Stufen der Verallgemeinerung
(typisch mathematisches Denken)

  • MathematikerInnen haben´s halt am liebsten MÖGLICHST ALLGEMEIN, und wenn´s nach ihnen ginge

(tut´s allerdings glücklicherweise nicht),

wäre die GESAMTE Welt nach einer EINZIGEN

(zudem möglichst einfachen)

Regel konstruiert und erklärbar:


(was für eine Anmaßung!)

Und für Galilei, Kepler und viele andere Mathematiker war Gott sogar (u.a.) Mathematiker, d.h. die Welt nach allgemeinen, und zwar mathematischen Regeln konstruiert:

(Bei allem Respekt vor solchen Geistesgrößer: was für eine lächerliche These!: Dann lieber gar kein Gott!)

  • Jede Regel, die nur für einen Einzelfall oder einige wenige Fälle gilt, ist MathematikerInneN

(aus ästhetischen Gründen, aber auch, weil sie stinkefaul sind und ein schlechtes Gedächtnis haben)

abgrundtief zuwider, weil

  • es unendlich viele Einzelfälle gibt
  • und man sich deshalb unendlich viele Regeln merken müsste.

(Ist eine Regel, die nur für einen einzigen Fall gilt, überhaupt eine Regel?)

  • Man könnte sogar sagen: Mathematik IST die Wissenschaft von den ALLGEMEINEN Regeln

(und was sich keiner allgemeinen Regel fügt, existiert für MathematikerInnen gar nicht:

  • für einige MathematikerInnen nicht als mathematischer Gegenstand,
  • für BilligmathematikerInnen auch ansonsten nicht).

Genau genommen gibt es nämlich in keiner anderen Wissenschaft tatsächlich endgültig allgemeine Regeln - nicht mal in der Physik: bisher sind alle Steine runtergefallen, aber morgen könnte die erste Ausnahme erfolgen.

  1. Bei Euklid war die Welt noch in Ordnung: alles spielte hübsch in der Ebene

,

und da galt dann doch tatsächlich der berühmte Satz von der "Winkelsumme":

In ALLEN Dreiecken ergeben die drei Winkel zusammen IMMER 1800.

(Das ist - nebenbei - ein ganz phantastischer Satz, nämlich einer der ersten [auch in der Schule], der Geometrie und Algebra in Verbindung bringt: wenn man zwei Winkel eines Dreiecks kennt, kann man den dritten berechnen!)

Schade nur, dass dieser Satz in der nicht-euklidischen Geometrie

(also auf anders geformten Flächen als der Ebene)

leider nicht mehr für ALLE Dreiecke gilt

(Vgl. ).

  1. Wenn die Winkelsumme die drei Winkel von Dreiecken miteinander in Verbindung bringt, so liegt natürlich die für MathematikerInnen typische Frage nahe:

"Gibt es auch solch eine praktische [Rechen-]Regel für die drei Seiten von Dreiecken?"

In der Tat gibt es diese Regel, und zwar den berühmten "Satz des Pythagoras", also

a2 + b2 = c2

Auch hier gilt: kenne ich zwei Seiten, so kann ich die dritte berechnen.

Nur hat der "Satz des Pythagoras" einen Schönheitsfehler: er gilt nicht (mehr) für ALLE Dreiecke (in der Ebene), sondern leider nur für ALLE RECHTWINKLIGEN

(was ja immerhin auch noch unendlich viele sind).

Aber auch hier setzt wieder ein für MathematikerInnen typischer Mechanismus ein: wenn ein Dreieck nicht rechtwinklig ist, zerlegen sie es einfach mit der Höhe in zwei rechtwinklige Dreiecke

(das geht tatsächlich wieder mit ALLEN Dreiecken!),

und prompt können sie den "Satz des Pythagoras" doch einsetzen.

(Wenn bislang

in Verbindung gesetzt wurden, so ist es nur konsequent zu fragen, ob man nicht auch

in Verbindung setzen kann

[also z.B. aus zwei Seiten einen Winkel berechnen].

Und in der Tat gibt es auch dafür Hilfsmittel, nämlich die sogenannten "trigonometrischen" Funktionen, also Sinus, Cosinus, Tangens und Cotangens.

Allerdings

  1. Der bereits erwähnte "Satz des Pythagoras" spielt auf zwei Ebenen gleichzeitig:

  1. der geometrischen: wie schon gesagt, werden durch ihn die drei Seiten eines rechtwinkligen Dreiecks in Beziehung zueinander gesetzt (aneinander gefesselt).

Genauer gesagt: das geschieht nicht mit den Seiten, sondern den Seitenlängen, also schon Zahlen.

  1. ohne allen geometrischen Hintergrund einfach die Beziehung von Zahlen zueinander:

Das wohl berühmteste, noch geometrische Beispiel für den "Satz des Pythagoras" ist das rechtwinklige Dreieck mit den hübsch Seitenlängen 3, 4 und 5 ("natürlichen" Zahlen), denn

32 + 42 = 52

9 + 16 = 25

Da kann man sich natürlich fragen: Gibt es noch andere einfache, also natürlichen Zahlentripel (drei natürlichen Zahlen), für die das gilt?

Allerdings ist das leider schnell widerlegt:

12 + 22 32

1 + 4 ≠ 9

(Und um ganz kurz doch noch mal geometrisch zu werden: die drei Seiten 1, 2 und 3 ergäben nicht mal ein Dreieck, da die ersten beiden Seiten zusammen genauso lang sind wie die dritte.)

das neue Dreieck ist natürlich auch wieder rechtwinklig, und deshalb gilt auch wieder der "Satz des Pythagoras":

(2•3)2 + (2•4)2 = (2•5)2

62 + 82 = 102

36 + 64 = 100

Entsprechen kann ich das Dreieck mit den Seiten 3, 4 und 5 natürlich nicht nur verdoppeln, sondern auch verdreifachen, vervierfachen usw. bis in alle Ewigkeit, und jedesmal kommt wieder ein rechtwinkliges Dreieck heraus, für den der "Satz des Pythagoras" gilt.

Es gibt also unendlich viele natürliche Lösungen der Gleichung

a2 + b2 = c2

Nun kann man sich natürlich fragen, ob

(womit der Satz dann eben doch nicht für ALLE RECHTWINKLIngEN Dreiecke gälte, sondern nur für SPEZIELLE RECHTWINKLIGE Dreiecke),

Nun lässt sich allerdings zeigen, dass es auch unendlich viele andere natürliche Lösungen gibt, nämlich die sogenannten "pythagoräischen Zahlentrippel", also z.B.

5²+12²=13², 15²+8²=17², 7²+24²=25², 21²+20²=29², 35²+12²=37²

Insgesamt kann man also festhalten:

Genau da dann setzt aber wieder eine typische Mathematikerüberlegung ein: sie denken vorwärts und rückwärts: Wie steht es mit den natürlichen Lösungen von

Nun könnte man sich ja fragen, was für Ergebnisse zu erwarten sind:

  1. In a1 + b1 = c1 ist es offensichtlich immer möglich, zu zwei vorgegebenen natürlichen Zahlen a und b ein c zu finden, so dass die Gleichung aufgeht:

Man wählt einfach beliebige a und b (z.B. a = 14 und b = 37), addiert sie (a + b = 14 + 37 = 51) und nennt die Summe c:

a1 + b1 = c1

14 + 37 = 51

  1. Im Fall von a2 + b2 = c2 , also beim "Satz des Pythagoras", ist das Auffinden solch passender natürlicher Zahlen a, b und c hingegen nicht mehr so einfach:

    z.B. gibt es zu den Zahen a = 14 und b = 37 kein natürliche c, so dass

    a2 + b2 = c2

    142 + 372 = c2,

    denn 142 + 372 = 1565, aber es gibt keine ganze Zahl c, deren Quadrat 1565 ist, da 392 = 1521 zu klein und 402 = 1600 zu groß ist.

    Es gibt also sozusagen "fast nie" ganzzahlige Zahlen a, b und c, die die Gleichung a2 + b2 = c2 erfüllen - und dennoch unendlich viele, nämlich die o.g. "pythagoräischen Zahlentrippel".

  2. Was lässt sich daraus für höhere Exponenten vermuten?:

Schauen wir dazu nochmals zurück:

  • bei a1 + b1 = c1 galt "immer",

  • bei a2 + b2 = c2 galt "fast nie",

  • und deshalb würde ich bei a3 + b3 = c3 vermuten: nie!

  • ... und dementsprechend auch für a4 + b4 = c4 usw., also allgemein an + bn = cn : nie!

