vom Richtigen im Falschen

halb leer/falsch
oder
halb voll/wahr?

vgl. auch

  Damit hier gleich zu Anfang alle Sentimentalität beseitigt wird:

"Aus Fehlern und Irrtümern lernen ist für niemanden angenehm [...]"
(aus der Kurzbeschreibung   zu ; vgl. auch )


"Fehler sind das Produkt individueller Lösungsstrategien."
(Jens Holger Lorenz)

"Heute schon einen Fehler gemacht?
Nein! - Dann hast du auch noch nichts gelernt!"
(anonym)

"Ich stelle wieder einmal fest, wie oft es vorkommt, daß Fehler geheimnisvolle Einfälle sind und den Entdeckungen der Poeten gleichen."
(Jean Cocteau)

 

 

"Fast alle Mathematikbücher haben denselben psychologischen Fehler: Sie enthalten nur fehlerfreie Lösungen. Dadurch vermitteln sie unabsichtlich die falsche Botschaft: »Alle Lösungen sind immer vollständig und richtig«. Die Leser dieser Bücher machen dagegen die Erfahrung, dass im »mathematischen Alltag« der Weg, der letztendlich zum richtigen Ergebnis führt, häufig mit Fehlern und Fehlversuchen gepflastert ist. Diese auffallende Diskrepanz zwischen Mathematikbüchern und täglicher Erfahrung kann auch unerwünschte Folgen haben. So kann bei vielen Menschen der falsche Eindruck entstehen, dass nur sie Schwierigkeiten hätten Aufgaben zu lösen und Mathematik zu verstehen. Dies führt dann dazu, dass diese Leser zwar weiterhin nach richtigen Lösungen suchen, aber gerade diese Lösungen werden von ihnen oft als »fremd« empfunden."

zitiert nach:

Attila Furdek: Fehler-Beschwörer [!!!]; Typische Fehler beim Lösen von Mathematikaufgaben; BoD

 

 
(Ausschnitt aus dem Film "Fermats letzter Satz")

 

Gerade in der Mathematik ist Richtiges so leicht von Falschem zu unterscheiden. Konsequenz daraus sollte aber eben gerade nicht sein, die Fehler totzuschweigen und nur das Richtige vorzuführen, sondern vielmehr brauchen wir - auch laut Richtlinien - eine neue "Fehlerkultur".

"Die ängstliche Vermeidung von Fehlern kann die Bewältigung einer Problemstellung eher behindern als fördern.
Gerade die Tatsache, einen Fehler erkannt zu haben, kann tiefere Einsicht in die Zusammenhänge vermitteln, Quelle neuer Erkenntnisse sein und zum Ausgangspunkt für weiteres Lernen werden."
(Richtlinien und Lehrpläne für die Sekundarstufe II - Gymnasium/Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen; Mathematik; Stand 1999; S. 39)

(Das Problem dabei ist, dass alles nur modische Floskel und frommer Wunsch bleibt, solange man nicht klärt, wie aus Fehlern "tiefere Einsichten" entstehen sollen.)

Wenn an der Behauptung etwas dran ist, dass man tatsächlich aus Fehlern mehr lernen kann als aus (allzu suggestiv) Richtigem, so kann man durchaus sagen:

"Morgen kommt überhaupt nur dran, wer eine Aufgabe nicht lösen konnte (sich aber immerhin erkennbar Mühe gegeben hat)."

Wichtig wäre es dabei nur, eine Atmosphäre aufzubauen, in der die Fehler als Erkenntnismittel deutlich würden.
Dazu müsste anhand der Fehler immer detailliert untersucht werden, aus welchen guten Gründen sie auftraten:

Eine neue Fehlerkultur ist gerade für das Selbstlernen so eminent wichtig: Aus einer richtigen Lösung, aber auch aus den Fehlern anderer lernt einE SchülerIn ja nie, mit ihren/seinen ganz eigenen Fehlern umzugehen

(die "Rechnung" kommt dann leider erst in der Klausur).

