Verschwörungender Mathematik
Viele Verschwörungstheorien sind zu - sagen wir mal: - zehn Prozent richtig und zu neunzig Prozent falsch, und sie ziehen ihre vermeintliche Berechtigung aus den zehn richtigen Prozent. Diese zehn Prozent haben oft auch zur Folge, dass Verschwörungstheorien nicht grundsätzlich widersprochen werden kann: es ist eben doch etwas (wenn auch wenig) an ihnen "dran":
"Der Begriff Chemtrails ([...] ein
Kofferwort aus englisch Chemicals für „Chemikalien“ und Contrails
für „Kondensstreifen“, eingedeutscht etwa „Chemikalienstreifen“), gelegentlich
auch Giftwolken, [...] wird im Zusammenhang mit einer seit den 1990er
Jahren verbreiteten Verschwörungstheorie für eine angeblich spezielle Art von
Kondensstreifen verwendet.
Diese Kondensstreifen sollen nicht auf
in großer Höhe kondensierte Flugzeugabgase
zurückgehen, sondern auf die absichtliche Ausbringung von Chemikalien oder
Zusatzstoffen, die bei regulärem Betrieb der Maschinen nicht vorkommen. Es wird
behauptet, Chemtrails seien gegenüber normalen Kondensstreifen langlebiger und
breiteten sich flächiger aus. [...]
Hingegen
bringen Agrar- und Militärflugzeuge (siehe hierzu z. B. Agent Orange) oder auch
Flugzeuge zur bisher wenig wirksamen lokalen Wetterbeeinfussung (Hagelabwehr)
Chemikalien in die untere Atmosphäre, die jedoch nicht Gegenstand der
Verschwörungstheorie „Chemtrails“ sind. Auch der Treibstoffschnellablass oder
Rauchpatronen beim Kunstflug sind keine Themen der Chemtrail-Anhänger.
Als Motiv für Chemtrails werden unter anderem Geoengineering, eine
gezielte
Bevölkerungsreduktion oder militärische Zwecke behauptet. Die
Verschwörungstheorie ist spätestens seit 1996 im Internet verbreitet.
[...]
In der Meteorologie werden Kondensstreifen als menschengemachte Cirruswolken bezeichnet (Cirrus homogenitus). Sie sind schon weit länger bekannt, als nach der Verschwörungstheorie die „organisierte Klimaänderung“ stattfindet.
[...]
Von Vertretern der Chemtrailtheorie werden verschiedene
Zielsetzungen angenommen. So sollen Substanzen
versprüht werden, um Geoengineering zu betreiben. Damit solle der
Treibhauseffekt durch Reflexion von Sonnenlicht abgeschwächt und so die globale
Erwärmung reduziert werden. Hierbei wird oft das Welsbach-Patent angeführt, in
dem die Möglichkeit der Verminderung des Treibhauseffekts mittels großflächiger
Verteilung von Partikeln in der Atmosphäre beschrieben wird. Auch wird
spekuliert, dass Chemtrails der Bevölkerungsreduktion dienen könnten.
Die
zugesetzten Chemikalien sollen dieser Theorie zufolge die Zeugungsfähigkeit der
Bevölkerung senken oder sie schlicht vergiften. Der Film „Why in the world are
they spraying?“ („Warum in aller Welt sind sie am Sprühen?“) vermutet unter
anderem eine gezielte Vergiftung und Veränderung des pH-Wertes des Bodens mit
Aluminiumverbindungen, um herkömmliches Saatgut unbrauchbar zu machen.
Saatgutgroßkonzerne hätten längst schon präventiv genmanipulierte
aluminiumresistente Sorten entwickelt.
(Quelle:
)
"Der Sammelbegriff Geoengineering (auch
Geo-Engineering oder Climate Engineering)
bezeichnet vorsätzliche und großräumige Eingriffe mit
technischen Mitteln in geochemische oder biogeochemische Kreisläufe der Erde.
Als Ziele derartiger Eingriffe werden hauptsächlich das Abbremsen der
anthropogenen globalen Erwärmung, etwa durch den Abbau der CO2-Konzentration
in der Atmosphäre, oder die Verringerung der Versauerung der Meere genannt.
