mit Methode scheitern

"always crashing in the same car"
(David Bowie)

"If anything can go wrong, it will"
(Murphy´s Law)

Der Titel ist natürlich doppeldeutig und somit hinter- und abgründig gemeint: "mit Methode scheitern" kann bedeuten:

Die erste Bedeutung von "mit Methode scheitern" ist trivial, darüber muss also nicht weiter geredet werden.

Die zweite, grundsätzliche Bedeutung hingegen denkt dieseR oder jeneR zwar ab und zu, "sagt man aber nicht laut":

  1. möchte man ja nicht (und schon gar nicht öffentlich im Internet) als VersagerIn dastehen: "allen anderen gelingt das prächtig, nur mir nicht"; und angeblich ist es ja so: wenn in der Schule etwas schief läuft, ist immer die Lehrkraft schuld, hat sie sich nämlich nicht gut genug vorbereitet oder die Situation nicht realistisch genug vorbedacht;
  2. man möchte

Folge davon ist, dass meist nur "Hochglanzprospekte" und methodische Patentrezepte ausgestellt werden. Genau das scheint mir aber der falsche Weg zu sein: wer immer nur "Hochglanzprospekte" ausstellt, wird sich auch an ihnen messen lassen müssen. Und wenn dann doch was schief geht (und nach dem Murphyschen Gesetz wird etwas schiefgehen), liefert man nur denjenigen Munition, die es ja schon immer besser (bzw. schlechter) wussten.

Ich möchte hier vielmehr dafür werben,

besser "Zoff in der Bude"

(solange die Diskussion zwar heftig, aber dennoch sachlich geführt und vor allem an konkreten Beispielen aufgehängt wird)

als Friedhofsruhe!

"Konkretheit" als Selbstverpflichtung:

das "Algenprojekt" in "eine echte Anwendung?" ist mir in einer 10. Klasse ganz gründlich "den Bach runter gegangen", die SchülerInnen schrieen geradezu wieder nach "richtiger" Mathematik (worunter sie wohl eindeutige Regeln und konventionelle Aufgaben verstehen).

Es sei gleich der Fairness halber ergänzt: all das geschah in einer überdurchschnittlich guten und aufgeschlossenen Klasse, und die Wortführer waren gerade die "besten" SchülerInnen.

Woran lag´s?

  "Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht?
Wie kannst du deinem Bruder sagen: Bruder, laß mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen!, während du den Balken in deinem eigenen Auge nicht siehst?
Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; dann kannst du versuchen , den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen."
(Lk 6, 41-42)

Um mir also erst mal selbst an die Nase zu fassen

(obwohl fast jeder anfangs dazu neigt, die "Schuld" bei anderen zu suchen: "Schule wäre ganz schön - ohne Schüler"):

  1. habe ich in der letzten Zeit mit den SchülerInnen vielleicht zu viele  Methoden und mathematische Ansätze (Didaktik) angefasst

vgl. nur etwa

"der schönste Beweis aller Zeiten"
 "Binnendifferenzierung ist ja (manchmal) so einfach"
 "offene Klausuren"

und zu wenig auf methodische Kontinuität (d.h. auch absehbare Standardaufgaben) geachtet;
vielleicht ist es mir nicht gelungen, den SchülerInnen den (auch didaktischen) Sinn solcher Methoden zu verdeutlichen;

  1. blieb das Algenprojekt mangels Zeit eben doch wieder rein virtuell - also eben nicht angewandt:

Man könnte also auch brutal sagen: zumindest in der bisherigen Form ist ironischerweise ausgerechnet meine Kronzeugin für "echte" Anwendungsaufgaben, nämlich die Algenaufgabe, keine echte bzw. geeignete Anwendungsaufgabe.