Zentrales Mittel, um eine neue "Fehlerkultur" aufzubauen, sind aber Fehler der Lehrkraft:

"Insbesondere die Lehrerinnen und Lehrer können hier Vorbild sein. Auftretende Probleme sollten nicht übergangen werden, vielmehr sollten auch Schülerinnen und Schüler erleben, wie Unterrichtende mit der Situation auftretender Fehler oder Schwierigkeiten umgehen."
(Richtlinien, S. 39)

Natürlich wirkt eine Lehrkraft nur lächerlich, die andauernd Fehler macht und sich im Stoff überhaupt nicht mehr zurecht findet.
Ansonsten aber gilt: Wenn auch die Lehrkraft Fehler macht und machen darf, kann an den Fehlern nichts mehr unehrenhaft sein. So gesehen sollte ein Fehler der Lehrkraft nicht verschleiert werden.

Oder es müssen ja nicht unbedingt Fehler sein. Ebenso wichtig ist es, dass die SchülerInnen erfahren: Manchmal weiß die Lehrkraft auf Anhieb auch nicht weiter - und einige Probleme haben sogar die größten Genies (noch) nicht lösen können.

Ebenso von Interesse könnten große Fehler und Irrwege der Mathematikgeschichte sowie schlicht unlösbare Aufgaben sein
(bei denen man nur fälschlich meint, einen Fehler begangen zu haben).

"Fast richtig um die Ecke gedacht"

"Ich befinde mich in der Lage, meine Fehler genauestens zu erkennen. [...] Dereinst pflegte ich, derartige Fehler zu bedauern & im Hinblick auf diese von verlorener Zeit zu sprechen. Wie dem auch sei, ich habe meine Ansichten zu diesem Thema grundlegend geändert. Oftmals beschert mir die Entdeckung eines Fehlers größeren Gewinn als 10 Errungenschaften, die mir auf einen Schlag & ohne jegliche Schwierigkeiten zufallen."


Ada Lovelace (1815 - 1852)

Genau um solch "fast Richtiges" (auch intuitive Übertragungen von der Alltagssprache in die Mathematik) sollten wir Lehrer uns vermehrt kümmern und ausdrücklich auf es eingehen, ihm also (soweit erkennbar) gezielt vorbeugen.

Ein erfahrener Lehrer kennt aus langer Erfahrung mit typischen Schülerfehlern schon die meisten Irrwege schon und kann daher prophylaktisch so einige Fehler verhindern. Ein erfahrener Mathematiklehrer ist zudem allemal auch Sprachlehrer.

Nun bin ich ja keineswegs Erfinder der "neuen Fehlerkultur". Nur bleibt sie meistens Floskel bzw. pure Absichtserklärung, wenn man sie nicht konkretisiert bzw. an konkreten Beispielen erkennt,

dass SchülerInnen Fehler meist aus sehr guten Gründen machen und mit diesen Fehlern zeigen, dass sie durchaus etwas verstanden haben und logisch denken:

soll "weitestmöglich vereinfacht" werden (auf die Problematik dieser Aufgabenstellung werde ich ich unten zurückkommen).

Richtig wäre

=

=

=

= a 6 ,

also das Kürzen zweier a´s im Zähler gegen zwei a´s im Nenner.

Oder schneller unter Zuhilfenahme eines Potenzgesetzes:

= a8-2 = a 6 .

(Beim Dividieren von Potenzen muß man also "erstaunlicherweise" die Exponenten subtrahieren. Und genau dies muß man als Lehrer im Unterricht  als enorme Rechenvereinfachung klarmachen!)

Wie aber konnte dann in einer Klassenarbeit folgendes falsches Ergebnis zustandekommen?:

= 4

Schlicht und einfach, weil da jemand im Prinzip durchaus richtig gedacht, nämlich gekürzt hat (s.o.) - wenn auch auf brachiale Weise, nämlich folgendermaßen:

= d.h. erstmal die beiden a-Basen gegeneinander

(dabei verschwinden Dinge beim Kürzen doch nie vollständig, also zu Null [bzw, - was ein  erschütternder Unterschied ist . zu "Nichts"], sondern werden ausnahmslos zu Eins. Zwar auch falsch, aber schon ein bißchen "richtiger" wäre also

= = bruch2.JPG (2029 Byte) = 1

[wobei gerade die Potenzen von 1 - und allemal die Nullpotenzen irgendwelcher Zahlen - für SchülerInnen ein Riesenproblem bleiben!

Denn es ist doch wahrhaft schwer einsehbar, daß "irgendwas hoch Null" immer und ausnahmslos die allzu simple Zahl "Eins" ergeben soll.

