Anfragen an das "Lernen an Stationen"

"Müssen wir schon wieder (wie in allen anderen Fächern auch) stationenlernen?"

vgl. auch "Quattro Stationi; Nachdenkliches zum Üben an Stationen aus mathematikdidaktischer Perspektive"

Ich hatte mich schon anderweitig kritisch mit dem "Lernen an Stationen" beschäftigt. Vgl.

"Kritisch" heißt dabei nur, dass ich äußerst skeptisch gegenüber dem derzeit gängigen Pauschaleinsatz von "Lernen an Stationen" allüberall bin.

Und wenn ich in gesagt hatte, "Lernen an Stationen" sei überhaupt keine Methode, sondern "nur" eine Organisationsform, so ist auch das kein grundsätzliches Argument gegen das "Lernen an Stationen", sondern bedeutet das nur, dass diese Organisationsform überhaupt erst mit Methoden gefüllt werden muss - und dann durchaus tauglich sein kann.

(Nebenbei: es gibt eine Menge angeblicher Methoden, die ich eher als Organisationsformen ansehen würde, nämlich beispielsweise - so richtig knallemodern - "Kugellager" oder "Egg Race".)


Was am "Lernen an Stationen" (LaS) ist, wenn es ordentlich durchgeführt wird, besser als der übliche (Frontal-)Unterricht?

(... wobei natürlich der Frontalunterricht wie der Lehrervortrag auch seine Zeit hat! Vgl. . Und schon gar nicht ist etwas automatisch besser als Frontalunterricht, nur weil es nicht Frontalunterricht ist.)

Ein entscheidender Vorteil des LaS (wie aller offeneren Unterrichtsformen) kann darin bestehen, dass es für die Lehrkraft erheblich weniger anstrengend ist, weil sie nicht mehr permanente Kontrolle über 30 Personen ausüben bzw.

(was sowieso utopisch ist)

auf viele SchülerInnen gleichzeitig eingehen muss

(und ich plädiere ja immer für einen gesunden Egoismus, der allemal besser ist als verdächtige Selbstlosigkeit oder gar die Kaschierung eigener Interessen durch angebliche Schülerinteressen).


("Spiegel", 10.11.03 )

Allerdings ist diese Vereinfachung für die Lehrkraft kein Gratisgeschenk:

  1. ist die Vorbereitung von LaS erheblich aufwändiger als die übliche Stundenvorbereitung
    (was zur Folge haben kann, dass der Aufwand ["Materialschlacht"] in keinem vertretbaren Verhältnis zum Erfolg steht, zumal die Stationen nur schwerlich auf andere Themen übertragbar sind;
    ganz nebenbei erwähnt sei auch der teilweise erhebliche finanzielle Aufwand für die Lehrkraft);

  2. braucht die Lehrkraft (oder besser wohl: ein Team) braucht enorme Phantasie, um verschiedene Zugänge zu ermöglichen, die evtl. eben gerade nicht ihre eigenen sind;

  3. kann schlecht vorbereitetes bzw. unreflektiertes LaS in völliges Chaos ausarten und damit sogar noch anstrengender als der übliche Frontalunterricht sein, und genau deshalb wird dann panisch in Frontalunterricht zurückgefallen ("ich erkläre das euch allen jetzt mal");

  4. bedarf es zumindest anfangs des Muts zum "Kontrollverlust"
    (bzw. man muss den SchülerInneN Eigenverantwortung zutrauen - und zumuten).

Potentielle Vorteile des LaS für SchülerInnen sind:

  1. Da der Unterricht nicht mehr linear vonstatten geht, erfordert (!) und fördert LaS ein hohes Maß ein Eigenständigkeit.

  2. Das LaS kann erheblich handlungsorientierter (z.B. Experimente) sein als die sonst übliche Behandlung von Aufgabensammlungen, die rein schriftlich vorlegt werden und rein schriftlich zu lösen sind.

  3. LaS kann erheblich mehr binnendifferenzieren als üblicher Frontalunterricht
    (Differenzierung nach Leistung, Interessen, Sozialverhalten, Lerntypus ...).

  4. SchülerInnen können (?) selbstständig Aufgaben auswählen,

  5. selbstständig ihnen zusagende thematische Zugänge wählen,

  6. selbstständig ihr Zeitmaß und die Arbeitsreihenfolge bestimmen,

  7. selbstständig ihre Zugangsweisen (Methoden) wählen,

  8. selbstständig nach ihnen angemessenen Hilfen suchen.

