Der Titel "Der vermessene Planet" wurde hier nicht übernommen, weil mich besonders - so der Untertitel - die "Geschichte der Kartographie" interessiert.

(das auch, aber hier nur unter anderem; ja, die Kartographie könnte sogar ein höchst interessantes Thema im Mathe[!]unterricht sein:

  ).

Sondern ich habe den Titel "Der vermessene Planet" übernommen,  weil das Wort "vermessen" (unfreiwillig?) dreideutig ist:

vermessen =

  1. ausmessen,

  2. falsch messen,

  3. überheblich.

Auf "den" Planeten (also die Erde) bezogen:

  1. wurde unser Planet ausgemessen bzw. kartographiert.

  2. Wurde unser Planet vielleicht teilweise falsch ausgemessen?

  3. Natürlich kann ein Planet nicht vermessen im Sinne von "überheblich" sein, sondern höchstens können es die Menschen sein, die ihn ausgemessen haben bzw. ausmessen: war und ist vielleicht der Versuch, die Erde völlig auszumessen, vermessen = überheblich?


Es geht mir hier also um den Akt des Messens

(und nicht nur der Erde),

und so gesehen wären am Anfang sicherlich folgende Bilder sinnvoller gewesen:


An einer der berühmtesten physikalischen Gleichungen, nämlich der für den freien Fall, also s = ½ gt2

(wobei

interessiert einen "richtigen" bzw. "reinen" Mathematiker doch nur, dass es eine quadratische Gleichung ist.

Er lässt also alle "Einheiten" (Meter, Sekunde) weg, und ihn interessiert auch nicht, dass es um einen Zusammenhang zwischen Strecke und Zeit geht. D.h. er reduziert diese Gleichung kackendreist auf

y = a • x2 .

Solche quadratischen Gleichungen kann unser "reiner" Mathematiker nun nach Strich und Faden untersuchen

(beispielsweise sind ihre Graphen alle Parabeln und sorgt das a dafür, wie weit sie und ob sie nach oben oder unten geöffnet sind).

Eine Anwendung (z.B. auf den freien Fall) interessiert unseren "reinen" Mathematiker dabei nicht die Bohne, bzw. dass solche quadratischen Gleichungen auch (eben z.B. auf den freien Fall) anwendbar sind, ist für unseren "reinen" Mathematiker "nur" ein hübsches Abfallprodukt bzw. eine willkommene Dreingabe.

Der Vorteil der völlig abstrakten Funktion f:y = a • x2 ist nun aber

(wenn man sich dann doch für Anwendungen interessiert),

dass sie keineswegs nur auf den freien Fall, sondern auch auf viele tausend andere Fälle anwendbar ist, also z.B. auch auf eine quadratische Tischfläche

(darunter auch zukünftige, die bislang noch gar nicht abzusehen sind).


Der Unterschied zwischen der "reinen" und der "Anwendungs"-Mathematik ist also, dass

(hier sei mal außen vor gelassen, dass es auch in der Physik "dimensionslose" Konstanten [z.B. die "Feinstrukturkonstante], also solch ohne "Einheiten" gibt).


 

Einige Dinge sind derart selbstverständlich, dass man sie gerade deswegen doch wieder laut herausschreien muss:

Die Mathematik bzw. mathematische Gleichungen bringen, sobald sie "angewandt" sind, Messwerte miteinander in Beziehung.

Ein Beispiel ist da eben der freie Fall: die Gleichung s = ½ gt2 bringt jeden Weg mit der zugehörigen Zeit in Beziehung, so dass man z.B. für die Zeit t = 1 Sekunde den zugehörigen Weg berechnen kann:

s = ½ g12 ½ 9,81 Meter = 4,05 Meter

Ein Gegenstand ist nach 1 Sekunde also 4,05 Meter weit gefallen.

(Und umgekehrt kann man natürlich zu jedem Weg die zugehörige Zeit berechnen.)

Der immense Vorteil der Gleichung s = ½ gt2 ist dabei, dass man mit ihr potentiell zu jedem Weg die zugehörige Zeit und umgekehrt berechnen kann.

Man muss sich die Leistungsfähigkeit der Gleichung s = ½ gt2 mal überdeutlich klar machen: obwohl sie nur aus ganz wenigen Buchstaben besteht, bringt sie doch alle, also unendlich viele Wege und die dazu jeweils passenden Zeiten miteinander in Beziehung, darunter auch bislang nie zurückgelegte bzw. berechnete Wege.

Oder anders gesagt: ich muss gar keine weiteren Experimente für bislang noch nicht benutzte Weg- oder Zeitwerte machen, sondern ich kann mit Hilfe der Gleichung s = ½ gt2  zu jedem beliebigen Weg auch die zugehörige Zeit berechnen, was aber doch heißt, dass die Gleichung Zukunftsvoraussagen machen kann.

Diese spezielle Leistungsfähigkeit der Mathematik wird zwar andauernd implizit im (Physik-)Unterricht genutzt, aber doch viel zu wenig explizit angegangen

(wie ja überhaupt die "Ideen" des NRW-Lehrplans für Mathematik, also

viel zu selten explizit Thema werden).

Ich könnte mir also durchaus eine eigene Unterrichtseinheit zum Thema "Messen" vorstellen, beispielsweise anhand des oben bereits genannten Buchs

,

vor allem aber, indem die SchülerInnen selbst messen und Messwerte miteinander (also in mathematischen Gleichungen) in Beziehung bringen.

Wenn es im Mathematikunterricht aber immer auch um gehen soll (muss), so sollten

(vgl. die Dreideutigkeit des Wortes "vermessen" oben)

auch folgende Themen eingehen:

  1. die enorme Leistungsfähigkeit des Messens (und der Mathematik dabei),
  2. Messfehler - bzw. ungenauigkeiten,
  3. die "Vermessenheit", ja sogar Gefährlichkeit des Versuchs, alles zu messen

(beispielsweise bei den modischen "rankings" [im Zentralblatt "Focus"] oder allen zentralen schulischen Prüfungen):

"Nach Horkheimer/Adorno [in ] ist die Abstraktion das Werkzeug, mit der die Logik von der Masse der Dinge geschieden wird. Das Mannigfaltige wird quantitativ unter eine abstrakte Größe gestellt und vereinheitlicht, um es handhabbar zu machen. Das symbolisch Benannte wird formalisiert; in der Formel wird es berechenbar und damit einem Nützlichkeitsaspekt unterzogen, verfügbar und manipulierbar zu sein. Das Schema der Berechenbarkeit wird zum System der Welterklärung. Alles, was sich dem instrumentellen Denken entzieht, wird des Aberglaubens verdächtigt. Der moderne Positivismus verbannt es in die Sphäre des Unobjektiven, des Scheins.
Aber diese Logik ist eine Logik des Subjekts, die unter dem Zeichen der Herrschaft, der Naturbeherrschung, auf die Dinge wirkt. Diese Herrschaft tritt dem Einzelnen nunmehr als Vernunft gegenüber, die die objektive Weltsicht organisiert.
In der Vereinheitlichung des Denkens auf den Menschen angewendet, werden die gesellschaftlichen Subjekte zum manipulierbaren Kollektiv. Die wissenschaftliche Weltherrschaft wendet sich gegen die denkenden Subjekte und verdinglicht in der Industrie, der Planung, der Arbeitsteilung, der Ökonomie die Menschen zu Objekten. Unter der Herrschaft des Allgemeinen werden die Subjekte nicht nur den Dingen entfremdet, sondern die Menschen selbst versachlicht. Das Allgemeine tritt ihnen als totalitäre Herrschaftsform gegenüber, die sich die Einzelnen nach ihrem Maß zurichtet. Der Fortschritt wird destruktiv; statt Befreiung von den Zwängen der überwältigenden Natur wird Anpassung an die Technologie und das Marktgeschehen gefordert, an die Stelle der befreienden Aufklärung aus der Unmündigkeit, tritt das wirtschaftliche und politische Interesse, das Bewusstsein der Menschen zu manipulieren. Aufklärung wird zum Massenbetrug."

(zitiert nach , rote Hervorhebung von mir, H.St.)