprobenumfang n = 200 , 95% entspricht 0,95
Man möchte überprüfen, ob die Beliebtheit der Sendung tatsächlich zugenommen hat, ob also die Vermutung p > 0,1 zutrifft.
Bei der Aufstellung der Hypothesen geht man so vor:
· Alternativhypothese H1 = das, was gezeigt werden soll,
im vorliegenden Fall also H1: p > 0,1 ,
· Nullhypothese H0 = das Gegenteil dessen, was gezeigt werden soll,
im vorliegenden Fall also H0: p ≤ 0,1 .
Vorerst ohne Erklärung: wir testen
(merkwürdigerweise „Alternativhypothese“ genannt),
(Eselsbrücke: die erste Hypothese, die wir aufstellen, nennen wir passend H1, und von da aus gehen wir noch einen Schritt zurück zu H0.) |
Bei Ablehnung der Nullhypothese H0 wird unsere Alternativhypothese H1 angenommen.
(Das ist erstmal so um die Ecke gedacht, wie wenn man beweist, dass ein Elefant außerhalb eines Kühlschranks ist, indem man zeigt, dass er nicht in diesem ist.)
Im vorliegenden Fall also:
falls es nicht so aussieht, dass 10% oder weniger die Sendung gucken (H0),
nehmen wir an, dass mehr als 10% sie gucken (H1)
(und dann kaufen wir die nächste Staffel).
H0 soll im Folgenden durch die Telefonumfrage getestet werden.
Die geforderte Sicherheit von 95% bzgl. der Nullhypothese H0 bedeutet, dass wir
(also keine zusätzlichen Sendungen kaufen),
(und zu Unrecht neue Sendungen kaufen).
Man spricht dann auch vom „Signifikanzniveau a ≥ 5%“.
Insgesamt liegen wir also mit einer Wahrscheinlichkeit von nur 5% falsch, wenn wir unsere Alternativhypothese H1: p > 0,1 annehmen.
(und neue Sendungen kaufen, was dann allerdings viel rausgeschmissenes Geld bedeuten würde).
den Annahmebereich von H0, in dem die Anzahl der Umfrageanworten „ich schaue die Serie“ liegt, bei der wir H0 annehmen
(H1 also ablehnen),
(also H1 annehmen).
Die bisherigen
Überlegungen müssen allesamt stattfinden, bevor
die Umfrage durchgeführt wird. Es muss also immer schon vorher
feststehen, wie man mit späteren Umfrageergebnissen
umgehen wird, egal, wie die Umfrage dann ausfällt. Sonst könnte man ja hinterher
eine Rechnung erfinden, mit der unliebsame Umfrageergebnisse nachträglich
schöngerechnet werden.
B. Mathematisierung
Dieser Teil handelt ausschließlich von der Nullhypothese H0: p ≤ 0,1 . Auf unsere ursprüngliche Alternativhypothese H1: p > 0,1 werden wir erst im Teil D. zurückkommen.
Aus der Aufgabenstellung und den Vorgedanken oben entnehmen wir folgende Werte:
Als einzige Formeln, die wir bei Binomialverteilungen brauchen, haben wir:
= n • p • (1 – p) ,
Damit sind wir vollständig in der Mathematik – und können für einige Zeit die Aufgabe bzw. den Anwendungsanlass vergessen.
Insbesondere ist an der Aufgabe alles bloße Verzierung (und absichtliches Versteckspiel?), was im Folgenden frech durchgestrichen ist:
„ |
Wirklich mathematisch an der Aufgabenstellung ist also nur
„… 10%. … zugenommen … zugenommen … 200 … Sicherheit von mindestens 95% ….“
Daran wird aber deutlich, wodurch die typischen Schwierigkeiten mit Textaufgaben zustande kommen:
man sieht(in der vorliegenden Aufgabe bei 10%, 200 und 95% ),
(in der vorliegenden Aufgabe bedeutet „zugenommen“ das mathematische Zeichen > [größer] und „mindestens“ das Zeichen ≥ [größer oder gleich]).
vorkommen
(also auch, wenn statt von Zuschauerzahlen beispielsweise von kaputten Schrauben die Rede ist) .
Mehr noch: da das Prinzip der Rechnungen dasselbe bleibt, wenn man andere Anfangswerte einsetzt
(z.B.
gelten die folgenden Rechnungen im Prinzip für alle Binomialverteilungen bzw. sind die Rechnungen leicht (?) auf Binomialverteilungen mit anderen Anfangswerten übertragbar.
