das Tetraeder

der kultusbürokratische Senf
Projektideen

der kultusbürokratische Senf

Manchmal staunt man ja doch: das Themengebiet "Tetraeder (und weitere Exkurse)" hatte ich völlig unabhängig von den Rahmenrichtlinien angedacht, und erst bei der Internetrecherche erfuhr ich (auf meinen eigenen Internetseiten :-), dass es auch in den Mathe-Rahmenrichtlinien für die Sekundarstufe II in NRW erwähnt wird.

Ab und zu sollte man also vielleicht doch die Rahmenrichtlinien lesen:

"Lineare Algebra/Geometrie
In der Linearen Algebra stehen die zentralen Ideen des räumlichen Strukturierens, des Modellierens und des funktionalen Zusammenhangs im Vordergrund.
[...]
Eine Verbindung der zentralen Ideen erfolgt z. B. bei der Darstellung platonischer Körper in der Computergraphik, wo räumliche Strukturen erkannt, modelliert und abgebildet werden, Messungen vorgenommen und umfangreiche Berechnungen durchgeführt werden müssen.
[...]
Schülerinnen und Schüler erfassen die Bedeutung der Linearen Algebra/Geometrie durch ihre vielfältigen Anwendungen. Für das Lernen in Kontexten bieten sich zahlreiche Themen an, z. B. platonische/archimedische Körper und Kristallformen, geschichtliche und philosophische Bedeutung der platonischen Körper, Perspektive in Kunst und Architektur, unmögliche Figuren (Escher-Grafiken), iterierte Funktionensysteme zur Erzeugung von Fraktalen, Stereogramme.

[...]

Selbstständiges Lernen
[...]
In der folgenden Aufstellung wird der Versuch einer Typisierung geeigneter [Facharbeits-]Themenfelder gemacht.
[...]

[...]

Fächerübergreifende, fächerverbindende und projektorientierte Lern- und Arbeitsorganisation
[...]
"

Aber was die Kultusbürokratie da eröffnet, sind nur scheinbare Freiheiten:

Wer

  1. neue Inhalte andeutet, müsste (Konjunktiv irrealis) auch

  2. neue Methoden

  3. und neue Bewertungsformen (oder gar Momente der Bewertungsfreiheit) ermöglichen.

Ohne 2. und 3. ist auch 1. ausgeschlossen: man hat beim normalen Stoff- und Klausurendruck einfach keine Zeit, "überflüssige" Exkurse zu machen.

Die Rahmenrichtlinien (und mit ihnen die Kultusbürokraten) sind also nur pseudoliberal, wenn sie Exkurse andeuten, die letztlich doch nicht möglich sind, und jedeR LehrerIn weiß, dass die Exkurse nur pro forma aufgezeigt werden, in Wirklichkeit aber nur die "Obligatorik" zählt.

Die Einlassungen der Rahmenrichtlinien lohnen genauer betrachtet zu werden:

  1. sind darin ja durchaus interessante Hinweise enthalten. z.B.
  1. ist natürlich der saft- und kraftlose Hinweis "Computereinsatz [auf den ich unten zurück kommen werde] möglich"  lächerlich, weil ganz offensichtlich eine (von der Bürokratie selbst geschaffene!) Pflichtübung.

  2. haben die Rahmenrichtlinien natürlich Recht, wenn sie sehr deutlich darauf bestehen, dass "richtige" und anspruchsvolle Mathematik betrieben werden soll (denn schließlich befinden wir uns im Mathematikunterricht). Vgl.

  1. höre ich aber - vielleicht fälschlich bzw. bösartig - heraus, dass wieder mal doch all zu sehr von der Mathematik aus gedacht und nur ein "eingekleidetes" Anwendungsproblem gesucht wurde:

"[...] wo [...]umfangreiche Berechnungen durchgeführt werden müssen,"

was sich mir doch sehr nach Rechnungen als Selbstzweck, ja als Legitimation anhört.


Projektideen

Ich würde entscheidend anders anfangen, nämlich wie mit den "Phänmomenen" (dem Tetraeder), aus denen die Mathematik überhaupt erst hergeleitet wird

(worüber dann aber das Tetraeder nicht - wie sonst bei "eingekleideten" Aufgaben üblich- schleichend vergessen, sondern immer wieder aufs Neue als Ideenlieferant benutzt wird).

Das Thema ist für alle Jahrgangsstufen geeignet. Wie die Rahmenrichtlinien nur schwach andeuten, ist da durchaus genug Stoff auch für eine Oberstufe vorhanden:

Aber mir scheint schon viel getan, wenn auch OberstufenschülerInnen erst mal nur platonische Körper bauen und somit räumliches Orientierungsvermögen gewinnen, dass ihnen insbesondere in der linearen Algebra oftmals schmerzlich fehlt (vgl. ).

Es gibt drei Möglichkeiten der Betrachtung platonischer Körper:

  1. ebene Darstellungen:

  2. bewegte Computeranimationen,

  3. selbstgebaute oder fertige, tatsächlich dreidimensionale Modelle:

"50 Jahre und kein bisschen müde: Die Tetra Classic Aseptik (TCA) ist die Packung, mit der alles begann. Bereits 1952 wurde die erste Verpackung in der Form eines Tetraeders eingeführt. Nach und nach etablierte sie sich - bis sie dann durch die logistisch ausgefeilte Tetra Brik abgelöst wurde. Heute feiert die TCA in einigen Länder ihr Comeback. Als Klassiker unter den Verpackungen."
(zitiert nach   )
 

Fast typisch für den Unterricht ist es, mangels Zeit und Material überhaupt nur mit der ebenen Projektion (an der Tafel und in den Heften) zu arbeiten.

Mir kommt das nicht nur nachgerade wie Betrug vor, sondern es hat auch entscheidende Nachteile: räumliche Orientierung und Projektionen

(die ja durchaus wichtig sind, aber doch eher ein Endzustand sein sollten)

werden da vorausgesetzt, statt überhaupt erst mal vermittelt.

Es gibt nämlich SchülerInnen, die beispielsweise in überhaupt keinen (räumlichen) Tetraeder sehen, sondern nur drei kombinierte Dreiecke

(vielleicht ist es an der hier vorliegenden Zeichnung schon ungünstig, dass sie völlig symmetrisch, also eine Drauf- bzw. Untenansicht ist).

Kommt hinzu, dass ebene Projektionen oftmals Kippfiguren sind: zeigt der mittlere Punkt vom Betrachter weg oder auf ihn zu?

Zweifelsohne ist da eine Computeranimation schon besser, da sie durch Drehung und Schattenwurf die Illusion von Dreidimensionalität erzeugt. Und dennoch - so scheint mir:

  1. ist das noch keineswegs vergleichbar mit echter, handgreiflicher Dreidimensionalität und Körperlichkeit,

  2. nimmt die Animation dadurch entscheidende Erkenntnisse (und auch schon die Mathematisierung) vorweg, dass sie ein abstrahiertes Kantenmodell ist. Und auch die eigentlich ja erst zu entdeckende Drehsymmetrie wird durch die Animation vorgegeben bzw. geradezu augenscheinlich "bewiesen".

Der methodische Einstieg und die Grundfragestellung sind ja durchaus problematisch: Was - zum Teufel - interessieren SchülerInnen platonische Körper?

Vielleicht kann man ja tatsächlich als Aufhänger wählen,

"Dass sie so schön regelmäßig sind"

"Platon liebt Polly Eders schönen Körper"
"Schön einfach – einfach schön; Schaulaufen geometrischer Schönlinge: die platonischen Körper"

"Als Formen von idealer Schönheit sprechen sie [u.a. die platonischen Körper] wohl alle Menschen besonders an."

Nun wäre ich mit "sprechen sie wohl  alle Menschen besonders [?!] an" ein bisschen vorsichtig, und mit dem "wohl" deuten die AutorInneN ja selbst gewisse Zweifel an: die eiskalte abstrakte Schönheit, die MathematikerInneN gefällt, muss noch lange nicht allen Menschen gefallen. Allerdings führen die AutorInnen eine Fülle natürlicher Ausformungen an, die allemal "herzerwärmender" als ihre mathematischen Abstraktionen sind.

Vorgeschlagen wird hier also eine Sonderform von , zumal platonische Körper den besonderen Vorteil haben, dass man ihre Schönheit ja tatsächlich begründen kann (gleiche Seitenflächen, Symmetrien ...).

Durchaus fraglich ist es aber auch, ob die Schönheit eine ganze Unterrichtseinheit lang hält - oder vor lauter Mathematik am Ende doch wieder verschwindet.