Beides sind zwei der Dimensionen der planetaren Grenzen.
Es gibt zwei große Gruppen von
vorgeschlagenen Geoengineering-Maßnahmen: 1. Mit Solar Radiation Management
(SRM) soll mehr der einfallenden Sonnenstrahlung reflektiert werden. 2. Mit
Carbon Dioxide Removal (CDR) soll das Treibhausgas Kohlenstoffdioxid (CO2)
aus der Atmosphäre entfernt und dauerhaft in anderen Kohlenstoffreservoirs
gespeichert werden, zum Beispiel in geologischen Lagerstätten, der
Tiefsee oder auch, über kürzere Zeiträume, in langlebigen Gütern wie etwa
Bauholz.
Viele vorgeschlagene Geoengineering-Technologien sind noch nicht
verfügbar und ihre technische Machbarkeit, ihre gesellschaftlichen und
politischen Implikationen sowie ihre Folgen für die Umwelt nicht gut verstanden.
Viele Vorschläge sind mit sehr hohen Kosten und Risiken verbunden. Die meisten
Untersuchungen kommen überein, dass Geoengineering nicht Klimaschutz und
-anpassung ersetzen kann."
(Quelle:
)
"Die Flat Earth Society ist eine 1956
gegründete Organisation, die trotz naturwissenschaftlicher Gegenbeweise die
Ansicht vertritt, die Erde sei flach.
Geschichte und Gegenwart
[...] im März 2001 schlief die Flat Earth Society
zunächst komplett ein. Inzwischen wurde sie von Daniel Shenton aus London
als neuem Präsidenten reaktiviert. Seit Oktober 2009 wirbt sie auf einer eigenen
Website wieder um Mitglieder."
(Quelle:
)
... und das mit erstaunlichem Erfolg:
Die realistische Basis der -Theorie liegt hier wohl darin, dass die Erde im alltäglichen Leben
(abgesehen von Erhebungen)
tatsächlich flach erscheint.
Anhand der letztgenannten drei Verschwörungstheorien
(Kennedy, 9/11 und Mondlandung)
scheinen mir wichtige Gründe für Verschwörungstheorien deutlich zu werden:
(oder zumindest keine für Laien verständliche)
oder auch arg banale.
Nicht weiter interessieren sollen mich hier die psychischen
(und dennoch meist ansozialisierten)
Prädispositionen, die zu einer Anfälligkeit für Verschwörungstheorien führen
(wer eine glaubt, glaubt alle).
Vgl. zu diesen Prädispositionen z.B. .
Wohl in keinem anderen Bereich sind Verschwörungen und Verschwörungstheorien so völlig ausgeschlossen wie in der "reinen" Mathematik - sollte man denken.
Und doch: ein schönes Beispiel dafür, dass auch Mathematiker sich verschwören bzw. Verschwörungstheorien verbreiten, ist der Prioritätsstreit zwischen Leibniz und Newton
(vgl. ):
Mit der "Differentialrechnung" geht es nun aber nicht um irgendeine mathematische Nebensächlichkeit, sondern - auf die Schule bezogen - um das Hauptgebiet der Oberstufenmathematik (Ableitung und Integration).
Nun erfüllt aber der unterstellte Diebstahl von geistigem Eigentum noch keineswegs ein erstes Kriterium für eine Verschwörung, nämlich, dass mehrere Parteigänger vorhanden sind.
In der Tat hat aber zumindest Newton viele britische Parteigänger um sich geschart, die er gnadenlos für sich eingesetzt hat. Überhaupt scheint Newton unter einem Verfolgungswahn gelitten zu haben, in dem er seinerseits überall Verschwörungen witterte. Viele Briten sind ihm damals gefolgt und haben die kontinentale und eben auch deutsche Mathematik kaum mehr wahrgenommen - was zu einem langen Dahinvegetieren der britischen Mathematik geführt hat.
Und wie der Textausschnitt oben zeigt, war ein zweites Kriterium für eine Verschwörung, nämlich die Geheimhaltung, ebenfalls erfüllt.
