Vorweg sei doch spaßeshalber eine Aussage Hans Magnus Enzensbergers über das Interpretieren im Deutsch- auf den Mathematikunterricht übertragen, wozu ich am Ende nur "Gedicht" durch "Standardaufgabe/inhaltlicher Kanon" ersetze:

"Der Lehrkörper [...] ist keineswegs homogen [...] All dieser Nuancen ungeachtet, macht jener Lehrkörper doch im ganzen den Eindruck einer kriminellen Vereinigung, die sich mit unsittlichen Handlungen an Abhängigen und Minderjährigen vergeht, wobei es gelegentlich [...] zu Fällen von offensichtlicher Kindesmißhandlung kommen kann. Als Tatwaffe dient jedes mal ein Gegenstand, dessen an und für sich harmlose Natur ich bereits dargelegt habe: die Standardaufgabe/der inhaltliche Kanon."


Das dürfe "man" derart einseitig nicht (mehr) sagen? Das muss man (nach wie vor) probeweise so sagen, weil die Schulmathematik - wenn überhaupt - mit leiseren Tönen sowieso nicht mehr aufzuwecken ist.

"Wie" meint die Methodik, "welche" die Didaktik. Aber beide

(wenn auch erstere mehr als letztere)

scheinen nur äußere Zutaten zur a priori feststehenden, "eigentlichen" Mathematik zu sein:

es gibt einen unverrückbaren


Korpus bzw. Kanon der (Schul-)Mathematik,

wie er etwa in den Schulbüchern der ersten bis zwölften Klasse

(die im Grunde alle ununterscheidbar sind)

festbetoniert ist.

... wobei dieser "Schul-Korpus" die eigentliche didaktische Auswahl aus der Gesamt-Mathematik ist.

Hier kann und soll nicht ausführlich rekonstruiert werden, nach welchen Kriterien diese Auswahl des Schul- aus dem Gesamt-Korpus der Mathematik stattgefunden hat

(... wenn eine detaillierte Rekonstruktion dieser Kriterien im Nachhinein überhaupt noch möglich ist: oftmals werden diese Kriterien - und genau dann wird's potentiell erkenntnishemmend - hinter der reinen Gewohnheit unsichtbar geworden sein; nur ein Beispiel: was eigentlich ist am "Satz des Pythagoras" so wichtig, dass er zum Inbegriff der Schulmathematik geworden, ja, fast verkommen ist?).

Dennoch scheinen mir einige, ja durchaus sinnvolle Kriterien sichtbar zu sein:

  1. ein

(wenn auch schizophrener, s.u.)

Nachvollzug der Mathematikgeschichte, d.h. der Reihenfolge, in der mathematische Sachverhalte historisch entdeckt wurden

(z.B. ist die Unter- und Mittelstufen-Mathematik noch weitgehend "antik", während in der Oberstufe mit der Infinitesimalrechnung erstmals neuzeitliche Mathematik stattfindet);

anspruchsvoll bzw. abgehoben gesagt: der ontogenetische mathematische Erkenntnisgewinn der einzelnen Schüler reproduziert den phylogenetischen historischen Erkenntniszuwachs aller Mathematiker zusammen;

  1. eine (Über-)Betonung von Rechenverfahren

(vgl. die ubiquitären "Aufgaben");

  1. eine nachgerade gnadenlose sachlogische Anordnung

(man kann beispielsweise keine Extrema kubischer Funktionen berechnen, wenn man nicht bereits die Nullstellen quadratischer Funktionen berechnen kann);

  1. eine Beschränkung auf halbwegs einfache, den kognitiven Fähigkeiten Heranwachsender angepasste Mathematik, die mit der Frühneuzeit endet

(das Abitur im Teilgebiet Analysis reproduziert dann "nur" Leibniz/Newton):

Gegenwartsmathematik kommt somit in der Schule nie vor, was doch fast den Eindruck erwecken muss, dass

(alles Wichtige längst entdeckt ist)

All das und insbesondere die Existenz eines inhaltlichen Korpus/Kanons führen dazu, dass die Mathematik

(vielleicht mal abgesehen von der Dreiteilung in Algebra/Analysis, Geometrie und Wahrscheinlichkeitsrechnung)

als


Monolith

erscheint, der fix und fertig vom Himmel fällt - und die Schüler erschlägt:

Die (Schul-)Mathematik verkommt damit

(mehr als jedes andere Fach?)

zum reinen, scheinbar wohlbegründeten Nachvollzug:

"Es wäre doch eine völlige Überforderung und sowieso aussichtslos, wenn jeder heutige Schüler bzw. jede heutige Schülergruppen »eben mal kurz« nachentdecken sollte(n), wofür es der halben Menschheitsgeschichte samt hunderter Genies bedurft hat."

(Wenn man doch bei all dem Nachvollzug immerhin dreimal täglich den Boden küssen würde

,

auf dem schon Newton gewandelt ist, der von sich selbst gesagt hat: "Ich bin ein Zwerg, der auf der Schulter von Riesen steht."

[Vgl. aber auch

"Bernhard von Chartres sagte, wir seien gleichsam Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen, um mehr und Entfernteres als diese sehen zu können [...]"
[Johannes von Salisbury: Metalogicon 3,4,46-50])


  "Die Psychologin Elsbeth Stern von der ETH Zürich [...] weist darauf hin, dass es zumeist nicht falsche Methoden, sondern uninteressante oder undurchdachte Inhalte sind, an denen Unterricht scheitert."
(FAZ, 30.3.08)

Alle Minireförmchen des Mathematikunterrichts

(und insbesondere aller oftmals nur äußerliche Methodenschnickschnack)

bringen nichts und sind somit nur modisches Feigenblatt bzw. Ablenkungsmanöver, solange

(Insbesondere wird man sich erneut fragen müssen, wozu das Schulfach Mathematik überhaupt "gut" ist

                [d.h. auch, wodurch es sich legitimiert]:

                [der Durchschnittsmensch "braucht" im späteren Leben nie wieder Mathematik!];

[der sich nicht in mangelnden Rechenfertigkeiten, sondern in der Unfähigkeit zeigt, mathematische Sachverhalte zu erkennen und richtig einzuschätzen],

Dazu gehört insbesondere, dass die Schulmathematik

(gleichzeitig aber jede eigene Geschichte verschweigt und somit leugnet, weil es angeblich uninteressant ist, wer die "ewigen Wahrheiten" der Mathematik entdeckt hat),

sondern

nur ein Beispiel: ein Matheunterricht, in dem sowas wie

(natürlich auf Deutsch)

und darin insbesondere

ausgeschlossen oder unerwünscht ist, verdient gar nicht den Stempel "Mathematik"

             (vgl. auch ) ,

Paul Janositz (Tagesspiegel): "Ist der Lehrplan [im Fach Mathematik] nicht schon vollgestopft?"

Günter M. Ziegler (Professor für Mathematik an der TU Berlin, Präsident der Deutschen Mathematiker-Vereinigung): "Ja, die Lehrer brauchen mehr Freiräume. Sie hecheln mit dem Stoff hinterher, statt sagen zu können: heute erzähle ich euch etwas Spannendes aus der Mathematik, das steht nicht im Lehrplan, aber es begeistert mich selbst. [...] Wir brauchen sicherlich auch mehr Zeit für den Mathematikunterricht [...]. Nicht um mehr Stoff zu pauken, sondern um mehr bunte Mathematik zu zeigen."

.

Wenn aber

folgt daraus automatisch auch eine andere Methodik.


So naiv bin ich allerdings nicht zu meinen, dass solch mathematischer (!) Matheunterricht bei "den" Schülern automatisch auf Gegenliebe stößt:

mal zugespitzt gesagt, gibt es

(im Hinblick auf Mathematik)

heutzutage

(also im Gegensatz zur guten alten bzw. "meiner" Zeit :-)

zwei Arten Schüler:

(zu denen auch viele Mathe-Lehrer gehören!),

die außer bienenfleißigem Rechnen im Leben nichts haben

(keinen weiten Horizont),

(Nebenbei: mathematisch "schlecht" kann vielerlei bedeuten:

Für beide Sorten Schüler gilt gleichermaßen, dass sie

(wenn schon, denn schon)

glasklare Rechenverfahren bevorzugen, also das einzige, worauf man sich verlässlich vorbereiten kann - und "Objektivität".