Es gäbe verschiedene Einstiegsmöglichkeiten:

  1. ausgehend von natürlichen Phänomenen, wie sie die o.g. Autoren ja in gezeigt haben, aber auch in Büchern zu "Muster in Natur und Mathematik" auftauchen. Und am besten wäre es da natürlich (soweit überhaupt möglich), nicht nur Bilder, sondern reale Gegenstände mitzubringen.

  2. der Weg, auf dem ich überhaupt zum Thema gekommen bin, nämlich das Tetraeder in Bottrop (s.u.).

  3. Einstieg mit einem Tetraedermodell (bzw. einem eigenen Modell für jedeN SchülerIn).

  4. der Auftrag, im Internet nach Tetraeder-Bildern (also noch nicht nach Texten) zu suchen und die Fülle (etwa in einer Diashow auf CD) zusammen zu stellen.

Zwar wäre das zentrale Stichwort "Tetraeder" damit schon vorgegeben, aber dennoch sind die auffindbaren Phänomene so vielfältig, dass ihrer Systematisierung nachgegangen werden könnte.

Und überhaupt wäre ja schon allerlei erreicht, wenn die SchülerInnen eindrücklich sehen würde, in wie vielen Formen Tetraeder "in freier Wildbahn" vorkommen.

Hier kann nicht die gesamte Unterrichtseinheit durchdacht werden.

Wichtig wäre mir aber (vgl. oben), dass die SchülerInnen die fünf platonischen Körper tatsächlich mal selbst bauen

(als Kind hatte ich das merkwürdige Hobby, zunehmend komplexere Schachteln samt Klebefalzen selbst zu konstruieren und dann zu bauen; mir scheint heute, dass mir das sehr bei der räumlichen Anschauung geholfen hat; vgl. ).

Auch da gäbe es wieder verschiedene Möglichkeiten:

  1. nach fertigen Schnittbögen und vorgegebenen Schemata
    (vgl. etwa

  1. und wohl besser in Eigenentwicklung, die keineswegs einfach, sondern eine echte Herausforderung wäre, die schon mathematische Durchdringung voraussetzen würde,

  2. warum kleckern, wenn man auch klotzen kann?: in Anlehnung etwa an die schöne Internetseite des Gymnasiums Johanneum in Lüneburg und vielleicht sogar in Zusammenarbeit mit den KunstlehrerInnen und Handwerkern (Eltern) werden

Ich hatte oben schon angedacht, ob man mit dem Tetraeder in Bottrop einsteigen sollte,

Der Einstieg mit dem Tetraeder in Bottrop scheint mir durchaus sinnvoll, weil man genau seiner Konstruktion nachgehen könnte

(und vielleicht sogar realen Kontakt zum Ingenieurbüro bekäme, das das Tetraeder konstruiert hat).

Beispielsweise fällt an dem Tetraeder in Bottrop

bei gewisser Ansicht schon auf, dass es ein Sierpinski-Tetraeder andeutet:


(womit ein Einstieg in Fraktale möglich wäre)

Allerdings würde ich fast meinen: erst die Arbeit, dann das Spiel, d.h. es wird erst am Ende der Unterrichtseinheit und sozusagen als Belohnung nach Bottrop gefahren (vgl.  ) - und vielleicht verrät man das Ziel des Tagesausflugs ja nicht mal vorher.

Durchaus interessant könnte es da auch sein, von den Konstrukturen Genaueres über Konstruktionsdetails (auch der Treppen) und Statik zu erhalten.

Aber es soll ja nicht alles nur bierernst werden: dort am Tetraeder in Bochum könnte man dann ja ein Grill- und Kulturfest inkl. Tetraeder-Drachen veranstalten (vgl. ).

Anders gesagt: der Knaller käme erst am Ende - und nicht, wie (wenn überhaupt) im Mathematik üblich, am Anfang.

Der Knaller besteht aber keineswegs nur in dem Tetraeder

(vgl. oder ),

sondern auch in der phantastischen Aussicht von dort aus über das gesamte Ruhrgebiet

(vgl. ).

Aber wie so oft können auch hier Fotos nur ein müder Abklatsch der Realität sein.

PS:

Das Tetraeder in Bottrop wurde erbaut anlässlich der "Internationalen Bauausstellung Emscher Park" - und die hatte "natürlich" einen stilisierten Satz des Pythagoras als Logo: