die zunehmende Rechteckisierung der Welt
Vgl.
,
woraus folgt, dass Drei- und Rechtecke sich die Welt untereinander aufteilen
müssen.
|
„Mit dem Eifer eines Schülers
zeichnete Maigret ein Rechteck, und irgendwo in diesem Rechteck machte
er ein kleines Kreuz. Dann hielt er den Kopf ein wenig schief,
betrachtete sein Werk und verzog das Gesicht. Das Rechteck sollte das
»Floria« sein, das Kreuz stand für Pepito. An einer Seite des Rechtecks
fügte er noch ein kleineres an: das Büro. Und in diesem Büro stellte
schließlich ein Punkt die Pistole dar. Das führte zu nichts. Es sagte nichts aus. Die Sache war kein geometrisches Problem.“ |
"Gustav nickte in Richtung der neuen Häuser, viereckig [rechteckig?] und vernünftig mit verputzten Fassaden in Orange und Gelb. »Ein Denkmal für die Idiotie der Stadt«, sagte er." | |
"Die Endstation [im Altenheim] ganz
oben ist ein Schuhkarton in blasser Sandsteinfarbe, der dank der
verordneten Wärmedämmung hohl und pappig klänge, würde man
dagegenklopfen. Ein typisches Beispiel für den fehlenden
Gestaltungswillen heutiger Architekten. Eine Pappschachtel als
Dankeschön an die Alten. Ein hingerotzter Renditewürfel. Früher zeugte
selbst ein Kuhstall von größerem Schöpfungsehrgeiz. In Momenten wie
diesen konnte ich verzweifeln an der Zeit, in der ich lebte, an dieser
Epoche, die alte Menschen in Billigkisten abschob, die den ganzen
Planeten mit ähnlich deprimierenden Scheußlichkeiten zukleisterte; ein
Zeitalter, in dem die Menschen diese Dürftigkeit gar nicht mehr
wahrzunehmen schienen oder sie zumindest stillschweigend hinnahmen.
[...] Ach, hör auf zu meckern! Als ob alles schlechter geworden wäre!" |
Vorweg eine kleine Rechtwinkologie:
Der rechte Winkel ist der Winkel der Phantasielosen.
Rechtecke heißen so, weil ihre vier (Innen-)Winkel allesamt rechte Winkel sind, also 900-Winkel:
„Das Adjektiv »recht« meint hierbei nicht rechts, sondern recht im
Sinne von aufrecht (lateinisch rectus).“
(Quelle:
)
Nur weiß das heutzutage ja kein Schwein mehr - und hört man
(wenn man sich dazu überhaupt jemals Gedanken macht)
aus „recht“ vielleicht eher
raus, also „richtiger“, ja sogar „anständiger“ und „echter“ Winkel - womit alle anderen Winkel falsch, unanständig und unecht wären.
Der rechte Winkel ist in der Mathematik extrem wichtig, weil zentrale mathematische Sätze
(die „Satzgruppe des Pythagoras“, in der Trigonometrie)
nur für rechtwinklige Dreiecke (!) gelten.
(Alles wäre viel einfacher, wenn diese Sätze für alle [also nicht nur rechtwinklige] Dreiecke gelten würden.)
Und deshalb habe ich zu Schülern immer gesagt:
"Wenn ihr so durch die Stadt geht und plötzlich ein Dreieck blutend vor euch auf dem Boden liegt und mit ersterbender Stimme »berechne mich!«
[oder genauer: aus wenigen Vorgaben all meine Seiten und Winkel]
haucht, schaut als erstes, ob es rechtwinklig ist - und wenn nicht, versucht es schonend in rechtwinklige Teildreiecke zu zerlegen."
Nun ist es Laien allerdings wohl unbekannt und somit herzhaft egal, welche Bedeutung der rechte Winkel innermathematisch hat - womit sich die Frage stellt, warum er außermathematisch (in der „wirklichen Wirklichkeit“) so dominant ist, wie es unten gezeigt wird.
Warum gibt es sogar in der Natur massenhaft rechte Winkel, obwohl die Natur doch sicherlich mathematisch völlig unverdorben ist?
Warum also wachsen viele Pflanzen annähernd senkrecht zur Erdoberfläche, also nach oben?
Nehmen wir nur mal die Zypresse:
Wer denkt da nicht an
und Oberstudienratsurlaub und und Achtsamkeitskurse
und die Langen Kerls Friedrichs des Kleinen:
und die spießige Bajonettbepflanzung in totmathematisierten deutschen Gärten: , also die panischen Angst vor Natur:
?