Ich hatte allerdings oben nicht den Titel „Verschwörungen in der Mathematik[community]“ gewählt
(womit eine Verschwörung von Mathematikern, also Menschen, gemeint wäre),
sondern „Verschwörungen der Mathematik“, was bedeutet, dass die Mathematik selbst sich
(und zwar gegen Menschen)
verschwört.
Das aber scheint schier unmöglich zu sein, da ein drittes
(und doch wohl wichtigstes)
Kriterium für Verschwörungen darin besteht, dass die Verschwörer Menschen sind.
Dass sich da Nicht-Menschliches gegen Menschen verschwört, wird an einigen Beispielen begreifbar:
In beiden Fällen geht es um menschengemachte menschenähnliche Wesen. Im ersten Fall ist dieses Wesen noch harmlos, im zweiten jedoch schon für Menschen
(wenn auch nicht seinen Erschaffer)
gefährlich.
(Von einer Verschwörung kann bei Einzelwesen aber keine Rede sein.)
Im folgenden Fall geht es aber schon um ein menschengemachtes Ding (einen Besen), das tatsächlich dem Menschen gefährlich wird, ohne dass das allerdings Absicht des Dings ist
(weil ein Ding keine Absicht haben kann):
Heute haben wir vielleicht sogar bessere Beispiele:
Die Computerbenutzer lassen da ihre Wut nicht an den
(unerreichbaren und meistens anonymen)
Konstrukteuren/Programmierern und Herstellern aus, sondern an deren Produkten, also den Computern.
Man könnte das noch als "Ersatzhandlung" bezeichnen: man braucht einen Sündenbock, wohlwissend, dass er in Wirklichkeit nicht schuld ist.
Damit ist aber noch nicht erklärt, weshalb der Junge im Video "Ausraster vorm PC!!!!" den PC anbrüllt, als wenn dieser ein Mensch wäre ("Hurensohn" ...). Da scheint der Junge
(und zwar minutenlang!)
tatsächlich zu vergessen, dass der Computer nur ein Ding ist, und ihn tatsächlich für einen Menschen zu halten.
(Vermutlich ist es aber wie bei einem Kind, das in ein Spiel vertieft ist [z.B. mit Kuscheltieren tatsächlich spricht] - und dennoch jederzeit ganz genau weiß, dass alles "nur" ein Spiel ist.)
Bei solchen Ausfällen gegenüber Computern kann aber noch keine Verschwörung vorliegen, da ja nicht mehrere Computer gemeinsam agieren.
Und doch scheinen viele Menschen zu ahnen
(bzw. der Verschörungstheorie anzuhängen),
dass hinter öfters nicht funktionierenden Computern eine "Herstellermafia" steckt, die einen verarscht
(z.B. als idiotensicher und angeblich benutzerfreundlich ausgibt, was doch noch immer nur die Steinzeit des Computers ist):
Und so, wie der Besen in Goethes "Der Zauberlehrling" und Computer, also Dinge, sich gegen Menschen verschwören können, kann auch "die" Mathematik es:
Das ist natürlich nicht ernst gemeint
(sondern eher Galgenhumor),
denn da glaubt wohl niemand, dass die Mathematik tatsächlich eine Person ("deine", "selbst") ist, die man ansprechen kann, erwachsen werden soll oder ein "Arschloch" ist.
Dass "die" Mathematik eine (!) Person ist, ist nicht ganz an den Haaren herbeigezogen - aber nur auf Umwegen erklärbar:
nehmen wir als Beispiel nur mal den "Satz des Pythagoras", dass also in allen rechtwinkligen Dreiecken für die Seiten a, b und c gilt: a2 + b2 = c2 .
Die Person Pythagoras hat dabei nur im Namen des Satzes überlebt: abgesehen vielleicht von dem Bild erfahren die Schüler im Unterricht rein gar nichts von der Person Pythagoras.
Der Begriff "Pythagoras" ist da nur noch dazu da, den Satz von anderen mathematischen Sätzen (z.B. dem "Satz von Varignon"; s.u.) zu unterscheiden
(und die Person Varignon ist heute fast vollständig vergessen).