Das "soll" meine ich dabei durchaus abstoßend autoritär!])

und dann

= = 4 also Zähler und Nenner (die Exponenten) durch 2.

Ein durchaus richtiger Ansatz (nämlich Kürzen) wird also völlig falsch durchgeführt, weil jetzt gnadenlos und ohne Rücksicht auf Verluste alles gegen alles (Basis gegen Basis, Exponent gegen Exponent) gekürzt wird.

Im Grunde steckt dahinter was ganz Einfaches: wer derart falsch rechnet, hat nur die Brüche

(denn der Anfangsterm sieht ja auch schwer nach Bruchrechnung aus, die winzigen Zahlen "da oben" können doch nicht so bedeutsam sein),

nicht aber die Potenzen (geschweigedenn die Potenzgesetze) verstanden.

Er macht den typischen Fehler (womit ich zur zweiten Erklärung des Fehlers komme): er meint fälschlich

a 8    =  8 · a und  a 2    = 2 · a,

womit sich dann tatsächlich ergäbe:

= bruch.JPG (3845 Byte) = = = 4

Mit den falschen Gleichungen

a  8   = 8 · a und  a 2    = 2 · a

wird aber klar, daß die Potenzrechnung (als enorme Abkürzung der Multiplikation) überhaupt nicht verstanden wurde. Und daran ist ja wohl nicht automatisch immer nur der Schüler "schuld", dazu passiert dieser Fehler allzu häufig!

Man wird sich als Lehrer wieder klarmachen müssen:

dann ist das für SchülerInnen ganz schön gehirnausrenkend, und in der Tat ist ja die Potenzrechnung eine hochexplosive Sache, wenn beispielsweise die Kombination zweier so lächerlich kleiner Zahlen wie eben 2 und 10 bereits die so riesig große Zahl 1024 ergibt.

Oder anders und ohne jeden Zynismus gesagt: der "Täter" ist heilfroh, immerhin die Brüche und das Kürzen verstanden zu haben, darauf fährt er ab, und ab jetzt ist für ihn alles Bruch und wird alles erbarmungslos gegeneinander gekürzt.

Ich vermute noch etwas anderes: der "Täter" hat überhaupt nicht den Sinn von Variablen (a) verstanden, und deshalb wirft er sie zugunsten der konkreten Zahl 4 raus. So hat er die Aufgabenstellung "weitestmöglich vereinfachen" verstanden (verstehen müssen), das war das einzig wirklich Einfache für ihn.

In diesem Sinne hat der Schüler die Aufgabe auf die einzig "richtige" Art gelöst, und in diesem Sinne ist das richtige Ergebnis a 6 falsch!


Manchmal scheint mir sogar, viele Fehler bzw. vieles Unvermögen beruhen darauf, dass SchülerInnen "vor lauter Kraft gar nicht mehr gehen können", also schon zu mathematisch denken: sie können die simpelsten Anwendungsbeispiele nicht mehr lösen (und wir LehrerInnen oftmals auch nicht mehr!), weil ihnen die Gesamtmathematik im Wege steht (was könnte hier nicht alles anwendbar sein!?). Martin Wagenschein nannte sowas "verdunkelndes Wissen" und gab dafür folgendes (allerdings physikalisches) Beispiel:

Und prompt schreibt der Südkurier am 31.5.1969: "Die Erde steht voll am Himmel, wird jedoch zur Hälfte vom Mondschatten verdunkelt."


Unter der Voraussetzung, dass die meisten Schülerfehler durchaus logisch sind bzw. dass da eine Logik "nur" zur falschen Zeit angewandt wird, hat das Institut für Mathematik und Angewandte Informatik der Universität Hildesheim in Zusammenarbeit mit dem Schroedel-Verlag ein Programm mit dem Titel  "Mathematik heute - Bruchrechnung" geschrieben, das typische Fehler von SchülerInneN erkennt und sie darauf hinweist, darüber hinaus aber auch der Lehrkraft zeigt, welche Fehler sich bei EinzelschülerInneN bzw. in einer ganzen Klasse häufen.

Naturgemäß kann dieses Programm natürlich noch nicht klären, warum SchülerInnen solche Fehler machen und wie die Lehrkraft darauf reagieren sollte.

Zu genaueren Informationen siehe .


Zum Umgang mit Fehlern siehe auch Christian Strecker: Aus Fehlern lernen und verwandte Themen

Und noch ein Buchtipp: