materielle Geometrie
Geometrie »Zweig der Mathematik, der sich mit der Darstellung von ebenen und räumlichen Gebilden befaßt«": Das Fremdwort (mhd. geometrie) bedeutete ursprünglich »Feldmeßkunst«". Diese Bedeutung bewahrt noch das Substantiv Geometer »Land-, Feldvermesser« (16. Jh.). Man bedenke also, dass die Geometrie sich ursprünglich mit sehr Materiellem befasst hat. |
Es gibt wohl
(abgesehen von der angewandten Geometrie)
drei "Stufen" der Geometrie:
(als Gedächtnisstütze für 1.?)
mit einem Bleistift auf einem Blatt Papier oder im Schulunterricht mit einer Kreide an einer Tafel betreibt
(und hier gehören wohl auch viele mathematische Computerprogramme hin).
Ich spreche da von Immaterialität, weil
- alles zweidimensional bleibt
- und bei einem Bleistift-/Kreidestrich wohl kaum von spürbarem Material die Rede sein kann.
- jene ausdrücklich mathematischen Plexiglasmodelle , die man bei speziellen Lehrmittel-Herstellern kaufen kann
- : "sonstige" Gegenstände der Wirklichkeit,
- sei's, dass sie "vormathematisch" in "freier Wildbahn" auftreten,
- sei's, dass man sie als mathematische Modelle selbst herstellt.
Bei dieser "Stufung" liegen doch einige Anmerkungen nahe:
,
d.h. ganz unten im Dunkeln regiert die schnöde Wirklichkeit, ganz oben im Licht hingegen die vollständige Vergeistigung.
Ich hingegen denke mir die "Stufung" eher wie "Eschers Treppe":
D.h. alle drei Elemente sind gleich wichtig und bedingen bzw. ergänzen einander:
- sowieso für Anfänger, die dringend die materielle Veranschaulichung und Greifbarkeit (3.) brauchen und erst von da aus sukzessive zur Abstraktion (1.) "aufsteigen" können;
- aber sehr wohl auch für "Profis", die oftmals erstaunlich (?) anschaulich denken, ja auch noch der Korrektur durch das Anschauliche bedürfen: man kann sich in der dreidimensionalen Abstraktion ganz erheblich "verhauen".
Zudem gibt es für mich - durch ↔ markiert - eine erstaunliche Nähe zwischen 3.a. und 1. : die Plexiglasmodelle sind wegen ihrer Durchsichtigkeit bereits eine erhebliche Abstraktion bzw. nehmen diese vorweg.
So wunderschön also diese Plexiglasmodelle sind
(ich werde auf diese spezifische Schönheit zurück kommen)
und so sehr ich es auch befürworte, dass Schulen massenhaft solche Modelle anschaffen
(wodurch sie dann hoffentlich [!] auch halbwegs erschwinglich würden),
so können und dürfen sie dennoch nicht die echte "Materialität" von 3.b. ersetzen.
Das liegt auch daran, dass beispielsweise das Modell alle Erkenntnisse vorweg nimmt, nämlich alle Schnitte eines Kegels bereits beinhaltet, statt dass man sie erst durch eigenes Schneiden entdeckt.
Der Grund dafür ist eindeutig, dass
- dass Zeichnen sehr einfach ist im Vergleich mit dem Besorgen/Erstellen von Modellen,
- man schwerlich über die Abstraktion im Kopf sprechen kann.
Wohl eher wird darauf vertraut bzw. gehofft, dass das Zeichnen irgendwann auch zur Abstraktion im Kopf führen wird.
Dennoch finde ich es schade, dass 1. und 3. kaum im Unterricht vorkommen:
- sollte man mit den SchülerInneN viel häufiger - wie im Donald-Duck-Video - Abstraktionsübungen im Kopf durchführen, also beispielsweise:
"Stellt euch senkrecht vor euch ein rechteckiges Blatt Papier vor, das von oben bis unten durch einen Strich halbiert ist.
Nun lasst das Papier um diesen Strich rotieren. Was kommt dabei heraus?"
[ein Zylinder]
sollte man ebenso im Unterricht viel häufiger materielle Gegenstände durchnehmen / mitbringen / basteln lassen, und zwar keineswegs im Hinblick auf direkte mathematische Verwertbarkeit (und Klassenarbeiten), sondern wobei das Sammeln / Sortieren / Basteln durchaus Selbstzweck ist.
Worum's doch vor allem geht (und was den Selbstzweck allemal legitimiert), ist das Training räumlichen Vorstellungsvermögens, also beispielsweise:
"Welche Schnittflächen können entstehen, wenn man einen Würfel in beliebiger Richtung durchschneidet?":
Nebenbei wird hier schon sehr schön deutlich, wo ein Computerprogramm (nicht) sinnvoll ist:
Und schade bzw. kontraproduktiv ist es sowieso, dass bei der Bleistift- bzw. Kreidegeometrie alle dreidimensionale Geometrie zweidimensional bleibt: da wird allzu leichtfertig vorausgesetzt, dass die SchülerInnen sich das Dreidimensionale schon dazudenken können.
Wie also sieht die "materielle" Geometrie aus?
Dann entdeckt man beispielsweise, dass die Welt aus massenhaft Brüchen besteht:
(vgl. dazu das Buch ):
Und im Gartenmarkt gibt's Edelstahlkugeln à la . Man nehme für den Unterricht die größten, also mit mindestens 30 cm Durchmesser.
- der Punkt:
- die Gerade bzw. Strecke:
(die Erkenntnis, dass ein Punkt unendlich klein und eine Gerade bzw. eine Strecke unendlich schmal ist, sollte regelrecht wehtun)
- das Fünfeck: ,
wobei zweierlei enorm wichtig ist:
- der Holzstern hat in Wirklichkeit einen Durchmesser von 30 cm und eine Höhe von 20 cm, d.h. er wiegt mehrere Kilogramm!
- an dem Stern ist einerseits sehr deutlich die Maserung sichtbar und spürbar, andererseits hat er aber dennoch fast messerscharfe Kanten.
Beides sind aber Vorzüge gegenüber einem "abstrakten" Plexiglasstern!
- ein Deko-"Diamant" aus Glas:
Auch hier ist wieder wichtig, dass das Original einen Durchmesser von fast 20 cm hat und annähernd ein Kilogramm wiegt!
- und dann eben doch Plexiglas-Artikel, aber eben nicht ausdrückliche Mathe-Modelle, sondern Gebilde "aus freier Wildbahn", also z.B.
Hier ist durchaus das Gegenteil der handgreiflichen Maserung des Fünfecks faszinierend, nämlich die Glattheit und Perfektion (Abstraktheit) vieler "billiger" Gebrauchsartikel
(über die sich heutzutage kaum jemand mehr wundert):
es macht einfach Spaß, mit den Fingern über die scharfen Kanten zu fahren!
A propos Glattheit & Perfektion: ein Eldorado für schöne Formen sind Verpackungen, also z.B.