(Das ja eben ist der Grund
dass sie
- überschaubar viele Rechenwege [„Algorithmen“]
- für potentiell unendlich viele Anwendungsprobleme anbietet.
Z.B. ist
- ein einziger mathematischer Satz, nämlich der Satz des Pythagoras,
- ein Rechenverfahren für alle, also unendlich viele rechtwinklige[n] Dreiecke.)
C. rein innermathematischer Teil
Wenn man erstmal derart in die reine Mathematik entfleucht ist, braucht man eigentlich nur noch die mathematische Symbolsprache. Leserfreundliche Autoren fügen aber - je nach Vorkenntnissen ihrer Zielgruppe - doch noch einige knappe „Regieanweisungen“ bzw. überleitende Erklärungen hinzu. Insgesamt sieht das dann z.B. so aus:
Alle Klarheiten beseitigt?
Gehen wir die zitierte Passage also ein bisschen langsamer, d.h. mit längeren bzw. mehr Zwischenerklärungen an:
m = n • p = = 200 • 0,1 = 20 oder kurz m = 20 ; |
o Varianz σ2 = m • (1 – p ) = = 20 • (1 – p ) = = 20 • (1 – 0,1) = = 20 • 0,9 = 18 oder kurz
Varianz σ2
=
18
o Standardabweichung σ = ≈ 4,26 oder kurz
Standardabweichung σ
= ≈ 4,26
|
Wiederum ohne Begründung: um eine 95%ige Sicherheit zu erreichen, legen wir um den Erwartungswert m = 20 den Annahmebereich mit dem Radius
r = 2 • σ = = 2 • = ≈ 2 • 4,26 = = 8,52 oder kurz r ≈ 8,52 bzw. aufgerundet r = 9 . |
(Vgl.
;
Es ist zudem anzumerken, dass wir mit der 2σ-Regel eine einfachere Regel verwenden als der Aufgaben-Autor mit seiner 1,64σ-Regel und dass wir daher auch zu anderen Ergebnissen kommen werden als er.)
Mit r = 9 ergibt sich
L = m – r = = 20 – 9 =
=
11 L = 11 ,
= 20 + 9 = = 29 oder kurz R = 29 . |
(Durch das Aufrunden von r auf 9 sind zum Annahmebereich zusätzlich die beiden Randzahlen 11 und 29 hinzugekommen.)
Schauen wir uns nun die 200er-Stichprobe und daran vergrößert den besonders wichtigen Annahmebereich an:
Wenn wir nun in den vergrößerten Bereich die oben berechneten Werte eintragen, ergibt sich
und somit (vorerst) als Annahmebereich der Nullhypothese das Intervall [ 11 ; 29 ] .
Machen wir uns nach all den Rechnungen nun aber klar, was das im Hinlick auf die Nullhypothese bedeuten würde:
(also von einer schlechten Akzeptanz der Fernsehserie ausgehen und daher keine neue Staffel kaufen),
wenn zwischen 11 und 29 der insgesamt 200 befragten Zuschauer die Serie anschauen;
im Umkehrschluss hieße das aber, dass wir die Nullhypothese ablehnen würden
(also unsere ursprüngliche Alternativhypothese annehmen und somit eine neue Staffel kaufen würden),
wenn
entweder weniger als 11 Befragte, also zwischen 0 und 10 Befragte (Bereich BL )
oder mehr als 29 Befragte, also zwischen 30 und 200 Befragte (Bereich BR )
die Serie anschauen:
Nun würde der Fall a. aber bedeutet, dass wir
von einem erhöhten Serienkonsum ausgehen und eine neue Staffel kaufen würden,
wenn besonders wenige (nämlich zwischen 0 und 10) Befragte die Serie gucken würden.
Dazu müssten wir z.B. denken:
"Wenn besonders wenige Leute die Serie angucken, kaufen wir die neue Staffel aus purem Trotz erst recht. Uns schert also nicht im mindesten die geringe Nachfrage der Zuschauer, bzw. wir werden durch ein vermehrtes Angebot eine höhere Nachfrage überhaupt erst erzeugen.“
Mag sein, dass einige Fernsehsender tatsächlich so denken, aber wieso machen sie dann überhaupt eine Umfrage?!
Da der Bereich BL somit ein unsinniger Ablehnungsbereich ist, schlagen wir ihn tolldreist zum ursprünglich berechneten Annahmebereich der Nullhypothese und erhalten als neuen
Annahmebereich der Nullhypothese das Intervall [ 0 ; 29 ] : |
Für den Ablehungsbereich der Nullhypothese bleibt dann nur noch der Bereich BR, also das Intervall [30 ; 200] : |
Da uns das mathematische Ergebnis links also gar nicht interessiert, spricht man auch von einem „rechtsseitigen“ Hypothesentest
(in anderen Fällen gibt es auch links- oder beidseitige Hypothesentests).
In diesem Kapitel B. war mit einer einzigen kleinen Ausnahme nur von der Nullhypothese die Rede. Da nun aber alle wichtigen Werte bzgl. der Nullhypothese berechnet sind, können wir endlich zu unserer ursprünglichen, also der Alternativhypothese zurückzukehren
(bzw. um das Elefantenbild von oben nochmals zu bemühen: vom Nichtvorhandensein des Elefanten innerhalb des Kühlschranks auf seine Anwesenheit außerhalb des Kühlschranks zu schließen):
D. Rückkehr zur ursprünglichen Alternativhypothese und zum "Fernsehproblem"
Bei einer Binomialverteilung, bei der es nur zwei komplementäre Möglichkeiten gibt (hier
ist
95%ige Sicherheit bedeutet dabei, dass wir bei mehrfacher Wiederholungen dieses Entscheidungsverfahrens nur in 5% aller Fälle (also bei nur einer von zwanzig Entscheidungen) falsch lägen (hier wurde der Konjunktiv benutzt, weil das Entscheidungsverfahren vielleicht nur ein Mal angewandt wird, nämlich bei der vorliegenden Fernsehserie). Dabei ist es natürlich durchaus möglich (aber doch unwahrscheinlich), dass wir bereits bei der ersten (und evtl. einzigen) Entscheidung falsch liegen. |
Im Nachhinein wird auch klar, wieso man nicht direkt die Alternativhypothese angeht, sondern den Umweg über die Nullhypothese einschlägt:
ein philosophisch-psychologischer Grund:
in der Aufgabenstellung heißt es:
"Das Management des Senders vermutet, dass die Beliebtheit der Serie im letzten Quartal des Vorjahres sogar etwas zugenommen hat."
Das heißt aber doch, dass das Managment nicht unvoreingenommen an die Sache rangeht, sondern eine vorgefasste Meinung (Vermutung) hat.
(Allerdings scheint das Managment
Solch ein Vorurteil ist aber immer gefährlich, da es schnell betriebsblind gegenüber jenen Aspekten macht, die der vorgefassten Meinung widersprechen. Deshalb sollte nach dem Philosophen Karl Popper (nicht nur) jeder Wissenschaftler sogar gezielt nach jenen Aspekten suchen, die seiner vorgefassten Meinung widersprechen. In unserem Fall ist aber eben die Nullhypothese das Gegenteil der ursprünglichen (Alternativ-)Hypothese.
mathematische
erster mathematischer Grund:
Letzteres bedeutet aber, dass wir unsere ursprüngliche Alternativhypothese nur unter sehr strengen Bedingungen akzeptieren, unserer vorgefassten Meinung gegenüber also sehr kritisch sind.
Wieder ohne Nachweis: im Regelfall kommt
(sogar dann, wenn man nicht rundet)
nicht derselbe Annahmebereich der Alternativhypothese heraus, wenn man diesen direkt bestimmt, also ohne Umweg über die Nullhypothese.
Schlussbemerkung
... zum tieferen Verständnis unseres obigen Vorgehens wie überhaupt der gesamten Wahrscheinlichkeitsrechnung:
wir waren oben von p ≤ 0,1 zu p = 0,1 über- oder genauer zurückgegangen. Auf den ersten Blick diente das allein der Arbeitserleichterung, da mit Gleichungen viel einfacher gerechnet werden kann als mit Ungleichungen.
In Wirklichkeit ist diese Arbeitserleichterung aber "nur" ein (höchst willkommenes) Abfallprodukt viel fundamentalerer Überlegungen
(und damit ist die Arbeitserleichterung nicht bloße, evtl. sogar mathematisch falsche oder zumindest doch ungenaue Willkür) :
"fundamental", weil hier überhaupt erst klar wird,
wie Wahrscheinlichkeitsargumentationen funktionieren und
wie etwas auf den ersten Blick geradezu paradox Erscheinendes möglich ist: exakte Rechnungen über die doch ungewisse Zukunft.