Bemerkenswert sind aber vor allem die Begründungen, die die kritischen SchülerInnen brachten:

  1. das Thema ("irgendwelche blöden Algen") sei langweilig

(dass in der Stunde direkt vorher anhand einschlägiger Quellen die Dringlichkeit des Algenproblems klar gemacht wurde, verschiedene Wachstumsprozesse und Messprobleme und -verfahren [z.B. Exhaustionsmethode] durchdacht sowie sprachliche Betrachtungen zu

"man muß sogar mit einem exponentiellen Wachstum sowohl der Zahl der Verbreitungsgebiete als auch ihrer Ausdehnung rechnen"

angestellt wurden, hatten sie anscheinend gar nicht bemerkt bzw. hielten sie für nebensächlich: in der Stunde sei nichts Neues "gelernt" worden);

  1. die Parallelklassen seien erheblich "weiter" (im kanonischen Stoff), ja, man befürchte, bei der Vorgehensweise, wie sie sich z.B. beim Algenproblem zeige, nicht (quantitativ) genug für die Oberstufe zu lernen

(was nebenbei ein "Vorwurf" ist, der mir enorm unter die Haut geht und mich lange ans Grübeln über meine eventuellen Fehler bringt, weil ich die Vorbereitung auf die Oberstufe [u.a. einen LK] selbstverständlich für sehr wichtig bzw. das gute Recht der SchülerInnen halte).

  1. gerade die (in Mathematik) "besseren" SchülerInnen interessieren sich eigener Aussage nach nicht im mindesten für Anwendungsprobleme, das ist für sie überhaupt keine "richtige" Mathematik

(und da weiß ich nicht mal, ob ich mich über solch "richtige" MathematikerInnen, die ein ganz originäres Interesse an Mathematik haben, freuen oder über solche Einseitigkeit bzw. gar Weltfremdheit traurig sein soll).

Ich werde hier keine endgültige Erklärung für das Scheitern des Algenprojekts liefern,

Schon gar nicht möchte ich in Umkehrung des o.g. Satzes die "Schuld" abschieben: "Wenn in der Schule was schief läuft, sind immer die SchülerInnen schuld."

Dennoch sei aber mal der leise Verdacht geäußert,

Frisch von der Leber ausgedrückt (besser, als dran zu ersticken), verflüchtigen solche Gedanken sich aber auch schnell wieder und schaffen neuen Mut.

Kommt hinzu, dass mir, wenn ich mal so schlecht über "die" SchülerInnen denke, immer sofort auch konkrete liebenswerte Schülergesichter einfallen, denen ich damit schwer unrecht tu.

Allemal werden wir LehrerInnen aber für solche Freuden & Leiden und den Versuch, SchülerInnen manchmal mühsam abzuholen, bezahlt.

Eine Folgerung aus dem "Schlamassel" ist für mich, dass ich "Selbstlernen" noch vermehrt einfordern werde (z.B. Verhalten in Gruppen, pünktliche Abgabe, erkennbar eigene Leistung, Qualität abgelieferter Texte ...).

Ansonsten aber habe ich vorerst - vielleicht sogar ein wenig beleidigt oder aber resigniert - aus der Kritik an der Algenaufgabe umgehend die Konsequenz gezogen:

Vermutlich ist ein (konstruktiver) "ärger" durch Selbstlernen geradezu vorprogrammiert: Wenn SchülerInnen ihr Lernen selbst regulieren (vgl. "was ist Selbstlernen?"), werden sie eben nicht nur "das will ich", sondern eben auch vermehrt "und das will ich nicht" sagen, und wenn man "Selbstregulation" ernst nimmt, müssen solche Scheidewege möglich, ja geradezu eingebaut sein.

PS:
  • Ich erwarte wahrhaft kein Mitleid (schon gar nicht in der Anonymität des Internets).
  • Mir ist auch nicht sonderlich nach Selbstmitleid, sondern eher nach eiskalter Bilanz bzw. herzhaftem Realismus; und am realistischsten scheinen mir da heute "Nano-Methödchen".
PPS: Und schon am Tag drauf sehe ich es, inzwischen wieder ein wenig frohgemut, genau andersrum:
der gestrige "Frust" war ja nur ein schöner Beweis dafür, dass es mit der konventionellen Methodik und Didaktik so nicht weitergeht: letztlich bin ich unzufriedener mit dem Standardunterricht als mit den "neuen" Methoden.