Kongruenz, Ähnlichkeit und Homöomorphie
in Comics

Schon allein diese Namen:

Aus "Kongruenz" und "Ähnlichkeit" wird in der üblichen Schulmathematik ein regelrechtes Glaubensbekenntnis gemacht, wobei ich befürchte, dass da die Sache, um die es geht, solange totproblematisiert wird, bis das Selbstverständliche garantiert unverständlich geworden ist:

wie banal, bleibt das Ding doch bei Verschiebung, Drehung und Spiegelung es selbst bzw. dasselbe. Bzw. das wäre ja noch schöner, dass ich ein Ding ein wenig verschiebe, drehe oder spiegele und sich dabei Form und/oder Größe verändern!

Nun kann man ein (erstes) Ding natürlich auch solange verschieben, drehen oder spiegeln, bis es genau dort liegt, wo schon vorher ein anderes (zweites) Ding mit derselben Form und Größe lag.

Beispiel:

ich lege (mittels Verschiebung, Drehung und Spiegelung) ein erstes Exemplar von Bild auf ein zweites, gleichartiges Exemplar von Bild.

Wohlgemerkt: die zweite Bibel ist hier nicht mehr dieselbe (wie die erste), sondern nur noch "gleichartig" - ein doch arg schwammiges Wort.

Z.B. gibt es doch deutliche, uns hier aber nicht interessierende Unterschiede:

  Gleich, ja sogar identisch sind hingegen Form und Größe der beiden Bibeln, und wenn das der Fall ist, sagt man auch, die beiden Bibeln seien "kongruent".

So gesehen sind auch Bild  und Bild kongruent, Hauptsache eben, Form und Größe sind identisch.



 
  1. kongruent
    [lateinisch], allgemein: in allen Punkten übereinstimmend, völlig gleich; Gegensatz: inkongruent.
    (Der Brockhaus in Text und Bild Edition 2002)
  2. kongruent
    [lateinisch], Geometrie: (deckungsgleich) [...], zwei Figuren heißen kongruent, wenn sie in Größe und Gestalt übereinstimmen und sich durch eine Bewegung (Kongruenzabbildung) ineinander überführen lassen. Die Kongruenz ist eine strengere Form der Ähnlichkeit.
    (Der Brockhaus in Text und Bild Edition 2002)
  3. kon|gru|ent [lat.]: 1. übereinstimmend (von Ansichten); Ggs. disgruent. 2. (Math.; Ggs. inkongruent) a) deckungsgleich (von geometrischen Figuren); b) übereinstimmend (von zwei Zahlen, die, durch eine dritte geteilt, gleiche Reste liefern).
    (Duden Fremdwörter)
  4. kongruent "deckungsgleich (Math.); übereinstimmend": Das Adjektiv ist eine Entlehnung aus lat. congruens "übereinstimmend", dem Part. Präs. von con-gruere "zusammentreffen; übereinstimmen" (vgl. kon..., Kon...), dessen Grundwort nicht sicher gedeutet ist. - Dazu stellt sich das Substantiv Kongruenz "Deckungsgleichheit (Mathematik); Übereinstimmung".
    (Duden Herkunft)

Alle Klarheiten beseitigt? Widersprechen sich da nicht sogar die beiden Definitionen aus ein und demselben Lexikon, nämlich "Der Brockhaus in Text und Bild Edition 2002"?:

  1. "in allen [!] Punkten übereinstimmend",
  2. "[nur] in Größe und Gestalt übereinstimmen".

Herrscht also nichtmal bei den Kongruenzdefinitionen Kongruenz?

Die Erklärung für solch unterschiedliche Definitionen liegt wohl darin, dass es einerseits umgangssprachliche und andererseits streng mathematische Bedeutungen gibt:

(Und doch: "Wenn zwei Menschen immer dasselbe denken, ist einer von ihnen überflüssig." [Sir Winston Spencer Churchill])

Und sicherlich sind die Bibel  und der Koran (inhaltlich!) nicht in allen "Punkten" kongruent - also "disgruent".

  1. verdeckt die Bibel (nach Verschiebung) vollständig den Koran:

Bild

Das allein würde aber nicht reichen, denn die Bibel würde ja auch dann den Koran verdecken, wenn letzterer kleiner wäre:

Bild

Und genauso könnte der Koran ja eine andere Form haben:

Bild

Deshalb muss umgekehrt auch gelten:

  1. verdeckt der Koran (nach Verschiebung) vollständig die Bibel:

Bild

Oder kurz gesagt:

Bild


Aber vermutlich habe ich jetzt selbst unnötig verkompliziert, was doch so einfach ist - und sich wunderbar z.B. anhand von

Bild
Affen

verstehen lässt.

Zu allererst war ich doch erstaunt, dass diese drei altbekannten Affen, die sich Ohren, Mund bzw. Augen zuhalten und heute bei "uns" für feiges Nicht-wahrhaben-Wollen stehen, ursprünglich in Japan für "für den vorbildlichen Umgang mit Schlechtem" stehen/standen standen (vgl. Bild ).

Die drei Affen sind ganz offensichtlich nicht kongruent, weil sie zwar alle drei etwa die gleiche Größe haben, aber doch völlig unterschiedliche Formen (Körperhaltungen).

Hübsch kongruent hingegen sind hingegen die Affen aus einer irrwitzigen "Dschungelbuch"-Szene:

  Bild  

Diese vier Affen wirken ja gerade so komisch, weil sie völlig synchron tanzen und kongruent sind. Ich wette zudem, dass umgekehrt ein "Schuh" draus wird: in den Frühzeiten des Trickfilms hatte man gar keine Zeit, andauernd neue Bilder zu zeichnen, sondern war gezwungen, aufwändig hergestellte Bilder mehrfach zu benutzen. Bei der vorliegenden Szene hat man also wohl aus der (Zeit-)Not eine (künstlerische) Tugend gemacht, d.h. einen Affen gezeichnet und daneben dann drei kongruente Kopien.

Der Vorteil dieser Affensequenz ist aber ein dreifacher:

  1. wird da die Kongruenz endlich mal nicht nur an den ewig gleichen Dreiecken gezeigt,
  2. wird sie sogar in Bewegung sichtbar,
  3. wird dreidimensionale Kongruenz angedeutet.l

Die - zudem synchrone - Kongruenz hat durchaus ihren (zweifelhaften) Reiz. Vgl. etwa

                 ("Köpfchen unter Wasser, Schwänzchen in die Höh"),

(Es ist mir zwar sonst zu pauschal, passt hier aber eben doch:

"Soldat Soldat in grauer Norm
 Soldat Soldat in Uniform
 Soldat Soldat, ihr seid so viel
 Soldat Soldat, das ist kein Spiel
 Soldat Soldat, ich finde nicht
 Soldat Soldat, dein Angesicht
 Soldaten sehn sich alle gleich
 Lebendig und als Leich"
 [Wolf Biermann]

Und überhaupt: woher kommt eigentlich dieser Wunsch, kongruent und somit verwechselbar zu sein?)


Genauso kongruent wie die vier Affen oben sind auch die

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Panzerknacker

(oder da doch zumindest die mittleren drei, wenn man mal von ihren verschiedenen Sträflingsnummern absieht).



Schwieriger, weil vieldeutiger ist der Begriff der "Ähnlichkeit". Z.B. sagt man ja umgangssprachlich, dass Vater und Sohn sehr "ähnlich" sind, wenn sie nicht mal ähnlich aussehen, sondern ähnliche Verhaltensweisen haben. Überhaupt kommt es darauf an, was man betrachtet:

Bleiben wir also bei der Form - und schauen nochmal zurück zur Kongruenz, bei der zwei Bedingungen gelten, nämlich Form und Größe zweier Gegenstände übereinstimmen mussten.

Man könnte auch sagen: man erhält einen zweiten, zum ersten Gegenstand kongruenten, wenn man den ersten auf einen Kopierer legt und das Abbildungsverhältnis 1:1, also weder eine Vergrößerung noch eine Verkleinerung wählt:

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Für die Ähnlichkeit lassen wir nun die zweite Bedingung, also die gleiche Größe, weg, womit dann nur noch die erste Bedingung, also die gleiche Form, übrig bleibt.

Oder anders gesagt: man erhält einen zweiten, zum ersten Gegenstand ähnlichen Gegenstand, wenn man den ersten auf einen Kopierer legt und entweder eine Vergrößerung

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oder eine Verkleinerung wählt:

Bild

Ziemlich banal dabei und doch ungeheuer wichtig ist, dass das jeweilige Originalbild gleichmäßig vergrößert oder verkleinert wird, also beispielsweise der erste Affe genauso wie der zweite.

Was das bedeutet, lässt sich besonders einfach anhand der Ähnlichkeit von Dreiecken verdeutlichen

(einer der Hauptgründe, meistens anhand dieser die Kongruenz bzw. Ähnlichkeit zu zeigen):

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Hier sind alle Dreiecksseiten mit demselben Faktor  vergrößert, d.h.

Man kann auch sagen: die ähnliche Vergrößerung bzw. Verkleinerung ist eine zentrische Streckung von einem Punkt P aus:

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Und damit stellt sich der ähnliche Affentanz so dar:

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Hier sind die Affen nicht mehr alle gleich groß, sondern jeder ist eine ähnliche Vergrößerung des links von ihm tanzenden. 

