man muss "nur" drauf kommen

Ich hatte schon anderweitig dargestellt:

Eine besonders delikate Schwierigkeit scheint mir aber darin zu liegen,

dass man nur so schwer auf die einfachsten Dinge kommt.

Vielleicht liegt in der Entdeckung des Einfachen

(im Nachhinein geradezu Selbstverständlichen)

die eigentliche Genialität.

Aber gerade das ist vielleicht für uns "Durchschnittsmenschen" auch das Beschämende: wir hätten keinerlei Chance, auf so etwas Einfaches zu kommen. Bzw. wir fühlen uns besonders dumm, weil wir nicht einmal auf das Einfache kommen.

Man kann solche Beschämung aber auch überwinden, und zwar

Ein anderes Problem bei der Entdeckung des Einfachen ist wohl auch, dass

(ich bin mir aber sicher, dass sie kaum jemals dem Nichtskönner zufliegt),

Zumindest sollte der Eindruck vermieden werden, dass alles selbstverständlich bzw. fertig vom Himmel gefallen ist - was impliziert, dass die (scheinbar) simpelsten Dinge auch der Lehrkraft nicht (durch allzu lange Gewöhnung, aber auch Phantasielosigkeit) selbstverständlich sein dürfen.


Drei Beispiele:

  1. Auf wie viele Arten können 23 Personen in einem ("Hutschachtel"-Mini-)Kino mit 100 Sitzen Platz nehmen?

(Nebenbei: das ist keineswegs eine "Anwendungsaufgabe", denn

  1. sind Kinos üblicherweise größer
    [und dennoch muss "unser" Kino klein sein, weil nur dann deutlich wird, dass auch schon eine kleine Versuchsanordnung irrwitzig große Zahlen ergibt],

  2. nehmen Zuschauer niemals auf beliebige Art Platz im Kino, sondern bevorzugen die hinteren Plätze, die Nähe von Freunden - und Plätze, wo kein Riese mit Afrolook vor einem sitzt;

  3. machen sich weder Zuschauer noch Kartenverkäufer jemals mathematische Gedanken zu den möglichen Anordnungen. Im besten Fall

  • überlegt ein Kartenverkäufer, wo noch eine Gruppe Platz hat

  • oder bittet die eine Zuschauergruppe die andere, doch weiter zu rücken.

Und dennoch ist das Kinobeispiel höchst hilfreich: es macht eine rein mathematische Aufgabe anschaulich und vorstellbar.)

Man kann bei der Ermittlung aller möglichen Sitzanordnungen ganz enorm ins Schleudern kommen, was auch an der - wie wir unten noch sehen werden - enormen Zahl solcher Möglichkeiten liegt.

Viel einfacher wird alles, wenn man annimmt,

dass nicht alle 23 Zuschauer gleichzeitig auf die 100 Sitze verteilt werden, sondern dass sie nacheinander rein kommen.

(Auch hier mag man wieder schlucken und sagen: "genial einfach, aber da wäre ich nie drauf gekommen."

Vielleicht liegt es einfach daran, dass man

[die die Aufgaben stellende Lehrkraft bzw. das Lehrbuch und in Folge davon auch die SchülerInnen]

schon viel zu mathematisch denkt und das Veranschaulichungsbeispiel "Kino" nicht mehr ernst bzw. konkret nimmt: im Kino betreten ja auch nie alle Zuschauer gleichzeitig den Saal: dazu ist die Tür zu schmal, und zudem tröpfeln die Zuschauer auch nacheinander an der Kasse ein - und einige kommen immer zu spät, um sich den Reklameterror zu sparen bzw. dann überhaupt erst richtig aufzufallen.)

Schauen wir uns also an, wie die Verteilung erfolgt, wenn die Personen nacheinander reinkommen:

1. Person sie hat noch die Auswahl zwischen 100 Plätzen (100 - 1 + 1)
2. Person egal, wo die 1. Person sich hingesetzt hat: die 2. Person hat noch die Wahl zwischen 99 Plätzen (100 - 2 + 1)
3. Person egal, wo die ersten beiden Personen sich hingesetzt haben: die 3. Person hat noch die Wahl zwischen 98 Plätzen (100 - 3 + 1)
... ...
23. Person sie hat nur noch die Wahl zwischen 78 Plätzen  (100 - 23 + 1)

Insgesamt gibt es also

* 100·99·98·97·96·95·94·93·92·91·90·89·88·87·86·85·84·83·82·81·80·79·78

(vgl. )

  642.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000,

also etwa 642 Septilliarden

verschiedene Arten, auf die die (nur!) 23 Personen auf den (nur!) 100 Plätzen angeordnet werden können.

(Wie man [ich] kaum auf Anhieb sieht, sind darin auch all jene Möglichkeiten enthalten, dass die 23 Personen zwar auf denselben Plätzen, aber in anderer Reihenfolge sitzen. Beispielsweise werden je nachdem, wo die erste Person sich anfangs hinsetzt, die beiden folgenden Fälle jeweils extra gezählt:

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
21 22 23              
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
 
2 1 3 4 5 6 7 8 9 10
11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
21 22 23              
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   

Nun gibt es aber

[wie sich wieder schnell mit dem soeben noch unbekannten Nacheinander-Reinkommen zeigen lässt]

** 23·22·21·20·19·18·17·16·15·14·13·12·11·10·9·8·7·6·5·4·3·2·1

25.000.000.000.000.000.000.000,

also 25Trilliarden

solche Möglichkeiten, (nur!) 23 Personen auf (nur!) 23 Plätzen umzusortieren.

*** Teilt man nun

100·99·98·97·96·95·94·93·92·91·90·89·88·87·86·85·84·83·82·81·80·79·78

aller Anordnungsmöglichkeiten

durch

23·22·21·20·19·18·17·16·15·14·13·12·11·10·9·8·7·6·5·4·3·2·1

der Umsortierungsmöglichkeiten auf 23 Plätzen,

so erhält man die Anzahl aller Sitzmuster ohne Beachtung der Reihenfolge, und das sind immerhin auch noch ca.

24.865.000.000.000.000.000.000,

also fast

24 Trillionen (!!!)

Möglichkeiten

[da die Reihenfolge egal ist, ist das vergleichbar mit dem Experiment, 23 ununterscheidbare Eier in einer 100er Eierpappe unterzubringen: man kann sie eben in 24 Trillionen unterschiedlichen Mustern verteilen].

Zwei solche Sitzmuster sind z.B.

x x x x x x x x x x
x x x x x x x x x x
x x x              
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
 
x x x x x x x x x x
x x x x x x x x x x
x x   x            
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   

Wer über die sich ergebenden gigantischen Zahlen nicht mehr staunen kann bzw. wer gar tönt, er habe das ja von Anfang an gewusst, der kann über gar nichts mehr staunen bzw. ist längst ein Stumpfmathematiker, also Rechenknecht.

Und wer sagt, er habe auch nur annäherungsweise eine Vorstellung von den sich ergebenden gigantischen Zahlen, der lügt.

Man könnte fast sagen: es gibt zwar ein Rechenprinzip, aber kein [anschauliches] Ergebnis.)

Die irrwitzige Anzahl der Möglichkeiten macht schnell klar, dass man keinerlei Chance hat, sie zu bestimmen, wenn man nicht ein einfaches System (eben das "Nacheinander") findet.

Nebenbei: in * oben wird sozusagen der Kopf, in ** wird der Schwanz derselben Schlange ausmultipliziert:

(Die ganze Schlange 100·99·98·...·3·2·1 kürzt man auch als

100!
[sprich "100 Fakultät"]

ab.)

Wenn nun in *** der Kopf der Schlange durch den Schwanz geteilt wird, so kann man sich das auch so vorstellen, dass die Schlange sich in den eigenen Schwanz beißt.

(Nebenbei: für das Ergebnis der Division in *** gibt es auch eine einfachere Schreibweise, nämlich )

  1. Cantors Abzählverfahren

vgl.