Dass die Entdecker mathematischer Sätze meist vergessen werden oder nur in den Namen der Sätze erhalten bleiben, hat einen „guten“ Grund: ein bewiesener mathematischer Satz gilt „von Ewigkeit zu Ewigkeit“, z.B. der „Satz des Pythagoras“ also für alle rechtwinkligen Dreiecke vor dem erfolgten Beweis und alle danach. Da ist dann der Entdecker im besten Fall nur noch eine Fußnote (ein Wimpernschlag) in der Mathematikgeschichte.
Wenn aber die Entdecker derart abhanden kommen, wir Menschen aber immer nach einem Verursacher (einer Kausalität) suchen
(vgl. "es regnet"; wer ist da "es"?),
stellt sich die Frage nach dem Subjekt der Mathematik ganz neu:
wird die Mathematik eben doch von Menschen erfunden
oder wird da etwas, was vorher schon da war, „nur“ entdeckt?
(Und wenn Kolumbus nicht Amerika entdeckt hätte, hätte es schon bald ein anderer getan. Wenn aber Shakespeare nicht die Komödie geschrieben hätte, wäre sie nie geschrieben worden.)
In der Geschichte der Mathematik haben viele Mathematiker Letzteres geglaubt - und
(darunter wollte man es dann doch nicht tun:)
Gott als Ursprung der Mathematik angesehen:
laut Platon hat Gott den Menschen die (mathematischen) Ideen von Geburt an mitgegeben.
Johannes Kepler: “Die Geometrie gab es schon vor der Erschaffung der Welt. Sie ist ewig wie der Geist Gottes.“
(Und fast könnte man häretisch sagen: die Geometrie [Mathematik] ist der [heilige] Geist Gottes - und damit Gott selbst.)
Galileo Galilei:
Wenn nun aber (schon im letzten Zitat) Gott abhanden kommt, bleibt nur die Mathematik alleine bestehen:
(In diesem Buch wird die Mathematik nicht als in sich
abgeschlossenes Teil-Universum verstanden,
sondern die auf den ersten Blick
doch ungeheuer steile These vertreten, dass
das Gesamt-Universum reine Mathematik ist.)
Wenn aber in Schulen immer unausgesprochen gezeigt wird, dass die Mathematik ohne Zutun von Menschen (Entdeckern) existiert, können beispielsweise Schüler, die in Mathematik schlecht stehen, nichtmal mehr die mathematischen Entdecker oder den jeweiligen Mathematiklehrer dafür verantwortlich machen, sondern
entweder nur sich selbst ("ich bin [in mathematischer Hinsicht] rettungslos dumm")
oder aber "die" Mathematik. Und kein Wunder, dass sie dann
die Mathematik für bösartig halten
und von ihr alleine gelassen werden wollen .
Nun kann aber "die" (also eine einzige) Mathematik sich nicht gegen jemanden verschwören, denn zu einer Verschwörung gehören mehrere Verschwörer.
Schauen wir uns dazu eine Eigenart der Mathematik
(wie auch aller anderen Schulfächer - mit der einzigen Ausnahme "Sozialwissenschaften")
an: die Mathematik ist
(was für ein schönes Wort!:)
"Singularetantum"
(Plural "Singulariatantum"!):
Der Grund dafür, dass es die Mathematik nur im Singular gibt, scheint mir zu sein, dass sie
(wie alle anderen Wissenschaften auch)
die alleinige und möglichst umfassende Herrschaft über ihren speziellen Aspekt auf die Wirklichkeit beansprucht. Vgl. etwa
Und doch ist von vielen „Singulariatantum“ ein Plural möglich:
“Machtematiken“ bedeutet also „mehrere Arten [Teilmengen] von Mathematik“, also z.B. Geometrie und Algebra und Analysis und Wahrscheinlichkeitsrechnung:
(Spezialisten mehrerer Teilgebiete der Mathematik
arbeiten am
Gesamt-Denkgebäude der Mathematik und erweitern es)
Wie jede andere Wissenschaft besteht die Mathematik also aus vielen Teilgebieten - und diese könnten sich ja vielleicht doch miteinander
(mit Vorliebe wohl gegen schutzlose Schüler)
verschwören.
(Die Ethnomathematik hingegen geht davon aus,
dass es nicht eine einzige [westliche] Mathematik gibt und mathematische Ansätze anderer Völker nicht nur primitive Vorformen davon sind,
sondern dass es in verschiedenen Kulturen auch verschiedene Mathematiken gibt, die nicht mehr bloß Teilgebiete "der" [einer einzigen] Mathematik sind.)
Eine Verschwörung
(im Sinne Lockharts; s.u.)
der mathematischen Teilgebiete Geometrie und Algebra könnte man z.B. beim Thema „Integral“ vermuten:
bei der eigentlich ganz einfachen Annäherung
einer krummen Fläche
durch Rechtecke
wird‘s zwischenzeitlich doch arg kompliziert, da
zwecks immer besserer Annäherung massenhaft Rechtecke benötigt werden ,
die Summe der Flächen dieser massenhaften Rechtecke zu einer schwierigen algebraischen Formel führt
und dann auch noch der (zumindest für Schüler) schwierige Limes betrachtet werden muss,
aber am Ende
(nach einer zwar logischen, aber doch unüberschaubaren Rechnung)
kommt etwas erstaunlich Einfaches raus:
(Der hier gebotenen Einfachheit halber habe ich das sonst obligatorische „dx“ weggelassen.)
Nun aber überhaupt erst zum eigentlichen Anlass dieses Essays:
der amerikanische Mathematiker und Mathematiklehrer Paul Lockhart hat drei vorzügliche Bücher zur Mathematikdidaktik geschrieben, die leider bis heute nicht ins Deutsche übersetzt sind
(womit Deutschland nichtmal ahnt, was ihm entgeht):
Seinen grundsätzlichen Ansatz zeigt er anhand des
(von ihm allerdings nicht so genannten)
"Satzes von Varignon" auch in einem Video:
Und in diesem Video heißt es kurz:
"That's scary [= unheimlich, gruselig] - to me,
that's a conspiracy [= Verschwörung],
that's amazing,
that's completely
unexpected."
Was aber ich mit „that“ gemeint? Doch wohl der direkt vorher genannte „Umstand“ , dass also in jedem Viereck
(also auch dann, wenn es kein Parallelogramm ist)
das Mittenviereck ein Parallelogramm ist.
Dabei ist es
nicht so, dass die Ausgangsvierecke durch Strecken und Stauchen in Parallelogramme verwandelt werden,
sondern so, dass die Parallelogramme in den Ausgangsvierecken immer schon enthalten sind
(vgl. unten die Inkreise von Dreiecken : da werden
Wer hat sich beim "Satz von Varignon" eigentlich verschworen - und gegen wen?
Wer?:
sicherlich nicht die Person Varignon, die völlig im Hintergrund bleibt
(schon allein deshalb, weil Lockhart den Namen des Satzes nichtmal erwähnt);
wohl eher die Seiten der Ausgangsvierecke , so dass ihre Mitten ein Parallelogramme bilden
oder die Ausgangsvierecke mit den Parallelogramme ?
Gegen wen?:
gegen denjenigen (Anfänger, Schüler), der zum ersten Mal sieht,
oder auch gegen denjenigen (erfahrenen Mathematiker), der den Beweis des "Satzes von Varignon" längst kennt?
Nun ist Paul Lockhart
(das reine Staunen [der bloße Effekt] ohne Beweis wird ihm sicherlich nicht reichen).
Welcher Paul Lockhart spricht da also eigentlich, wenn er im Präsens
"That's scary - to me,
that's a conspiracy,
that's amazing,
that's completely
unexpected"
sagt
(und das "me" sogar durch eine Pause so betont)?:
(der sich noch immer erinnern kann, wie er selbst reagiert hat, als er den "Satz von Varignon" das erste Mal gesehen hat)?
Mit "that's completely unexpected" scheint es Letzterer zu sein, also derjenige, der sich an sein "erstes Mal" zurückerinnert. Denn in der Gegenwart dürfte der "Satz von Varignon" für ihn wohl kaum mehr "completely unexpected" sein.
Und doch weist die Betonung des "to me" darauf hin, dass der derzeitige Lockhart noch immer bzw. immer wieder aufs Neue über den "Satz von Varignon" staunen kann.
Die Betonung des "me" scheint auch darauf hinzuweisen, dass Lockhart im Gegensatz zu vielen anderen über den "Satz von Varignon" noch immer staunen kann:
Für viele gestandene Mathematiker scheint nämlich ein anfängliches Staunen oder eine anfängliche falsche Vermutung im selben Augenblick mausetot zu sein, in dem der Beweis geführt wurde.
(Ich behaupte mal glatt, dass das letztlich mathematische Kleingeister sind [vgl. etwa ]. Die mathematischen und naturwissenschaftlichen Geistesgrößen hingegen haben sich das Staunen bewahrt.)
Woran aber könnte es
(abgesehen von einer Grundfähigkeit, auch im fortgeschrittenen Alter noch über "die" Welt zu staunen)
liegen, dass Lockhart noch immer über staunt, ja dieser Umstand ihm immer wieder aufs Neue "completely [!] unexpected" erscheint?
Ein Hauptgrund scheint mir darin zu liegen, dass viele Beweise
(wie oben schon beim Integral gezeigt)
zwar in jedem Einzelschritt logisch sind, sich aber zu keinem anschaulichen Gesamtbild zusammensetzen und deshalb abstrakt
(und letztlich nicht überzeugend)
bleiben - und deshalb das Gefühl bleibt, es müssten doch irgendwo noch andere Beweise verborgen sein, die nicht nur logisch, sondern auch anschaulich sind.
Es gibt also oftmals zwischen Anschauung und Beweis keinen "kognitiven Konflikt" in dem Sinne, dass zwei (unterschiedliche, manchmal scheinbare) Wahrheiten gleichberechtigt nebeneinander stehen, sondern Anschauung und Beweis stehen häufig beziehungslos nebeneinander. Das Eine scheint mit dem Anderen nichts zu tun zu haben - was ein Grund dafür sein mag, dass Lockhart noch immer über staunt, obwohl er den Beweis längst kennt.
Normalerweise ist eine Verschwörung gegen Dritte
(hier Mathematiker, Mathematik-Schüler)
gerichtet und möchte diesen etwas Schlechtes antun
(und zwar derart, dass die Verdrehung der Tatsachen durch die möglichst unsichtbaren Verschwörer nicht erkennbar ist).
Nehmen wir als Beispiel nur mal die Verschwörungstheorie, dass es nie eine amerikanische Mondlandung gegeben habe
Von den Verschwörungstheoretikern genannte Motive für die Vorspiegelung einer Mondlandung sind da:
Die "Dritten" waren da also
die Sowjetunion (Motiv 1),
die damals problemgeschüttelte amerikanische Öffentlichkeit (Motiv 2)
und "der" amerikanische Steuerzahler (Motiv 3),
und für das angebliche Ziel der angeblichen Verschwörung gilt ja, dass es teilweise "tatsächlich eintraf" (erreicht wurde).
Aber gegen wen ist die Verschwörung in gerichtet, wem werden da (neudeutsch:) „fake news“ untergejubelt und zu welchem Zweck?
Fangen wir mit den "fake news" an: der "Satz von Varignon" spiegelt ja eben keine falschen Tatsachen vor: er meint nichts anderes als das, was er sagt, nämlich dass das Mittenviereck eines beliebigen Ausgangsvierecks immer ein Parallelogramm ist.
Und damit ist der "Satz von Varignon" Selbstzweck
(ich kann mir nichtmal vorstellen, dass es für ihn irgendeine außermathematische Anwendung gibt).
Wenn überhaupt, so fügt erst "der" Mathematikunterricht (der Lehrer) dem "Satz von Varignon" einen äußeren Zweck hinzu:
die Schüler sollen (!) einen Beweiswunsch entwickeln bzw. die Beweisnotwendigkeit erkennen,
die Schüler sollen am "Satz von Varignon" exemplarisch Beweisverfahren kennenlernen,
die Schüler sollen
(nach gemeinsamer Erarbeitung)
den Beweis alleine führen können,
dieser Beweis wird in der nächsten Klassenarbeit abgefragt
(also im besten Fall stumpf auswendig gelernt - und direkt nach der Klassenarbeit wieder vergessen).
Es wäre also denkbar, dass die Schüler
den Sachverhalt anfangs durchaus noch erstaunlich finden,
ihn im Nachhinein aber
(nachdem der Beweis Prüfungsgegenstand war)
nur als Vorwand empfinden, womit der Umstand der für Verschwörungen typischen Irreführung eben doch erfüllt wäre.
