Methoden als Selbstzweck?!

Ich hatte bereits in "Abschied von den »Großmethoden«?" Zweifel daran angemeldet, dass die Wunderwaffe

Stationenlernen/Gruppenpuzzle/Lerntagebücher

tatsächlich das Allheilmittel sein könne.

(Inzwischen tobt sogar eine neue methodische Phantasielosigkeit: wer irgendwas auf sich hält, veranstaltet doch garantiert eine Fortbildung zum Thema "Chancen [!] und Risiken [?] des Stationenlernens".)


 

"Jede gute Mutter kramt abends in den Gedanken ihrer Kinder, wenn sie schlafen, und ordnet sie für den nächsten Morgen und packt alle wieder an den rechten Platz. Wenn du wach bleiben könntest (aber das kannst du natürlich nicht), würdest du sehen, wie deine eigene Mutter das macht, und du fändest es hochinteressant, sie zu beobachten. Es ist genau wie Schubladen aufräumen. Du würdest sie auf den Knien sehen, vermute ich, wie sie belustigt ein paar Dinge anschaut und sich fragt, wo in aller Welt du die denn aufgegabelt hast, wie sie schöne und weniger schöne Entdeckungen macht, wie sie das eine an ihre Wange drückt und das andere eilig weit wegpackt. Wenn du am Morgen aufwachst, sind die Ungezogenheiten und schlechten Angewohnheiten, mit denen du zu Bett gegangen bist, fein säuberlich zusammengefaltet und ganz unten in deinem Kopf verstaut; und oben, schön gelüftet, liegen die besseren Gedanken, daß du sie gleich benutzen kannst.
Ich weiß nicht, ob du je eine Karte vom Kopf eines Menschen gesehen hast. Doktoren zeichnen manchmal Karten von allen möglichen Körperteilen, und deine eigene Karte kann höchst interessant sein, aber wehe, wenn sie versuchen, die Karte vom Kopf eines Kindes hinzukriegen, von Gedanken, die nicht nur verworren sind, sondern auch die ganze Zeit herumwandern. Das ergibt dann Zickzacklinien wie bei einer Fieberkurve, und die sind wie Straßen auf einer Insel; denn das Niemalsland ist immer mehr oder weniger eine Insel - mit erstaunlichen Farbklecksen: mit Korallenriffen, mit verwegen aussehenden Schiffen auf hoher See, mit Wilden auf einsamen Lagerplätzen, mit Gnomen, die meist Schneider sind, mit Höhlen, durch die ein Fluß fließt, und Prinzen mit sechs älteren Brüdern und einer Hütte, die immer mehr zerfällt, und einer sehr kleinen alten Frau mit Hakennase. Das wäre eine einfache Karte, wenn es dabei bliebe. Aber da gibt es noch den ersten Schultag, Religion, Väter, den kleinen Teich, Handarbeiten, Mörder, Hinrichtungen, Verben mit dem Dativ, Schokoladenpudding, Hosenträger, bis hundert zählen, die Belohnung für den Zahn, den man sich selbst gezogen hat, und so weiter. Und entweder gehört das alles zur Insel oder zu einer anderen Karte, die durchscheint, und alles ist ziemlich verwirrend, besonders weil nichts stillsteht.
Natürlich sind die Niemalsländer einigermaßen verschieden. Das von John zum Beispiel besaß eine Lagune mit Flamingos, auf die er schoß, während sie über die Lagune flogen, und Michael, der sehr klein war, hatte einen Flamingo, über den die Lagunen flogen. John wohnte in einem umgekippten Boot im Sand, Michael in einem Wigwam, Wendy in einem Haus aus Blättern, die geschickt zusammengenäht waren. John hatte keine Freunde, Michael hatte nachts Freunde, und Wendy hatte einen Wolf als Spielgefährten, den die Eltern verlassen hatten; aber alles in allem gibt es Familienähnlichkeiten zwischen den Niemalsländern, und stünden sie still in einer Reihe, dann könnte man sehen, daß sie dieselbe Nase haben und so weiter.
An diesen Zauberstränden ziehen Kinder beim Spielen ewig ihre Boote an Land. Wir sind auch einmal dort gewesen; wir können noch das Brausen der Brandung hören, aber wir werden nie mehr dort landen."
(James M. Barrie in "Peter Pan")

Letztens hatte ich Gelegenheit, einer Lehrerin bei der Korrektur von , die die SchülerInnen anfertigen mussten, zuschauen zu dürfen. Die Benotung war ganz einfach, es gab überhaupt nur zwei Arten angefertigter Mindmaps:

  1. ordentlich, wenn auch eventuell mit kleinen Fehlern,

  2. schludrig.

(Es gibt ja in der Tat SchülerInnen, die schon allein durch schludrige Anfertigung und Schrift ihre Unlust dokumentieren, so dass man sich manchmal fragt, weshalb sie überhaupt eine Hausaufgabe abgeben. Vermutlich wissen sie ganz genau: eine schludrige Anfertigung ergibt gerade noch ein "ausreichend", gar nicht gemachte Hausaufgaben führen hingegen zu einem "ungenügend".
Und überhaupt darf man LehrerInneN ja sowieso den letzten Dreck abgeben.)

Und dennoch frage ich mich, ob die Bewertung tatsächlich so einfach ist:

  1. die von (schludriger) Schrift und Layout
    ("die Augen essen mit"),

  2. aber auch die der abgelieferten Mindmaps (deren Struktur).

