ein Mathematiker weint (beinahe)

 

So banal es ist, so oft wird es vergessen bzw. vertuscht - und deshalb hier nochmals ausdrücklich zitiert:

"Wissenschaft wird von Menschen gemacht." (Werner Heisenberg)

Es ist ein bedeutsamer Teil von Bild , einen  Mathematiker beim Weinen anzuschauen.

Allerdings gerät das schnell zum Voyeurismus - oder zur Missgunst:

"schön, dass Mathematiker endlich auch mal weinen, denn schließlich haben sie mich so oft zum Weinen gebracht."

Mir ist die Gelegenheit aus anderem Grund höchst willkommen: um zu zeigen,

  • dass natürlich auch die Mathematik (ihre Erkenntnisse) nicht wie ein Klotz vom Himmel fällt

  • und dann problemlos den Genies in den Schoß:

die gesamte Mathematik hat unendlich viel Mühe bereitet

(und muss wohl dennoch Spaß gemacht haben, denn sonst hätte keiner die Mühe auf sich genommen),

und viele Erkenntnisse sind nur unter größten Schmerzen geboren worden, bzw. unendlich viele (unbekannte) Schmerzen haben leider nie zu einer Geburt geführt.


Die Vorgeschichte:

Andrew Wiles hat die berühmte, 400 Jahre alte "letzte Vermutung von Fermat" bewiesen und sie somit zum "letzten Satz von Fermat" gemacht

(der Inhalt dieses Satzes soll hier - so einfach er ist - nicht dargestellt werden).

Die Etappen dieses Beweises in aller Kürze

(viel besser und dramatischer ist das dargestellt in Bild ; und nebenbei: Singh ist auch der Autor des Films, aus dem unten der entscheidende Ausschnitt gezeigt wird):

  • Wiles hat sich jahrelang völlig aus der Wissenschaft zurückgezogen

  • und dann nach vielen Jahren in einer harmlos angekündigten Vorlesung den irrwitzig komplizierten Beweis vorgeführt,

  • worauf hin er in der gesamten mathematischen Welt gefeiert wurde,

  • nur leider stellt sich der Beweis kurz darauf als fehlerhaft heraus:

  • welch abgrundtiefe Blamage, ja fast welch beruflicher Todesstoß;

  • nach einiger Zeit hat Wiles dann aber doch den korrekten Beweis nachliefern können.

Und über genau diesen Entdeckungs- und Leidensweg ist er dann später interviewt worden, wobei ihm dann fast die Tränen kamen:

 

Es lassen sich nur Vermutungen anstellen, warum Wiles da fast die Tränen kamen:

  1. Freudentränen, dass er es - wenn auch erst im zweiten Anlauf - geschafft hatte

(das sind Tränen, die vermutlich auf vielen anderen aufbauen, denn Wiles ist ja nur deshalb so berühmt geworden, weil ihm gelang, was vielen Generationen vor ihm [und darunter allergrößten Mathematikern] nicht gelungen war),

  1. in ihm kamen beim Interview all die Mühen wieder hoch, die überhaupt erst zum gelungenen Beweis führen konnten,

  2. es kam in ihm nochmals jene abgrundtiefe Beschämung hoch, als ihm nach kurzem Ruhm der erste, vermeintliche Beweis zerpflückt wurde,

  3. wie an anderer Stelle des Films deutlich wird: Tränen darüber, dass ihm vermutlich nie wieder in seinem (Mathematiker-)Leben derart Grandioses wie dieser Beweis gelingen wird (er also wissenschaftlich tot ist?).


Es ist nachgerade wohltuend, dass Federico Di Trocchio in seinem Buch "Der große Schwindel; Betrug und Fälschung in der Wissenschaft" schon wieder bzw. immer noch bedeutenden Wissenschaftlern das Beiwort "groß" voranstellt ("der große Biologe XY"). Da hat jemand noch Respekt und kann noch neidlos bewundern!

Um wie viel mehr ist dieses "groß" angebracht, wenn ein fachlich "großer" Wissenschaftler auch menschlich "groß" war! Vgl. Bild