flexibler Umgang mit Zensuren

Das darf man ja eigentlich gar nicht laut sagen, weil dann garantiert irgendein Rechtbehalter-Pappi auf die Idee kommt, am liebsten formaljuristisch gegen jede Zensur seines missratenen oder einfach nur dummen bzw. asozialen Sprösslings ("der Apfel fällt nicht weit vom Stamm") anzugehen:

Keine Schulzensur ist wirklich niet- und nagelfest, also vollständig "objektiv" begründbar

(die Mathematik "tut nur so", und alle Fächer werden Mathematik, wenn sie in Zensuren zwischen 1 und 6 umrechnen),

und deshalb hat jedeR LehrerIn Angst vor einem Widerspruchsverfahren: weil man sowieso nie vollständig die einschlägigen (und andauernd geänderten) "Erlasse" überschauen kann, hat man doch garantiert immer was falsch gemacht bzw. kann man es nicht hieb- und stichfest "beweisen".

Meine wichtigste Folgerung daraus: es ist Vorsorge zu treffen, dass keine Lehrkraft (die zwei Fächer in einer Klasse unterrichtet) alleine eineN SchülerIn

"sitzen" lassen kann.


Eigentlich ist es mir zu blöd, es noch ausdrücklich zu erwähnen:

Selbstverständlich möchte ich hier nicht einer völligen Beliebigkeit und Willkür bei Schulzensuren das Wort reden.

(Und worum es mir nebenbei auch nicht geht, ist, die Zensuren mit den SchülerInneN zu diskutieren: das kann nur in einem Fiasko [Gequengel und Missgunst gegenüber MitSchülerInneN] enden.)


In gewissem Rahmen (welchem eigentlich genau?) haben LehrerInnen durchaus Möglichkeiten, individuell mit Noten zu verfahren: Zensuren dürfen ja eben gerade nicht rein rechnerisch vergeben (gemittelt), sondern sollen "pädagogisch" erstellt werden (z.B. nach dem Verfahren "Zucker oder Peitsche"?).

Dennoch sind die Vorgaben zu eng. Ein Beispiel:

wollte ich eine andere Art Klassenarbeit "schreiben" lassen, nämlich tatsächlich das Vorlesen bekannter und unbekannter Texte abprüfen.

Das war angeblich laut einschlägigen Richtlinien nicht möglich: (schriftliche) Klausuren haben - wie ja der Name bereits sagt - eben schriftlich zu sein, und wo kommen wir eigentlich hin, wenn ...

Wenn man aber weiß, wie wichtig SchülerInneN Klausuren im Vergleich mit dem (unklaren?) "Mündlichen" erscheinen, denunziert man auf diese Art das (Laut-)Lesen als sekundär bzw. peripher, und dann darf man sich gar nicht mehr wundern, wenn die SchülerInnen es für unwichtig (Schnickschnack) halten bzw. glatt verweigern.


Die SchülerInnen müssen merken, dass Zensuren nicht wie Betonklötze vom Himmel fallen, und das heißt vor allem: sie müssen merken, dass Zensuren nicht endgültig sind, sondern sie "die Scharte wieder auswetzen können"

(womit ich nicht die billige Vertröstung meine: "in der nächsten Klassenarbeit kann natürlich - wenn du fleißig bist - alles wieder besser werden: neues Spiel, neues Glück").

Warum also nicht beispielsweise selbstverfertigte

(sonst doch eh nur sinn- und verstand- sowie lieblos angefertigte)

"Verbesserungen" in die ursprüngliche Note einbeziehen, d.h. diese "schriftliche" Note anheben (und sei's, indem man die Verbesserung merkbar in die "mündliche" Note einbezieht)?

(Überhaupt läuft meine gesamte Argumentation hier auf das [nachträgliche] Anheben, nicht auf das Senken von Zensuren hinaus.)

Denkbar wäre doch Folgendes: einE SchülerIn

hat ein Detail in einer Klausur falsch gemacht oder höchst (auch ihr/ihm selbst?) unklar dargestellt. In einem Mini-Referat arbeitet sie bzw. er es nun (spürbar selbstständig und engagiert) nach - und daraufhin wird die Zensur nachträglich angehoben.

... was auch den Vorteil hätte, dass eine Klausur kein End-, sondern ein Zwischenstand wäre und ihre Forschungsfrage weitergeführt würde.

