: Zufall   oder Muster       ?

Eugen Roth:
Der Pi-Freund

Ein Mensch, der gerne Zahlen lernt,
trifft einen, der von Pi sehr schwärmt,
und hört von ihm, wie rein und klar,
wie schön, phantastisch, wunderbar,
wie herrlich dieses Pi doch sei –
und schon sind der Verehrer zwei.

Die wollen gleich – aus diesen Gründen –
den Menschen die Zahl Pi verkünden.
So gehn sie in die Welt hinaus
und – krieg‘ n erstaunlich viel Applaus,
sodass – was anfangs kaum wer weiß –
zieht einen immer größer‘ n Kreis.

Doch bald schon wird die Zahl zum Wahn
und steckt die ganze Menschheit an.
Ein jeder lernt und rezitiert,
vom König bis zum Schankenwirt.
Der Geist von Pi – in seiner Hast –
hat flugs die ganze Welt erfasst.

Die "Kreiszahl" funktioniert nach dem Motto

"Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein;
 Langen [= erreichen] und bangen in schwebender Pein;
 Himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt;
 Glücklich allein ist die Seele, die liebt."
 (Goethe: Egmont, Dritter Aufzug)

(und zudem der Umfangsgleichung sehr ähnliche)

Gleichung: F =  r2 ;

 an der Stelle  handelt man sich dabei in beiden Fällen dieselbe Zahl ein, womit sich ergibt:

An ist erstmal nur die griechische Schreibweise ungewohnt. Ansonsten sind die beiden Gleichungen U = 2  π    und F =  π  r2  aber nach wie vor sehr kurz & knackig.

(Auf den ersten Blick) Unangenehm wird's erst, wenn man nun endlich doch wissen möchte, welche konkrete Zahl hinter der Abkürzung steckt:

   .

 Damit dann aber sind die beiden Gleichungen nicht mehr ganz so einfach:

Denn wer möchte denn schon mit der ellenlangen Zahl

rechnen

(zumal man sie nichtmal in Taschenrechner eingeben kann)?

  Inzwischen stellt sich wohl langsam die Frage, wie man denn überhaupt auf die ellenlange Zahl 3,1415926535

(aus Platzgründen hier mit nur zehn Nachkommastellen)

kommt

(das sei hier nur sehr kurz angedeutet, weil eine ausführliche Erklärung uns doch allzu weit vom Hauptthema "Muster" wegführen würde).

Das anschaulichste, vor mehr als 2000 Jahren schon von Archimedes benutzte Verfahren zur Ermittlung des Zahlenwerts von ist
  • die Annäherung des Umfangs oder der Fläche eines "krummen" Kreises
  • durch etwas, was man bereits beherrscht, also z.B. durch "gerade" Dreiecke und aus ihnen zusammengesetzte regelmäßige Vielecke:


Hier sind nacheinander
  • ein 4-, ein 5-, ein 6- usw. bis ein 20-Eck um den Kreis gelegt,
  • jeweils die Flächen dieser Vielecke als Näherungswerte für die Kreisfläche
  • und damit dann Näherungswerte für berechnet worden.
Bemerkenswert daran ist zweierlei:
  1. ist das 20eck optisch schon eine erstaunlich gute Annäherung an den Kreis, jedoch hat sich bis dahin beim Näherungswert für nur die erste Nachkommastelle (eine 1) stabilisiert;
  1. kann man das Verfahren bis in alle Ewigkeit verfeinern
(21-, 22-, … 100-, … 1000-Eck …),

wobei
  • sich die Vielecke immer enger von außen an den Kreis anschmiegen
(ihn aber nie vollständig erreichen!)
  • und immer genauere Werte
(immer mehr exakte Nachkommastellen)

von zustande kommen.

 

Halten wir schonmal fest: im Jahr 1766 hat Johann Heinrich Lambert bewiesen, dass „irrational“ ist, d.h.

(und für uns hier viel wichtiger):

dass in der Dezimalschreibweise

Im Hinblick auf unser Thema "Muster" sei allerdings auch schon festgehalten:


  • ist nicht periodisch hinter dem Komma ,
  • könnte dort aber ein anderes Muster haben. 