Die weise Selbstbeschränkung besteht darin, ausschließlich mit der einzig bekannten Tatsache zu argumentieren, von der man aus der Vergangenheit
(und nur diese ist sicher!)
weiß: dass bislang genau 10% der Zuschauer die Fernsehserie geguckt haben.
Nun verlängert man diese exakt 10% in die Gegenwart und Zukunft , d.h. man geht davon aus, dass
sich nichts ändert,
also auch in der Gegenwart und Zukunft 10% der Zuschauer die Fernsehserie gucken (werden) und somit
p gleich 0,1 ist bzw. sein wird .
Nun können wir aber niemals das Fernsehverhalten aller Zuschauer in der Zukunft herausbekommen, sondern nur eineTelefonumfrage mit n = 200 Personen machen.
Bei dieser zukünftigen Telefonumfrage spielt nun aber der unplanbare Zufall, können nämlich z.B. auch die oben genannten, höchst irreführenden Extremfälle eintreten.
Deshalb gehen wir der Einfachheit halber davon aus, dass die Befragten in der zukünftigen Telefonumfrage weiterhin mit der aus der Vergangenheit bekannten Wahrscheinlichkeit von p gleich 0,1 Zuschauer unserer Sendung sind. Und diese Annahme (dass sich nichts ändern wird) ist eben die Nullhypothese!
Nun messen wir in einem Gedankenexperiment wir den Ausgang der zukünftigen Telefonumfrage an einem fiktiven Zufallsexperiment, bei dem völlig zufällige Antworten erfolgen, allerdings mit der altbekannten Wahrscheinlichkeit p gleich 0,1.
Zwar vermuten und hoffen wir mit den Managern des Fernsehsenders, dass
die Zuschauerzahl der Serie gestiegen,
also p > 0,1 ist.
Für Vermutungen mag es ja immerhin noch Indizien geben
(die im Aufgabentext allerdings nicht genannt werden),
während Hoffnungen zwar immer ehrenwert, aber sicherlich keine - wie man neudeutsch sagt - "belastbaren" Fakten sind.
Eben deshalb klammern wir uns an das einzige, aus der Vergangenheit bekannte Faktum, nämlich p = 0,1 , was sozusagen die halbe Nullhypothese ist.
(Drei kurze Ergänzungen:
|
In der Gegenwart können wir nur rechnen, und zwar anhand eines Gedankenexperiments, das folgendermaßen aussieht:
n = 200 ,
p ist unverändert gleich 0,1
(also sozusagen die halbe Nullhypothese), |
wir tun so, als sei unsere die Gedankenexperiment betrachtete Wahrscheinlichkeitsverteilung ansonsten rein zufällig.
(Man kann sich das auch so vorstellen, dass wir Kugeln aus einer Urne ziehen, wobei 10 % der Kugeln grau sind und 90 % z.B. orange.
Unsere Frage ist nun, wieviele der gezogenen Kugeln bei 200fachem rein zufälligem Ziehen [mit Zurücklegen] vermutlich grau sein werden.
Genau dies ist aber die Rechnung, die wir oben lang und breit durchgeführt haben
[und hier endlich sei drauf hingewiesen, dass wir oben
nie mit der ganzen Nullhypothese (also p 0,1 ),
sondern immer nur mit der halben Nullhypothese (nämlich p = 0,1 ) gerechnet haben ].
Als entscheidende Erkenntnis haben wir dort herausgefunden:
die Anzahl der grauen Kugeln wird mit 95%-iger Sicherheit im Annahmebereich der Nullhypothese liegen, d.h. im Intervall [ 0 ; 29 ] :
)
Und nun nehmen wir uns vor, die zukünftige Telefonbefragung nach ihrem Abschluss an diesem rein zufälligen Gegenwarts-Gedankenexperiment zu messen:
Möglichkeit: in der Telefonbefragung tritt nur das ein,
was auch
(mit 95%-iger Sicherheit)
bei rein zufälligem Vorgehen zu erwarten war
(allerdings unter der Voraussetzung, dass p unverändert gleich 0,1 ist),
dass also zwischen 0 und 29 der 200 Befragten die Serie gucken.
Für dieses erste Ergebnis gibt es zwei Interpretationsmöglichkeiten
|
Möglichkeit: in der Telefonbefragung ergeben sich mehr Seriengucker, als bei rein zufälligem Vorgehen zu erwarten war, nämlich
nicht aus dem Annahmebereich der Nullhypothese, also dem Intervall [ 0 ; 29 ],
sondern aus dem Ablehnungsbereich BR der Nullhypothese, also dem Intervall [30 ; 200].
Auch für dieses zweite Ergebnis gibt es zwei Interpretationsmöglichkeiten:
|
Bei beiden möglichen Ergebnissen der Telefonumfrage glauben (!) wir diese also. Wir
kennen zwar nicht die Gesamtwirklichkeit, halten aber ab sofort das aussschnitthafte Umfrageergebnis für repräsentativ für die Gesamtwirklichkeit
(wobei immer die Gefahr besteht,
den Ausschnitt mit der Gesamtwirklichkeit zu verwechseln
[so entstehen dann pauschalisierende Vorurteile wie z.B.: zwei Juden sind geldgierig ⇒ alle Juden sind geldgierig],
(neue Staffel kaufen oder nicht kaufen).
Dabei
liegen wir mit unserer naiven Übernahme der Umfrageergebnisse in immerhin 95 % der Fälle auch tatsächlich richtig
(das Umfrageergebnis spiegelt dann korrekt die Gesamtwirklichkeit),
machen aber auch in "nur" 5 % der Fälle Fehler
(das Umfrageergebnis spiegelt dann nur scheinbar [ohne dass wir das merken] die Gesamtwirklichkeit).
Hier nun aber muss zum zweiten Mal eine letztlich nichtmathematische Interpretation erfolgen:
wenn Privatsender in 5 % aller Fälle wegen einer falschen Entscheidung pleite gehen, ist das ja nur nur erfreulich,
wenn aber ein Medikament in 5 % aller Fälle tödlich ist, ist dieses Medikament wohl unverantwortbar
(und hätten wir besser von Anfang an eine 3σ-Umgebung für 99,7%-ige Sicherheit gewählt!).
Das alles Entscheidende an unserem Vorgehen besteht darin, dass wirdie konkreten Ergebnisse der Telefonumfrage
an einem lange vor der Telefonumfrage durchgerechneten, rein zufälligen Gedankenexperiment messen
und dabei erstmal davon ausgehen, dass sich p nicht ändert (halbe Nullhypothese).
Kürzer: dass wir uns anschauen,
inwieweit die Ergebnisse der Telefonumfrage auch rein zufällig hätten zustande kommen können
oder ob sie auffällig von reinen Zufallsergebnissen abweichen.
Ultrakurz: indem wir alle konkreten Ergebnisse mit dem reinen Zufall vergleichen.
(in der Medizin beispielsweise durch Placebo-, also völlig unwirksame Tabletten).
Dabei ist zu beachten:
zwar messen wir das Telefonumfrageeregebnis am nackten Zufall,
aber das heißt
nicht, dass auch das
Umfrageeregebnis selbst vollständig zufällig ist
(vgl.:
wenn wir einen Elefanten mit einem Metermaß messen,
ist der Elefant noch lange kein Metermaß).
Unser gesamtes Vorgehen wäre ja auch völlig witzlos, wenn auch das Umfrageergebnis völlig zufällig wäre. Vielmehr vertrauen (!) wir doch darauf, dass es
(wenn auch mit einem gewissen "Restrisiko")
das reale, also nicht zufällige Zuschauerinteresse spiegelt.
Wir müssen also genau festhalten:
es ist keineswegs ein Zufall, wie viele Zuschauer (in der Gesamtbevölkerung) die Ferrnsehserie gucken; nur leider ist uns dieses Faktum völlig unzugänglich: wir können nicht alle (einige millionen?) Zuschauer befragen;
hingegen spielt der Zufall eine gewisse doppelte Rolle
bei der Auswahl der im Telefoninterview Befragten
(üblicherweise rufen seröse Unfrageinstitute nicht irgendwelche Leute an
[z.B. die ersten 200 im berliner Telefonbuch],
sondern haben da vorweg gewisse Auswahlregeln
[z.B. einen Querschnitt durch die Generationen]).