Ein Musterbeispiel für Ähnlichkeit sind die Daltons aus den Lucky-Luke-Heften bzw. -Filmen

(die vier Daltons sind ähnlich, denn sie sind zwar verschieden groß, haben aber alle dieselbe Form, was den Zeichnern vermutlich viel Arbeit erspart hat: sie brauchten oftmals nur eine Figur zu zeichnen und diese dann nur noch zu vergrößern bzw. verkleinern).

Und die schönsten Gags ergeben sich in den Filmen gerade aus der bewegten Ähnlichkeit:

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Nun ist aber der umgangssprachliche Begriff der "Ähnlichkeit" viel umfassender als der soeben dargelegte mathematische. Und dieser umgangssprachliche Begriff ist durchaus hilfreich, um auch mathematisch weiter zu kommen.

Beispielsweise werden umgangssprachlich keineswegs nur die beiden Dreiecke in

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als ähnlich angesehen, sondern durchaus auch folgende beiden Dreiecke:

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Diese beiden Dreiecke sind

Nun kann man sich natürlich fragen, wie in dem vorliegenden Fall das rechte aus dem linken Dreieck entstanden ist. Dazu stellen wir uns vor, dass

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Ausgehend von diesem Gummituchtrick gehen die Mathematiker nun aber noch einen Schritt weiter und stellen beispielsweise Gemeinsamkeiten beispielsweise zwischen

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und

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fest: wenn man den blauen, auf ein Gummituch gemalten Kreis an den Punkten A, B, C und D anfasst und diese nach außen zieht, erhält man die Form des gelben Quadrats

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Man sagt dann auch mangels eines einfacheren Begriffs, der blaue Kreis und das gelbe Quadrat seien "homöomorph":

"Ein Homöomorphismus [...] ist ein zentraler Begriff im mathematischen Teilgebiet Topologie. Er bezeichnet eine bijektive, stetige Abbildung zwischen zwei Objekten, deren Umkehrabbildung ebenfalls stetig ist.

Zwei Objekte heißen homöomorph (auch "topologisch äquivalent"), wenn sie durch einen Homöomorphismus (auch "topologische Abbildung") ineinander überführt werden können; sie liegen in der gleichen Homöomorphieklasse, sind, unter topologischen Gesichtspunkten, gleichartig.

[Alle Klarheiten beseitigt? Na, da ist Folgendes schon verständlicher:]

Anschaulich kann man sich einen Homöomorphismus als Dehnen, Stauchen, Verbiegen, Verzerren, Verdrillen eines Gegenstands vorstellen; Zerschneiden ist nur erlaubt, wenn man die Teile später genau an der Schnittfläche wieder zusammenfügt."
(Quelle:  Bild )

Und das mathematische Teilgebiet der "Topologie" nennt man manchmal auch schnoddrig einfach nur Bild "Gummituchmathematik".

Das dreidimensionale äquivalent zur "Gummituchmathematik" könnte man auch "Knete-Mathematik" nennen. Dann ist beispielsweise eine Tasse homöomorph zu einem Donut bzw. Torus

Bild
(Quelle: Bild ),

Hauptsache, man stopft vorhandene Löcher nicht zu, macht keine neuen Löcher und zerschneidet das Knetgummi nicht.

Nebenbei: es gibt halt Vorgänge, die man kaum an einem realen Modell, sondern nur mit einer Computersimulation zeigen kann.

Das einzige reale Modell, das mir zur Homöomorphie einfällt, sind Arzthandschuhe, die man aufpustet:

Bild   Bild

Größe und Form verändern sich

(die Form, weil die Finger nicht gleichschnell mitwachsen),

aber Ausgangs- und End-Handschuh sind homöomorph, und zwar selbst dann, wenn man die Finger nach innen stülpt. 


Hier soll nicht ausführlich auf das mathematische Teilgebiet der "Topologie" eingegangen, aber doch kurz bedauert werden, dass es in der Schule üblicherweise gar nicht vorkommt. Dabei wäre das durchaus möglich:

Und das würde allemal dazu beitragen, geometrisch-räumliches Denken zu üben, zumal es handgreiflich geübt würde.

Nein, hier soll nur ein Comic-Beispiel für Homöomorphie gezeigt werden, nämlich Cäsars ebenso farblich wie plastisch chamäleonhafter Spion in dem Film "Asterix und Kleopatra":

Bild

(Und hier nebenbei kann man sehen, weshalb es aussichtslos ist, Zeichentrickfilme in Filme mit Schauspielern umzuwandeln.)

Erst viel später fällt mir auf, wie sehr die Homöomorphie Zeichentrickfilme beherrscht: ein Wesen (Mensch, Tier) ist solange nicht tot, wie es "nur" beliebig verformt, aber nicht zerrissen wird:

(Vgl. )


Vgl. auch Monty Harper: Bild Bild Topologically Speaking.