der kleinste gemeinsame Nenner
Ausschnitte aus der Debatte zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin Angela Merkel am 30.11.2005:
"Wenn Sie über diese Koalitionsvereinbarung des kleinsten gemeinsamen Nenners nicht hinausgehen, dann wird diese Bundesregierung vor der Geschichte genauso scheitern, wie Rot-Grün gescheitert ist."
(Guido Westerwelle, Bundesvorsitzender der FDP, zitiert nach )
"Union und SPD sind mit unterschiedlichen Konzepten angetreten. Aber beide Seiten eint die Überzeugung, dass unser Gesundheitssystem wieder auf eine tragfähige Basis gestellt werden muss. Deswegen, Herr Kollege Westerwelle, haben wir gerade nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner gesucht, was auch möglich gewesen wäre."
(Volker Kauder, Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, zitiert nach )
Noch ein "kleinster gemeinsamer Nenner": vor der Wahl 2005 hat
die CDU eine Mehrwertsteuererhöhung von 2 % gefordert,
die SPD jede solche Erhöhung abgelehnt.
Geeinigt hat man sich nach der Wahl auf 3 (!) %.
Vorweg: ich bin ja wahrhaft kein Freund der neuen großen Koalition, aber ...
MathematikerInnen sind
blöd: sie können ja nicht mal mit Brüchen rechnen, sondern nur mit ganzen Zahlen;
schlau: sie können die Rechnung mit Brüchen auf die mit ganzen Zahlen reduzieren.
Angenommen mal,
die CDU/CSU hat derzeit im Bundestag
und die SPD der Mandate.
(das ist
insofern realistisch, als
beide Fraktionen ziemlich groß sind und [wie wir noch sehen werden] zusammen eine satte Mehrheit haben,
die CDU/CSU [wie wir noch sehen werden] ein wenig größer als die SPD ist,
ansonsten frei, wenn auch [wie ebenfalls noch deutlich werden wird] mit einigem mathematischem Hintersinn erfunden.)
Masterfrage: wie groß ist der Anteil beider Fraktionen zusammen im Bundestag?:
= ?
Nun kann man aber zwei Brüche mit unterschiedlichen Nennern (hier 42 und 30) nicht direkt addieren, sondern muss erst "den" Hauptnenner suchen, d.h. einen (!) gemeinsamen Nenner.
Solch ein gemeinsamer Nenner muss ein ganzzahlig Vielfaches sowohl von 42 als auch von 30sein, und das kleinstmögliche derartige Vielfache (also der kleinste [gemeinsame] Hauptnenner) ist 210.
(Hier sei nicht erklärt, wie man auf diese Zahl 210 kommt..
Immerhin sei aber schon darauf hingewiesen, dass hier
statt des "kleinsten gemeinsamen Nenners"
das "Kleinste gemeinsame Vielfache" der beiden Nenner [auch kurz "KgV" genannt] auftaucht.)
Die Addition verläuft also folgendermaßen:
Wir erweitern den ersten Bruch mit 5 und den zweiten mit 7:
=
Wenn man die jeweiligen Zähler und Nenner nun ausmultipliziert
(was nebenbei jeweils nur die Multplikation zweier ganzer Zahlen ist!),
erhält man
(Hier sieht man nebenbei - wie oben bereits angedeutet -, dass der Anteil der CDU/CSU ein klein wenig größer als der Anteil der SPD, dass also die CDU/CSU die stärkere Fraktion ist und deshalb auch die Bundeskanzlerin stellt.)
Jetzt erst, beim selben Nenner 210 der beiden Brüche, kann addiert werden, indem man "auf den Hauptnenner" bringt, also aus den beiden Brüchen einen macht:
Jetzt steht nur noch im Zähler eine Addition - und zwar die zweier natürlicher Zahlen!:
(Woran deutlich wird, dass - wie oben schon erwähnt - CDU/CSU und SPD zusammen eine satte Mehrheit haben, nämlich weit mehr als die Hälfte ; deshalb spricht man ja auch von einer "Großen Koalition".)
CDU/CSU und SPD haben also zusammen aller Bundestagsmandate.
Dabei ist es eine Banalität, dass durch all die Rechnungen
einerseits die CDU/CSU-Fraktion,
andererseits die SPD-Fraktion unverändert groß bleibt (schon gar nicht kleiner wird)
und beide ihre unveränderten Größen in der Koalition zusammen bringen
(wenn sie nicht - wie abzusehen - bald die ersten Koalitionsquerelen haben werden).
Nun gibt es aber gar nicht "den" (einzigen) Hauptnenner (oben 210), sondern alle ganzzahligen Vielfachen von 210 sind ebenfalls als Hauptnenner möglich, also z.B. 2•210 = 420, 3•210 = 630 ...
(es gibt unendlich viele Vielfache von 210, also auch unendlich viele Hauptnenner).
... und 210 ist "nur" der "kleinste gemeinsame (Haupt-)Nenner". |
Schauen wir uns also mal an, wie die Rechnung liefe, wenn wir mit dem nächstgrößeren möglichen Hauptnenner, also 420, rechnen würden:
Wir haben also insgesamt mit größeren, also "schwierigeren" Zahlen zu rechnen und zudem ist das Ergebnis (wiederum wegen dieser größeren Zahlen) unübersichtlicher als das oben erhaltene Ergebnis .
