die x-Achse als Zeit-Achse

Ich habe

(wenn die ersten Funktionen und Funktionsgraphen anfielen)

oft schon in 8. oder 9. Klassen mit den Schülern "Kurvendiskussionen" durchgeführt, obwohl diese doch eigentlich erst

(und dann vollständig)

Thema der Oberstufe sind.

Dabei ging es mir


Es ist mir ein Rätsel, weshalb man Funktionsgraphen nie im Unterricht tut, indem man sie etwa auf den Boden des Schulhofs malt und dann mit einem  abfährt. Das wäre ja sogar eine Riesengaudi

(und beispielsweise Rechts- und Linkskurven wären dann überhaupt kein Problem mehr).


Vor der einwöchigen Mittelstufenfahrt der Klasse 9b des Karl-Theodor-Maria-Nikolaus-Johann-Jacob-Philipp-Franz-Joseph-Sylvester-Buhl-Freiherr-von-und-zu-Guttenberg-Gymnasiums in Pusemuckel gab es eine heftige Diskussion über das Ziel der Reise: der Berlin-Fraktion, die dort nur shoppen wollte, stand eine Alpen-Wander-Fraktion gegenüber, und letztere hat sogar bei der Abstimmung mit knapper Mehrheit gewonnen.

Dennoch sind die beiden Gruppen auch jetzt noch unversöhnlich zerstritten, sodass es bei der inzwischen begonnenen Alpen-Wanderung zwei Gruppen gibt:

  1. die auch ansonsten ewig maulenden, lustlosen und schwer fußkranken Berlin-Befürworter,
  2. die Alpen-Wander-Befürworter, die scharf auf grandiose Bergwanderungen sind

und denen es gar nicht steil genug werden kann.

Wie wir unten noch sehen werden (oder unterstellen), reagieren die beiden Gruppen immer diametral entgegengesetzt: des einen Freud ist des anderen Leid (und umgekehrt).

Bei der Alpen-Wanderung geht es eine Woche lang von Berghütte zu Berghütte. Am dritten Tag gibt es eine besondere Herausforderung:

Der Weg führt an diesem Tag von der linken zur rechten Berghütte, und zwar auf den Bergkämmen:

(Das ist natürlich unrealistisch, weil man ja normalerweise nicht auf den teilweise enorm steilen Bergkämmen, sondern auf Serpentinen gehen würde, die zwar Umwege sind, dafür aber weniger steil:

)

Die Schüler kennen den Weg vorher noch nicht

(und den ewig Pampigen soll er auch gar nicht vorweg verraten werden, weil sie dann schon vorher bocken würden),

was nun dadurch symbolisiert werden soll, dass die Wanderung in den tief hängenden Wolken, also im Nebel stattfindet. Die Bergkämme sind also noch gar nicht vorher sichtbar, sondern harren der sukzessiven Entdeckung

(mathematisch gesagt: die Funktion [?] ist nicht

[wie meist im Standardunterricht]

von Anfang an komplett fertig, sondern entsteht erst langsam von links nach rechts bzw. Ost nach West):

(ein "Funktionenschieber", mit dem die Wolken von links nach rechts verschoben werden können;
und es sind auch andere Hintergründe einschiebbar:

)

Da es in der Klasse, die man gerade unterrichtet, vermutlich viele Wanderungs-Hasser, aber hoffentlich auch einige Wanderungs-Liebhaber gibt, kann man die Bergwanderung mit dem Modell im Unterricht virtuell nachspielen, was vor allem heißt: mittels der aufkommenden Emotionen (Lust und Unlust, Erleichterung und Enttäuschung) eine "Kurvendiskussion" diurchführen. Das sei hier an zwei Ausschnitten vorgeführt:

  1. bzw. :
(mathematisch gesagt

[aber sowas muss man ja noch gar nicht wissen]:

es liegt eine Rechtskurve vor),

und da werden

(mathematisch gesagt: es liegt eine Linkskurve vor),

und da werden

Zwischen immer größerem und dann wieder immer kleinerem Gefälle liegt also ein Wendepunkt, in dem sich der Trend umkehrt:

Was aber

(und das ist doch wohl am wichtigsten)

"bedeutet" solch ein Wendepunkt?: er sagt sozusagen die Zukunft voraus, läßt nämlich erahnen, dass bald ein Minimum (eine Talsohle) folgen wird. Ein Minimum ist aber kein Anlass für (je nachdem) Erleichterung (der Fußkranken) oder Enttäuschung (der Wander-Begeisterten), sondern deutet an, dass schon bald das Gegenteil eintreten, nämlich dass es wieder stramm bergauf gehen wird.

  1. bzw. :

(Die Schüler erhalten hier unter fachkundiger Anleitung einen kleinen Kletterkurs.)

"senkrecht nach oben" bedeutet nun aber, dass

(genau genommen sogar trotz des kurzen Stücks unendlich viele)

Punkte des Wanderwegs übereinander liegen,

(schon mathematischer gesagt)

einer Koordinate auf der Ost-West-Achse mehrere Koordinaten auf der Höhen-Achse zugeordnet werden:

 

Die Schüler sollten aber aus dem Vorunterricht wissen oder man könnte es erst hier erarbeiten, dass wegen der mehrfachen Zuordnung keine Funktion vorliegt.

(Nun müssen Schüler der 8. oder 9. Klasse natürlich noch nicht den Begriff der "[Nicht-]Differenzierbarkeit" und das in solchen Stellen vorliegende Tangentenproblem kennen.

[Und überhaupt ist es fraglich, ob die Schüler in späteren Schuljahren im Standardunterricht jemals wieder eine Vorstellung von solchen Knicken brauchen:

Ich komme nochmals auf die senkrechte Stelle

zurück: wenn überhaupt, so wäre ihre Ersteigung nur mit einer Bergsteigerausrüstung möglich:

Das Bild deutet aber schon an, dass es noch "schlimmer" (oder herausfordernder) als nur senkrecht werden, dass nämlich eine Felswand sogar "überhängen" kann":

Ein spektakuläres Beispiel für solch eine überhängende Felswand ist der "Preikestolen" in Norwegen:

Wenn man ihn erklimmen wollte, wäre das z.B. auf folgender Route möglich:

Wenn wir dieses Bild nun in den "Funktionenschieber" legen, ergibt sich:

Dabei liegen

(hier symbolisiert durch nur vier Punkte)

übereinander,

liegt da also keine eindeutige Zuordnung und somit keine Funktion vor.

Schauen wir uns das Problem noch aus einer anderen Perspektive an: wir klettern von links kommend sukzessiv die überhängende Felswand hoch:

Wir legen diese Bilderfolge nun in ein Koordinatensystem und beobachten getrennt

des Punkts :

:

  1. Weil wir immer höher klettern, wandert die y-Koordinate kontinuierlich nach oben.

  2. Hingegen wandert die x-Koordinate nicht kontinuierlich in eine Richtung (nach rechts), sondern

(nämlich als die Felswand senkrecht ist)

(nämlich als die Felswand nach links überhängt).

(... was mich doch sehr an [scheinbare] Planetenschleifen erinnert: 

)

Dass keine Funktion vorliegt, kann man also auch schon allein an der Bewegung der x-Koordinate sehen:

Umgekehrt liegt tatsächlich eine Funktion vor, wenn die x-Koordinate ausschließlich und ohne Pausen von links nach rechts wandert:

Dabei kann die x-Koordinate durchaus

Hauptsache, sie

"Werd ich zum Augenblicke sagen:
Verweile doch! du bist so schön!
Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
Dann will ich gern zugrunde gehn!"
(Johann Wolfgang Goethe: Faust I)


Bislang wurde schon immer implizit von Bewegungen ausgegangen, und Bewegungen finden immer  in Raum und Zeit statt:

Man muss also nicht Einsteins allgemeine Relativitätstheorie bemühen, um einen Zusammenhang zwischen Raum und Zeit zu sehen:

was macht denn eine Bergwanderung

doch nicht

(diese horizontale Entfernung wäre ja vielleicht nichtmal für die Fußkranken ein Problem, wenn der Weg gemütlich eben wäre),



(wobei auch die Länge dieses Weges für die Fußkranken kein Problem wäre, wenn der Weg eben wäre;

nebenbei: schade, dass im Standardunterricht immer nur Steigungen und Integrale, aber nie die Bogenlängen von Funktionsgraphen berechnet werden),

(wenn man sich so richtig schlechte Laune der Fußkranken einhandeln wollte, müsste man nur vorweg sagen: "die Wanderung dauert heute zehn Stunden").

Man kann den Bergkamm auch als Zeitgraph verstehen, bei dem auf der horizontalen x-Achse

gemessen wird, man also an dem Graph ablesen kann,

befindet: es ist, als wenn ein Wanderer permament abwechselnd auf seine Armbanduhr und einen Höhenmesser schauen würde

(es gibt dafür schon eine "Smartphone-App" , und ich sehe schon die ersten Bergwanderer, die permanent auf ihr Iphone glotzen

[das Gegenteil von und doch mit demselben Effekt]

- und ihre Geodaten in Echtzeit ins Netz stellen, damit alle Welt mitbekommt, wie tapfer sie kraxeln;

nebenbei: Wanderer, die andauernd auf ihr Handy starren und deshalb nur den Weg direkt vor sich mitkriegen, kommen mir gerade passend: auch sie sehen immer nur den Weg direkt vor sich - und wie er sich langsam entwickelt).

Der Zeitgraph könnte etwa so aussehen:

(Dabei ist es natürlich nicht ganz korrekt, einfach den Bergkamm als Zeitgraph zu übernehmen, was ja bedeuten würde, dass steile Anstiege und starkes Gefälle sogar schneller als ebene Wanderstrecken gegangen würden.)

Der Vorteil der Zeit besteht darin, dass sie - zumindest nach westlicher Vorstellung - immer kontinuierlich weiter schreitet

(wenn auch eigentlich gerade nicht im Kreis),

sich also

ein Wanderer kann zu einem bestimmten Zeitpunkt nie auf mehreren Höhen gleichzeitig sein

(hier sei mal davon abgesehen, dass neuesten physikalischen Theorien zufolge die Zeit

Oder anders gesagt: Zeitgraphen sind immer Funktionsgraphen.

Allerdings gibt es ein kleines Problem: wir hatten oben gesagt, dass der Weg an der Stelle

bzw.  

für kurze Zeit senkrecht ist:

Da wir den Zeitgraph aber einfach vom Bergkamm übernommen haben, wäre damit an dieser Stelle auch der Zeitgraph

für kurze Zeit senkrecht.

Aber hier helfen wir uns dreist mit einem kleinen Mathematiker-Trick: :

Wir gehen nun einfach (!) mal davon aus, dass der Graph in anfangs doch nicht senkrecht, sondern "nur" enorm steil ist - und schon (schnuppdiwupp!) ist der Gesamtgraph ein Zeit- bzw. Funktionsgraph.


Halten wir fest:

  1. Bergkämme können Funktionsgraphen sein, aber sie sind es nicht, wenn es senkrechte oder gar überhängende Partien gibt

(allerdings sind Bergkämme, die von normalen Bergwanderern [also nicht Bergsteigern] erwandert werden, nie senkrecht oder überhängend - und deshalb allesamt Funktionsgraphen).

  1. Zeitgraphen sind wegen der gleichmäßig fortschreitenden Zeit immer Funktionsgraphen - und können daher bestens als "Eselsbrücke" für das Erlernen von Funktionen dienen.

Man hätte es auch anders machen können, aber die Mathematiker haben sich darauf geeinigt, dass die x-Achse immer waagerecht liegt und von links nach rechts geht:

:

Die x-Achse funktioniert also wie unsere lateinische Schrift, die ja auch von links nach rechts gelesen wird.

Bei der x-Achse bedeutet "von links nach rechts", dass die Zahlen von links nach rechts immer größer werden

(wobei "werden" bereits einen Prozess andeutet).

Durch die Einigung auf "von links nach rechts" werden Missverständnisse und Zweideutigkeiten vermieden. So ist z.B. ein und dieselbe Treppe

Nun ist es natürlich nicht schwierig, einfach vorzuschreiben, dass die x-Achse immer von links nach rechts gegangen wird.

Problematischer ist es hingegen, auch einen Bergkamm kontinuierlich von links nach rechts zu gehen. So hatten wir gesehen, dass das z.B. bei der Felswand

 

gesehen, dass man da teilweise senkrecht nach oben und sogar nach links kraxeln muss

(wollte man hier wirklich immer nur von links nach rechts gehen, müsste man ja durch die Felswand hindurch gehen).

Halten wir fest: nur bei Funktionsgraphen ist es möglich, auch auf diesen Graphen kontinuierlich von links nach rechts

(und gleichzeitig auch nach oben oder unten)

zu gehen.


Die deutsche Sprache klaut geradezu synästhetisch Begriffe aus dem einen Wahrnehmungsbereich für den anderen. So werden z.B.

übernommen.

Und beispielsweise bei , also bei "fünf vor zwölf", ist das "vor" dem räumlichen Vokabular entnommen. Nun bedeutet "fünf vor zwölf" im übertragenen Sinn aber "fast schon zu spät", und "spät" ist ein genuin zeitliches Wort.

Umgekehrt werden aber bei der erstmal doch räumlichen Beschreibung mathematischer Graphen oft auch zeitliche Begriffe benutzt, nämlich z.B., wenn es heißt, der Graph der Parabel

falle "erst" und steige "dann" wieder

(wenn man ihn von links nach rechts geht;

mag ja sein, dass der Graph [Berg] bereits von Anfang an vollständig fertig ist: um ihn zu beschreiben, muss man ihn dennoch erst in einem zeitlichen Prozess erwandern bzw. er-fahren).