von nix [Mathematischem] ne Ahnung (aber das auf allen Sendern?)
Es verbietet sich von selbst
(und ist vermutlich auch offiziell verboten),
dass ein Lehrer einem Schüler Nachhilfe gibt, den er gerade selbst in einer
Klasse unterrichtet.
halte ich auch wenig davon, dass ein Lehrer einem Schüler Nachhilfe
gibt, der an derselben Schule wie der Lehrer lebt und wirkt, den der
Lehrer aber (derzeit) nicht in einer Klasse unterrichtet
(sobald er mit dem Kollegen spricht, der den Schüler derzeit
unterrichtet, werden Interessenskonflikte möglich).
Ich habe von dieser zweiten Regel nur ein einziges Mal eine Ausnahme
gemacht, nämlich als die Schulleitung mich bat, einem Schüler mit einer
schweren Erbkrankheit Nachhilfe zu geben
(wohlgemerkt einem Schüler, den ich gerade nicht selbst in einer Klasse
unterrichtete).
Ansonsten habe ich aber, als ich noch Lehrer war, nie einem Schüler „meiner“
Schule Nachhilfe gegeben
(dazu hatte ich gar keine Zeit).
Wohl aber habe ich während meiner
Lehrerzeit manchmal Kindern von Freunden und Bekannten kurz vor
Klassenarbeiten in Crashkursen Nachhilfe gegeben
(diese Kinder und Jugendlichen gingen aber zu anderen Schulen [in einer
anderen Stadt] als „meiner“ Schule).
Erst seit ich frühpensioniert bin, habe ich vielfach Nachhilfe (in
Mathematik) gegeben, und zwar grundsätzlich kostenlos:
Kindern von Leuten (u.a. Asylanten), die sich anderweitig keine
Nachhilfe leisten konnten
(wie politisch korrekt ich doch bin - und ich kaufe ja zur Beruhigung meines
Gewissens auch immer brav Fairtrade-Kaffee!),
nach wie vor (meistens als kurzfristige Crashkurse) Kindern von Freunden
und Bekannten.
Und da hatte ich in letzter Zeit eben auch zwei ganz spezielle Kandidaten,
von denen weiter unten die Rede sein soll.
Nachhilfe hat im Vergleich mit regulärem Schulunterricht zwei Nachteile -
und einen Vorteil:
ein erster Nachteil: man sieht als Nachhilfelehrer die Schüler
meistens nur eine Stunde pro Woche, wenn die Nachhilfe
regelmäßig
stattfindet,
höchstens ein oder zwei Stunden, wenn die Nachhilfe nur als temporärer
Crashkurs direkt vor Klassenarbeiten stattfindet
(in diesem Fall kann man als Nachhilfelehrer wegen Zeitmangels immer nur
aktuellen Stoff üben
[also dem gegenwärtigen Unterricht hinterherhecheln],
aber kaum an fehlende Grundlagen herangehen).
ein zweiter Nachteil: man erlebt als Nachhilfelehrer
(zumindest anfangs)
immer nur „schlechte“ Schüler - und manchmal (s.u.) auch welche, bei denen
keinerlei Nachhilfe fruchtet, was ganz schön am pädagogischen
Selbstbewusstsein des Nachhilfelehrers nagen kann.
Wenn man aber immer nur mit „schlechten“ Schülern zu tun hat und
Erfolgserlebnisse ausbleiben, denkt man als Nachhilfelehrer vielleicht:
der Vorteil: man erlebt die Nachhilfeschüler hautnah, kann sie also
(ein derzeitiges Modewort:)
„individuell fördern“, während man als Lehrer im üblichen Schulunterricht 30
Schüler vor sich sitzen hat und deren individuellen (nur fachlichen?) Probleme oftmals
gar
nicht mitbekommt.
Und so passiert es im üblichen Schulunterricht oftmals, dass man als Lehrer
von stilleren oder auch vollends desinteressierten Schülern nur die
Klassenarbeiten, also punktuelle Ergebnisse mitbekommt und dann vielleicht
meint, diese Schüler hätten nur den derzeitigen Stoff nicht verstanden,
während bei ihnen in Wirklichkeit oftmals auch sämtliche Grundlagen fehlen:
(“leer“ ja, aber „aufnahmebereit?“)
Der Spruch „von nix ne Ahnung, aber das auf allen Sendern“ gefällt mir
(wie auch „von nix ne Ahnung, aber zu allem ne Meinung“)
viel zu gut, als dass ich mir die Möglichkeit entgehen lassen möchte, ihn
für diesen Essay als Überschrift zu verwenden.