All das meint Lockhart aber mit
"That's scary [= unheimlich, gruselig] - to me,
that's a conspiracy [= Verschwörung],
that's amazing,
that's completely
unexpected"
offensichtlich nicht. Oder genauer:
"That's scary - to me / that's a conspiracy"
spricht ja vielleicht mit "scary" und "conspiracy" noch (bewusst irreführend?) von Negativem,
aber das kippt spätestens mit "amazing" doch ins Positive,
um dann im eigentlich Wichtigen zu kulminieren: "completely unexpected".
Die Mathematik ist randvoll mit Sachverhalten, die "scary", "a conspiracy", "amazing" und "completely unexpected" sind, nur wird das im üblichen Mathematikunterricht selten so vermittelt, sondern da fällt alles fertig vom Himmel.
Hier nur zwei (oben schon genannte) Beispiele für andere mathematische Verschwörungen:
die erstaunlich simplen Ergebnisse für die Ableitung und die Integration;
in jedem (nicht nur rechtwinkligen) Dreieck
(und das ist der wundersamerweise der Mittelpunkt des Umkreises , der ebenso wundersamerweise um jedes Dreieck existiert),
(und das ist wundersamerweise der Mittelpunkt des Inkreises , der ebenso wundersamerweise in jedem Dreieck existiert),
(und dieser Schnittpunkt ist der Schwerpunkt des Dreiecks)
(was ich noch viel erstaunlicher finde)
die drei Schnittpunkte der Höhen, Mittelsenkrechten und Seitenhalbierenden allesamt auf einer Geraden (der "Eulergeraden"),
wobei ich allerdings doch ein wenig enttäuscht bin, dass nicht auch der Schnittpunkt der Winkelhalbierenden (immer) auf dieser Geraden liegt, wie man hier sehen kann:
Nehmen wir uns da nur zwei Beispiele raus:
Haben sich die drei Winkelhalbierenden in einer Art Verschwörung untereinander abgesprochen?
Woher wussten
dass sie Schnittpunkte bilden mussten, die allesamt auf einer Geraden liegen?
Haben sich die insgesamt neun Linien in einer Art Verschwörung untereinander abgesprochen
(und den Schnittpunkt der Winkelhalbierenden bösartig ausgeschlossen)?
Oder dirigieren die drei Dreiecksseiten
(eigentlich reichen ja sogar nur zwei, denn die dritte ist damit automatisch gegeben)
die Höhen, Mittelsenkrechten und Seitenhalbierenden so, dass am Ende dieser wundersame Gesamteffekt zustande kommt?
Wen da nicht das Gefühl beschleicht, dass Dreiecke aus lebendigen Linien bestehen, dem ist nicht mehr zu helfen:
"Das Schönste, was wir erleben können, ist das
Geheimnisvolle. Es ist das Grundgefühl, das an der Wiege von wahrer Kunst und
Wissenschaft steht. Wer es nicht kennt und sich nicht mehr wundern, nicht mehr
staunen kann, der ist so gut wie tot und seine Augen erloschen."
(Albert
Einstein)
(Nebenbei: um zu glauben [oder genauer: zu vermuten], dass das Festgestellte wirklich für alle Dreiecke gilt, sollte man diese mal in Bewegung sehen, und da helfen nun wirklich mal Computerprogramme:
Hier ist allerdings in eine einzige Animation alles, also viel zu viel reingepackt.)
Ich bin ja unbedingt dafür, dass im Mathematikunterricht wieder mehr Beweise durchgeführt werden, denn schließlich bilden sie das Herz der Mathematik
(sind aber für sämtliche Anwendungen unerheblich).
Und ich bin allemal gegen reine Effekthascherei
(wie sie in den meisten naturwissenschaftlichen und mathematischen "Erlebnismuseen" betrieben wird).,
bei der nichtmal der Versuch gemacht wird, die Effekte zu verstehenAber manchmal "reicht" auch das pure Staunen
Denn wo - verdammt nochmal! - wird im üblichen Mathematikunterricht jemals gestaunt?!