"Nie" heißt dabei im einfachsten höheren Falle a3 + b3 = c3 :

Es gibt keine natürlichen Zahlen a, b und c (man wird niemals welche finden), so dass die Gleichung a3 + b3 = c3 aufgeht!

Man beachte, dass auch das eine totale Verallgemeinerung ist, nur eine negative.

Das Problem dabei ist das "man wird niemals welche finden":

  • Selbst wenn man (z.B. mit großen Computern) abermilliarden Zahlen ausprobiert und es (bis dahin) nie geklappt hat, könnte es dennoch irgendwo ein Zahlentrippel a, b und c geben, das die Gleichung erfüllt:

  • Ausprobieren kann also niemals zu einem allgemeinen Beweis einer Nichtexistenz führen.

  • Und umgekehrt: sobald man (sei´s durch Zufall, sei´s durch irrwitzig langes Rechnen) ein einziges Zahlentrippel a, b und c finden sollte, das tatsächlich die Gleichung a3 + b3 = c3 erfüllt, ist der die Verallgemeinerung "man wird niemals welche finden" endgültig "im Eimer".

  • Ausprobieren (ein einziges, wenn auch vielleicht fürchterlich verstecktes Beispiel!) kann also durchaus zur Widerlegung einer Nichtexistenz führen.

Nun, "wenn man vom Rathaus kommt, ist man klüger":

die berühmte Fermatsche Vermutung, dass es für a n + bn = cn (n ≥ 3 ) NIEMALS ganzzahlige Lösungen gibt,

  • hat ganze Mathematikergenerationen erfolglos gelassen und in den Wahnsinn getrieben,

  • wurde erst vor wenigen Jahren von Andrew Wiles bewiesen.

An dem Gedankengang bis hierhin ist einiges typisch für die Mathematik:

  1. geradezu die Sucht nach Verallgemeinerungen (alle n, nicht bloß 2),

  2. Vermutungen von unteren Stufen für höhere ("immer" > "fast nie" > "nie")

  3. Beweisverfahren (ein einziges Gegenbeispiel widerlegt jede Vermutung),

  4. dass eine ganz einfache, jedem 5.-Klässler vermittelbare Aussage teuflisch schwer zu beweisen sein kann.

  5. dass

  • man zwar den "Satz des Pythagoras", also a2 + b2 = c2 , noch massenhaft "in der freien Wildbahn", also echten Anwendungen brauchen kann,

  • die Gleichungen mit höheren Potenzen ( also a3 + b3 = c3 usw., also allgemein an + bn = cn) aber zu rein gar nichts brauchbar sind.

Und hier eben entscheidet sich, ob jemand einE "richtigeR" MathematikerIn ist. Wichtig ist da

  • weniger, ob man das kann,

  • sondern vielmehr, ob man an solcher Zweckfreiheit und solchen Verallgemeinerungspfaden Spaß hat.


Wie man sich die ganze schöne Allgemeinheit kaputt macht

... und wie sie von selbst zusammenschnurrt

Hier sei noch mal auf die schon anderweitig

(
  )

behandelte Flächenmaximierung eingegangen:

"Ein Bauer (um ein wenig angebliche Lebensnähe reinzubringen) möchte eine rechteckige Kuhweide mit den 100 m Draht um geben, die er noch in der Scheune hat. Welches der Rechtecke hat die größte Fläche?"

Die ganze schöne Allgemeinheit (unendlich viele mögliche Rechtecke) macht man sich "am besten" schon durch eine Planskizze von einem Quadrat kaputt.

Zeichnungen sind nämlich ungemein suggestiv: hat man erst mal ein Quadrat gezeichnet

(und eventuell auch noch - was eben nur in einem Quadrat möglich ist - alle Seiten gleich bezeichnet),

so denkt man einfach nicht mehr daran, dass auch andere Rechtecke möglich sind und eines von diesen anderen Rechtecken (also nicht das Quadrat) das gesuchte mit der größten Fläche sein kann.

Die Suche ist beendet, bevor sie überhaupt angefangen hat, denn natürlich gibt es nur ein Quadrat mit dem Umfang 100 m, nämlich das Quadrat mit den Seitenlängen 25 m.

Aber ist es vielleicht sogar das Rechteck mit der kleinsten Fläche - also das glatte Gegenteil von dem, was in der Aufgabe gesucht wird?

