Mathematik ist Religion

"praestet fides supplementum sensuum defectui"
(möge der Glaube den beschränkten Sinnen als Ergänzung vorstehen)

"Reine Mathematik ist Religion."

Novalis

"Der typische Mathematiker ist
 an Werktagen Platonist
 und an Sonntagen Formalist."
 (P.J. Davis)

"Mit Cusanus und Galilei verschwanden die Mittelglieder,
und ein gähnender Abgrund trennte fortan
die mathematische von der materiellen Welt,
die Wirklichkeit vom Ideal,
den Menschen vom Schöpfer."
(Arthur Zajonc)

um von Anfang an Missverständnisse zu vermeiden, vgl. auch
 

Eigentlich ist es viel zu offenkundig, als daß es nochmals behandelt werden müßte: Mathematiker (wie auch viele Naturwissenschaftler) entscheiden nicht (oder genauer: nicht nur, wie sie oftmals meinen) "rational" (was immer das sei), sondern sehr häufig und in entscheidenden Situationen auch ästhetisch, assoziativ und intuitiv.

Viele der entscheidenden mathematischen Entdeckungen sind nach einem Muster zustande gekommen, das es genauso auch in Naturwissenschaften und Kunst gibt:

  1. lange "rationale" Beschäftigung mit einem Thema;

  2. Ruhepause, Ablenkung (Bereicherung durch eine bunte Welt);

  3. mitten in letztere hinein der entscheidende Funken, der "Musenkuß", das "Heureka".

Und wie auch in anderen Wissenschaften (z.B. der Physik) stand die ästhetische Entscheidung oft vor der sachlich-fachlich-logischen: es sah einfach schöner aus – und wurde erst dann bewiesen bzw. überhaupt als wegweisend erkannt.

Daß aber ausgerechnet Mathematik "Religion" sein soll, wird sowohl den meisten Laien als auch den meisten Mathematikern fremdartig bis geradezu abstrus vorkommen, führen doch gerade die Mathematiker sich oft als Sachwalter der "einzig wahren" Rationalität und Logik auf.

Nur steht eben die Mathematik von Anbeginn an auf tönernen Füßen. Und damit meine ich hier nicht die unbeweisbaren Grundaxiome, sondern eine Grundeinstellung von Mathematikern, die ihnen dauerhafte Beschäftigung mit Mathematik überhaupt erst erträglich machen kann (und das gilt selbst dann, wenn sie es leugnen):

der pythagoräisch-platonische Glaube, daß die Welt nach bzw. aus Zahlen (bei Platon umfassender, teilweise aber auch unklarer "Ideen" genannt) geschaffen wurde, ja, daß es Zahlen und mathematische Strukturen a priori gibt und es sie nur zu entdecken (statt zu erfinden) gilt.

Der einseitige Mathematiker bzw. "Schwachmathicus" betet das Goldene Kalb "Zahl" (als pars pro toto der Mathematik) an, sie ist seine Gottheit.

Die allermeisten Mathematiker sind bis heute Pythagoräer bzw. Platoniker, und da wundert es nicht, daß die "Zeit" (in Folge amerikanischer Fachblätter) jüngst dieses Thema wieder aufnahm:

Pipeline zur Wahrheit (Zeit, 20.8.98)

Ein alter Streit flammt wieder auf: Warum folgt die Welt mathematischen Regeln?

Von Wolfgang Blum

"Das Wunder, daß sich die Sprache der Mathematik für die Formulierung der physikalischen Gesetze eignet, ist ein herrliches Geschenk, das wir weder verstehen noch verdienen", schrieb der US-amerikanische Mathematiker und Physiker Eugene Wigner vor knapp vierzig Jahren. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Ob klassische Physik, Quantenmechanik oder Relativitätstheorie, alles beruht auf Formeln. Doch warum funktioniert das? Weshalb folgt die Welt mathematischen Regeln? Die Lücke, die Wigner benannte, klafft noch immer in unserem Weltverständnis.

Die meisten Mathematiker kümmern sich indes wenig darum. Sie tun so, als ob sie über eine direkte Pipeline zur absoluten Wahrheit verfügten. Dabei berufen sie sich auf den griechischen Philosophen Plato, dem zufolge Zahlen und andere mathematische Objekte himmlische Ideale sind, die außerhalb von Raum und Zeit in einem Reich von Ideen existieren. Platonisten sehen mathematische Wahrheiten als unabhängig vom Menschen an. Alle Theoreme sind für sie schon immer wahr gewesen und werden es bis ans Ende der Zeit bleiben. Die Forscher erfinden sie nicht, sie finden sie nur - ähnlich wie Columbus Amerika entdeckte.

In den vergangenen Monaten geriet diese Ansicht gleich mehrfach unter Beschuß. Mathematiker wie Reuben Hersh von der Universität in Albuquerque (New Mexico), George Lakoff und Rafael Nuñez aus Berkeley oder Stanislas Dehaene vom Pariser Institut National de la Santé vertreten in ihren Büchern eine dezidiert antiplatonistische Sichtweise. Für Reuben Hersh beispielsweise wohnt die Mathematik weder in einer Ideenwelt noch in jemandes Kopf. Er sieht sie als "Teil der Kultur, wie das Recht, die Religion, das Geld". Mathematik existiere im kollektiven menschlichen Bewußtsein. Wissenschaftler würden sie nicht, wie Platonisten behaupten, entdecken, sondern sich ausdenken.

Im Internet werden solche Thesen inzwischen heftig diskutiert. Die New York Times beispielsweise hat ein spezielles Forum ("Pi in the sky") eingerichtet, und auch im Reality Club des Literaturagenten John Brockman zerbricht man sich den Kopf über die "Natur mathematischer Konzepte". Doch "die deutsche community scheint das Thema nicht zu interessieren", konstatiert Jochen Brüning von der Berliner Humboldt-Universität.

Hirnforscher haben den Rechner im Kopf lokalisiert

"Es ist viel leichter, Mathematik zu treiben, als über sie zu philosophieren", sagt Verena Huber-Dyson von der Universität im kanadischen Calgary. Deshalb wurstele die Mehrheit ihrer Kollegen vor sich hin, ohne sich Gedanken zu machen. Reuben Hersh findet für diese Denkfaulheit herbe Worte: "Ich vergleiche das mit einem Lachs, der flußaufwärts schwimmt. Er weiß, wie man stromaufwärts schwimmt, aber er weiß nicht, was er tut und warum."

Schon Albert Einstein bekundete: "Die ganzen Zahlen sind offensichtlich eine Erfindung des menschlichen Geistes, ein selbstgeschaffenes Werkzeug, das es erleichtert, bestimmte sensorische Erfahrungen zu ordnen." Stanislas Dehaene präzisiert die These: Da wir in einer Welt unterscheidbarer beweglicher Objekte lebten, brauchten wir Zahlen. "Sie in unserer Umgebung zu erkennen kann uns helfen, Raubtiere aufzuspüren oder den besten Futterplatz auszuwählen", erklärt der junge Mathematiker und Neuropsychologe. "Das ist für uns so grundlegend wie die Ultraschallortung für Fledermäuse oder der Gesang für Singvögel." Die ganzen Zahlen habe die Evolution in unserem Nervensystem fest verdrahtet und damit Mathematik in die Architektur unseres Gehirns eingraviert.

Als Beleg verweist Dehaene auf Hunderte von Versuchen, in denen Babys und sogar Tiere rudimentäre Rechenfähigkeiten zeigen. Säuglinge im Alter von fünf Monaten gucken irritiert, wenn vor ihren Augen zwei Mickymauspuppen hinter einen Schirm wandern, aber nur noch eine da ist, wenn der Schirm beiseite gezogen wird. Auch Schimpansen beweisen erstaunliches Rechengeschick: Werden sie mit zwei Tabletts konfrontiert, auf denen einmal drei plus vier Schokostückchen liegen, zum anderen zwei und drei Stückchen, so wählen die Tiere zielstrebig das Tablett mit den sieben Leckerlis. Sie wissen anscheinend, daß drei plus vier größer ist als zwei plus drei. Auch Rhesusaffen beweisen in ähnlichen Experimenten - mit Auberginen statt Süßigkeiten - ihr Talent. Sogar Ratten beherrschen einfache Kalkulationen: Forscher brachten ihnen bei, Hebel A mit zwei Tönen oder Lichtblitzen zu verbinden, Hebel B mit vier. Als die Nagetiere zwei Töne hörten und zwei Blitze sahen, drückten sie B.

In Untersuchungen von Hirnverletzten, die grundlegende mathematische Fähigkeiten verloren hatten, konnten Dehaene und andere Wissenschaftler die Rechenmaschine in unserem Kopf lokalisieren. Sie sitzt in einem Teil der Hirnrinde, dem sogenannten unteren parietalen Kortex, in dem visuelle, auditive und taktile Signale zusammentreffen. Wahrscheinlich ist diese - bisher nur wenig ergründete - Region zudem für Sprachverarbeitung und das Unterscheiden von links und rechts zuständig. Versuche mit gesunden Probanden, deren Gehirndurchblutung beim Kopfrechnen gemessen wurde, wiesen auf denselben Teil des Kortex als Zahlenverarbeiter.

Sind Zahlen demnach keine platonischen Ideale, sondern neurologische Schöpfungen - Methoden, mit denen das Gehirn die Welt erfaßt? Dehaene vergleicht Zahlen mit Farben. Auch die gebe es nicht außerhalb unseres Kopfes. Bananen etwa erschienen uns gelb, auch wenn sich die Wellenlängen, die sie reflektierten, bei unterschiedlicher Beleuchtung komplett änderten. In allem, was über einfache Kalkulation hinausgeht, wie Multiplikation, Trigonometrie oder Differentialrechnung, sieht der Kognitionsforscher das Werk der menschlichen Kultur. So wie Literatur und Poesie aus einigen wenigen Worten, ein bißchen Grammatik und Syntax bestehe, webten wir aus einfachen Ideen die gesamte Mathematik.

George Lakoff und Rafael Nuñez von der Universität im kalifornischen Berkeley gehen ein Stück weiter. "Wir haben nicht nur mathematische Hirne, sondern auch mathematische Körper", behauptet Lakoff. Erster Beleg: unser Dezimalsystem. Mit ihren zehn Fingern spielend hätten unsere Vorfahren die Zahlen erkundet. Dann hätten sie bemerkt, daß sich durch Zählen der Schritte Abstände messen lassen. Dabei seien sie vermutlich auf abstraktere Konzepte gestoßen: In eine Richtung zu laufen wurde mit positiven Zahlen gleichgesetzt, in die entgegengesetzte Richtung mit negativen. Bewegte man sich senkrecht dazu, entstand eine zweite Achse: das, was wir heute ein kartesisches Koordinatensystem nennen. So baue sich Stock für Stock der Turm der Mathematik auf.

Zahlreichen mathematischen Konzepten sind Lakoff und Nuñez auf den Grund gegangen, darunter Logarithmen, Trigonometrie, komplexen Zahlen, Fraktalen. Ihr Fazit: Reine Gedanken gebe es nicht, alles basiere auf physischer Handlung. Beispiel Mengenlehre: Ob man sich die Elemente einer Menge vorstelle oder Stühle in einem Raum - die Vorstellung in unserem Kopf sei jeweils dieselbe.

Doch solchen Ansichten stimmen nicht alle Mathematiker zu: Ehrhard Behrends von der Freien Universität Berlin glaubt, die Erfahrung decke nur ein winziges Spektrum der Mathematik ab. Der Unendlichkeit etwa, einem der fundamentalsten Begriffe, stehe in der Wirklichkeit nichts gegenüber. "In den Naturwissenschaften haben uns gerade Abstraktionen, die von Erfahrungen wegführen, weitergebracht", sagt Behrends. Das Newtonsche Trägheitsgesetz, nach dem ein einmal in Bewegung gesetzter Körper ewig weiterfliegt, passe ebensowenig zu unserer Alltagswelt wie die berühmte Feder, die genauso schnell wie eine Kugel Blei falle, oder das absolute Tempolimit der Lichtgeschwindigkeit.

Newtons Gleichungen, Relativitätstheorie und Quantenmechanik bieten keinen direkten Überlebensvorteil. Letztere haben sogar mit unserer Erfahrung nicht das Geringste gemein. Daher fällt es auch so schwer, sie zu begreifen. Warum sollte uns die Evolution darauf getrimmt haben, die dahintersteckende Mathematik auszuklügeln? Auf diese Frage geben die neuen Ansätze keine befriedigende Antwort.

Dennoch: Die Formeln könnten sehr wohl menschengemacht sein und nicht gottgegeben. Denn sie erfassen das Universum nur so weit, wie wir das mit Beobachtungen und Experimenten überprüfen können. Würden Außerirdische ganz andere Naturgesetze formulieren? Platonisten sind sich sicher: Jede intelligente Spezies entwickelt zwangsläufig dieselbeMathematik wie wir. Denn sie muß aus derselben Ideenwelt schöpfen, die unabhängig vom Menschen existiert. Ein Kontakt mit Aliens könnte daher den Streit um den Platonismus eines Tages entscheiden. Treiben die Wesen auf fernen Planeten eine andere Mathematik, wäre der Platonismus widerlegt. Kennen sie Arithmetik, Differentialrechnung und Mengenlehre, muß das gleichwohl noch nichts heißen. Denn leben sie in einer ähnlichen Umgebung wie wir, könnte die natürliche Selektion ihrem Denkorgan dieselben Fähigkeiten eingebrannt haben. Hätten sie sich aber etwa in einer flüssigen Welt entwickelt, läge ihnen Dehaene zufolge das Wissen über Strömungen und Strudel näher. "In diesem Fall unterschiede sich ihre Mathematik radikal von der unseren."

Bis solch aquatische Kreaturen in die Debatte eingreifen, bleibt sie indes irdisch - und höchstwahrscheinlich offen.

Nur wundert mich diese angebliche "Neuerkenntnis" doch, wo doch der Streit über den Platonismus so uralt (und letztlich wohl prinzipiell unentscheidbar) ist.

(Nebenbei: alles, was in diesem Artikel gegen den Pythagoräismus/Platonismus angeführt wird, finde ich letztlich wenig überzeugend bzw. halte ich zwar für möglich, aber nicht für eine eindeutig neue Wahrheit. Ja, die genannten Versuche könnte man ja auch mal geradezu als Beweis des Platonismus ansehen: selbst Babys und Tiere haben a priori Zahlen im Kopf. Dieses Apriori wird irgendwo hirnphysiologisch gespeichert [und kann dementsprechend auch abhanden kommen]. Selbst eine andere Mathematik der Bewohner anderer Sterne wäre kein Beweis gegen den Platonismus, sondern würde nur zeigen, daß der Platonismus [wie Naturgesetze?] regional verschieden wirken kann: eine andere Raum-Zeit-Krümmung würde andere Aprioris einpflanzen, Gott hätte verschiedene, flexible Mathematiken geschaffen bzw. nach verschiedenen Mathematiken gearbeitet. Es würde mich bei einem allmächtig-allwissenden Gott nichtmal wundern.

Wie schon gegen die Averoisten im Mittelalter eingewandt wurde: ein wirklich allmächtiger Gott wäre nicht an die Philosophie des Aristoteles [bzw. Pythagoras/Platon] gebunden. Und es hat sich ja wenig geändert: die Idee, daß die Naturgesetze im gesamten Kosmos gleich sind, ist sicherlich eine enorm erfolgreiche, ja, notwendige Arbeitshypothese - und könnte doch zur Denkblockade werden. Vielleicht sitzen heutige Physiker mit dem Versuch der "großen Vereinheitlichung" einem prinzipiellen Fehler auf. Und was ist "große Vereinheitlichung" anderes als purer Platonismus?!

Daß es "auf Erden" nicht eine platonisch vorgegebene Mathematik gibt, scheint mir eher durch ethnomathematische Forschungen nahelegt, die zeigen, wie aus verschiedenen Kulturen heraus tatsächlich andere Mathematiken entstehen. Mathematik ist (eben auch) kulturell und historisch bestimmt.)

Die meisten Mathematiker sind notgedrungen gläubige Pythagoräer bzw. Platoniker: sie müssen für ihre alltägliche Arbeit einfach unhinterfragt voraussetzen, daß es Zahlen (als Selbstzweck) gibt.

(Das ist genauso wie mit "Diskurswissenschaftlern": im Alltag, im Privatleben können sie nicht immer an Diskurse glauben, weil ihnen dann ihr ganzes Leben zerfasern und in Unwirklichkeit verschwinden würde: Verliebtsein und Migräne sind nicht als diskursive Elemente erlebbar.)

Selbst viele theoretische ("richtige") Mathematiker begründen ihre Tätigkeit, wenn sie vom kapitalistischen Verwertungsinteresse eingeholt werden, damit, daß ihre Mathematik (wie die Geschichte oft gezeigt hat) später sicher mal anwendbar sein werde, d.h., daß die Welt ganz pythagoräisch-platonisch nach Zahlen konstruiert sei und diese deshalb auf die Wirklichkeit passen würden.

Wenn der theoretische Mathematiker aber auf jede Anwendung pfeift, ist er erst recht Pythagoräer-Platoniker, verherrlicht er nämlich den deus absconditus (verborgenen Gott) Zahl.

Der Pythagoräismus bzw. Platonismus ist eine ebenso wohltuende, Sicherheit bietende wie eiskalte, ja, mörderische Religion:

und der Pythagoräismus/Platonismus bot allemal mehr Konstanz als die launischen griechischen Götter des mythischen Zeitalters vor Pythagoras.

(wobei allerdings dringend ergänzt werden muß, daß Pythagoras – wie auch viele spätere Erfinder und Entdecker – noch eine meta-physische Einheit empfand [seine Zahlen hatten noch Bedeutungen], die erst später – in Folge seine Entdeckungen, aber nicht durch sie bezweckt – abhanden kam).

Und die Abstraktion von "vier Äpfeln" und "vier Menschen" auf bloß "vier" hat natürlich was entwürdigend Egalitäres – und Mörderisches. Da ist – böse gesagt – ein Befehl Lenins vorgeprägt, der lautete: "bis morgen 6000 Menschen hinrichten – egal, welche, Hauptsache Terror [der Zahl]".

Allemal ist der Pythagoräismus/Platonismus eine verständliche, naheliegende, ausgesprochen suggestive Religion: die Mathematik paßt eben oftmals so erstaunlich gut und erfolgreich auf die Wirklichkeit (egal, was da eher war, das Ei oder die Henne; ja, gerade weil die Mathematik so gut paßt, liegt es nahe, Ei und Henne zu verwechseln: wie Gott ja immer nur eine Projektion ist?).

Und wenn man den Pythagoräismus – wie schon teilweise Platon – über die reinen Zahlen hinaus auf komplexeste Strukturen (u.a. auch mehrwertige, fließende Logik) hin erweitert, wird er doch wieder menschlich.

Ganz gläubig sind die (führenden) Mathematiker allerdings auch nicht: sie säbeln gerne selbst an den vermeintlichen Grundlagen: da sprengt dann beispielsweise Riemann das Parallelenaxiom, zerfetzt Russell die Zahl 1 und legen Russell und Gödel Feuer an sämtliche Grundlagen der Mathematik.

Danach aber mußte man, wollte man überhaupt weitermachen, wohl wieder zum alltäglichen Pythagoräismus übergehen.

Muß man es nicht vielleicht tatsächlich so wie Arthur Koestler sehen?: daß Pythagoras (teilweise in einer Richtung, die er nicht wollte) der wirkungsmächtigste Mann aller Zeiten war (nebenbei: er soll wie Jesus nach seinem Tod direkt in den Himmel aufgefahren sein).

Wie sehr Mathematik vom "Glauben" abhängig ist, zeigt der Streit um die Unendlichkeitstheorien Cantors:

Das erinnert mich doch allemal an Einsteins Aversion gegen bzw. lebenslängliches Unverständnis für die Quantenphysik: "Gott würfelt nicht": er glaubte zwar nicht an einen (personalen) Gott, aber trotzdem mußte er es mit dieser Metapher "Gott" ausdrücken!

PS:  Mit Margaret Wertheim in ihrem Buch "Die Hosen des Pythagoras" sei aber doch mal leise angefragt, ob die (raffinierte, ja, geradezu ideologische?) "mathematische" Mischung aus eiskalter Logik einerseits und verborgener, nicht eingestandener Religiosität andererseits nicht etwas "typisch MäNNLICHES" hat. Um dieses Phänomen bildhaft zu fassen, spricht Wertheim bewusst (in Anlehnung an die AlLego®rie der Vernunft in der Renaissance, die Minerva) alLego®risch von "DEM mathematischen Mann" (wobei natürlich nicht jeder Mann "mathematischer Mann", aber alle Mathematik männlich sei).