(Nebenbei: diese Angst zeigt sich heutzutage allerdings eher in [natürlich rechteckigen] Schotter“gärten“ und den ebenso grauen[haften] - das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: - „Doppelstabmattenzäunen mit Sichtschutzmatten“ , die bestens zu der unten beschriebenen Rechteck-Architektur passen: : tot, toter, am totesten.)
Nun gibt es allerdings von Robert Gernhardt nicht nur das Buch , sondern auch das Buch - und das unbedingt in den Bildungskanon gehörende Gedicht
Zypressen
Zypressen fallen keineswegs
nur den Touristen auf den Keks.
Fehlt
ein Tourist, fällt die Zypresse
auch gerne auf die eigene Fresse.
Aber wieso sollte eine Zypresse auf die eigene Fresse fallen?
Vor allem ja wohl, weil sich "Zypresse" so schön auf "Fresse" reimt
("reim' dich oder ich fress' dich"; vgl. ).
Aber könnte es nicht sogar einen inhaltlichen Grund dafür geben, dass Gernhardt ausgerechnet die Zypresse gewählt hat?:
die Zypresse wächst wegen ihrer schlanken Silhouette kaum seitlich, sondern fast nur senkrecht nach oben - und sollte gerade deshalb besonders standfest sein. Um so witziger ist es dann, dass sogar sie ab und zu umfällt, und zwar anscheinend mit voller Absicht: um leidige Touristen
(aber keine „Ureinwohner“)
zu beseitigen
(euphemistisch: auf deren „Keks“ fallend),
aber auch, weil sie nicht nur auf Touristenfressen, sondern „gerne“ auch auf die eigene Fresse fällt.
(Seit wann hat eine Zypresse eine Fresse?!)
Normalerweise sieht eine Zypresse so aus:
.
wobei der Schwerpunkt der Zypresse ist.
Weil die Zypresse kaum Breite hat, wird das Gewicht der Zypresse durch die senkrecht nach unten
(auf den Erdmittelpunkt = Schwerpunkt der Erde hin)
wirkende Schwerkraft nach unten in die Mitte der Wurzel abgeleitet, weshalb die Zypresse besonders stabil ist.
Und das eben ist auch ein Grund, weshalb die allermeisten Häuser (s.u.) senkrecht nach oben gebaut werden.
Weil das die Regel ist, sind die wenigen Ausnahmen besonders auffällig - und witzig. Und gerade aus den Ausnahmen kann man oftmals viel über die Regel lernen:
Hier liegt der Schwerpunkt des Turms noch über dem Fundament, ist es also noch nicht so wahrscheinlich, dass der Turm sich „auf die eigene Fresse“ legt.
Gefährlich wird‘s aber, wenn der Turm noch weiter kippt:
(aus dem Film
)
Jetzt wird der Schwerpunkt des Turms von der Schwerkraft neben dem Fundament her gezogen, was zwar vielleicht nicht direkt zum Einsturz des Turms führt, aber doch zu erheblichen seitlichen Scherungskräften, die das Material des Turms ermüden, was früher oder später doch zum Einsturz führt.
(Nebenbei: um das zu verhindern, hat man dem Schiefen Turm von Pisa inzwischen ein Facelifting verpasst:
)
(Vom Schiefen Turm von Pisa auf unsere Zypresse übertragen:
)
Nun endlich wird die Passage „aufrecht (lateinisch rectus)“ aus der Definition am Anfang verständlich: „recht“ bedeutet bei Winkeln „genau nach oben“ bzw. „[r]auf“:
Mit allem bislang Gesagten wird verständlich, weshalb die meisten Gebäude rechtwinklige (vertikale) Querschnitte haben, aber nicht, weshalb auch ihre (horizontalen) Grundrisse rechtwinklig sind, warum also alles so rechtwinklig normiert ist.
Schauen wir uns dazu wieder eine Ausnahme an, nämlich ein Zimmer mit einem rautenförmigen, also nicht-rechtwinkligen Grundriss:
In die Ecken dieses Zimmers lassen sich nun problemlos auf folgende Art solche Schränke stellen:
Aber bereits dann, wenn man die Schränke so umstellt
,
ergeben sich unpraktische Lücken und Staubfänger.
Genau dasselbe passiert, wenn ein Mieter mit „normalen“, also rechteckigen Schränken einzieht:
Und noch ein Grund für Rechtecke: wenn man eine Platte längs und quer durch eine Kreissäge schiebt , entstehen immer Rechtecke - und alle anderen Formen sind nur sehr umständlich zu erreichen: .