Ich wüsste so einige Klausuren, unter die ich gerne schreiben würde:

"ein schöner Anfang

(aber eben »nur« ein Anfang mit den genau richtigen Fragen und herausgearbeiteten Problemen);

arbeite doch bitte in dieser Richtung weiter".

Vielleicht sollte man sogar explizit mal solche Klausuren schreiben lassen:

"Arbeite begründet Punkte heraus, die einer weiteren Forschung bedürften (oder vielleicht sogar ein eigenes Facharbeits- oder Referatthema sein könnten)."


Warum nicht erheblich mehr (Exkurs-)Referate ermöglichen und, wenn sie gelungen sind, den SchülerInnen genau zeigen,


Manchmal werde ich das Gefühl nicht los, dass "wir" die Falschen, nämlich nur die bienenfleißigen Nachbeter fördern.

(Gleich wieder als wohl nötige Klarstellung: natürlich ist Fleiß auch wichtig - genauso wie Beherrschung des Handwerkszeugs, also der Rechenverfahren in Mathematik oder der Fachterminologie in Deutsch.
Und ich möchte auch nicht meine Art Mathematik und Umgang mit Literatur als die einzig wahren darstellen, sondern es ist sogar enorm wichtig, den SchülerInnen verschiedene Zugänge zu ermöglichen.)

Es war einmal ein Deutsch-LK, in dem zwei exemplarische SchülerInnen saßen:

"hier liegt ein Sonett in Alexandrinern vor, und das Reimschema funktioniert folgendermaßen";

ihre Klassenarbeiten waren (auch bzgl. Aufbau und Argumentationsverlauf) sauber und ordentlich und somit leicht lesbar;

Erstere erntete andauernd Zweien, letztere andauernd Vieren.

Und doch war das "eigentlich" genau falsch rum:

Die Zensuren hätten also eigentlich "andersrum" ausfallen müssen.

Bzw. es ist mir nicht gelungen, die erste SchülerIn

zu eigenen Gedanken zu "verführen"

(wenn ich auch manchmal das Gefühl habe, dass es SchülerInnen gibt, die tatsächlich gar keine eigenen Gedanken haben)

und die zweite dazu, sich gewisse Grundregeln anzubequemen, bzw. ihr diese wünschenswert und hilfreich erscheinen zu lassen.

Inzwischen nehme ich mir das Recht ("ich bin so frei"), da ein wenig anders vorzugehen.


In einer Unterstufenklasse saß ein Mädchen, das rein sprachlich gesehen "ihrer Zeit weit voraus" war - und systematisch in Klassenarbeiten das Thema verfehlte

(oder genauer: nur die Aufgabenstellung? Denn sie spürte ja wie keine andere Grundprobleme von Texten - und der "Welt"):

sie scherte sich "im Eifer des (engagierten) Gefechts" gar nicht um die (eingeengte) Aufgabenstellung, sondern nutzte Themen und Texte zu ganz eigenen (ungemein "erwachsenen", aber nicht altklugen) Gedankengängen.

(Da hatte ich - bei all meiner sonstigen Skepsis; vgl. Bild - wirklich das Gefühl, eine potentiell Hochbegabte vor mir sitzen zu haben.)

Wie wertet man sowas?:

(meistens neigt man wohl zu einem flauen - und letztlich doch durch und durch ungerechten? - Kompromiss: "ausreichend plus")

Mehr noch: muss man solch einer SchülerIn

nicht in und neben Klassenarbeiten ganz besondere Freiräume ermöglichen?

Also:

(bzw. muss man nicht allen SchülerInneN solche Freiheiten ermöglichen - oder wäre genau das für die meisten [auch nach Anleitung zur Freiheit?] eine völlige überforderung?)

Muss man für solche SchülerInnen nicht wieder vermehrt für die Wiedereinführung des "Besinnungsaufsatzes" sein (der ja durchaus an Texten aufgehängt sein kann)?


Auf Mathematik bezogen:

fördern wir nicht auch da oftmals die Falschen, die nur ein angelerntes "Schema F" anwenden können und das dann für Mathematik halten?

(was für ein bitter armes und doch oftmals übliches Bild von Mathematik!)

Brauchen wir nicht erheblich mehr Bild "die mathematische Hintertreppe"?