Und dennoch hat die Koalition aus CDU/CSU und SPD zusammen natürlich nicht
durch verschiedene Rechnungen
hinterher verschieden große Anteile am Parlament,
denn mittels Kürzen durch 2 können wir das zweite Ergebnis natürlich problemlos auf das erste Ergebnis zurückführen:
=
Es ist also herzhaft egal, mit welchem Hauptnenner man rechnet, das Ergebnis ist
immer dasselbe. Wenn also oben »... und 210 ist "nur" der "kleinste gemeinsame (Haupt-)Nenner"« gesagt wurde, so musste das "nur" natürlich in Anführungszeichen stehen, weil "nur" üblicherweise einen abwertenden Unterton hat, 210 als "kleinster gemeinsamer (Haupt-)Nenner" aber in Wirklichkeit besonders praktisch ist. |
"kleinster gemeinsamer (Haupt-)Nenner" unterstellt immer, ein größerer oder gar der größte Hauptnenner sei besser. Da es aber - wie wir gesehen haben - unendlich viele Hauptnenner gibt
(alle ganzzahlig Vielfachen von 210),
gibt es gar nicht "den" größten.
Nehmen wir nun aber mal an, und seien nicht die Anteile der CDU/CSU bzw. SPD am Bundestag, sondern ihre "Kompetenzniveaus"
(wobei 1 vollständige Kompetenz bedeuten würde).
Dann
bringen beide ihre unveränderten Kompetenzen als Summe (nämlich ) in die Koalition ein.
ist es egal, wie (mithilfe welchen Hauptnenners) man diese Summe ermittelt,
ist der "kleinste gemeinsame (Haupt-)Nenner" (also 210) die praktischste Methode, diese Summe zu berechnen.
Wieso also malt Guido Westerwelle das Menetekel
"Wenn Sie über diese Koalitionsvereinbarung des kleinsten gemeinsamen Nenners nicht hinausgehen , dann wird diese Bundesregierung vor der Geschichte genauso scheitern, wie Rot-Grün gescheitert ist."
an die Wand?:
weil er besser seine Hände von aller Mathematik lässt!?
(und damit wohl besser - welche Ironie, wo doch die FDP die Partei des Turbokapitalismus ist! - auch von allen Finanzen)
weil sich mit "der kleinste gemeinsame Nenner" mathematisches Unverständnis in den alltäglichen Sprachgebrauch eingenistet hat?
Was aber ist mit "der kleinste gemeinsame Nenner" im alltäglichen Sprachgebrauch eigentlich gemeint
(unabhängig davon, dass das mathematisch falsch ist)?
Doch wohl die
(so wird da ja wohl unterstellt:)
klitzekleine Schnittmenge von CDU/CSU-Fraktion einerseits und SPD-Fraktion andererseits,
was aber fast paradoxerweise gleichzeitig die größtmögliche (!) Gemeinsamkeit beider Fraktionen ist.
Was aber ist - um (wenn schon, denn schon) zu den "Nennern" zurückzukehren - die "größtmögliche Gemeinsamkeit" zweier Nenner?
In der Mathematik versteht man darunter üblicherweise den
"Größten gemeinsamen Teiler" der beiden Nenner (kurz "GgT" genannt). |
Schauen wir uns dazu die Teiler der beiden Nenner 42 und 30 an:
42 hat die Teiler 1, 2, 3, 6, 7, 14, 21 und 42
30 hat die Teiler 1, 2, 3, 5, 6, 10, 15 und 30.
Der größte gemeinsame Teiler der beiden Nenner 42 und 30 ist also 6.
Das ist
1/7 von 42, so dass man sagen könnte, die CDU/CSU hat nur 1/7 ihrer Substanz mit der SPD gemeinsam,
1/5 von 30, so dass man sagen könnte, die SPD hat nur 1/5 ihrer Substanz mit der CDU/CSU gemeinsam.
(Immerhin könnte man sagen: die SPD bringt - als allerdings kleinere Fraktion - mehr [nämlich 1/5 ] von ihrer Substanz ein als die CDU/CSU [nur 1/7 ].)
Und da kann man sich tatsächlich streiten, ob das für eine sinnvolle Politik reicht.
Mit
ist also vermutlich gemeint, dass man
|
Letzteres ist dem Volksmund aber wohl zu umständlich gewesen, und vielleicht hat er es deshalb frischweg - wie so oft - zu Ersterem verschliffen.
Letztlich ist das Beispiel aber
(wie die meisten Pseudo-Anwendungsaufgaben)
an den Haaren herbeigezogen, denn
Weil es also insgesamt 614 Sitze gibt, ist bei allen Parteien "der größte gemeinsame Teiler der beiden Nenner" 614
(also ironischerweise auch bei
der Turbokapitalismuspartei FDP
und den Erzkapitalismuskritikern "Die Linkspartei").
Man könnte das auch so interpretieren
(wo wir hier schon auf Teufel komm raus interpretieren; und was sowieso eine arge Floskel ist),
dass "alle demokratischen Parteien gleichermaßen koalitionsfähig sein sollten".
Der "größte gemeinsame Teiler der beiden Nenner" (hier 614) ist aber keineswegs klein.
Ansonsten gehört "der kleinste gemeinsame Nenner" aber unbedingt in .