Weil also unendlich viele Nachkommastellen hat, stand bereits oben in

  

das Ungefährzeichen :

So langsam kann man sich aber doch fragen,

Ist das nicht typisch für Mathematiker?: ihnen kann es gar nicht kompliziert genug sein!?


"niemals alle (unendlich viele!) Nachkommastellen von aufschreiben" gilt allerdings nur für Normalsterbliche, denn Chuck Norris kann natürlich alles:

       


  Kate Bush:
Pi

Sweet and gentle sensitive man
With an obsessive nature and deep fascination
For numbers
And a complete infatuation with the calculation
Of PI

Oh he love, he love, he love
He does love his numbers
And they run, they run, they run him
In a great big circle
In a circle of infinity
3
.1415926535 897932
3846 264 338 3279

Oh he love, he love, he love
He does love his numbers
And they run, they run, they run him
In a great big circle
In a circle of infinity
But he must, he must, he must
Put a number to it

50288419 716939937510
582319749 44 59230781
6406286208 821 4808651 32
Oh he love, he love, he love
He does love his numbers
And they run, they run, they run him
In a great big circle
In a circle of infinity



(Allerdings sei da besserwisserisch ergänzt:
ist zwar die "Kreiszahl" bzw. "circle number",
aber es gälte eben nicht
"his numbers
[...] run him
In a great big circle
In a circle of infinity ",
wenn damit gemeint wäre, dass die Ziffern periodisch auftauchen.)
 

Es gibt einen Verein namens , in dessen Statuten geregelt ist:

"Aufnahmebedingung in den Klub der Freunde der Zahl Pi ist das Beherrschen der ersten hundert Nachkommastellen, d.h. zur Aufnahmeprüfung muß der/die um Aufnahme Bemühte auswendig, fließend und in ästhetisch angebrachter Weise die ersten hundert Nachkommastellen der Zahl Pi vortragen."

Auf den ersten Blick scheint das ein Verein langweiliger Nerds zu sein, die nichts Besseres zu tun haben, als die hundert (bzw. mit der 3 vor dem Komma 101) Stellen lange Zahl

auswendig zu lernen.

Ganz so langweilig sind diese vermeintlichen Nerds aber nicht, denn sie haben allemal Humor und (Selbst-)Ironie:

  1. muss, wer Mitglied werden will, die hundert Stellen lange Zahl "in ästhetisch angebrachter Weise" vortragen, und deswegen lassen sich die Bewerber allerlei herrlichen Nonsens einfallen: ;

  2. die urkomische "Verkündigungen" der Zahl ;

  3.  die Textsammlung ;

(Was ist schon sinnvoll und was sinnlos? Aber hundert Nachkommastellen von würde ich sicherlich nicht auswendig lernen - wenn ich es überhaupt könnte.)

  1. „Wir sind der Ansicht, daß die Welt durch das Rezitieren von Pi offener, harmonischer, schöner, bunter, toleranter, friedvoller und allgemein besser wird.“

  2. : der Verein hält also das Auswendiglernen von hundert Nachkommastellen für einen herrlich sinnlosen Spaß, der allerdings auch trotzig ist, weil hundert von unendlich vielen Nachkommastellen von doch nur (immerhin!) ein Tropfen auf den heißen Stein sind. Aber

„Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“
(Quelle: )

Es wäre natürlich sehr viel einfacher

(aber auch weniger lustig),

auswendig die ersten hundert Nachkommastellen von aufzusagen, wenn es darin ein (einfaches) Muster gäbe!


Die Mathematiker suchen seit Ewigkeiten

  1. nach Rechenverfahren, mit denen man Nachkommastellen von    einfacher und schneller ermitteln kann als mit  .

  2. nach in den Nachkommastellen von  vielleicht doch enthaltenen Mustern.

Zu 1., also der Berechnung von Nachkommastellen von    :

Einige dort gezeigte Gleichungen enthalten schöne Muster, mit denen auch Schüler relativ schnell Nachkommastellen von ermitteln können:

      1. bzw. hier mal exemplarisch in Bewegung oder
      1. und sehr ähnlich (ein besonders schnelles Verfahren).