  9. Beim LaS sind leichter Exkurse möglich.

  10. LaS fördert als Gemeinschaftsaufgabe im Regelfall mehrerer SchülerInnen die Sozialkompetenz.

  11. LaS kann schon allein durch die räumliche Aufteilung eine didaktische Struktur deutlicher machen.

  12. LaS kann erheblich mehr auf unterschiedliche Lerntypen eingehen.

  13. LaS beseitigt die permanente Kontrolle durch die Lehrkraft, also auch deren Übermacht; d.h. auch: SchülerInnen kontrollieren einander und sich selbst.

  14. Beim LaS hat die Lehrkraft mehr Zeit für individuelle Beratung
    (solange sie nicht dazu neigt, während des LaS gar nichts mehr zu tun bzw. den SchülerInneN alles zu überlassen).

  15. ...

LaS bietet also die Chance, aber auch Herausforderung einer erheblich veränderten "Aufgabenkultur"

(auch durch Einbringen ganz neuen Materials [z.B. physikalischer Versuche], an dem die SchülerInnen selbst arbeiten können),

und deshalb ist das oftmals leider übliche (und als Arbeitsersparnis verständliche) Verteilen von kopierten Blättern in verschiedenen Ecken des Raums nicht würdig, "Lernen an Stationen" genannt zu werden

(vgl. auch    ).

Eine der Grundfragen von LaS sollte also sein: Wo können die SchülerInnen wirklich was tun (statt nur Texte nachzuvollziehen)?

(Ein Beispiel: da wird nicht eine Würfel"abwicklung" vorgegeben, sondern da wird tatsächlich ein Würfel abgewickelt.)

Eine weitere Forderung (nicht nur) an LaS wären - gerade im Zeitalter von PISA - offenere,Aufgaben (vgl. etwa  "Modellieren mit Mathe").

(Ich habe die genannten Punkte teilweise der einschlägigen Literatur und folgenden Texten im Internet entnommen:

Ausdrücklich weggelassen habe ich arg allgemein formulierte Ziele des LaS wie z.B.

"Lernen an Stationen basiert auf der Bereitschaft der Schüler/-innen zu lernen, ihre Welt in Frage zu stellen und zu entdecken."

  1. sind das zwar wichtige, aber eben doch auch sehr abgehobene Ziele oder wohl eher Voraussetzungen,

  2. ist das keineswegs spezifisch für das LaS.

Überhaupt muss gesagt werden, dass die meisten erreichbaren Texte immer dieselben Floskeln verbreiten, kaum Reflexionen liefern und auf Probleme kaum eingehen.)

Das eigentliche Problem bei den o.g. potentiellen Vorteilen des LaS hat Michael Schubert (s.o.) gut auf den Punkt gebracht, wenn er immer wieder sagt:

"Lernen an Stationen erfordert und fördert ..."

Allzu leicht wird

  1. übersehen, dass die SchülerInnen für das LaS schon einige Fähigkeiten mitbringen (vorher gelernt haben) müssen
    (wobei SchülerInnen selbstverständlich immer Vorkenntnisse haben, also nicht - wie allzu oft vorausgesetzt wird- völlig unwissend sind),

  2. völlig unkritisch ein allzu simples "learning by doing" unterstellt: "wenn ich den SchülerInneN Freiheiten geben, werden sie sie auch sinnvoll nutzen (können)."
    (Aber so naiv kann doch eigentlich kein Lehrerprofi angesichts der Realität in vielen Klassenräumen mehr sein!? Wobei natürlich überhaupt erst der gängige [Frontal-]Unterricht für viele der derzeitigen Probleme gesorgt haben mag.)

Man könnte geradezu sagen:

Wenn die SchülerInnen alle beim LaS benötigten Fähigkeiten sowieso schon (vorher) haben, ist LaS erst recht keine Methode mehr.

 

Jede (angebliche) Methode, die 14 (oder sogar noch mehr) Ziele gleichzeitig zu erreichen verspricht, ist mit allergrößter Skepsis zu betrachten,

bzw. das kann unreflektiert überhaupt nur schief gehen, und es ist zu befürchten, dass nicht nur das eine oder andere Ziel unerreicht bleibt, sondern dass mit dem Verfehlen einiger Ziele gleich alle abhanden kommen.

Die Gefahr besteht, dass SchülerInnen ohne Vorbereitung einzelner methodischer Schritte beim LaS schnell völlig durch die Vielfalt der Eigenständigkeits-Anforderungen überfordert werden.

 

Bemerkenswert ist des weiteren, dass die meisten der o.g. 14. Ziele auch einzeln angegangen werden könnten, man also zu ihrem Erreichen nicht gleich zum kompletten LaS greifen müsste.

Und genau das möchte ich hier probeweise vorschlagen: dass man

  • sich um die einzelnen Ziele kümmert

  • und dafür jeweils "Kleinmethoden" entwickelt.

Die dabei aufgestellten methodischen Überlegungen kann man dann ja durchaus wieder in das LaS einbauen.

In diesem Sinne seien die o.g. Liste nochmals durchgegangen und erste Perspektiven überlegt:

  1. Das LaS kann erheblich handlungsorientierter sein als die sonst übliche Behandlung von Aufgabensammlungen, die rein schriftlich vorlegt werden und rein schriftlich zu lösen sind.

  Es ist zu überlegen, ob und wie jeder mathematische Sachverhalt in (manuelles?) Handeln übersetzt werden kann.
  1. LaS kann erheblich mehr binnendifferenzieren als üblicher Frontalunterricht.

  siehe die folgenden Punkte
  1. SchülerInnen können selbstständig Zugänge Aufgaben auswählen.

  SchülerInnen müssen vorweg einen Überblick über die Zugänge und ihren Sinn haben. Sie müssen zumindest teilweise wissen, zu welchem Ziel eine Aufgabe bzw. ein ganzer Parcour (s.u.) führen soll.
Es darf keine völlige Desorientierung (beliebige Verteilung der Stationen, nur Einzelstationen) stattfinden.
"Zugang" bedeutet auch, dass nicht die klassische Aufgabenstellung vorkommt, in der der Weg schon mitgegeben ist.
"Wählen" heißt immer auch, etwas nicht zu wählen zu dürfen.
 
  1. SchülerInnen können selbstständig ihnen zusagende thematische Zugänge wählen.

  Es bedarf mehrerer thematischer Zugänge zum selben mathematischen Problem.
Anfrage: wie lebens- und jugendnah können Mathe-Aufgaben überhaupt sein?
 
  1. SchülerInnen können selbstständig ihr Zeitmaß und die Arbeitsreihenfolge bestimmen.

  Solcher Umgang mit der Zeit will geübt sein:
  • Zeitplanung vorweg,
  • Benutzung der Uhr,
  • Zeitprotokolle,
  • Suche nach Ursachen für falsche Zeiteinteilung,
  • Korrektur der Zeiteinteilung,

"Bestimmung der Arbeitsreihenfolge" kann nicht Beliebigkeit bedeuten, und auch diese Bestimmung der (einer sinnvollen!) Arbeitsreihenfolge will ausdrücklich geübt werden.
 

  1. SchülerInnen können selbstständig ihre Zugangsweisen (Methoden) wählen.

  Dazu müssen SchülerInnen aber überhaupt erst mal die verschiedenen angebotenen Methoden kennen und die für sie am besten geeignete herausfinden können.
 
  1. SchülerInnen können selbstständig nach ihnen angemessenen Hilfen suchen.

  Um nach Hilfen suchen zu können, müssen SchülerInnen gelernt haben, ihre Probleme einzugrenzen und zu formulieren.
Es muss ein großes und (soweit überhaupt voraussehbar) möglichst individuelles Hilfsangebot vorhanden sein.
Sinnvoll ist zudem (insbesondere im Hinblick auf unvorhersehbare Fragen) der Zugang zu einem Medienfundus (Bücher).
Verschiedene Verfahren, um an Hilfe zu kommen, müssen erarbeitet bzw. vereinbart worden sein (MitschülerInnen, Lehrkraft).
 
  1. Beim LaS sind leichter Exkurse möglich.

  Vielfältige Exkurse müssen (auf die Gefahr, dass sie nie benutzt werden) vorbereitet sein.
Diese Exkursmöglichkeiten müssen den SchülerInnen bekannt sein, bzw. sie müssen in entscheidender Situation darauf aufmerksam gemacht werden.
Es muss überhaupt Zeit für solche Exkurse vorhanden sein.
Die Exkurse müssen an den Unterricht rückgebunden werden.
 
  1. LaS fördert als Gemeinschaftsaufgabe im Regelfall mehrerer SchülerInnen die Sozialkompetenz.

 

Sinnvolle Gruppenbildung (Kriterien) und -steuerung will geübt, Verhaltenskriterien müssen aufgestellt und Gruppenämter vergeben werden.

  1. LaS kann schon allein durch die räumliche Aufteilung eine didaktische Struktur deutlicher machen.

  Es ist zu überlegen, in welcher Reihenfolge (Subkreisen, Parcours; s.u.) die Stationen sinnvollerweise im Raum bzw. mehreren Räumen aufgebaut sind. Diese Struktur muss den SchülerInnen vorher halbwegs klar sein.
 
  1. LaS kann erheblich mehr auf unterschiedliche Lerntypen eingehen.

  Inwieweit ist jede anvisierte Kenntnis auf verschiedenen Lernwegen erreichbar? Wie kann einE SchülerIn herausfinden, welcher Lerntypus sie/er ist?
Können verschiedene Lerntypen einander sinnvoll ergänzen?
 