Man beachte aber auch das Fragezeichen in der Überschrift
von nix ne Ahnung
(aber das auf allen Sendern?):
dass sie „von nix ne Ahnung“ haben, übermitteln die betreffenden Schüler im
üblichen Schulunterricht ja eben gerade nicht „auf allen Sendern“, sondern ganz
im Gegenteil auf gar keinem Sender
(außer ansatzweise in
Klassenarbeiten, die bei jedem einzelnen Schüler genau zu analysieren
ein in Korrekturen ertrinkender Lehrer aber gar keine Zeit hat).
Nun aber zu den oben schon kurz erwähnten beiden speziellen
Nachhilfe-Kandidaten, die Anlass für diesen Essay waren, weil mir erst bei
ihnen
(nach 27 Jahren Lehrerdasein und dann folgender Frühpensionierung, also
zu
spät)
etwas brutal Wichtiges aufgegangen ist.
Beim Vergleich beider Kandidaten zeigten sich Unterschiede, aber auch
Gemeinsamkeiten:
dem ersten Kandidaten habe ich kurz vor einer zentralen Prüfung in einem einwöchigen Crashkurs intensive mathematische Versorgung
angedeihen lassen:
(Dieser erste Kandidat war hinterher bitter enttäuscht, in der
Prüfung „nur“ eine 4 geschrieben zu haben, während mir
schien, dass er da noch von Glück reden konnte - und die Klausur ohne
meine intensive Nachhilfe garantiert 5 oder gar 6 geschrieben hätte.)
Dem zweiten Kandidaten, einem Neuntklässler, habe ich
langfristig, aber
wegen seines Desinteresses (s.u.) leider nicht regelmäßig Nachhilfe in
Mathematik gegeben.
Der erste Kandidat lernte unter dem Druck der direkt
bevorstehenden Prüfung mehr oder minder freiwillig,
den zweiten Kandidaten hatten seine alarmierten Eltern zur Nachhilfe
verdonnert, er selbst ließ aber andauernd meterweise seine Unlust und
rabiate Abneigung gegenüber jeglicher Mathematik
(u.a. die andauernde rhetorische Frage
„wozu braucht man das?“)
heraushängen
(wobei aber auch er immer
freundlich blieb).
Die Nachhilfe für den
ersten Kandidaten war also sehr bequem,
die für den zweiten hingegen ein permanenter Kampf.
Beide Kandidaten hatten aber „von Tuten und Blasen keine Ahnung“, und zwar
nicht
nur beim jeweils gerade aktuellen Stoff,
sondern auch im Hinblick auf
alle Grundlagen und mehrjährigen Vorarbeiten.
ALLE BETEILIGTEN HÄTTEN SICH DEN JAHRELANGEN
MATHEMATIKUNTERRICHT KOMPLETT SPAREN UND STATTDESSEN Z.B. MIT
GROSSEM SPASS
"DEUTSCHLAND ERKLÄRT DEN KRIEG"
(ein Spiel, das es früher anscheinend vor allem
in meiner Heimat, dem Münsterland, gab)
SPIELEN KÖNNEN:
Beide hatten
wegen permanenter Misserfolgserlebnisse
(„ich kann das sowieso nicht“),
aber auch aus rabiatem Desinteresse
und schlichter Faulheit
(dumm waren beide Kandidaten aber keineswegs!)
vollständig aufgegeben und deshalb im Schulunterricht
nicht bloß die mündliche Mitarbeit komplett eingestellt,
sondern jahrelang ihre Ohren auf Durchzug gestellt:
sie konnten nichtmal die Inhalte der letzten Schulstunden benennen
(und schon gar nicht hatten sie diese auch nur ansatzweise
begriffen).
Vor allem aber habe ich bei beiden Kandidaten schnell gemerkt, dass es
gar nicht möglich war, nur den jeweils aktuellen Stoff nachzuholen,
sondern immer wieder musste ich bei
Adam & Eva
anfangen, also uralte
Vorarbeiten nachholen
(wofür aber in keiner Nachhilfe Zeit ist, wenn sie sich nicht über
mehrere
Monate und mindestens zweimal pro Woche stattfindet
[eine Stunde Aktuelles, die andere Stunde
Grundlagen];
und schon gar nicht ist dafür Zeit, wenn die
Schüler auch in anderen Fächern "durchhängen" und somit auch in
diesen Nachhilfe brauchen).
Am erstaunlichsten war aber, dass beide Kandidaten es trotz jahrelanger
kompletter mathematischer Unkenntnis überhaupt so weit geschafft
bzw. sich
immer wieder durchgemogelt hatten, und zwar meistens sogar ohne 5en
(was allerdings erst dann zu einer Nichtversetzung geführt hätte, wenn noch
in mindestens einem weiteren Schulfach eine 5 hinzugekommen wäre;
nunja, es gibt durchaus gute Gründe, weshalb Schulen heute kaum mehr Schüler
„sitzen lassen“;
ich finde [nebenbei] die Metapher des „Sitzenbleibens/-lassens“ lustig: da
bleibt Anton Meier [z.B. ein Nach-wie-vor-Neuntklässler] in den Sommerferien
sechs Wochen lang auf seinem Platz im alten Klassenraum wortwörtlich sitzen
[aus dem
wunderschönen Film
],
während seine ehemaligen Mitschüler [nunmehr Zehntklässler] nach den
Sommerferien in einen neuen Klassenraum weiterwandern und seine neuen
Mitschüler [inzwischen Neuntklässler] zu Anton Meier in den alten
Klassenraum einziehen).
Wenn ich Schülern
nicht nur kurzfristig vor einer Klassenarbeit oder (Abitur-)Prüfung,
sondern langfristig Nachhilfe gegeben habe
und sie von sich aus
(also nicht nur, weil ihre Eltern sie dazu verdonnert hatten)
und mit einiger Geduld ihre Leistungen verbessern wollten,
habe ich sie mit der Zeit allesamt auf stabile Dreien oder sogar Zweien
gebracht
(mal abgesehen von temporären Ausrutschern in Form von Vieren).
Das Problem dabei ist aber eben „[wenn] sie
von sich aus [...]ihre
Leistungen verbessern wollten“.
Einige Schüler kamen zu mir ohne diese Eigeninitiative, haben sie im Laufe
der Nachhilfe dann aber doch entwickelt, und zwar manchmal aufgrund erster
Erfolgserlebnisse noch gar nicht in der Schule, aber immerhin schonmal
während der Nachhilfe.
(Vielleicht lag das auch daran, dass ich die Mathematik interessanter,
humorvoller
und anschaulicher zu vermitteln verstand, als es im Standardunterricht geschah
[möglich war]?
Und ich bilde mir doch ein, zu allen Nachhilfeschülern ein sehr persönliches
Verhältnis aufgebaut zu haben.)
Der zweite oben genannte Kandidat war aber durch keinerlei Nachhilfe
erreichbar und nicht bereit, irgendwelche Eigeninitiative zu entwickeln:
mehr als brav zuzuhören und in permanenter Engführung kleine Aufgabe zu lösen war bei ihm während der
Nachhilfe nie drin. Schüler wie die beiden hier exemplarisch
beschriebenen haben nicht die mindeste Chance, jemals in Mathematik
besser zu werden, wenn sie nicht von sich aus besser werden und
darin viel Zeit und Kraft
(z.B. auch in intensive Nachhilfe)
investieren wollen
,
und sei's
allein um besserer Schulnoten willen
(indem sie also
ihre manchmal durchaus berechtigten Vorbehalte gegenüber der Mathematik runterschlucken).
Oder sie schreiben die Mathematik endgültig ab, sorgen aber
dafür, dass sie nicht auch in anderen Fächern 5en bekommen.
(Nebenbei: ich bin
unbedingt dafür, dass Schüler wieder im letzten Schuljahr vor dem Abitur jedes solitäre Hassfach, also auch die Mathematik
abwählen dürfen: warum solche Schüler noch ein weiteres Jahr mit einem
Fach quälen, das sie - gelinde gesagt - nicht interessiert und in dem
sie auch nicht die mindesten Chancen haben?!)