(Das derzeit [2022] schnellste Verfahren ist jedoch anscheinend der Chudnovsky-Algorithmus , dessen Muster aber u.a. wegen der scheinbar willkürlichen großen Zahlen nun wahrhaft nicht mehr schön ist.)

Den vier Verfahren a., b., c. und d. gemeinsam sind die Pünktchen "...", d.h.

(62,8 Billionen = 62.000.000.000; im selben Layout wie wären das 13.392.000 Seiten, was etwa 13.392 • bzw. einer kleinen Stadtbücherei entspräche).

Zu 2., also " in den Nachkommastellen von vielleicht doch enthaltenen Mustern":

angenommen mal, die Ziffern 0 bis 9 tauchen in der Zahl   tatsächlich völlig zufällig auf, also ohne Muster.  Weil   aber unendlich viele Nachkommastellen hat, werden dann mehr oder weniger lange „Ziffernschnipsel“ dennoch mit großer Wahrscheinlichkeit auftreten.

Nehmen wir nur mal mein Geburtsdatum, also 31.8.59, allerdings ohne Punkte in der Form 31859 mit 5 Ziffern. Wenn wir diesen „Ziffernschnipsel“ in   suchen, zeigt sich, dass 31859 darin 15 mal auftaucht

(was man sehr einfach mit der Suchfunktion eines Textverarbeitungsprogramms herausfinden kann).

Das mag man erstaunlich finden

(und es ist um so erstaunlicher, als vermutlich alle Menschen, deren Geburtsdatum fünfstellig ist, ähnlich oft ihre Geburtsdaten in finden werden),

was allerdings einzig und allein daran liegt, dass eine Millionen Ziffern für uns auf Anhieb völlig abstrakt sind.

Weniger abstrakt wird das allerdings, wenn wir uns mal ein bisschen genauer anschauen: dieses Buch ist mit 216 Seiten immerhin so dick wie ein kurzer Roman, wobei jede einzelne Seite randvoll mit Ziffern ist, nämlich etwa so aussieht:

In einem 216-Seiten-Roman würde es einen doch auch nicht wundern, wenn 15 mal das ebenfalls fünf Zeichen lange Wort "haben" auftauchen würde

(was - nebenbei - niemandem auffallen würde).

Wenn aber der "Ziffernschnipsel" 31859 in 15 mal vorkommt, wird er in zwei Millionen -Ziffern vermutlich ca. 30 mal vorkommen - und in unendlich vielen -Ziffern vermutlich unendlich oft.

Längere "Ziffernschnipsel" kommen natürlich seltener, kürzere hingegen öfter in vor:

(Bei den absoluten Häufigkeiten könnte einem auffallen, dass sie

[abgesehen von der 0 für 3185912 ]

annähernd Zehnerpotenzen sind:

Der Nachweis für diese Zehnerpotenzen sei allerdings erst weiter unten und da nur für sechsstellige Ziffernfolgen

[also z.B. 318591 und dann auch 999999 ]

geführt.)

Aber all diese Ziffernschnipsel von 3 bis 3185912 werden in unendlich vielen -Ziffern vermutlich unendlich oft vorkommen.

Besonders interessant ist es, wie oft die einzelnen Ziffern in vorkommen:

Da gibt es zwar Unterschiede

(die Differenz zwischen der größten Zahl 100359 und der kleinsten Zahl 99548 ist immerhin 811),

aber

Die einzelnen Ziffern kommen also in alle etwa gleich oft vor, was ein Hinweis darauf sein könnte, dass sie tatsächlich rein zufällig vorkommen, also eine echte Zufallszahl ist.

Schauen wir uns nochmals exemplarisch das Vorkommen der 9 auf der ersten Seite von an:

Das wirkt völlig chaotisch bzw. rein zufällig - außer einer Stelle:

Da taucht tatsächlich sechs mal direkt nacheinander die 9 auf.

Wieso aber fällt uns 999999 überhaupt auf den ersten Blick auf?:

    1. , weil der Computer die 9en auffällig gelb unterlegt hat;
    1. , weil 999999 auf der ersten, bei Öffnen der Datei sofort sichtbaren Seite auftaucht

(wenn 999999 z.B. zum ersten Mal auf Seite 178 vorkäme, würden wir es wohl übersehen, da wir gar nicht so weit "blättern" würden; außerdem hätten wir dann bereits 177 Seiten duchge"blättert", auf denen 999999 nicht vorkam, und würden dann das Vorkommen auf der Seite 178 vermutlich als nebensächlichen Zufall ansehen);

    1. , weil 999999 auffälliger als z.B. 318591 (s.o.) ist, obwohl doch beide Ziffernfolgen gleich lang sind und deshalb mit derselben Wahrscheinlichkeit auftreten

(Da jede der zehn Ziffern 0 bis 9 gleich wahrscheinlich ist, erscheint jede dieser zehn Ziffern in der ersten Ziffer der sechsstelligen Zahl mit der Wahrscheinlichkeit .

Dasselbe gilt für die fünf weiteren Ziffern der sechsstelligen Zahl, und somit ergibt sich sowohl für 999999 genauso wie für 318591 die Wahrscheinlichkeit = 0,000001 , also eine auf den ersten Blick verschwindend geringe Wahrscheinlichkeit. Da aber    aus einer endlosen Reihe aufeinander folgender und einander überlappender sechsstelliger Zahlen besteht, ist es dann aber doch sehr wahrscheinlich, dass 999999 und 318591 ein- oder mehrfach, wenn nicht sogar unendlich oft auftauchen, z.B. in ungefähr 1000000 • 0,000001 = 1 mal.

Aber von wegen "auffällig": z.B. erkennt man in 999999999999 wegen der durchgehend gleichen Ziffernfolge auch eher ein regelmäßiges Muster als in 318591318591, obwohl doch in beiden Fällen sechsstellige Zahlen gedoppelt sind.

Wir entscheiden da zu allererst optisch: in  aaaaaaaaaaaa ist [vor allem durch die balkenförmige gelbe Hinterlegung] viel besser ein regelmäßiges Muster erkennbar als in bcdefghbcdefgh. Allerdings ist aaaaaaaaaaaa ja auch tatsächlich regelmäßiger als bcdefghbcdefgh .

Nebenbei: gibt es ein mathematisches Maß für Regelmäßigkeit, so dass man sagen kann: "regelmäßig - regelmäßiger - am regelmäßigsten"?)

    1. würde wohl kaum jemand nach nochmaligen Vorkommen von 999999 auf den nächsten 215 Seiten suchen. Wenn man das aber tut, stellt man fest, dass 999999 in nur ein einziges weiteres Mal auftritt, nämlich auf S. 42, womit dann auch der Eindruck relativiert wäre, dass das frühe Vorkommen von 999999 irgendwie bedeutsam ist.

(Nebenbei: 999999 kommt also ähnlich oft [zwei mal] vor wie die gleich lange Zahl 318591 [ein Mal].)

Aber nochmals zurück zu

„Weil aber unendlich viele Nachkommastellen hat, werden dann mehr oder weniger lange »Ziffernschnipsel« dennoch mit großer Wahrscheinlichkeit auftreten.“

Was heißt da schon „mehr oder weniger lange »Ziffernschnipsel«“?! Darf so ein „Ziffernschnipsel“ z.B. auch so lang sein wie

Mal angenommen, wir übersetzen die Buchstaben des Alphabets in zweistellige Zahlen

(Satzzeichen und Leerstellen lassen wir der Einfachheit halber mal weg),

also z.B.

   … 

(und in der Tat werden elektronische Texte als Zahlenreihen gespeichert; vgl.    ).

Dann wäre jeder Text ungefähr doppelt so lang, der „Faust“ also ca. 400 Seiten, der Koran ca. 800 Seiten und die Bibel sogar ca. 2400 Seiten.

Und solche Mega-Schnipsel

(wobei „mega“ / „Schnipsel“ geradezu ein Widerspruch in sich ist)

sollen nun allen Ernstes in enthalten sein

(und sogar alle drei [sowie beliebige / alle andere(n)] Bücher „gleichzeitig“)!?

(… so dass jede Religion für sich reklamieren und geradezu als Offenbarung oder zumindest deren Bestätigung ansehen kann;

genau sowas tun aber „Zahlenmystiker“ oftmals, wenn sie aus dem zufälligen und oftmals mehrfachem Auftauchen von Zahlen auf eine Bedeutung schließen.

Vgl.  )

Um in evtl. die gesamte Bibel zu entdecken, braucht man natürlich erheblich mehr als eine Millionen Nachkommastellen

(die 2400 Seiten lange Bibel kann natürlich nicht im nur 216 Seiten -Buch stecken).

Da aber   unendlich viele Nachkommastellen hat, könnten darin durchaus die im Vergleich mit der Unendlichkeit sogar sehr kurzen Bücher , und vorkommen, und zwar sogar mehrfach oder sogar unendlich oft z.B. in folgender nichtperiodischen Reihenfolge:

             


(wobei die schwarzen Streifen entsprechen und die weißen Streifen den immer häufiger auftretenden ).

(Nebenbei:

      1. wäre es bis hierhin anscheinend auch möglich, dass in   weder noch noch jemals vorkämen.
      1. kämen in

             

alle drei Bücher , und unendlich oft vor. Könnte man dann aber noch sagen, dass "öfter" als und vorkommen würde? Vgl.   Georg Cantor.)

Vgl. auch

Ebenfalls im "Spiegel" ist allerdings schon im Jahr 2001 dieser Artikel erschienen:

Wenn aber "die ausgeschriebene Variante von Pi jede erdenkliche Zahlenkombination" enthalten würde, hieße das doch eben auch, dass garantiert , und (jeweils in Zahlenschreibweise) enthielte.

Und wenn "Ziffernfolgen mit gleicher Länge [...] auch gleich häufig sein" sollen, hieße das immerhin auch, dass , und gleich häufig vorkämen, wenn man und auf die Länge von , also des kürzesten der drei Bücher, kürzen würde.

(Das wäre doch sehr erfreulich für .)


Auf der Internetseite der wird die zentrale moderne Frage gezeigt:

"Die Natur der Zahl Pi beschäftigt Philosophen und Wissenschaftler seit den Frühzeiten der Mathematik. Die bedeutendsten Eigenschaften von Pi sind die Irrationalität und die Transzendenz [die hier nicht näher erklärt sei], die in den Jahren 1766 von Lambert bzw. 1882 von Lindemann nachgewiesen werden konnten. Im zwanzigsten Jahrhundert konzentrierte sich das Interesse auf eine tiefgründigere Frage: Ist Pi normal?

Im wesentlichen geht es darum, ob Pi wahrhaft zufällig ist."
( Quelle: ; farbige Hervorhebungen von mir [H.St.];

nebenbei: "normal" ist hier ein mathematischer Fachbegriff, der nichts mit der alltagssprachlichen Bedeutung von "normal" zu tun hat.)


Der (Flach-?)Witz

"Ingenieur: » ist ungefähr 3.«
 Physiker: » ist 3,1415927 plus oder minus 0,000000005.«
 Mathematiker: » ist die Zahl, die das Verhältnis zwischen Kreisumfang und -durchmesser [= doppeltem Radius] angibt.«

reitet auf dem uralten Klischee rum, dass Mathematiker alles unnötig schwer und letztlich vollends unverständlich machen, was man schon allein daran sieht, dass die Mathematiker-Antwort die längste ist. Außerdem hat sich der Mathematiker (scheinbar) um eine Antwort auf die Frage gedrückt, was denn nun eigentlich ist:
Und doch haben Ingenieur, Physiker und Mathematiker dreierlei gemeinsam:
  1. : alle drei wissen anscheinend, dass hinter dem Komma eine ewig lange Ziffernschlange ist;
  2. : auf die Frage, was denn nun eigentlich ist, stutzen alle drei die unendlich lange Ziffernschlange in einen notgedrungen endlichen Satz zurecht;
  3. tut jeder der drei das so, wie es für seine speziellen Zwecke hilfreich ist:

(obwohl er doch die längste Antwort gibt).

