- = + und andere Halbmathematik

Neben der "Hochliteratur", also beispielsweise

WER, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel
Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme
einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem
stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts
als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,
und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,
uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.
[...]
(Rainer Maria Rilke, erste Duineser Elegie),

produziert doch vor allem der "Volksmund" mit Sprichwörtern, Redensarten, enormem Bilderreichtum, einem Heidenspaß an Nonsens, "Reim dich, oder ich fress dich" und überhaupt seiner kackendreisten Unbekümmertheit um den "Duden" den größten sprachlichen Genuss.

Und genauso gibt es eine "Volksmathematik", die

Einige Beispiele:

Geteiltes Leid ist halbes Leid:

    1 : 2 = 0,5

Geteilte Freude ist doppelte Freude:

    1 : 2 =   2

Bild   0,5 =   2   | - 0,5

Bild     0  = 1,5 | : 1,5

Bild     0  =   1  

  1. Wenn SchülerInnen mal wieder traurig oder böse über ein "minus" auf dem Zeugnis sind

(also beispielsweise bei "befriedigend minus"; und nebenbei: ich habe noch nie SchülerInnen verstanden, die sich wegen eines "befriedigend" beschweren, es sei denn, sie wurden ungerecht behandelt),

 sage ich manchmal zu ihnen: 

- = + 

(Ein bisschen anders verhält es sich mit einem "ausreichend minus":

Nun ist " - = + " ja (scheinbar) mathematischer Blödsinn:

  1. was ist da denn minus bzw. plus, d.h. vor welchen Zahlen stehen die Vor(!)zeichen "minus" und "plus"?
  2. Oder sind das minus und das plus Rechenzeichen? Das würde dann wohl bedeuten, dass Subtrahieren dasselbe wäre wie Addieren!?

Zu a.:

Setzen wir z.B. die 3 für die fehlende Zahl ein, so erhalten wir

- 3 = + 3,

und das ist offensichtlich falsch. Dennoch ist solch eine Gleichung nicht immer Blödsinn, denn es gibt tatsächlich eine (einzige) Möglichkeit, dass sie richtig ist, nämlich für die Zahl Null:

- 0 = + 0,

Diese scheinbar nebensächliche Erkenntnis (eine Besonderheit einzig und allein der Null) ist aber in der Mathematik von erheblicher Bedeutung, nämlich z.B. auch in

b.:

Addieren und Subtrahieren ergeben tatsächlich Dasselbe, wenn man eben die Null addiert bzw. subtrahiert. Z.B.

3 - 0 = 3 + 0.

Normalerweise sind Gleichungen kommunikativ. Z.B. gilt 3 + 4 = 7 genauso wie 7 = 3 + 4. Im vorliegenden Fall ist das aber nicht so, denn

+ -

KeinE SchülerIn

, die ein "plus" hat (z.B. befriedigend plus) würde zur Not(?)lüge greifen, dass sie/er ein "minus" (also befriedigend minus) habe:

  1. An einer Bürotür habe ich mal folgendes Schild gesehen:
  Vor dem Eintreten
bitte drei Mal zwei Mal
klopfen
 

drei Mal oder dreimal??

(Autor: G   і   f   t   z   w   е   r   g, Frage gestellt vor 1 Jahr, 8 Monaten, 17 Tagen)

Hallo,

ich möchte den folgenden Satz schreiben: "Die Seite wird drei bis vier Mal täglich aktualisiert." Scheibt man nun "dreimal" oder "drei Mal" (im neuen Duden stehen beide Versionen, aber kein Hinweis was nun richtig ist)???

Re: drei Mal oder dreimal??

(Autor: F   r   i   t   z     R   u   p   p   r   і   c   h   t, Antwort nach 28 Min)

Hallo,

vielleicht hilft das:

acht|mal, mit Ziffer 8-mal; bei besonderer Betonung auch acht Mal; aber acht mal zwei (mit Ziffern 8 mal 2) ist (nicht:) sind) sechzehn; achtmal so groß wie (seltener) als) ...; acht- bis neunmal ()R 23);

(Duden).


(zitiert nach )

Was aber bedeutet nun eigentlich

  Vor dem Eintreten
bitte drei Mal zwei Mal
klopfen
 

bzw. was will uns der Bürohengst damit sagen?:

  1. und "offiziell" wohl:
  Bitte
drei Mal nacheinander
je zwei Mal
klopfen
 
  1. : das Klopfritual ist bewusst so kompliziert formuliert worden, damit der Besucher entweder die Anweisung gar nicht versteht (evtl. falsch klopft und deshalb nicht eintreten darf) oder ihm das Ritual zu umständlich ist (so dass er erst gar nicht klopft und also wiederum nicht eintreten darf). D.h. die Anweisung besagt auf einer zweiten Ebene nichts anderes als
  Bitte
nicht [mit Klopfen] stören - und schon gar nicht eintreten
 

also in weniger euphemistischer Version

  Draußen bleiben!
 

bzw. 

  Unterstehen Sie sich,
den Beamtenschlaf zu stören!
 

Das aber ist so dick aufgetragen, dass es schon wieder selbstironisch klingt, und überhaupt ist

  Vor dem Eintreten
bitte drei Mal zwei Mal
klopfen
 

ja auch ein Witz, der ähnliche solche Schilder parodiert - und auf einer dritten Ebene bedeuten kann:

  1.  
  Kommen Sie doch bitte
ohne große Umstände [kompliziertes Klopfen]
einfach herein!
 

Bleiben wir aber bei der Version

  Bitte
drei Mal nacheinander
je zwei Mal
klopfen
  :

Gemeint ist damit wohl

   1       2                          1       2                           1        2 

klopf-klopf --- Pause --- klopf-klopf --- Pause --- klopf-klopf                              3 2

        1                                   2                                    3             

bzw. kürzer

           |        |                           |        |                           |          | , 

aber nicht

                              1                                           2

          klopf-klopf-klopf --- Pause --- klopf-klopf-klopf                                          2 3

            1       2      3                            1       2      3         

  oder kürzer

                    |        |       |                              |      |       |  .

Und schon gar nicht ist ein 6maliges gleichmäßiges Klopfen gemeint, also

                                   1      2      3       4      5       6                                                          6          

                              klopf-klopf-klopf-klopf-klopf-klopf  

oder kürzer

                                   |       |       |       |       |        |    .    

Anders gesagt:

32 23 6

Das widerspricht zwar aller Mathematik

(weder die Grundrechenarten noch das Kommutativgesetz gelten/gilt),

und doch wird da eine wichtige Erinnerung wieder aufgeweckt:

Meistens nennt man die zwei Zahlen, die miteinander multipliziert werden (also hier die 2 und die 3) beide ohne Unterschied "Faktoren"

(während man bei der Division [z.B. 2 : 3 ] die vordere [hier die 2] Zahl "Dividend" und die hintere [hier die 3] "Divisor" nennt, also sprachlich fein unterscheidet, was natürlich den Grund hat, dass für die Division nicht das Kommutativgesetz gilt, also 3 : 2 2 : 3 ist).

Ursprünglich unterschied man aber auch bei der Multiplikation (z.B. 23) sprachlich und nannte die vordere Zahl (hier die 2)  "Multiplikator" und die hintere (hier die 3) "Multiplikant".

Diesen feinen Unterschied machte man, um erst danach das Kommutativgesetz für die Multiplikation zu behandeln: dass man also Multiplikator und Multiplikant (erstaunlicherweise!) austauschen und daher (dann erst) beide mit demselben Namen "Faktor" belegen darf.

Man kann sich aber streiten, ob die feine anfängliche Unterscheidung

(wie eine Grundschullehrerin sie exzessiv betrieben hat)

in "Multiplikator" und "Multiplikant" überhaupt sinnvoll ist, denn jedeR SchülerIn bringt doch das Grundwissen mit, dass es egal ist, ob man 2 mal 3 Birnen oder 3 mal 2 Birnen kauft, dass also die Multiplikation kommutativ ist. Mir scheint vielmehr, dass die Übergenauigkeit in der Terminologie schnell etwas Selbstverständliches überproblematisiert und dadurch längst vorhandenes Verständnis künstlich wieder zerstört wird.