  1. LaS beseitigt die permanente Kontrolle durch die Lehrkraft, also auch deren Übermacht; d.h. auch: SchülerInnen kontrollieren einander und sich selbst.

  SchülerInnen müssen zu dieser Selbstkontrolle überhaupt erst befähigt werden. Es müssen Formen des Umgangs mit sich und einander erarbeitet worden sowie Kontrollmechanismen eingebaut sein.
(Die Kontrolle darf nicht nur feige von der Lehrkraft auf die SchülerInnen delegiert sein.)
 
  1. Beim LaS hat die Lehrkraft mehr Zeit für individuelle Beratung
     

  Abgesehen von unvorhersehbaren Eventualitäten muss allen (!) Beteiligten klar sein, worin die Aufgaben der Lehrkraft bestehen und mit welchem Verfahren sie wann erreicht werden kann.

Wie bereits angedeutet, sind viele der Ziele des LaS nicht spezifisch für diese Lernform, sondern könnten genauso gut mit anderen Lernformen anvisiert werden.

Dann stellt sich aber doch die Frage, was das wirklich "Eigene" an LaS ist. Meiner Meinung nach deutet es sich in folgender Duden-Definition an:

Station "Haltestelle, Bahnhof; Haltepunkt; Aufenthalt; Bereich, Krankenhausabteilung; Ort, an dem sich eine technische Anlage befindet, Sende-, Beobachtungsstelle": Das Fremdwort wurde im 15. Jh. aus lat. statio "das Stehen, das Stillstehen; Standort, Aufenthaltsort; Aufenthalt; Quartier, Bereich usw." entlehnt, einer Substantivbildung zum Stamm von lat. stare (statum) "stehen" (vgl. stabil). - Abl.: stationär "an einem Standort verbleibend, ortsfest; den Aufenthalt und die Behandlung in einem Krankenhaus betreffend" (18. Jh.; nach frz. stationnaire, spätlat. stationarius "stillstehend; am Standort verbleibend; zum Standort gehörig"); stationieren "an bestimmten Plätzen aufstellen; Truppen an einen bestimmten Standort verlegen" (18. Jh.).
© Dudenverlag

Das Wichtige an "Stationen" ist demgemäß der Haltepunkt, Aufenthalt, Stillstehen. LaS, so verstanden, besteht also vor allem aus Ruhepunkten

(ergänzt durch die Bewegung von einem zum anderen Punkt: "Station to station").

Darauf also sollte LaS sich vor allem konzentrieren: Ruhepunkte zur Beschäftigung mit (u.a. mathematischen) Themen herzustellen.

Daraus ergeben sich aber sofort zwei Forderungen (bzw. Probleme):

  1. LaS in nur schwerlich im 45-Minuten-Raster möglich,

  2. LaS bedarf veränderter Klassenräume
    (größer, unterteilbar, mit entsprechendem Material versehen [vgl. etwa "Mathematik-Lernwerkstatt"] ...).

(Und dennoch muss es mangels Revolutionierbarkeit des Schulsystems auch ohne solche Maximalforderungen funktionieren.)


Oftmals werden in das LaS "Sicherungen" eingebaut, z.B. "Laufzettel", auf denen die SchülerInnen ihren Gang durch die Stationen protokollieren müssen

(Vladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin: "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.")

Ansonsten wird das LaS anfangs meist völlig offen gedacht (die SchülerInnen haben die völlig freie Wahl), bis die beteiligten LehrerInnen merken, dass einige SchülerInnen sich systematisch aus jeder Arbeit rausziehen. Konsequenz der LehrerInnen ist dann oftmals

Mir scheint allerdings, dass da oftmals nur die Schuld verschoben wird: statt dass man zugibt, dass das LaS  unreflektiert eingesetzt war, findet man den Grund lieber bei den angeblich ach so faulen SchülerInneN.

Könnte es sein, dass während eines LaS unaufmerksame oder gar renitente SchülerInnen in Wirklichkeit schnell begriffen haben, dass


Einige weitere Fragen zum LaS:

(Sollte man das ins Material bereits einarbeiten und die SchülerInnen an gegebener Stelle ausdrücklich darauf hinweisen?)

Wie sähen konkrete Parcours aus, in denen die o.g. Fragen sinnvoll beantwortet würden?

Man müsste mal viele LehrerInnen dafür gewinnen, massenhaft Ideen (Methoden) zur Behandlung eines kleinen mathematischen Themas

(z.B. "die Bruchaddition")

mittels "Lernen an Stationen" zu entwickeln.

Wünschenswert wären insbesondere wiederverwendbare LaS-Einheiten zu besonders zentralen Gebieten der Mathematik.