Für viele Schüler ist Mathematik

(wie auch andere Fächer oder sogar die ganze Schule???)

nur ein unvermeidliches Übel auf dem Weg zu guten Zensuren und Abschlüssen, und

"da kann man doch wohl noch verlangen, dass die Mathematik sterbenslangweilig ist"

bzw.

"eine interessante Mathematik hat uns gerade noch gefehlt"
(bzw. kann nur eine Mogelpackung / Anbiederung sein):

sobald man als Lehrer von der konventionellen Rechen-"Mathematik" abweicht,  schreit garantiert so eine Schüler-Streberleiche empört:

 

(und wenn man als Lehrer so ehrlich bzw. dumm ist, mit "nein" zu antworten, hören die meisten Schüler sofort weg; bzw. ihre Frage ist sowieso nur rhetorisch gemeint, denn sie wissen ganz genau, dass "sowas" nicht abprüfbar ist, zumindest nicht mit dem in Mathearbeiten üblichen Punkteverfahren),

(Völlig neu ist sowas allerdings auch wieder nicht: schon vor ca. 15 Jahren hat eine Schülerin mal erbost zu mir gesagt:

"ich habe einen Deutsch-LK gewählt, also verschonen Sie mich gefälligst mit Exkursen in Geschichte und Kunst!")

Was aber angeblich "richtige" Mathematik ist, lernen die Schüler u.a. von ihren Eltern: "richtige" Mathematik ist das, wo schon die Eltern in ihrer Schulzeit "durchmussten"

(weil jeder mal auf einer Schule war, meint auch jeder, über Schule mitreden zu können / dürfen / müssen;
und "weil mein Latein-Unterricht schrecklich war, ist jeder Latein-Unterricht schrecklich")
,

also der Standard-"Mathematik"-Unterricht:

"eine gute Medizin muss bitter sein."

"Richtige" Mathematik ist aber vor allem, was in den Mathe-Schulbüchern steht

(den Bastionen der Standard-Schul-"Mathematik"):

"was du schwarz auf weiß [oder neuerdings sogar bunt!] besitzest,
kannst du getrost nach Hause tragen"

und dann am familiären Mittagstisch als (alleinigen) Maßstab nehmen. Selbst ein Schwachmatiker kann da leicht überpüfen,

(schwer zu sehen ist allerdings, was er stattdessen vielleicht gründlicher durchnimmt oder ergänzt).

Sowieso höchst verdächtig ist aber ein Lehrer, der gar kein Schulbuch benutzt!

(Merkwürdig: im Rahmen von G8 müsste doch dringend die bisherige Stoffülle abgespeckt werden

[größtes Hindernis dabei sind allerdings die Lehrer, deren Vorstellung, was in den Kanon der Schulmathematik gehört, festbetoniert ist].

   Aber wehe, dann macht einer mal Ernst mit der Stoffreduktion!)

Das Ideal der meisten Schüler, Eltern und wohl auch Mathelehrer ist, dass die Mathelehrer sich in der gesamten Schulzeit sklavisch an die Mathebücher halten. Gähn!

(Und daran verdienen sich die Schulbuchverlage dumm und dämlich, zumal ja

[welch ein Segen für die Verlage bzw. welch schöner Erfolg ihrer Lobbyarbeit!]

andauernd neue Lehrpläne erscheinen, denen die Bücher dann "natürlich" angepasst werden müssen:

*

)

Fragt sich nur, ob "der" Mensch

(u.a. durch den Standard-"Mathematik"-Unterricht!)

denkfaul gemacht wird.


(wer klare Feindbilder [nötig] hat, gehe zum Kopfdoktor!)

Nicht die Schüler sind meine "Feinde", sondern

("die" Jugend hat nur - wie schon immer - intuitiv besonders gut begriffen, wo der Hase langläuft),