Es sind sogar Fälle denkbar, bei denen überhaupt kein Zufall vorliegt, z.B.
angenommen, alle Menschen in der Gesamtbevölkerung gucken die Serie
(früher nannte man sowas );
dann werden mit Sicherheit auch all unsere Telefoninterviewpartner
(und seien sie noch so zufällig ausgewählt)
die Serie gucken
Nur werden wir leider nie erfahren, was für einen Volltreffer wir mit der Telefonbefragung gelandet haben,(und werden wir die neue Staffel kaufen).
|
wir durch einen riesigen Zufall im Telefoninterview die einzigen 200 Menschen erwischt haben, die die Serie gucken,
und dass der ganze Rest der Bevölkerung die Serie nicht guckt
(vgl.: Prinz William wird nie
[zumindest nicht mit mathematischer Sicherheit]
erfahren, dass
[nicht "ob"]
Kate Middleton tatsächlich ihn liebt und nicht bloß sein Geld und seinen Status teilen will; da bleibt ihm nur etwas völlig unmathematisches: Vertrauen).
die Zeitenfolge
In der Mathematik ist
die Vergangenheit immer sicher, kann bei ihr also von Wahrscheinlichkeit und damit auch Wahrscheinlichkeitsrechnung keine Rede mehr sein,
die Zukunft immer offen und damit das eigentliche Tummelfeld der Wahrscheinlichkeitsrechnung,
die Gegenwart jener Augenblick, in dem aus vielen zukünftigen Möglichkeiten genau ein (dann sicheres) Faktum wird ("Wahrscheinlichkeitskollaps").
Da die Gegenwart sich durch die Zeit bewegt, schauen wir uns hier zwei Gegenwarten an:
1. Gegenwart , z.B. 25.10.2012
(wobei es höchst fraglich ist, ob dieses vergangene Ereignis wirklich sicher war, entstammte es vermutlich doch auch schon einer mehr oder minder repräsentativen Umfrage),
Nun vergeht die Zeit, und irgendwann sind wir in der
2. Gegenwart , z.B.15.12.2012 :
(z.B. "42 der 200 Befragten haben angegeben, dass sie die Serie gucken"),
d.h. Umfrage und Auswertung liegen inzwischen auch schon in der Vergangenheit und sind somit unabänderlich-sicher;
(die inzwischen sozusagen Vorvergangenheit geworden ist)
aufgestellt hatten: das ist der eigentliche Hypothesentest
(weil 42 im Annahmebereich der Alternativhypothese liegt, würden wir entscheiden: "es gucken tatsächlich inzwischen mehr als 10 % der Zuschauer die Serie, und deshalb kaufen wir die neue Staffel").
"Mrs. Black and White
She's never seen a shade of grey"
(Amy McDonald)
'[...] you're hot then you're cold
You're yes then
you're no
You're in then you're out
You're up then you're down
You're wrong when it's right
It's black and it's white [...]"
(Katy
Perry)
Unsere Aufgabe ist ein Musterbeispiel für Binomialverteilungen, an denen aber auch wirklich alles "bi" ist: sie funktionieren ausschließlich nach der zweiwertigen, gnostischen Logik von
"To be, or not to be, that is the question",
Kopf oder Zahl,
wahr oder falsch
("es gibt nur zwei Meinungen: meine und die falsche"),
gut oder schlecht,
Himmel oder Hölle,
Gott oder Teufel,
schön oder häßlich,
"Frauen sind entweder Madonnen oder
Fußabtreter"
(Pablo Picasso, was ja nur seine eigenen Komplexe zeigt; und bei Männern gibt es nicht mal mehr zwei Möglichkeiten, sondern nur noch eine: )
himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt,
friss oder stirb,
"Ganz oder aber
gar nicht
das ist mein Prinzip.
Ganz oder aber
gar nicht
habe ich dich lieb."
(Gitte Haenning)
,
du hast die Wahl zwischen Pest und Cholera,
wer nicht für uns ist, ist gegen uns,
,
oder eben schwarz oder weiß
(auch "Schwarzweißdenken" genannt):
"tertium non datur", d.h. eine dritte
(oder gar vierte, fünfte ...)
Möglickeit gibt es nicht, also
kein grau
oder gar bunt, und
schon gar nicht gibt es fließende Übergänge:
Solch zweiwertiges Denken macht die Welt natürlich hübsch einfach
(auch einfach oder sogar überhaupt erst zu berechnen)
und führt doch schnell zu Betriebsblindheit - und Fanatismus
(weshalb inzwischen sogar die Mathematiker manchmal zu
einer mehr als zweiwertigen Logik
[es gibt also angeblich drei
Kategorien: dreckig, sauber und rein]
oder gar einer "verschmierten" Logik [fuzzy logic]
übergehen).
|
jeder einzelne Zuschauer guckt entweder die Sendung |
oder guckt sie
nicht |
|
Es gibt also nicht die Kategorien "guckt sie manchmal" oder "hat sie nur einmal geguckt - und danach nie wieder".
|
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entweder gucken mehr als 10% die Sendung (p > 0,1) |
oder es gucken genau 10% oder weniger die Sendung (p ≤ 0,1) |
|
Da bleibt im Intervall [0;1] kein anderes p über.
|
|
es gibt die Alternativhypothese |
und die Nullhypothese |
|
aber keine dritte Hypothese.
|
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jede der beiden Hypothesen hat einen Annahmebereich |
und einen Ablehnungsbereich |
|
Beide Bereiche überschneiden sich nicht, ergänzen sich aber zur Gesamtmenge {0, 1, 2 ... 200}, so dass kein Platz für einen dritten Bereich übrig ist.
|
|
der Annahmebereich der einen Hypothese |
ist der Ablehnungsbereich der anderen Hypothese |
|
|
|
es gibt nur die Entscheidung, die neue Staffel zu kaufen |
oder sie nicht zu kaufen |
|
aber nicht die Möglichkeit, sie z.B. teilweise zu kaufen.
|
|
unser Hypothesentest ist entweder richtig |
|
|
aber nicht z.B. "ungefähr richtig".
|
|
solche mathematischen Überlegungen wie in diesem Aufsatz interessieren einen |
oder man findet sie allzu lang(weilig) bzw. hasst sie sogar. |
"It don't matter
if you're black or white"
(Michael Jackson)
"Ebony and ivory
live together in perfect harmony"
(Paul McCartney & Stevie Wonder)
Wenn du auf ehrlichem Weg hierhin gelangt bist
(also nachdem Du brav den ganzen Text durchgeackert hast),
springe zur Belohnung hierhin.
Wenn Du trotz strengen Verbots sofort vom Anfang hierher gesprungen bist:
Selbstverständlich würde ich das Folgende niemals vorweg verraten, denn das würde doch alle von der vollständigen Lektüre des Textes abhalten, die
angeblich zu doof für Mathematik
bzw. schon seit Generationen in direkter Linie desinteressiert an ihr sind:
nie zuvor ist mir der Unterschied
zwischen Rechnen
(oben die mickrigen Passagen, die schwarz eingerahmt sind)
und Verstehen
(der Gesamttext)
so deutlich geworden wie bei der obigen langwierigen Behandlung der anfangs zitierten Aufgabe:
sicherlich muss man zur Lösung von Aufgaben auch rechnen können, aber dieses Rechnen bleibt doch schnödes Handwerk
(und doch ist handwerkliches Können unabdingbare Voraussetzung aller Kunst),
aber erst das Verstehen ist die eigentlich lustvolle Kunst
(überhaupt kann man anhand eines einzigen, an sich völlig uninteressanten Bespiels
[gibt es etwas Langweiligeres als Fernsehserien?!]
die halbe Welt verstehen).
Das Rechnen wird man später in den allermeisten Berufen nie wieder brauchen
(zumindest nicht das
Berechnen von Hypothesentests),
aber
das Verstehen typischer Denkweisen der Mathematik
bzw. die mathematische "Denkgymnastik"
(und Gymnastik treibt man zwecks körperlicher [hier geistiger] Fitness und Wendigkeit, aber nicht, um irgendwas zu "behalten")
ist ein Teil der Allgemeinbildung, der zum Erlangen der "allgemeinen HochschulREIFE" verlangt werden darf - und sollte, weil die Mathematik nun mal eine bedeutende und
(ob's einem gefällt oder nicht)
enorm wirkungsvolle Kulturleistung ist.
Man kann natürlich auch streng nach dem Motto
nur stumpf die wenigen (unverstandenen!) Rechenschritte in sich reinpauken,
damit halbwegs die nächste Klausur und eine eventuelle Abiprüfung überleben
und dann alles so schnell wie möglich vergessen.