 

Immer nur das zeichnen, was in einer Aufgabe drin steht, aber niemals Spezialfälle!

Das gesuchte Rechteck habe die Seiten x und z. Damit erhalten wir die Gleichungen:

U = 100 = 2x + 2z

F = x • z

Wir suchen das Rechteck mit maximaler Fläche, also das Maximum der Funktion F = x • z . Diese Funktion hat nun aber den Nachteil, dass da zusätzlich zur Variablen x auch noch die Variable z vorkommt, und mit zwei solchen Variablen können wir überhaupt nicht rechnen.

Nun könnte man natürlich sagen: dann werfen wir halt die Variable z raus, indem wir da einfach einen konkreten Wert einsetzen, also z.B. z = 10.

(SchülerInnen - das meine ich vorwurfslos - sind tatsächlich mal so vorgegangen.)

Dabei übersieht man allerdings allzu leicht, dass auch mit solch einer Entscheidung die Suche wieder vorbei ist, bevor sie überhaupt angefangen hat. Denn wenn die eine Seite 10 m lang ist, bleibt wegen des Gesamtumfangs U = 100 m für die andere Seite nur 40 m.

Und wieder stellt sich die Frage: ist dieses Rechteck mit den Seitenlängen 40 m und 10 m vielleicht sogar das mit der kleinsten Fläche - also das glatte Gegenteil von dem, was in der Aufgabe gesucht wird?

Man darf Allgemeinheit nie selbstherrlich und willkürlich eingrenzen (soeben durch freie Wahl einer Seite), sondern nur aufgrund mathematischer Notwendigkeit.

Die mathematische Notwendigkeit steckt aber in der "Randbedingung" 100 = 2x + 2z.

(Bei einer Kuhweide, die mit einem Elektrozaun, also Rand umgeben werden soll, ist der Begriff "Randbedingung" mal wirklich sinnig.)

100 = 2x + 2z bringt die beiden Variablen x und z in eine Abhängigkeit voneinander, so dass wir die uns unliebsame Variable z in Abhängigkeit von x ausdrücken können:

z = 50 - x

Wohlgemerkt: das ist eine der festen Vorgaben der Aufgabe und nicht unsere selbstherrlich-willkürliche Wahl.

Dieses "z = 50 - x" können wir nun aber in F = x •  z einsetzen und erhalten:

F = x • (50 - x) = 50x - x2

Unser Ziel ist erreicht, die Gleichung

F = 50x - x2

enthält nur noch die eine Variable x, und damit können wir problemlos rechnen.

Deshalb spricht man hier auch von einer "Zielfunktion".

Mittels Ableitung

(die Rechnung spare ich mir hier)

erfährt man nun, dass diese Zielfunktion F = 50x - x2 (und damit die Fläche) ihr Maximum für x = 25 hat, womit auch z = 25 gilt.

Also gilt eben doch, was der eine oder andere von Anfang an geahnt haben mag: dass eben gerade das   Quadrat unter allen möglichen Rechtecken dasjenige mit der größten Fläche ist.

Das meine ich mit "... und wie [die Allgemeinheit] von selbst zusammenschnurrt": die Aufgabe war von Anfang an "pseudo-allgemein", in Wirklichkeit gibt es unter all den möglichen Rechtecken nämlich nur eins, das eine maximale Fläche hat, nämlich eben das Quadrat.

Dass das Quadrat die größte Fläche hat, ist von Anfang an entschieden, nur merken wir Menschen es vielleicht erst nach langer, manchmal auch unüberschaubarer, wenn auch logischer Rechnung.

(Wohlgemerkt: das "Anwendungsproblem" hat die Lösung verborgen, nicht irgendwelche böswilligen MathelehrerInnen!)

Wundersam erscheint das allemal: woher wusste das Quadrat, dass es sich unter all den möglichen Rectecken so vordrängeln musste?

(vgl.   )

Hier stellt sich sogar eine regelrecht philosophische Frage: wenn wir das Quadrat erst am Ende herausfinden, woher wissen wir dann (können wir es wissen), dass es von Anfang an als Sieger des Rennens feststand?:

War es also doch nicht so falsch (wie oben dargestellt), von Anfang an von einem Quadrat auszugehen???

Die Antwort ist ein eindeutiges "Jein":