SchülerInnen müssen NICHT alles verstehen
Die Schulmathematik funktioniert üblicherweise so, dass einE mittelprächtig begabte(r) (?) SchülerIn den jeweils gerade anstehenden Schulstoff komplett verstehen
(genauer: zumindest mechanisch anwenden)
kann.
Es wird also niemals Stoff durchgenommen, der noch nicht (und zwar vollständig) durchdrungen werden kann.
Genau das scheint mir aber ein zentraler Fehler zu sein:
Warum wird den SchülerInnen nie gezeigt, welche Fragen noch (zumindest derzeit für sie) offen bleiben (aber in der Luft liegen!) bzw. erst in später
en Schuljahren beantwortet werden können?
Warum wird ihnen immer ein fest gefügtes, wasserdichtes Bild der Mathematik geliefert?
Warum werden sie weitgehend mit der Mathematik der Antike und, wenn's hoch kommt, des 17. Jahrhunderts abgespeist?
(Mit solcher Abspeisung mit Uraltem werden sie ja auch selbst gering geschätzt!)
Warum wird ihnen nie gezeigt, dass die Mathematik auch heute noch putzmunter ist und viele interessante Fragen ungelöst sind - also einer Lösung harren?
Warum also liefert man den SchülerInnen eine wohlsezierte Leiche?
In seinem ebenso spannenden wie informativen Buch hat Simon Singh vorgemacht, dass das auch anders geht:
keine SchülerIn (und auch keine LehrerIn) hat auch nur die geringste Chance, Andrew Wiles berühmten Beweis dieses Satzes zu verstehen, und den spart Singh sich auch wohlweislich;
dennoch erlebt der Leser in dem Buch spannende Mathematik hautnah und - was wichtiger ist - lernt sehr viel über mathematische Denkweisen.
Sowas sollte man SchülerInnen sehr viel mehr zumuten bzw. zutrauen, und dafür müsste erheblich Platz im übervollen Stoffplan geschaffen werden.
Nur einige wenige Beispiele:
Omega: Das Magazin für Mathematik, Logik und [weniger interessant] Computer; Spektrum der Wissenschaften Spezial, 4/2003
darin u.a.:
- Häufig gestellte Fragen
- Wurden die komplexen Zahlen entdeckt oder erfunden?
- Leckerbissen
- Eine Million britische Pfund für zwei Mathematiker / Wie lange dauert die Ewigkeit?
- Das Flechten von platonischen Körpern
- Ebene Schnitte im Würfel
- Schwerpunkt: Graphentheorie
- Alle Wege führen nach Königsberg
- Wie man Staus vermeidet
- Wenn der Weg gewürfelt wird
- Schach-Graphen
- Graphen und Labyrinthe
- Bäume, Spiele und Strategien
- Graphenrätsel … und Lösungen
- Hauptartikel
- Wer wird Millionär? [Preise für die sieben größten Probleme der Mathematik]
Gerd Faltings (Hrsg.): Moderne Mathematik; Spektrum