Vielleicht

  1. hat sich da jemand sehr wohl alle Mühe gegeben, kann aber nicht schöner schreiben,

  2. verbergen sich hinter schludrigem Layout eben doch gute Gedanken,

  3. hat aber vor allem jemand das "Mindmapping"-Prinzip noch gar nicht verstanden.

Denn hinter c. verbirgt sich doch das eigentliche Problem:

Häufig wird vorausgesetzt, dass SchülerInnen gewisse Methoden

(eben z.B. Mindmaps)

schon verstanden haben und beherrschen

("das habt ihr doch schon in anderen Fächern gemacht", "wie kann man das eigentlich nicht können?!" bzw. "ich kann´s doch auch"),

statt dass das Verfahren selbst erst mal "beigebracht" wird.

Das als bekannt vorausgesetzte Verfahren wird dann nur in einem speziellen Fach eingesetzt

(Mindmaps z.B. zur Strukturierung geographischen Wissens).

  1. Das uralte Problem mit Lernmethoden: da weiß angeblich jeder genau, was beispielsweise "Selbstlernen" ist

("irgendwie halt die Art, wie ich lerne"; "selbstreguliert" bedeutet dann z.B. eigene Regulation von

aber keiner kümmert sich darum

(reflektiert bzw. kann reflektieren),

wie man die einzelnen Selbstlernfähigkeiten sukzessive vermitteln kann, sondern jeder setzt die Fertigkeiten implizit voraus.

  1. Insbesondere Mindmaps scheinen mir ja doch eine eminent "wissenschaftliche" (wenn nicht gar mathematische) Denkweise zu sein - und entsprechend konnte sich ein Mathelehrer gar nicht vorstellen, dass SchülerInnen Mindmaps nicht beherrschten.

Da kann man sich doch fragen, was eher war:

Derselbe Lehrer meinte, die bei Mindmaps typischen (wissenschaftlichen) Vorgehensweisen, also Hierarchisieren und Sortieren, würden doch schon in der Grundschule in einer Art "guter alter Mengenlehre" beigebracht und dürften dann doch wohl vorausgesetzt werden.

Genau da bin ich mir aber nicht so sicher

(ohne nun die "Schuld" - wie üblich - auf GrundschullehrerInnen abschieben zu wollen):

Lernen Kinder sowas heute im Zeitalter des Computers noch selbstverständlich

(ist virtuelles Sortieren dasselbe wie handgreifliches)

- und lernen Mädchen es bei der typischen geschlechtsspezifischen Erziehung?

(Ich stelle hier - wohlgemerkt - keine rhetorischen, sondern echte Fragen, auf die ich selbst keine eindeutigen Antworten weiß.)

Ein "neuer" Grund gegen die "Großmethoden" scheint mir zu sein, dass sie pauschal in allen Altersklassen angewandt werden.

Da sei doch immerhin die Nachfrage gestattet, ob egal welche Methoden eigentlich immer für alle Entwicklungsstufen geeignet sind.


Insbesondere aber: ist eigentlich automatisch dumm oder auch "nur" schlampig, wessen Denkweise sich einfach nicht in die typische Mindmap-Denkweise fügt?

Denn so wichtig die Mindmap-Denkweise ist, so einseitig ist sie doch auch:

Solches Denken - so vermute ich mal - liegt vielen SchülerInneN nicht - und erscheint allemal aus geisteswissenschaftlicher Sicht fast schon absurd: man stelle sich vor, "die" Geschichte werde in eine Mindmap gepresst!


Man darf also das Mindmap-Prinzip keineswegs voraussetzen

(das kann bei vielen SchülerInneN nur schief gehen!),

sondern muss es langsam einführen und üben

(die hinter jeder Sortierung steckende Logik, aber auch die Grenzen von Mindmaps).

Und deshalb müssen Mindmaps (oder im weiteren Sinne Hierarchisieren und Sortieren) vor jeder fachlichen (also auch mathematischen) Anwendung als Selbstzweck geübt werden.

"Wir sortieren unsere Umwelt"

Und das hat vor aller fachlichen Anwendung, also auch vor aller Mathematik bzw. Mathematisierung zu passieren, wie mir überhaupt die fachliche Anwendung oftmals viel zu früh bzw. vieles nur der fachlichen Anwendung zuliebe (also als Vorwand) geschieht.

Hierarchisieren und Sortieren als Selbstzweck - auch wenn das schnell als Kuschelpädagogik angesehen wird und man darüber keine Klassenarbeiten schreiben lassen kann.

Solch "sinnfreies" Tun ist in vielerlei Bereichen möglich und nötig. Als ein Beispiel sei die "Erfahrung" von Querschnitten genannt, indem die SchülerInnen tatsächlich schneiden und sägen, ohne dass dabei schon mathematische Kategorien und Bezeichnungen herauskommen müssen:


Kinder und Jugendliche brauchen vor allem Tätigkeiten (vgl. "möglichst viel haptisch tun" ) - und zwar erst mal rein "spielerische", zweckfreie.

Wie sehr und überhaupt der ökonomische Konkurrenzdruck durchgeschlagen hat, wird inzwischen ja sogar am Spielzeug deutlich: es lässt sich besser verkaufen und ist gleichzeitig auch schon Druckmittel, wenn es "pädagogisch" ist.

Geht´s nicht auch kleiner und "anspruchsloser"?!

Man muss ja nicht nostalgisch-romantisch werden und die freie Naturerfahrung à la "Heidi" zurücksehnen. Aber

Und doch ist es bitter (wenn´s stimmt), dass - wie ich jüngst gehört habe - 10 % aller 10jährigen noch nie einen Wald

betreten, durchkämmt, erblinzelt, gerochen, geschmeckt

haben.