Gleichzeitig werden die Antworten aber in folgender Reihenfolge immer genauer:

Diese Antwort des Mathematikers ist aber nicht nur genauer, sondern die einzige exakte

(deshalb oben das Wort "scheinbar" in dem Satz "Außerdem hat sich der Mathematiker (scheinbar) um eine Antwort auf die Frage gedrückt, was denn nun eigentlich ist").

Allerdings ist es - typisch Mathematik - eine nutzlose Antwort

(oder genauer: für alle Anwendungen [u.a. durch Ingenieure und Physiker] nutzlose Antwort;

das erinnert an einen anderen Witz:

"Zwei Ballonfahrer fahren nebeneinander im Nebel. Ruft der eine verzweifelt zum anderen rüber: »Wo sind wir?« Der andere denkt seelenruhig zwei Stunden nach und antwortet dann: »Im Ballon!«

Welchen Beruf hat der zweite?

Mathematiker!, denn die Antwort

Mathematiker nehmen's "von Berufs wegen" sehr genau: ein ungenauer (gerundeter) Wert ist überhaupt kein Wert, sondern die Mathematiker interessiert (meistens) nur das absolut Exakte

(naja, eigentlich gibt's ja kein ungefähr Exaktes).

Weil aber

(was sicherlich Mathematikern, aber vielleicht nicht allen Ingenieuren und Physikern bewusst ist)

  eine irrationale Zahl ist, ihr Zahlenwert also niemals exakt aufgeschrieben werden kann,

(nichtmal die schöne Ingenieur-3 und schon gar nicht die eklige Physiker-3,1415927),

Man kann sich das so vorstellen,

2 • + 3 •   = 5 • 

(vgl.    2 •        + 3  •           = 5 •       ;

dabei könnten in den Schachteln sogar leibhaftige Giftschlangen sein; Hauptsache,

Und das schnöde Rechnen beispielsweise mit der Näherung 3,1415927 ist für Mathematiker sowieso unter ihrem Niveau

(vgl. ).

Das überlassen sie dann doch lieber (Vorsicht, Ironie!:) Halbwissenschaftlern, also z.B. Physikern.

Bemerkenswert an dem Witz

"Ingenieur: » ist ungefähr 3.«
 Physiker: » ist 3,1415927 plus oder minus 0,000000005.«
 Mathematiker: » ist die Zahl, die das Verhältnis zwischen Kreisumfang und -durchmesser [= doppeltem Radius] angibt.«

ist aber auch, dass

(also Ergebnisse bzw. [wenn auch ungenau] das Ziel),

(ohne das Ergebnis bzw. das Ziel explizit zu nennen):

der Satz " ist die Zahl, die das Verhältnis zwischen Kreisumfang und -durchmesser angibt" ist

Man könnte auch sagen:

(Vgl.

[da interessiert Mathematiker doch nicht die heillos chaotische und zudem nach dem Komma endlose Dezimalschreibweise von , sondern es reicht ihnen zu wissen, dass es diese Zahl irgendwo im Zahlendschungel gibt];

[da interessiert Mathematiker doch nicht die heillos chaotische und zudem nach dem Komma endlose Dezimalschreibweise von log10 20, sondern es reicht ihnen zu wissen, dass es diese Zahl irgendwo im Zahlendschungel gibt].)

Es gibt aber auch Mathematiker, für die der Spaß überhaupt erst mit dem Beweis der Irrationalität von anfängt und die sich sehr wohl für die Zahlenschreibweise von interessieren

(also z.B. für ).

Dabei interessiert sich diese Sorte Mathematiker nicht für grobe Näherungen von

(also z.B. die lächerlich kurze Physikerzahl 3,1415927),

sondern die Zahlenschlange kann ihnen gar nicht lang genug sein. Da kommt ihnen also gerade recht.

Diese Mathematiker tun also das glatte Gegenteil von jenen Mathematikern, die die ewig lange Ziffernschlange kurz und schmerzlos hinter dem Buchstaben verstecken.

Natürlich kann kein Mathematiker die bislang entdeckten 62,8 Billionen ersten Nachkommastellen von überblicken, und deshalb kommen hier zum zweiten Mal moderne Hochleistungscomputer ins Spiel:

Da haben die Mathematiker den Computerbauern und -programmierern aber keineswegs nur faul zugeschaut, sondern erheblich geholfen:

(vgl. ),

Vgl.


(… wobei der Sprecher [wie derzeit modern] allerdings viel zu schnell quasselt.)

(wofür die Mathematiker natürlich wieder die [Analyse-]Algorithmen liefern).

Aber das sagt sich so leicht:

        1. könnte es ja sein, dass   eine echte Zufallszahl ist, also keine Muster enthält - und dann wird man ewig suchen und nie finden.

        2. : wenn man in den ersten 62,8 Billionen Nachkommastellen kein Muster findet, besagt das gar nichts: solch ein Muster könnte ja erst später anfangen.

        3. : wenn man aber in den ersten 62,8 Billionen Nachkommastellen tatsächlich ein Muster findet, besagt das ebenfalls gar nichts: es könnte danach ja auch wieder enden.

        1. : wie sucht man eigentlich nach Mustern, wenn man nicht weiß, nach welchen?:

Überhaupt müssen wir uns langsam mal Gedanken machen, welche Art Muster da gesucht wird

(ganz sicher bin ich mir bei Folgendem aber auch nicht):

(wie eben z.B. ...).

Erkenntnisse aus den ersten 62,8 Billionen Nachkommastellen können also höchstens zu der Vermutung führen, dass es nach den 62,8 Billionen Nachkommastellen auch so (ohne oder mit Muster) weitergeht.

Immerhin gibt es inzwischen so eine Vermutung:


(zur Ehrenrettung: die Muster wurden von Physikern gesucht)

Allerdings wurden „nur“ die ersten 100 Milliarden bekannten Nachkommastellen von benutzt, und dennoch hat ein schneller Computer für die Rechnungen ein ganzes Jahr gebraucht.

100 Milliarden ist zwar enorm viel, aber eben doch nicht unendlich, und deshalb kann nach all den Rechnungen nur die Vermutung aufgestellt werden, dass

In Analogie zum

(schier unglaublichen!)

„Existenzbeweis“ kann man hier auch von einer „Existenzvermutung“ sprechen: die Forscher

(vorsichtiger formuliert - oder schönes Understatement?:

„Zwar glauben die Forscher bisher nicht, dass ihre Entdeckung bedeutet, dass es ein Muster in der Ziffernfolge von Pi gibt. Doch ganz ausschließen können sie es nicht.“),

In dem „Spiegel“-Artikel wird endlich auch angedeutet, dass die Jagd nach Nachkommastellen von

Am liebsten wäre Mathematikern aber natürlich ein Beweis, dass in der Dezimalschreibweise von

(für alle, also unendlich viele Nachkommastellen)

(k)ein Muster vorhanden ist

(und noch schöner: falls eines vorhanden ist, welches)


PS: die Schreibweise mit dem griechischen Buchstaben hat gegenüber der Dezimalschreibweise 3,1415927... den Vorteil, einfach schön  zu sein:
  • links und rechts zwei geschwungene Standfüße
  • und oben ein manchmal sinusförmig geschwungenes Dach

(vgl. άντα ῥεῖ ‚alles fließt‘).


Kein Wunder, dass es  -Skulpturen gibt
(das hat kein anderes mathematisches Symbol geschafft):



PPS:
( , 12.3.2022; rote Hervorhebungen von mir [H.St.])

Was lernen wir daraus?: man kann den abstraktesten Blödsinn auswendig lernen, wenn man sich statt dessen eine anschauliche (!) Geschichte

(aufgeplustert neudeutsch ein "Narrativ")

mit
  • Gesichtern
  • in einer zeitlichen
  • und räumlichen Abfolge
merkt.

Inzwischen (März 2020) hat aber der Schwede Jonas von Essen sogar 100 000 Nachkommastellen von auswendig runterrasseln können. Auch bei ihm ist interessant, wie er das schafft, nämlich u.a. durch Bewegung seiner Hände
(vgl. ) :