der mathematische Blick

Gleich vorweg: ich kann's verstehen, dass viele den mathematischen Blick als stechend und eiskalt, ja mörderisch


Medusa

empfinden:

"Der Laie hat für gewöhnlich, sofern er ein Liebhaber von Gedichten ist, einen lebhaften Widerwillen gegen das, was man das Zerpflücken von Gedichten nennt, ein Heranführen kalter Logik [!], Herausreißen von Wörtern und Bildern aus diesen zarten blütenhaften Gebilden. Demgegenüber muß gesagt werden, daß nicht einmal Blumen verwelken, wenn man in sie hineinsticht. Gedichte sind, wenn sie überhaupt lebensfähig sind, ganz besonders lebensfähig und können die eingreifendsten Operationen überstehen. [...] Der Laie vergißt, wenn er Gedichte für unnahbar hält, daß der Lyriker zwar mit ihm jene leichten Stimmungen, die er haben kann, teilen mag, daß aber ihre Formulierung in einem Gedicht ein Arbeitsvorgang ist und das Gedicht eben etwas zum Verweilen gebrachtes Flüchtiges ist, also etwas verhältnismäßig Massives, Materielles. Wer das Gedicht für unnahbar hält, kommt ihm wirklich nicht nahe. In der Anwendung von Kriterien liegt ein Hauptteil des Genusses. Zerpflücke eine Rose und jedes Blatt ist schön."

Johann Wolfgang Goethe:

Gefunden

Ich ging im Walde
So für mich hin,
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.

Im Schatten sah ich
Ein Blümchen stehn,
Wie Sterne leuchtend,
Wie Äuglein schön.

Ich wollt es brechen,
Da sagt' es fein:
Soll ich zum Welken
Gebrochen sein?

Ich grubs mit allen
Den Würzlein aus,
Zum Garten trug ichs
Am hübschen Haus.

Und pflanzt es wieder
Am stillen Ort;
Nun zweigt es immer
Und blüht so fort.

(ein blinder Blick?!)

oder diktatorisch der einzige Blick ist / zu sein beansprucht:

mir gehen ja sowieso jene verbiesterten Möchtegern-Mathematiker gefährlich auf den Senkel, die nur die mathematische (meist simpel zweiwertige) Logik sowie oberflächlich kausale Erklärungen akzeptieren und jede davon abweichende Perspektive als Aberglaube und Spinnerei denunzieren.


Angeblich ist der Mensch (unter anderem) ein "mustererkennendes Wesen"

(was sogar so weit geht, dass er

  • ins Chaos
  • mangels Muster dann eben doch irgendwann Muster hinein sieht

    [um irgendwie doch noch Halt zu finden?],

    Genau darüber herrscht aber in der Mathematikphilosophie ein uralter und letztlich wohl nicht entscheidbarer, vielleicht gerade deshalb aber nur umso erbitterter geführter Streit:


    Columbus

    wir diese "nur"

    [vgl.

    „Das Buch der Natur ist in der Sprache der Mathematik geschrieben und ihre Buchstaben sind Dreiecke, Kreise und andere geometrische Figuren, ohne die es ganz unmöglich ist auch nur einen Satz zu verstehen, ohne die man sich in einem dunklen Labyrinth verliert.“.


    Thomas Alva Edison

    wir diese Gesetze - und mit ihnen das, was wir für "die" Natur halten?)

    Die grundlegenden oder vielleicht auch nur simpelsten Muster sind aber geometrische, also mathematische

    (bis hin zur komplizierten Gesichtserkennung, die aber inzwischen auch schon von Computern geherrscht wird, also auch "nur" mathematisch ist).


    Der mathematische Blick ist "wechselseitig" :

    (z.B. annähernde Symmetrien, wo diese nur zufällig sind;

    vielleicht unterstellen wir ja jeder Ordnung eine dahinter stehende Absicht?):

    die Außenwelt wird aus mathematischer Sicht strukturiert oder sogar gedeutet:

    (ich kann Schülern nur Modellvorstellungen anbieten, die mir selbst geholfen haben):

    die Mathematik wird aus Sicht der Außenwelt strukturiert:


    Satz von Cavalieri


    Dafür, dass beide Perspektiven geradezu manisch werden können

    (und dann eventuell auch weitere Perspektiven verdrängen),

    bin wohl ich selbst ein wandelndes Beispiel:

    (z.B. gerade jetzt in der Einrichtung einer Tierarztpraxis),

    (zumindest in einem Baumarkt)

    als Modell für Innermathematisches geeignet:

    es ist schon wahrhaft erstaunlich, was sich alles zwecks Veranschaulichung der Mathematik zweckentfremden läßt

    (denn mir geht's nie um den Zweck, sondern um die Funktionsweise von Außenweltgegenständen:

    ).


    Beide Blickrichtungen scheinen mir zusammenzuhängen wie die beiden Seiten einer Medaille.

    Mir kommt es bei der Mathematik genauso vor wie bei Literatur und Geschichte: "wirklich" verstehen

    (und das heißt eben: von den Toten [u.a. Druckerschwärze] wieder zum Leben erwecken

    kann sie nur, wer selbst etwas erlebt hat, also sozusagen Blut spenden kann.

    Vielleicht muss man also ein gewisses Lebensalter erreicht haben, um überhaupt erst die Literatur / Geschichte / Mathematik verstehen zu können?!


    Man kann und sollte die beiden Blickrichtungen üben.

    Am wichtigsten dabei ist es, dass "sowas" immer wieder im Unterricht auftaucht: die Schüler müssen das Gefühl bekommen, dass die Außenwelt nicht von der Mathematik ignoriert oder gar missachtet wird, sondern permanent in die Mathematik reinspielt bzw. von dieser betrachtet wird

    (big brother is watching you?).

    Dabei geht es weniger um Anwendung der Mathematik auf die Außenwelt als darum, letztere als gigantischen Fundus bzw. als "fleischgewordene" Mathematik zu nutzen.

    Ein denkbares, letztlich aber nur kurzfristiges Projekt wäre da eine Fotoausstellung zu Symmetrien (hier auch Ellipsen) oder Brüchen in der Umwelt.

    Viel wichtiger scheint mir allerdings permanentes Assoziieren zu sein:

       
      Zweites Keplersches (Planeten-)Gesetz   Sony-Center
    am Potsdamer Platz
    in Berlin

     
       
          Benzolring