Vermutlich schwingt das Pendel notgedrungen immer vom einen Extrem ins andere hin und her
(eine permanente Abfolge von Vatermorden, über die ein älterer Mensch wie ich, der schon so viele Moden erlebt hat, nur noch schmunzeln kann):
auf den aus heutiger Sicht überladenen und erdrückenden Stil des Historismus
,
als Gegenwehr gegen soviel als Eiseskälte empfundene Sachlichkeit dann die „Postmoderne“
und als Reaktion auf solch beliebig zusammengekleisterten Schnickschnack derzeit (2020) die totale Ernüchterung sowie Rat- und Einfallslosigkeit:
(Neubau der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes in Berlin;
Legebatterie
für hunderte Beamte - und
"eine
Machtdemonstration der Bürokratie").
Für solche Gebäude müssen die Architekten gar nichts mehr können, sondern es reicht,
Excel-Tabellen
in Beton zu gießen.
Und wenn wie in der neuen „Hafencity“ in Hamburg ein ganzer Stadtteil mit solch „Investoren-»Architektur«“ zubetoniert wird, nennt man das „Würfelhusten“
(an beiden Enden ergänzt durch dann gerne auch mal nicht-rechtwinklige „markante“ bzw. „spektakuläre“ „-Architektur“:
Allerdings gilt für Hamburg [meine deutsche Lieblingsstadt!] auch nur:
„Meine Mutter sagte: Hamburg ist das Tor zur Welt – aber es ist
eben nur das Tor zur Welt [...].“
[Karl
Lagerfeld]
Von wegen "Würfelhusten":
Nun will meine Heimatstadt Münster natürlich auch ein bisschen Weltstadt spielen - und k(l)otzt sich deshalb derzeit ebenfalls mit Rechtecken zu:
"Der Sieger-Entwurf stammt von den
Architekten Prof. [!!!] Peter Böhm und Prof. [!!!] Manuel Thesing (Heiden).
Mit 17 erreicht der Büroturm die maximal erlaubte Geschosszahl.
Der
Turm als markantes Erkennungszeichen in der Bebauung
nehme sich jedoch »angenehm zurück«,
heißt es in der Begründung der Wettbewerbs-Jury."
(Quelle:
)
Anders gesagt: je weniger man von dem Turm
sehen kann
und je weniger er ein „markantes Erkennungszeichen“ ist,
desto
besser.
Am besten wäre es somit, wenn er unsichtbar
wäre,
also gar nicht erst gebaut würde.
zwei bildschöne Bunker
Man beachte die Anzugträger!
Der münsteraner Hafen wurde früher dominiert durch die
"Osmo-Hallen"
eines ehemaligen Holzkonzerns.
Weil diese Hallen inzwischen marode waren, wurden sie abgebrochen:
So
(abgesehen von den Autos)
schön aufgeräumt aber wird's nie wieder, denn demnächst sieht da alles so aus:
Architekturpreise bekommen konnte!
(... wobei der zweite Bau immerhin innen ansprechend ist: )
Nebenbei: eine Billigvariante von entsteht derzeit (3/2022)
(ja wo wohl?)
am Hafen von Münster:
Das erinnert mich doch sehr an das
Der Vorteil von
ist aber
zweifellos, dass sich mit den vorgefertigten
-Modulen spottbillig und rasend schnell überall in der Welt
beliebig große Quaderkombinationen hochziehen lassen.
Architekten braucht man dann nicht mehr.
Die
(wie immer in schönster Architekten- bzw. Juroren-Lyrik verfasste)
Selbstauskunft der Architekten ist bei so öde einheitlicher Baumasse nurmehr ein Witz:
Nun bin ich zwar skeptisch bei der allzu leichtfertigen Verwendung des "Nazi-Knüppels", aber das einzig wahre, sauböse Statement zu dieser Architektur hat die amerikanische Künstlerin Martha Rosler mit dem davor postierten Adler abgegeben:
Und wie wird der neue "Hüffer-Campus" in Münster aussehen? Richtig geraten, er wird - wie einfallsreich! - natürlich eine Orgie rechteckiger Streifen:
Was Münster kann, kann auch Ahlen
(irgendwo zwischen Münster und Hamm):
muss wohl leider abgebrochen werden: „leider“, weil es doch ein wunderbarer Zeuge für die Zeit (70er Jahre des letzten Jahrhunderts) ist, in der die Architektur alles Maß verloren hat und granatenhässlich wurde.
Der Plan für dieses Meisterwerk stammt von einem richtigen „Professor“ (vermutlich mit dem Lehrauftrag „Rechteckisierung“).
Da muss man kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass man sich an dieser gnadenlosen Diktatur der Rechtecke in spätestens 20 Jahren sattgesehen haben wird - sie aber nicht mehr so einfach wegbekommt: